L 10 U 2233/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 4822/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2233/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21.04.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente.

Der am 1962 geborene Kläger betrieb als Gastwirt die Gaststätte "Zum kleinen G." in L. und war in dieser Tätigkeit bei der Beklagten versichert; außerdem war er Inhaber einer Karateschule. Bei einer tätlichen Auseinandersetzung im Außenbereich der Gastwirtschaft erlitt der Kläger am 22.05.2002 eine Schussverletzung an der Hüfte, als er - so seine Angaben - einen Streit schlichten wollte. Das Projektil wurde am Folgetag entfernt, die Verletzung ist folgenlos ausgeheilt. Bei der tätlichen Auseinandersetzung erlitten weitere Personen ebenfalls Schussverletzungen, ein Angreifer starb. Der nach der Entlassung des Klägers aus der stationären Behandlung am 29.05.2002 behandelnde Arzt für Chirurgie Dr. W. äußerte bereits am 01.08.2002 einen Verdacht auf ein posttraumatisches Stresssyndrom und veranlasste eine Vorstellung des Klägers in der psychiatrischen Universitätsklinik Freiburg, wo der Kläger in der Folgezeit wegen eines Verdachtes auf eine posttraumatische Belastungsstörung, differenzialdiagnostisch Anpassungsstörung (Befundbericht des Leiters der Klinik Prof. Dr. E. und des psychologischen Psychotherapeuten Dr. A. vom 14.08.2002) ambulant behandelt wurde. Dokumentiert ist in den Befundberichten u. a. auch ein Angst- und Verunsicherungsgefühl, das sich aus einem diffusen Bedrohungsgefühl im Zusammenhang mit befürchteten Racheakten, aber auch aus Sorgen und Zukunftsbefürchtungen um die schwierige geschäftliche Situation im Zusammenhang mit Umsatzeinbußen auf Grund der entsprechenden Presseberichterstattung über die Schießerei und deren Umstände zusammensetzte (s. u.a. Befundbericht des Dr. A. vom 25.10.2002). Im Verlauf der Therapie ging die Universitätsklinik F. von einer Besserung der psychopathologischen Situation aus, schlug eine gestufte Arbeits- und Belastungserprobung vor, die der Kläger auch durchführte und hielt den Kläger - ebenso wie Dr. W. - ab dem 06.01.2003 wieder für arbeitsfähig.

Noch im Januar 2003 thematisierte der Kläger im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung in der Universitätsklinik F. (vgl. Befundbericht des Dr. A. vom 29.01.2003) seine Absicht, die Tätigkeit als Gastwirt nicht fortzusetzen und sich beruflich neu zu orientieren. Dr. A. sah diese Entscheidung nicht im Sinne einer krankheitsbedingten Vermeidung oder einer resignativ-depressiven Grundbefindlichkeit, sondern unter der Erwägung der persönlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten und weiterer Zukunftsvorstellungen getroffen sowie durch die beim Kläger vorhandene Hypertonie und die gesundheitlichen Probleme seiner damaligen Lebensgefährtin beeinflusst. Eine gravierende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sah Dr. A. nicht. In der Folgezeit gab der Kläger seine selbständige Tätigkeit in Deutschland auf und lebte in Spanien, wo er - so seine Angaben - im Callcenter eines Bekannten arbeitete. Zuvor hatte Dr. Sch. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, auf Veranlassung der Beklagten ein nervenfachärztliches Gutachten (Untersuchung am 17.01.2003) mit der Diagnose einer leicht ausgeprägten Anpassungsstörung und einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 10 v. H. erstattet.

