L 8 SB 1444/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 4482/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1444/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der beim Kläger vorliegende Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) wegen einer wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes neu festzustellen ist.

Bei dem 1950 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt K. mit (Teil-Abhilfe)Bescheid vom 27.02.2004 unter Berücksichtigung eines operierten Bandscheibenschadens und einer Wirbelsäulenverformung (Teil-GdB 20), eines Nierensteinleidens, einer chronischen Harnwegsentzündung und einer Ureterschienung (Teil-GdB 30) und einer seelischen Störung, einer Abhängigkeitserkrankung sowie eines chronischen Schmerzsyndroms (Teil-GdB 50) einen GdB von insgesamt 70 seit 21.02.2003 fest. Der dagegen vom Kläger eingelegte Widerspruch, mit dem er den Nachteilsausgleich G geltend machte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 01.04.2004).

Am 09.03.2009 stellte der Kläger beim Landratsamt K. (LRA) einen Antrag auf Erhöhung des GdB und begründete diesen mit einer fortschreitenden Verschlechterung seines Gesundheitszustands in den letzten 5 Jahren. Er leide seit seiner Entlassung aus 4-jähriger Haft 1999 an schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Der Kläger legte neben Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus den Jahren 2005 und 2006, ärztliche Berichte, insbesondere den Befundbericht des Psychotherapeuten Dr. M. vom 10.01.2009 und das arbeitsamtsärztliche Gutachten vom 19.01.2009 vor. Der Kläger gab an, von März 2006 bis zum 21.01.2009 bei Dr. M. wegen Depressionen und anderen Erkrankungen in psychotherapeutischer Behandlung gewesen zu sein. Er habe die Therapie aber beendet, weil er zuletzt kein Vertrauen zu diesem Arzt mehr gehabt habe. Nach Beiziehung des Behandlungsberichts der Klinik für Urologie des Klinikum S. vom 02.04.2009 - sein früherer Hausarzt Dr. B. teilte dem LRA mit, eine Beantwortung sei nicht möglich, da er nicht mehr Hausarzt des Klägers sei - und Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte das LRA den Neufeststellungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 15.05.2009 mangels wesentlicher Änderung im Gesundheitszustand des Klägers ab.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend, seine seelische Störung - er leide vorwiegend unter Depressionen und Angstträumen - sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dabei handele es sich um Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen als Folgen psychischer Traumen u. a. nach 4 Jahren Haft. Hierdurch sei es zu schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten gekommen. Ferner machte der Kläger Beschwerden im Bereich des rechten Schultergelenks als weitere Funktionsstörung geltend und legte hierzu die Bescheinigung ("Entlassungsbericht") der P.-Klinik K. über seine stationäre Behandlung vom 07.05. bis 10.05.2009 (mit Operation am 07.05.2009) und den Arztbrief des Radiologen Dr. W. vom 22.04.2009 vor. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K., der unter Auswertung des Befundberichtes von Dr. H. vom 04.08.2009 zwar eine Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks (Teil-GdB 10) als weitere Funktionsstörung berücksichtigte, insgesamt aber weiter einen Gesamt-GdB von 70 annahm, wies das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2009 zurück.

Am 12.10.2009 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG), mit der er einen höheren GdB als 70 geltend machte. Er wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und legte zusätzlich den Untersuchungsbericht des Röntgenologen Dr. R. vom 22.01.2009, den Operationsbericht des Orthopäden Dr. H. vom 07.05.2009 und den Arztbrief des Chirurgen Dr. A. vom 25.11.2009 vor.

