Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4458/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 6010/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.11.2009 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Klage in dem ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 12 R 1183/07 geführten Verfahren nicht als zurückgenommen gilt.
Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die beim Sozialgericht Freiburg unter dem Az. S 12 R 1183/07 geführte Klage nicht als zurückgenommen gilt.
Die Klägerin erhob mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 27.02.2007 Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Mit Verfügung vom 05.11.2007 forderte das Gericht die Schweigepflichtentbindungserklärung der Klägerin an. Mit Schriftsatz vom 06.12.2007 legte der Prozessbevollmächtigte eine Erklärung vor.
Mit Verfügung vom 23.04.2008 forderte das Gericht die Klägerin zur Angabe der ladungsfähigen Anschriften der behandelnden Ärzte in den Jahren 2003, 2004 und 2005 auf. Mit Verfügung vom 24.06.2008 wurde nochmals daran erinnert. Mit Schriftsatz vom 29.07.2008 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass die Angelegenheiten der Klägerin insgesamt einer Überarbeitung unterzogen würden. Es seien auch noch Verfahren gegen die Krankenversicherung anhängig. Es werde um Verständnis gebeten, dass die Sache im Nachgang nicht mehr so eilbedürftig sei, da für die Klägerin das Maßgebliche, nämlich die laufende Erwerbsminderungsrente, erreicht worden sei.
Mit Verfügung vom 01.08.2008 wurde der Prozessbevollmächtigte um Klarstellung gebeten, ob das Ruhen des Verfahrens beantragt werde. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass sie zur Mitwirkung an der notwendigen medizinischen Sachaufklärung aufgerufen sei und mangelnde Mitwirkung zu ihren Lasten gehe. Die Klägerin wurde mit Frist bis 01.10.2008 aufgefordert, die Namen und ladungsfähigen Anschriften der sie aktuell behandelnden Ärzte mitzuteilen.
Nachdem die Klägerin der Aufforderung zum Ablauf der Frist nicht nachgekommen war, erinnerte das Gericht mit Verfügung vom 07.10.2008 nochmals an die Verfügung vom 01.08.2008. Zugleich wies es darauf hin, dass gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Klage als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz dieser Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben werde. Die Kläger hätten dann die Kosten des Verfahrens zu tragen. Aufgrund der unzutreffenden Belehrung zur Kostentragung wurde die Betreibensaufforderung am 27.10.2008 wiederholt und der Klägerin unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 SGG aufgegeben, der Verfügung vom 01.08.2008 nachzukommen. Die Verfügung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 29.10.2009 erhalten.
Mit Schreiben des Gerichts vom 04.02.2009 wurde den Beteiligten mitgeteilt, dass die Klage nach Fristablauf als zurückgenommen gilt.
Mit Schriftsatz vom 07.07.2009 hat sich der Prozessbevollmächtigte gegen die Rücknahmefiktion gewendet und mit Schriftsatz vom 17.08.2009 die Feststellung der Unwirksamkeit der Rücknahmefiktion beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass ein einfacher Brief des Gerichts nicht zur Rücknahmefiktion führen könne. Die Arbeitsbelastung sei im Sozialrecht bei allen die gleiche. Darüber hinaus sei noch ein anderes Verfahren anhängig bzw. ruhend gestellt. Die Verfahren seien nicht losgelöst von einander zu betrachten. Es bestünden verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Bedenken gegen § 102 Abs. 2 SGG. Es könne nicht sein, dass der Gesetzgeber immer bloß einseitig belastende Gesetze gegen den Bürger erlasse. Es gebe auch keine Gesetze gegen Untätigkeit der Behörden und Gerichte.