Im September 2004 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers u. a. die Gewährung einer Unfallrente und teilten mit, der Kläger habe sich erneut in ärztliche Behandlung begeben. Tatsächlich befand sich der Kläger, dessen Beziehung zu seiner Lebensgefährtin in S. ein Ende gefunden hatte, ab 06.09.2004 in Behandlung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie G. (jetzt G.-S. ), Klinik an der L. , der eine schwere depressive Episode sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierte. Von ihm erstmals im Jahre 2006 verordnete Antidepressiva setzte der Kläger wieder ab, ambulante Kontakte erfolgten in Zeitabständen von meist mehreren Monaten. Die Beklagte veranlasste eine erneute Begutachtung durch Dr. Sch. , der eine leicht ausgeprägte Anpassungsstörung, die vom Kläger wegen Persönlichkeitsauffälligkeiten als gravierender empfunden werde, diagnostizierte und weiterhin mit weniger als 10 v. H. bewertete. Mit Bescheid vom 02.02.2005 lehnte die Beklagte daraufhin u. a. die Gewährung einer Rente ab. Während des Widerspruchsverfahrens holte sie ein weiteres Gutachten bei Prof. Dr. T. , Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des B. der L. S. , auf Grund einer Untersuchung im Juni 2005 ein. Der Gutachter ging von einer allenfalls subsyndromalen posttraumatischen Belastungsstörung aus, die nach der aktuellen Literatur der Anpassungsstörung zuzuordnen und nicht mehr als schwergradig einzustufen sei, vom Kläger allerdings höhergradig gewichtet werde. Hierbei kämen sicherlich Reaktions- und Verarbeitungstendenzen zum Tragen, die in der Persönlichkeitsstruktur begründet und durch nachfolgende Belastungen, wie negative Presse, finanzielle Schwierigkeiten bis hin zum Partnerverlust überlagert seien. Die MdE betrage 10 v. H. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit dem dem Kläger am 17.10.2005 zugegangenem Widerspruchsbescheid vom 12.10.2005 zurück.

Das hiergegen am 17.11.2005 angerufene Sozialgericht Freiburg hat u. a. zunächst den behandelnden Facharzt G.-S. als sachverständigen Zeugen schriftlich angehört. Dieser hat die MdE, ausgehend von einer schweren depressiven Episode und einer posttraumatischen Belastungsstörung, mit 60 v. H. bewertet. Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat dann Dr. Sch. , Facharzt u. a. für Psychiatrie und Psychotherapie, nach Untersuchung des Klägers im November und Dezember 2006 ein Gutachten erstattet. Er hat die Auffassung vertreten, wahrscheinlich sei es im Zusammenhang mit dem psychischen Erleben des Ereignisses vom 22.05.2002 zu einer leichtergradigen akuten Belastungsreaktion (ICD 10 F 43.0) gekommen, die im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklinge. Beim Kläger habe kein überwältigendes traumatisches Erlebnis mit ernsthafter Bedrohung seiner Sicherheit oder körperlichen Unversehrtheit vorgelegen. Insoweit habe er geschildert, dass er bereits in seiner Zeit als Student als Türsteher viele hoch aggressive Situationen einschließlich tätlicher Angriffe und Auseinandersetzungen bewältigt habe und mit Stolz erklärt, dass er sich in solchen Situationen immer besonders ruhig und souverän habe verhalten können. Der Kläger habe auch in der Situation völlig vernünftig reagiert, sich aus der Schusslinie gebracht und ins Krankenhaus fahren lassen. Soweit eine Anpassungsstörung (ICD 10 F 43.2) vorhanden gewesen sei, die jetzt als Dysthymia diagnostisch zu fassen sei, habe das belastende Lebensereignis nicht im Erleben des Unfalls bestanden, sondern im Erleben, wie Presse und Öffentlichkeit auf das Ereignis reagiert hätten. Wesentlicher Auslöser sei somit der abzusehende wirtschaftliche Zusammenbruch der Gaststätte und der Kampfsportschule durch eine massive Veränderung in der öffentlichen Meinung und der veröffentlichten Umstände, Mutmaßungen und Spekulationen. Mitursächlich sei auch eine spezifische Disposition im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit im Zusammenhang mit narzisstischen Strukturanteilen des Klägers. Die unmittelbaren körperlichen und psychischen Folgen des Arbeitsunfalles hätten nur einen zu vernachlässigenden Verursachungsanteil. Die MdE sei mit 10 v. H. einzuschätzen.

