L 4 KR 1557/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 3107/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1557/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt Anspruch auf Erstattung der Kosten für ein Personenortungsgerät ("Kidsfinder", im Folgenden: GPS-System).

Der am 1936 geborene Kläger ist Mitglied der beiden Beklagten und leidet an fortschreitender Demenz. Seit Dezember 2007 bezog er von der Beklagten zu 2) verschiedene Pflegeleistungen nach Pflegestufe I. Er wohnte mit der Familie in einem Haus in bewaldeter Gegend; seit 15. Juli 2008 befindet er sich in einem Pflegeheim auf einer code-gesicherten Station und erhielt Leistungen der vollstationären Pflege nach der Pflegestufe II (Bescheid vom 11. September 2008).

Am 15. April 2008 ging bei der Geschäftsstelle der Beklagten zu 1) in A., weitergeleitet zum 17. April 2008 an das zuständige Hilfsmittelkompetenzzentrum in K., der Antrag ein, die Kosten für ein GPS-System (mobiles Notrufsystem "Kidsfinder" EUR 327,00, Zusatzakku EUR 29,95, Ladestecker EUR 9,95, zusätzlich Internetkosten von EUR 9,99 sowie ein Mobilfunkvertrag in Höhe von EUR 13,16 monatlich) zu übernehmen. Der Kläger hatte sich unter dem 17. April 2008 von der Firma "Happy Fire - Abteilung Kidsfinder" das Gerät liefern und freischalten lassen. Die Gesamtkosten bezifferte der Kläger im gerichtlichen Verfahren auf EUR 782,33.

Die Beklagte zu 1) lehnte durch Bescheid vom 29. April 2008 eine Kostenübernahme ab. Es handle sich nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Der Kläger erhob Widerspruch. Es handle sich jedenfalls um ein Pflegehilfsmittel oder um eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes. Die Beaufsichtigung werde durch das Hilfsmittel erheblich erleichtert und eine selbstständige Lebensführung wiederhergestellt. Er, der Kläger, habe einen immer stärkeren Bewegungsdrang mit Fortlauftendenzen entwickelt und könne nicht mehr zuverlässig nach Hause zurückkehren. Mehrmals habe er schon, auch von der Polizei, gesucht werden müssen. Demgemäß biete das System die Möglichkeit, ihn aufzufinden und sicher nach Hause zu bringen. Andernfalls werde Heimpflege bald unvermeidlich.

Die Beklagte zu 1) holte die sozialmedizinische Beratung der Fachärztin Eggert vom 09. Juni 2008 ein. Es handle sich um ein mobiles Notrufsystem, das nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt sei. Auch werde die Pflege nicht erleichtert. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten zu 1) und zu 2) erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 07. August 2008. Das GPS-System sei nicht grundsätzlich für die speziellen Bedürfnisse kranker und behinderter Menschen konzipiert und hergestellt worden und zähle somit zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens. Auch sei der Nutzen des Geräts fraglich. Dies gelte auch im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung. Nach unwidersprochenen Angaben des Klägers wurde der Widerspruchsbescheid am 18. August 2008 zugestellt.

Am 18. September 2008 erhob der Kläger zum Sozialgericht Mannheim (SG) Klage gegen die beiden Beklagten. Er habe in ländlicher Umgebung gewohnt. Das Gerät habe ermöglicht, seinen Aufenthaltsort zu bestimmen und ihn abholen zu können. Im Betreuungsrecht entspreche die Anbringung eines solchen Systems dem Wohl des demenzkranken Patienten und sei erforderlich, um eine erhebliche Gefahr von seiner Gesundheit abzuwenden. Demgemäß müsse es sich um ein Hilfsmittel zum Ausgleich und zur Vorbeugung einer Behinderung im Sinne der Kranken- oder Pflegeversicherung handeln. Keinesfalls sei es, nachdem es von gesunden Menschen nicht benötigt werde, ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Vermeidung einer Heimpflege habe erhebliche Kosten erspart. Die Selbstbestimmung sei gewahrt geblieben. Aufgrund der Eigengefährdung sei die Beschaffung des Geräts unaufschiebbar gewesen. Insgesamt seien Kosten in Höhe von EUR 782,33 entstanden (Gerät und Zusatzakku EUR 356,65, EUR 49,90 für die Freischaltung, laufende monatliche Kosten für sechs Monate [April bis September 2008] EUR 59,94 und EUR 13,16 für die Mobilfunkkarte, für 24 Monate EUR 315,84).

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Es handle sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und auch nicht um ein Pflegehilfsmittel. Der auch klägerseits zitierte Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19. Januar 2006 11 Wx 59/05 - rechtfertige zwar im Sinne des Betreuungsrechts technische Möglichkeiten zur Beaufsichtigung, sei jedoch aus Gründen der Menschenwürde als zweifelhaft anzusehen.