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2009 hat das SG festgestellt, dass die Klage S 12 R 1183/07 als zurückgenommen gilt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Verhalten der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten habe zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung - wobei aufgrund der falschen Belehrung in der Betreibensaufforderung vom 07.10.2008 auf die Betreibensaufforderung vom 24.10.2008 abzustellen sei - sachlich begründete Anhaltspunkte für ein Desinteresse an der Fortführung des Verfahrens gegeben. Der Klägerin würden im Verfahren über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente umfangreiche Mitwirkungspflichten (§ 103 Satz 1 SGG) obliegen. Dazu gehöre insbesondere die Erteilung einer vollständigen Schweigepflichtentbindung gegenüber ihren behandelnden Ärzten, da die Vernehmung der Ärzte als sachverständige Zeugen ein wichtiger Bestandteil der Beweiserhebung zur behaupteten Erwerbsminderung darstelle. Dieser sei die Klägerin nicht nachgekommen, obwohl sie mehrfach zur Vorlage aufgefordert worden sei. Vielmehr habe der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 29.07.2008 erklärt, dass, nachdem die Erwerbsminderungsrente erreicht worden sei, "diese Sache im Nachgang nicht mehr so eilbedürftig" sei. Auf die nochmalige Aufforderung zur Vorlage der vollständigen Schweigepflichtentbindungserklärung mit Fristsetzung und Hinweis auf § 106 a SGG vom 01.08.2008 habe der Prozessbevollmächtigte nicht reagiert. Das Unterlassen jeglicher Mitwirkung über einen Zeitraum von fast sechs Monaten seit der ersten Aufforderung bis zum Ergehen der Betreibensaufforderung sowie die Ausführungen im Schriftsatz vom 29.07.2008 seien geeignet gewesen, am Rechtsschutzinteresse der Klägerin in einem erheblichen Maße zu zweifeln. Soweit der Prozessbevollmächtigte vortrage, dass aufgrund der Anhängigkeit eines weiteren Verfahrens nicht von einem Wegfall des Rechtschutzinteresses gesprochen werden könne, könne dem nicht gefolgt werden. Zwar sei zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein weiteres unter dem Az. S 12 R 1326/06 geführtes Verfahren der Klägerin auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente mit Beschluss des Gerichts vom 14.02.2007 ruhend gestellt worden. Mit Schriftsatz vom 17.09.2007 habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Verfahren S 12 R 1326/06 wieder angerufen. Mit Beschluss des Gerichts vom 18.09.2007 sei dieses Verfahren (nunmehr S 12 R 4849/07) mit dem Verfahren S 12 R 1183/07 verbunden worden. Es sei damit weder ein weiteres Rentenverfahren anhängig noch ruhend. Inwieweit daher auf ein noch bestehendes Rechtsschutzinteresse geschlossen werden solle, erschließe sich dem Gericht nicht. Auch dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten, bezüglich der Untätigkeit von Behörden und Gerichten bestünden keine gesetzlichen Vorschriften, könne nicht gefolgt werden. Nach § 88 SGG könne gegen die Untätigkeit von Behörden Untätigkeitsklage erhoben werden. Im Übrigen könne der der Mitwirkungspflicht der Klägerin hier zugrunde liegende Arbeits- und Zeitaufwand nicht allgemein mit der Dauer von Gerichts- und Verwaltungsverfahren verglichen werden. Die weiteren Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG seien ebenfalls erfüllt gewesen. Die Klägerin sei mit der Verfügung des Gerichts vom 24.10.2008 aufgefordert worden, innerhalb von drei Monaten nach Zugang das Verfahren zu betreiben und die angeforderte Schweigepflichtentbindungserklärung vorzulegen. Sie sei auf die Folgen der Fristversäumnis hingewiesen worden. Die Klägerin habe sich innerhalb der Frist in keiner Weise gemeldet, um den Zweifeln am Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses und dem Anschein einer Vernachlässigung ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht entgegen zu treten. Im Übrigen sei auch weder auf die Betreibensaufforderung noch auf das Schreiben des Gerichts vom 04.02.2009, mit dem mitgeteilt worden sei, dass die Klage nunmehr als zurückgenommen gelte, eine Reaktion erfolgt. Erst mit Schreiben vom 07.07.2009 und damit fast ein Jahr nach dem letzten Schriftsatz habe sich der Prozessbevollmächtigte wieder an das Gericht gewendet.