Hierauf gestützt hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.04.2008 abgewiesen. Gegen den ihm am 25.04.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.05.2008 Berufung eingelegt. Er beruft sich auf die Beurteilung des behandelnden Facharztes G.-S. und hat zur weiteren Begründung dessen erneute fachärztliche Stellungnahme vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21.04.2008 und den Bescheid vom 02.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Beim Kläger liegen keine Folgen des Ereignisses vom 22.05.2002 vor, die einen Anspruch auf Verletztenrente begründen. Die Schussverletzung selbst ist folgenlos ausgeheilt. Aber auch auf psychiatrischem Fachgebiet liegen keine gesundheitlichen Störungen vor, die auf das Ereignis vom 22.05.2002 zurückzuführen sind und eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß, in Ermangelung eines so genannten Stützrententatbestandes, also um wenigstens 10 v.H. bedingen.

Wie das Sozialgericht schließt sich auch der Senat den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Sch. an. Danach führte das eigentliche Unfallereignis, also die tätliche Auseinandersetzung und die erlittene Schussverletzung, beim Kläger allenfalls zu einer vorübergehenden akuten Belastungsreaktion, die jedenfalls nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit am 06.01.2003 als frühestmöglichem Zeitpunkt eines Rentenbeginns (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) keine rentenberechtigende MdE hinterlassen hat.

Eine posttraumatische Belastungsstörung lag zu keinem Zeitpunkt vor, jedenfalls ist eine derartige Störung nicht nachgewiesen. Denn für den Kläger war das Ereignis vom 22.05.2002 - so Dr. Sch. zutreffend - gerade kein, für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung essentielles, extrem traumatisches Ereignis. Aggressive Auseinandersetzungen bis hin zu Bedrohungen und Tätlichkeiten gab es für den Kläger in der Vergangenheit vor dem in Rede stehenden Ereignis häufiger. Der Kläger war als Türsteher bereits mit derartigen Situationen vertraut und hatte sie einschließlich tätlicher Angriffe und Auseinandersetzungen bewältigt. Mit Dr. Sch. geht der Senat deshalb davon aus, dass der Kläger bezüglich aggressiver und gewalttätiger Auseinandersetzungen über ein ausreichendes Training verfügte und sich - so seine eigenen Angaben - in solchen Situationen immer besonders ruhig und souverän verhalten konnte. Ihm stand damit für derartige Situationen ein ausreichendes Stressverarbeitungssystem zur Verfügung. Dementsprechend schätzte er die Situation am 22.05.2002 auch zunächst nicht als gefährlich und lebensbedrohend ein. Als ihn der Schuss traf, reagierte er völlig vernünftig, brachte sich aus der Schusslinie und ließ sich ins Krankenhaus fahren. Damit ist - so zutreffend Dr. Sch. - nicht erkennbar, dass der Kläger mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen, Kriterien für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, reagierte.

Vielmehr - und dies hat Dr. Sch. zutreffend herausgearbeitet - wurden vom Kläger als "traumatisierend" die zeitnah aufgetretenen allgemeinen Folgen des Ereignisses vom 22.05.2002 bewertet, insbesondere die nachfolgenden Presseberichte, in denen er sich dem kriminellen Milieu zugeschrieben sah. Mit der psychischen Reaktion auf die bedrohliche Situation während des Ereignisses vom 22.05.2002 hatte dies nichts mehr zu tun. Gleiches gilt für den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Gaststätte und der Kampfsportschule durch eine in Gefolge der Presseberichte erfolgte Änderung der öffentlichen Meinung. Diese Umstände hatten bereits Prof. Dr. E. sowie der behandelnde Psychotherapeut Dr. A. im Befundbericht vom 14.08.2002 dargelegt. Dort ist ebenfalls von einer Belastung durch die Gerüchte und die Presse, darauf beruhenden Umsatzeinbußen sowie entsprechenden Zukunftssorgen die Rede.