Das SG hörte Dr. H., den Urologen B. und den Chirurgen T. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. H. berichtete am 12.11.2009 über die Behandlung des Klägers seit 20.04.2009 und gab an, bei seiner letzten Vorstellung am 13.10.2009 habe der Kläger noch über Schmerzen im Bereich der rechten Schulter geklagt. Inwieweit ein dauerhafter Schaden zurückbleiben werde, könne jetzt noch nicht gesagt werden. Es bestehe eine Teileinsteifung der Schulter. Der Urologe B. gab am 30.11.2009 an, der Kläger, der seit 16.01.2009 in seiner Behandlung stehe, habe sich zuletzt am 16.11.2009 beschwerdefrei vorgestellt. Klinisch-urologisch habe ein unauffälliger Befund bestanden. Das Nierensteinleiden bestehe fort, die chronische Harnwegsentzündung und Ureterschienung seien jedoch nicht mehr vorhanden. Der Chirurg T. teilte in seiner Aussage vom 11.01.2010 den Behandlungsverlauf und die erhobenen Befunde mit und gab an, es lägen Restbeschwerden im Bereich der rechten Schulter unspezifischer Art vor, die subjektiv zu erheblichen Klagen Anlass gäben. Objektivierbar seien jedoch lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung, insbesondere der Abduktion und Außenrotation, sowie eine Kraftminderung bei Abduktion und Elevation. Ein GdB von 10 erscheine insoweit angemessen.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2010 wies das SG die Klage ab. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen, die mit einem GdB von 70 weiterhin angemessen bewertet seien, hätten sich gegenüber den dem Bescheid vom 27.02.2004 zugrunde liegenden Verhältnissen nicht wesentlich verschlimmert. Die beim Kläger auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet vorliegenden Funktionsstörungen bedingten nach wie vor einen GdB von 50. Die von Dr. M. in seinem Bericht vom Januar 2009 diagnostizierten Gesundheitsstörungen Depression und Angstträume seien nur leichtgradig ausgeprägt und bedingten keinen eigenständigen GdB von wenigstens 10. Nach dem Abbruch der Behandlung bei Dr. M. finde offenbar auch keine nervenärztliche oder psychotherapeutische Behandlung (mehr) statt, was gegen einen erheblichen Leidensdruck des Klägers spreche. Die zusätzlich berücksichtigte Funktionsstörung im Bereich des rechten Schultergelenks rechtfertige keinen höheren Teil-GdB als 10. Auch die auf urologischem Gebiet vorliegenden Funktionsstörungen hätten sich nicht verschlimmert. Der insoweit vom Beklagten angenommene Teil-GdB von 30 liege weit über dem, was für das jetzige Ausmaß des Nierensteinleidens des Klägers angemessen sei.

Dagegen hat der Kläger am 22.03.2010 beim SG Berufung eingelegt, mit der er einen GdB von mehr als 70 geltend macht. Er bringt vor, das SG habe zu Unrecht einen höheren GdB als 70 verneint. Der GdB sei zumindest auf 80 zu erhöhen, da bei ihm schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten vorlägen. Dies zeige sich daran, dass er nach seiner nahezu 4-jährigen, ununterbrochenen Strafhaft in seiner Wohnung isoliert lebe, schon wieder seine Wohnung zu verlieren scheine und ihm in den letzten Jahren mehrere Arbeitsstellen schon nach kurzer Zeit gekündigt worden seien. Seine schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten kämen u. a. auch im Umgang mit den Mitarbeitern des Jobcenters der Stadt K. zum Ausdruck, die er im Unterbewusstsein wohl mit den Bediensteten im Strafvollzug assoziiere. Dass er die Behandlung bei Dr. M. nach über 3 Jahren abgebrochen habe und keine entsprechende Behandlung mehr stattfinde, bedeute nicht - wie das SG annehme - dass bei ihm kein erheblicher Leidensdruck mehr vorläge. Vielmehr sei es so, dass kranke Menschen in vergleichbarer Lage keine Perspektiven mehr sehen würden, mit ihrem Schicksal abschlössen und nur noch auf eine günstige Gelegenheit warteten, um sich zu suizidieren. Hinzu komme, dass die Funktionsstörung im Bereich seiner rechten Schulter nicht ausreichend bewertet sei. Es läge - wie Dr. H. richtig mitgeteilt habe - eine Teileinsteifung der rechten Schulter vor. Dieser Arzt sei gegenüber den anderen Ärzten der kompetentere Arzt. Im Übrigen stelle es eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht dar, dass das SG ohne Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens eine Entscheidung getroffen habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Februar 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen höheren GdB als 70 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ein GdB von 70 - wie hier festgestellt - sei eher überhöht als zu niedrig. Sowohl die Bewertung der urologischen Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 30 als auch die der psychischen Störungen mit einem GdB von 50 sei (eher) überhöht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die beigezogenen Gerichtsakten L 2 RJ 2126/04 und L 2 RJ 4526/01 sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers mündlich verhandeln und entscheiden. In der Terminsbestimmung vom 22.02.2011, die dem Kläger ordnungsgemäß zugestellt worden ist, war auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 70.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 15.05.2009 (Widerspruchsbescheid vom 02.10.2009), mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, den beim Kläger vorliegenden GdB neu festzustellen. Hierbei handelt es sich um einen (ablehnenden) Bescheid nach § 48 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X).