Gegen diesen ihr am 03.12.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.12.2009 beim Landessozialgericht fristwahrend Berufung eingelegt, die sie nicht begründet hat.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.11.2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Klage unter dem ursprünglichen Aktenzeichen S 12 R 1183/07 nicht als zurückgenommen gilt.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft. Berufungsausschlussgründe greifen nicht ein. Die, da sie die angegriffene Entscheidung eindeutig bezeichnet und den Form- und Fristvorschriften genügt, trotz fehlender Anträge und Begründung auch im Übrigen noch zulässige Berufung ist begründet.
Mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg ist zu Unrecht festgestellt worden, dass die Klage unter dem Aktenzeichen S 12 R 1183/07 als zurückgenommen gilt, da es bereits an einer wirksamen Fristsetzung fehlt.
Gemäß § 102 Abs. 2 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Kläger ist in der Aufforderung auf diese Rechtsfolge hinzuweisen. Die Fiktion einer Klagerücknahme ist für die Fälle eingeführt worden, in denen Anhaltspunkte für ein Desinteresse des Klägers an der Fortführung des Rechtsstreits bestehen. Nichtbetreiben liegt vor, wenn der Kläger sich gar nicht oder nur unzureichend innerhalb von drei Monaten äußert, sodass nicht oder nur unzureichend dargelegt ist, dass das Rechtsschutzbedürfnis im konkreten Fall ungeachtet der vorliegenden Indizien fort besteht. Diese Indizwirkung kann der Kläger widerlegen, indem er binnen der Drei-Monats-Frist substantiiert darlegt, dass und warum das Rechtsschutzinteresse trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 19.05.1993 - 2 BvR 1972/92 -, veröffentlicht in Juris).
Eine Rücknahmefiktion setzt damit u.a, den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG). Für eine in diesem Sinne wirksame Fristsetzung hat das Bundessozialgericht nun in seinem Urteil vom 01.07.2010 (- B 13 R 58/09 R -, veröffentlicht in Juris) darauf abgestellt, dass eine Betreibensaufforderung, wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden muss. Weiterhin muss auch die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift diesen Umstand erkennen lassen, d.h. durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt.
Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Hiervon ausgehend fehlt es bereits an einer wirksamen Fristsetzung. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG sind gerichtliche Anordnungen, durch die, wie hier, eine Frist in Lauf gesetzt wird, zuzustellen. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG gelten für die Zustellung die Vorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 166 ff. ZPO). Die nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden. Dem Bevollmächtigten der Klägerin hätte daher zumindest eine von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beglaubigte Abschrift einer ordnungsgemäß unterzeichneten - nicht nur paraphierten - Verfügung der Vorsitzenden zugestellt werden müssen. Die gerichtlichen Verfügungen vom 07.10.2008 und 24.10.2008 sind lediglich paraphiert. Damit konnten die lediglich mit dem Zusatz "auf richterliche Anordnung" durch eine Justizangestellte unterzeichneten gerichtlichen Schreiben der Geschäftsstelle eine Frist zum Betreiben des Verfahrens nicht in Lauf setzen.
Die angegriffene Entscheidung kann somit nicht Bestand haben und das Verfahren ist fortzusetzen. Mit dem Streit um die Fortsetzung des ursprünglichen Klageverfahrens ist das Klagebegehren in der Berufungsinstanz angefallen, obwohl sich das Sozialgericht damit in der Entscheidung nicht inhaltlich befasst hat (vgl. Sächs.OVG, Urteil vom 11.07.2001 - A 4 B 4197/99 -, veröffentlicht in Juris). Der Verfahrensfehler, der in der zu Unrecht angenommenen Klagerücknahmefiktion zu sehen ist, eröffnet dabei gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG die Möglichkeit der Zurückverweisung, von der der Senat Gebrauch macht (vgl. auch Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.06.2010 L 5 AS 217/10 -; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 08.12.2009 - L 5 R 884/09 - veröffentlicht in Juris). Im Rahmen der nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung, bei der das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreites gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen sind, entscheidet sich der Senat für eine Zurückverweisung. Hierbei hat er berücksichtigt, dass der Rechtsstreit weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, besonders ins Gewicht fiele. Demgegenüber konnte das - bisher nicht erkennbare - Interesse der Klägerin an einer zügigen Entscheidung im vorliegenden Fall zurücktreten.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Es wird festgestellt, dass die Klage in dem ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 12 R 1183/07 geführten Verfahren nicht als zurückgenommen gilt.
Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die beim Sozialgericht Freiburg unter dem Az. S 12 R 1183/07 geführte Klage nicht als zurückgenommen gilt.
Die Klägerin erhob mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 27.02.2007 Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Mit Verfügung vom 05.11.2007 forderte das Gericht die Schweigepflichtentbindungserklärung der Klägerin an. Mit Schriftsatz vom 06.12.2007 legte der Prozessbevollmächtigte eine Erklärung vor.
Mit Verfügung vom 23.04.2008 forderte das Gericht die Klägerin zur Angabe der ladungsfähigen Anschriften der behandelnden Ärzte in den Jahren 2003, 2004 und 2005 auf. Mit Verfügung vom 24.06.2008 wurde nochmals daran erinnert. Mit Schriftsatz vom 29.07.2008 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass die Angelegenheiten der Klägerin insgesamt einer Überarbeitung unterzogen würden. Es seien auch noch Verfahren gegen die Krankenversicherung anhängig. Es werde um Verständnis gebeten, dass die Sache im Nachgang nicht mehr so eilbedürftig sei, da für die Klägerin das Maßgebliche, nämlich die laufende Erwerbsminderungsrente, erreicht worden sei.
Mit Verfügung vom 01.08.2008 wurde der Prozessbevollmächtigte um Klarstellung gebeten, ob das Ruhen des Verfahrens beantragt werde. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass sie zur Mitwirkung an der notwendigen medizinischen Sachaufklärung aufgerufen sei und mangelnde Mitwirkung zu ihren Lasten gehe. Die Klägerin wurde mit Frist bis 01.10.2008 aufgefordert, die Namen und ladungsfähigen Anschriften der sie aktuell behandelnden Ärzte mitzuteilen.
Nachdem die Klägerin der Aufforderung zum Ablauf der Frist nicht nachgekommen war, erinnerte das Gericht mit Verfügung vom 07.10.2008 nochmals an die Verfügung vom 01.08.2008. Zugleich wies es darauf hin, dass gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Klage als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz dieser Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben werde. Die Kläger hätten dann die Kosten des Verfahrens zu tragen. Aufgrund der unzutreffenden Belehrung zur Kostentragung wurde die Betreibensaufforderung am 27.10.2008 wiederholt und der Klägerin unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 SGG aufgegeben, der Verfügung vom 01.08.2008 nachzukommen. Die Verfügung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 29.10.2009 erhalten.
Mit Schreiben des Gerichts vom 04.02.2009 wurde den Beteiligten mitgeteilt, dass die Klage nach Fristablauf als zurückgenommen gilt.
Mit Schriftsatz vom 07.07.2009 hat sich der Prozessbevollmächtigte gegen die Rücknahmefiktion gewendet und mit Schriftsatz vom 17.08.2009 die Feststellung der Unwirksamkeit der Rücknahmefiktion beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass ein einfacher Brief des Gerichts nicht zur Rücknahmefiktion führen könne. Die Arbeitsbelastung sei im Sozialrecht bei allen die gleiche. Darüber hinaus sei noch ein anderes Verfahren anhängig bzw. ruhend gestellt. Die Verfahren seien nicht losgelöst von einander zu betrachten. Es bestünden verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Bedenken gegen § 102 Abs. 2 SGG. Es könne nicht sein, dass der Gesetzgeber immer bloß einseitig belastende Gesetze gegen den Bürger erlasse. Es gebe auch keine Gesetze gegen Untätigkeit der Behörden und Gerichte.