Durch Urteil vom 18. Februar 2009 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, das GPS-System diene nicht der medizinischen Bekämpfung der Demenz und deren Folgen. Es solle allein die Hilfe Dritter ermöglichen. Mithin würden nur die Auswirkungen eines Funktionsausfalles abgemildert. Zur Wirtschaftlichkeit eines Hilfsmittels gehöre auch eine Relation zwischen Kosten und Heilerfolg. Das Gerät ermögliche dem Kläger gerade nicht, sich selbst einen körperlichen Freiraum als Teil menschlicher Grundbedürfnisse zu erschließen, sondern diene lediglich dazu, dass hilfsbereite Dritte den Kläger schneller finden könnten. Im Sinne der Pflegeversicherung diene das GPS-System weder einer Erleichterung der Pflege noch der Ermöglichung einer selbstständigen Lebensführung. Für Ausgänge bedürfe der Kläger ohnehin einer Begleitperson. Das Gerät helfe auch nicht, sich außerhalb des häuslichen Umfeldes besser zu orientieren.

Gegen das am 05. März 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03. April 2009 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er verweist darauf, bei unter übersteigertem Bewegungsdrang leidenden Kindern werde durch die Versorgung mit einem Reha-Kinderwagen die gefahrlose Erschließung eines körperlichen Freiraums ermöglicht (Verweis auf Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 10. November 2005 - B 3 KR 31/04 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 10). Es handle sich keineswegs um eine eher polizeiliche Sicherungsmaßnahme. Es sei ihm, dem Kläger, nicht zuzumuten gewesen, mit Psychopharmaka sediert zu werden oder im Haus eingesperrt zu werden. Wenn er sich verlaufen habe, habe er wegen der Gefahr der Unterkühlung wieder aufgefunden und nach Hause zurückbegleitet werden können. Er habe trotz fehlender Orientierungsfähigkeit seinen krankheitsbedingt übersteigerten Bewegungsdrang ohne Gefahr für die eigene Gesundheit ausleben können. Auf die fehlende Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis komme es nicht an. Die Bewohnbarkeit der eigenen Wohnung sei aufrechterhalten worden. Auch sei nochmals darauf zu verweisen, dass die Notwendigkeit einer Heimaufnahme hinausgeschoben worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu 1), hilfsweise die Beklagte zu 2) unter Aufhebung des Bescheids vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. August 2008 zu verurteilen, EUR 782,33 zu erstatten.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil und die streitgegenständlichen Bescheide weiterhin für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von den Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Mit dem geltend gemachten Gesamtbetrag von EUR 782,33 ist der Beschwerdewert von EUR 750,00 nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der seit 01. April 2008 geltenden Fassung überschritten. Die Berufung kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat weder gegen die Beklagte zu 1) noch gegen die Beklagte zu 2) Anspruch auf Erstattung der Kosten für das selbstbeschaffte GPS-System.

Nach § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es dieses Buch (das SGB V) oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) vorsieht. Da der Kläger nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hat, kommt als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist entsprechend anzuwenden, wenn eine Kostenerstattung für selbstbeschaffte (Pflege-) Sachleistungen begehrt wird.

Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind jedoch nicht erfüllt.

Dem Kostenerstattungsanspruch steht insoweit entgegen, dass sich der Kläger die Versorgung mit dem begehrten Gerät selbst beschaffte, bevor die Beklagten irgendwelche Gelegenheit zur Prüfung einer Leistungspflicht hatten. § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V gewährt einen Kostenerstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Leistung infolge eines Mangels im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Krankenkasse oder die Pflegekasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16; gefestigte Rechtsprechung).

Der Pflicht zur vorherigen Befassung der Beklagten mit dem Leistungsbegehren wurde seitens des Klägers nicht nachgekommen. Vielmehr war das Gerät bei Eingang des Antrags bei der zuständigen Stelle der Beklagten zu 1) bereits geliefert und in Gang gesetzt worden (Rechnung vom 17. April 2008). Selbst eine - im Einzelfall als möglich zu erachtende - verbindliche telefonische Ablehnung wurde nicht gesucht.

Auch der Fall einer unaufschiebbaren Leistung lag nicht vor. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zu einer Entscheidung des Leistungsträgers mehr besteht. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung des Leistungsträgers vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, darf die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22; SozR 4-2500 § 13 Nr. 15). Die Demenz des Klägers mit deren Folgewirkungen hatte sich schleichend und progredient entwickelt; bereits seit Dezember 2007 erhielt der Kläger Pflegegeld nach Pflegestufe I. Mithin war bereits seit mehreren Monaten bekannt, dass der Kläger riskante "Fortlauftendenzen" entwickelt hatte. Die Beklagte zu 1) konnte sodann auch binnen zwölf Tagen, am 29. April 2008 entscheiden. Eine solche Frist abzuwarten, war den Angehörigen des Klägers ersichtlich noch zumutbar. Ein Notfall, in welchem das Gerät von einem Tag auf den anderen beschafft werden musste, kann nicht ernstlich behauptet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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