Vor diesem Hintergrund vermag der Senat der Auffassung von Prof. Dr. T. sowie des ebenfalls als sachverständigen Zeugen vom Sozialgericht befragten Dr. E. , Arzt für Psychiatrie und Chefarzt im Epilepsiezentrum Kork, der den Kläger einmalig für das Versorgungsamt begutachtete, nicht zu folgen, wonach der Kläger durch die Schussverletzung aus seiner beruflichen Bahn als Gastwirt geworfen worden sei. Es mag zutreffen, dass der Verlust der beruflichen Existenz zu den beim Kläger diagnostizierten und auch heute noch - als Dysthymia, so Dr. Sch. - vorhandenen psychischen Störungen führte. Indessen beruht der Verlust der beruflichen Existenz nicht wesentlich auf der erlittenen Schussverletzung und der psychischen Belastung im Zusammenhang mit der tätlichen Auseinandersetzung als solche. Wesentlich für den Verlust der beruflichen Existenz waren soziale Folgewirkungen in Form von Presseberichten und Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Schießerei. Diese Umstände indessen haben mit den erlittenen gesundheitlichen Schädigungen durch den Arbeitsunfall und der dadurch bedingten Erfahrung einer Lebensgefährdung nichts zu tun. Denn diese Umstände wären auch dann eingetreten, wenn der Kläger bei der Schießerei nicht verletzt worden wäre.

Tatsächlich kam es beim Kläger unmittelbar durch das Ereignis vom 22.05.2002 zu einer krankheitsbedingten psychischen Reaktion, allerdings lediglich - so der gerichtliche Sachverständige Dr. Sch. - in Form einer akuten Belastungsreaktion (ICD 10 F 43.0), die - so Dr. Sch. - dann aber nach wenigen Tagen abgeklungen war. Die von der Universitätsklinik F. schon zu Beginn der Behandlung als Differenzialdiagnose aufgeführte und später auch von den Gutachtern der Beklagten angenommene Anpassungsstörung hat Dr. Sch. bestätigt und die für diese Diagnose maßgebenden Umstände lediglich - weil die Störung andauert - als Dysthymia bewertet. Wie oben dargelegt, stehen die für diese Diagnosen - gleich ob Anpassungsstörung oder Dysthymia - maßgebenden Symptome aber nicht in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung des Klägers durch das Ereignis vom 22.05.2002.

Unabhängig hiervon würden die diagnostizierten gesundheitlichen Störungen, insbesondere also die von Dr. Sch. und Prof. Dr. T. sowie der Universitätsklinik F. angenommene Anpassungsstörung, und die von Dr. Sch. nunmehr diagnostizierte Dysthymia zu keiner rentenberechtigenden MdE führen. Alle Gutachter haben insoweit übereinstimmend die MdE lediglich mit maximal 10 v. H. bewertet. Ein Rentenanspruch lässt sich in Ermangelung eines Stützrententatbestandes damit ohnehin nicht begründen.

Der Auffassung des behandelnden Facharztes G.-S. , auf die sich der Kläger maßgeblich stützt, folgt der Senat nicht.

Der Facharzt G.-S. hat schon nicht dargelegt, welche Befunde im Einzelnen und welche konkreten Angaben des Klägers er der von ihm gestellten Diagnose einer Depression zu Grunde gelegt hat. Dem gegenüber stellte weder Dr. Sch. (Untersuchung im Januar 2005) noch Prof. Dr. T. (Untersuchung im Juni 2005) eine Depression fest. Dr. Sch. beschrieb den Antrieb und die affektive Schwingungsfähigkeit regelrecht, er schloss eine wesentliche Depressivität aus. Auch Prof. Dr. T. beschrieb den Antrieb und die affektive Schwingungsfähigkeit als nicht (deutlich) gemindert. Er fand keine Anhaltspunkte, die für depressive, Angst- oder sonstige psychotische Inhalte typisch sind. Dr. Sch. hat bei seiner Untersuchung des Klägers im November/Dezember 2006 lediglich Hinweise für eine depressive Verstimmung gefunden. Damit haben insgesamt drei Gutachter bei unterschiedlichen Untersuchungen und zeitgleich zu der vom Facharzt G.-S. diagnostizierten schweren Depression eine solche Erkrankung nicht erkennen können. Im Übrigen hat Dr. Sch. zutreffend darauf hingewiesen, dass die vom Facharzt G.-S. gestellte Diagnose mit den gezogenen therapeutischen Konsequenzen nicht in Einklang zu bringen ist. Ausweislich der sachverständigen Zeugenauskunft des behandelnden Arztes erfolgte eine antidepressive Medikation erst im Jahre 2006, Behandlungsbeginn war indessen im September 2004. Dies würde bedeuten, dass von September 2004 bis in das Jahr 2006 eine schwere Depression ohne Behandlung blieb. Entgegen der Auffassung des Facharztes G.-S. in seiner vom Kläger vorgelegten Stellungnahme kann dieser Aspekt in die Beurteilung durchaus einfließen. Allein der Umstand, dass sich der Kläger gegenüber einer medikamentösen Therapie "hochambivalent" gezeigt haben soll - so die Angabe in der vorgelegten Stellungnahme - erklärt nicht, warum bei Annahme einer schwer wiegenden Diagnose erst nach längerer Zeit therapeutische Schritte eingeleitet wurden. Vielmehr deutet dies darauf hin, dass der Leidensdruck des Klägers nicht besonders ausgeprägt war, was die vom Facharzt G.-S. gestellte Diagnose gerade in Zweifel zieht. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die Tatsache, dass der Kläger eine vom Facharzt G.-S. vermittelte Therapiemöglichkeit ungenutzt ließ (so die vom Kläger vorgelegte ärztliche Stellungnahme). Im Übrigen hat der Facharzt G.-S. auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen die von ihm angenommene Depression auf den Unfall zurückzuführen sein soll. Insbesondere hat er sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Kläger nach seiner Rückkehr aus S. und somit beim erstmaligen Kontakt mit dem Facharzt G.-S. durch seine soziale Situation, also den Verlust der selbständigen Existenz, das Scheitern des beruflichen Neuanfangs in S. und das Ende der Beziehung zu seiner Lebenspartnerin, in außerordentlichem Maße belastet war, ohne dass hierfür die körperliche Schädigung und psychische Belastung durch die Schießerei ursächlich gewesen wären.