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2009 hat das SG festgestellt, dass die Klage S 12 R 1183/07 als zurückgenommen gilt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Verhalten der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten habe zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung - wobei aufgrund der falschen Belehrung in der Betreibensaufforderung vom 07.10.2008 auf die Betreibensaufforderung vom 24.10.2008 abzustellen sei - sachlich begründete Anhaltspunkte für ein Desinteresse an der Fortführung des Verfahrens gegeben. Der Klägerin würden im Verfahren über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente umfangreiche Mitwirkungspflichten (§ 103 Satz 1 SGG) obliegen. Dazu gehöre insbesondere die Erteilung einer vollständigen Schweigepflichtentbindung gegenüber ihren behandelnden Ärzten, da die Vernehmung der Ärzte als sachverständige Zeugen ein wichtiger Bestandteil der Beweiserhebung zur behaupteten Erwerbsminderung darstelle. Dieser sei die Klägerin nicht nachgekommen, obwohl sie mehrfach zur Vorlage aufgefordert worden sei. Vielmehr habe der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 29.07.2008 erklärt, dass, nachdem die Erwerbsminderungsrente erreicht worden sei, "diese Sache im Nachgang nicht mehr so eilbedürftig" sei. Auf die nochmalige Aufforderung zur Vorlage der vollständigen Schweigepflichtentbindungserklärung mit Fristsetzung und Hinweis auf § 106 a SGG vom 01.08.2008 habe der Prozessbevollmächtigte nicht reagiert. Das Unterlassen jeglicher Mitwirkung über einen Zeitraum von fast sechs Monaten seit der ersten Aufforderung bis zum Ergehen der Betreibensaufforderung sowie die Ausführungen im Schriftsatz vom 29.07.2008 seien geeignet gewesen, am Rechtsschutzinteresse der Klägerin in einem erheblichen Maße zu zweifeln. Soweit der Prozessbevollmächtigte vortrage, dass aufgrund der Anhängigkeit eines weiteren Verfahrens nicht von einem Wegfall des Rechtschutzinteresses gesprochen werden könne, könne dem nicht gefolgt werden. Zwar sei zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein weiteres unter dem Az. S 12 R 1326/06 geführtes Verfahren der Klägerin auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente mit Beschluss des Gerichts vom 14.02.2007 ruhend gestellt worden. Mit Schriftsatz vom 17.09.2007 habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Verfahren S 12 R 1326/06 wieder angerufen. Mit Beschluss des Gerichts vom 18.09.2007 sei dieses Verfahren (nunmehr S 12 R 4849/07) mit dem Verfahren S 12 R 1183/07 verbunden worden. Es sei damit weder ein weiteres Rentenverfahren anhängig noch ruhend. Inwieweit daher auf ein noch bestehendes Rechtsschutzinteresse geschlossen werden solle, erschließe sich dem Gericht nicht. Auch dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten, bezüglich der Untätigkeit von Behörden und Gerichten bestünden keine gesetzlichen Vorschriften, könne nicht gefolgt werden. Nach § 88 SGG könne gegen die Untätigkeit von Behörden Untätigkeitsklage erhoben werden. Im Übrigen könne der der Mitwirkungspflicht der Klägerin hier zugrunde liegende Arbeits- und Zeitaufwand nicht allgemein mit der Dauer von Gerichts- und Verwaltungsverfahren verglichen werden. Die weiteren Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG seien ebenfalls erfüllt gewesen. Die Klägerin sei mit der Verfügung des Gerichts vom 24.10.2008 aufgefordert worden, innerhalb von drei Monaten nach Zugang das Verfahren zu betreiben und die angeforderte Schweigepflichtentbindungserklärung vorzulegen. Sie sei auf die Folgen der Fristversäumnis hingewiesen worden. Die Klägerin habe sich innerhalb der Frist in keiner Weise gemeldet, um den Zweifeln am Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses und dem Anschein einer Vernachlässigung ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht entgegen zu treten. Im Übrigen sei auch weder auf die Betreibensaufforderung noch auf das Schreiben des Gerichts vom 04.02.2009, mit dem mitgeteilt worden sei, dass die Klage nunmehr als zurückgenommen gelte, eine Reaktion erfolgt. Erst mit Schreiben vom 07.07.2009 und damit fast ein Jahr nach dem letzten Schriftsatz habe sich der Prozessbevollmächtigte wieder an das Gericht gewendet.
Gegen diesen ihr am 03.12.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.12.2009 beim Landessozialgericht fristwahrend Berufung eingelegt, die sie nicht begründet hat.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.11.2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Klage unter dem ursprünglichen Aktenzeichen S 12 R 1183/07 nicht als zurückgenommen gilt.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft. Berufungsausschlussgründe greifen nicht ein. Die, da sie die angegriffene Entscheidung eindeutig bezeichnet und den Form- und Fristvorschriften genügt, trotz fehlender Anträge und Begründung auch im Übrigen noch zulässige Berufung ist begründet.
Mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg ist zu Unrecht festgestellt worden, dass die Klage unter dem Aktenzeichen S 12 R 1183/07 als zurückgenommen gilt, da es bereits an einer wirksamen Fristsetzung fehlt.
Gemäß § 102 Abs. 2 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Kläger ist in der Aufforderung auf diese Rechtsfolge hinzuweisen. Die Fiktion einer Klagerücknahme ist für die Fälle eingeführt worden, in denen Anhaltspunkte für ein Desinteresse des Klägers an der Fortführung des Rechtsstreits bestehen. Nichtbetreiben liegt vor, wenn der Kläger sich gar nicht oder nur unzureichend innerhalb von drei Monaten äußert, sodass nicht oder nur unzureichend dargelegt ist, dass das Rechtsschutzbedürfnis im konkreten Fall ungeachtet der vorliegenden Indizien fort besteht. Diese Indizwirkung kann der Kläger widerlegen, indem er binnen der Drei-Monats-Frist substantiiert darlegt, dass und warum das Rechtsschutzinteresse trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 19.05.1993 - 2 BvR 1972/92 -, veröffentlicht in Juris).
Eine Rücknahmefiktion setzt damit u.a, den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG). Für eine in diesem Sinne wirksame Fristsetzung hat das Bundessozialgericht nun in seinem Urteil vom 01.07.2010 (- B 13 R 58/09 R -, veröffentlicht in Juris) darauf abgestellt, dass eine Betreibensaufforderung, wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden muss. Weiterhin muss auch die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift diesen Umstand erkennen lassen, d.h. durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt.
Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Hiervon ausgehend fehlt es bereits an einer wirksamen Fristsetzung. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG sind gerichtliche Anordnungen, durch die, wie hier, eine Frist in Lauf gesetzt wird, zuzustellen. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG gelten für die Zustellung die Vorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 166 ff. ZPO). Die nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden. Dem Bevollmächtigten der Klägerin hätte daher zumindest eine von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beglaubigte Abschrift einer ordnungsgemäß unterzeichneten - nicht nur paraphierten - Verfügung der Vorsitzenden zugestellt werden müssen. Die gerichtlichen Verfügungen vom 07.10.2008 und 24.10.2008 sind lediglich paraphiert. Damit konnten die lediglich mit dem Zusatz "auf richterliche Anordnung" durch eine Justizangestellte unterzeichneten gerichtlichen Schreiben der Geschäftsstelle eine Frist zum Betreiben des Verfahrens nicht in Lauf setzen.
Die angegriffene Entscheidung kann somit nicht Bestand haben und das Verfahren ist fortzusetzen. Mit dem Streit um die Fortsetzung des ursprünglichen Klageverfahrens ist das Klagebegehren in der Berufungsinstanz angefallen, obwohl sich das Sozialgericht damit in der Entscheidung nicht inhaltlich befasst hat (vgl. Sächs.OVG, Urteil vom 11.07.2001 - A 4 B 4197/99 -, veröffentlicht in Juris). Der Verfahrensfehler, der in der zu Unrecht angenommenen Klagerücknahmefiktion zu sehen ist, eröffnet dabei gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG die Möglichkeit der Zurückverweisung, von der der Senat Gebrauch macht (vgl. auch Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.06.2010 L 5 AS 217/10 -; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 08.12.2009 - L 5 R 884/09 - veröffentlicht in Juris). Im Rahmen der nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung, bei der das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreites gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen sind, entscheidet sich der Senat für eine Zurückverweisung. Hierbei hat er berücksichtigt, dass der Rechtsstreit weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, besonders ins Gewicht fiele. Demgegenüber konnte das - bisher nicht erkennbare - Interesse der Klägerin an einer zügigen Entscheidung im vorliegenden Fall zurücktreten.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
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