Hinsichtlich der vom Facharzt G.-S. angenommenen posttraumatischen Belastungsstörung hat Dr. Sch. - wie oben bereits dargelegt - ausführlich und zutreffend dargestellt, dass die Voraussetzungen für eine derartige Diagnose nicht vorliegen. Hieran ändern auch die Ausführungen des Facharztes G.-S. in seiner vom Kläger vorgelegten Stellungnahme vom September 2008 nichts. Soweit dort ausgeführt ist, die Beschreibung des Hergangs bei der Untersuchung durch Dr. Sch. sei auf die Persönlichkeitsstruktur des Klägers zurückzuführen, der jede Schwäche an sich als Kränkung empfinde, genügt dies nicht, die von Dr. Sch. vorgenommene Bewertung in Zweifel zu ziehen. Dr. Sch. hat ausführlich dargestellt, über welche Erfahrungen der Kläger im Zeitpunkt des Ereignisses vom 22.05.2005 verfügte, welche Bewältigungsstrategien für derartige Stresssituationen er entwickelt hatte und - vor allem - dass sein tatsächliches Verhalten vernünftig und angemessen, also keineswegs durch intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen geprägt war. Im Übrigen hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass die vom Facharzt G.-S. geschilderten, seiner Diagnosestellung zu Grunde liegenden Angaben des Klägers über Flashbacks, Alpträume u.a. nicht für die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung ausreichen, weil nicht dargestellt ist, welche intrapsychischen Vorgänge im Einzelnen mit diesen Begriffen umschrieben werden sollen, insbesondere ob diese Vorgänge - in Abgrenzung zur "normalen" psychischen Reaktion des Erinnerns - die für die gestellte Diagnose erforderlichen Gütekriterien erfüllen. Schließlich und nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass außer dem Facharzt G.-S. insbesondere kein - gerade mit der Diagnostik in erster Linie befasster - Gutachter eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierte, weder Dr. Sch. , noch Prof. Dr. T. und auch nicht der gerichtliche Sachverständige Dr. Sch ... Selbst der unmittelbar nach dem Ereignis vom 22.05.2002 behandelnde Psychotherapeut Dr. A. von der Universitätsklinik F. und der dortige Chefarzt Prof. Dr. E. haben eine solche Diagnose nicht zweifelsfrei gestellt, sondern lediglich einen entsprechenden Verdacht mit der Differenzialdiagnose einer - später auch von Dr. Sch. und Prof. Dr. T. angenommenen - Anpassungsstörung geäußert (Befundbericht vom 14.08.2002).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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