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt-GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" 2004 (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) inhaltsgleichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) nun heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist in seiner Entscheidung unter Anwendung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungskriterien der VG zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers gegenüber der letzten maßgeblichen Feststellung (Bescheid vom 27.02.2004) nicht wesentlich verschlimmert haben und keinen höheren GdB als 70 bedingen. Diese Beurteilung begründet sich im Wesentlichen auf die Angaben der vom SG gehörten behandelnden Ärzte des Klägers und die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte. Eine Würdigung der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen durch den Senat ergibt, dass die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden ist. Der Senat schließt sich den entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid an und nimmt zur Begründung seiner eigenen Entscheidung insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten ist noch Folgendes auszuführen: Eine wesentliche, d. h. eine Erhöhung des bisherigen GdB von 70 auf 80 oder mehr rechtfertigende Verschlimmerung der Funktionsstörungen des Klägers ist nicht eingetreten. Der Kläger ist in erster Linie durch sein psychisches Leiden - vom Beklagten als "seelische Störung, Abhängigkeitserkrankung, chronisches Schmerzsyndrom" bezeichnet - beeinträchtigt. Diese Funktionsstörung des Klägers wird vom Beklagten seit 21.02.2003 mit einem GdB von 50 (zuvor noch 30) bewertet, was seinerzeit zu einer Erhöhung des GdB von 60 auf 70 geführt hat (Teilabhilfebescheid vom 27.02.2004). Diese Bewertung ist auch seit 09.03.2009 (Neufeststellungsantrag) nicht zu niedrig. Eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes dieser Funktionsstörung seit der letzten maßgeblichen Feststellung im Februar 2004 ist zu verneinen. Zwar hat der den Kläger bis Januar 2009 behandelnde Facharzt für Psychotherapie Dr. M. in seinem für den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit erstatteten Befundbericht vom 10.01.2009 eine Depression und Angstträume diagnostiziert. Daraus - so Dr. M. - resultiere eine verminderte psychische Belastbarkeit (Schlafmangel) des Klägers. Funktionseinschränkungen bestünden z. B. bei längeren nächtlichen Wachdiensten in der Kälte. Nach Teil B Nr. 3.7 der VG setzt schon ein GdB von 50-70 schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten voraus. Der Bewertungsrahmen für schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdB 80 bis 100) ist hier nicht eröffnet. Die vom Kläger erwähnten Ereignisse (Tod der Eltern und eines Kindes, zwei Scheidungen, schuldlose Verursachung eines tödlichen Unfalls als Lokführer (1974) und vierjährige Strafhaft - Entlassung 1999) führen nicht dazu, dass - wie der Kläger offenbar meint - schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten geradezu zwangsläufig angenommen werden müssen, da die - je nach den Betroffenen unterschiedlichen - Auswirkungen solcher Geschehnisse auf den seelischen Gesundheitszustand und nicht die Geschehnisse selbst für die Beurteilung des GdB maßgebend sind. Hier kommt noch hinzu, dass die genannten Ereignisse allesamt sehr lange, teilweise sogar mehrere Jahrzehnte zurückliegen, so dass eine erst nach der letzten maßgeblichen Feststellung am 27.02.2004 eingetretene wesentliche Verschlimmerung damit nicht begründet werden kann. Dass der Kläger Streit mit seinem Vermieter habe und - wie er geltend macht - wieder seine Wohnung zu verlieren drohe und ihm in den letzten Jahren öfters schon nach kurzer Zeit die Arbeitsstellen gekündigt worden seien, bedeutet nicht ohne weiteres, dass es zu einer Verschlimmerung seines psychischen Leidens gekommen ist. Erst recht nicht können daraus schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten im Sinne von Teil B Nr. 3.7 der VG abgeleitet werden. Außerdem hat der Senat bereits entschieden, dass bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel schon nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze (GdB 30 bis 40) darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 -, veröffentl. in juris). Da bei fehlender (nerven-) ärztlicher Behandlung ein entsprechender Leidensdruck zu verneinen ist, mag der bisher angenommene (Teil-) GdB von 50 für die psychische Störung dahinstehen, eine höhere Bewertung ist keinesfalls gerechtfertigt.

Dass sich die beim Kläger ferner vorliegenden Funktionsstörungen (operierter Bandscheibenschaden, Wirbelsäulenverformung, Nierensteinleiden, chronische Harnwegsentzündung, Ureterschienung) wesentlich verschlimmert haben, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. In diesem Zusammenhang ist vielmehr zu berücksichtigen, dass der Urologe B. gegenüber dem SG angegeben hat, dass zwar ein Nierensteinleiden weiter vorliegt, eine chronische Harnwegsentzündung und eine Ureterschienung aber nicht mehr bestehen. Der insoweit angenommene GdB von 30 ist daher nicht mehr angemessen, so dass er bei der Bildung des Gesamt-GdB auch nicht mehr in dieser Höhe zu berücksichtigen ist.

Was die Funktionsstörung des Klägers im Bereich der rechten Schulter anbetrifft, geht der Senat davon aus, dass nach der letzten Befunderhebung durch Dr. A. am 25.11.2009 nur eine endgradige Bewegungseinschränkung der rechten Schulter besteht (Bericht vom 25.11.2009) und die von Dr. H. in seiner Aussage vom 12.11.2009 noch für den 13.10.2009 beschriebene Teileinsteifung der Schulter nicht mehr vorliegt. Dies rechtfertigt allenfalls einen GdB von 10. Im Übrigen kann dahingestellt bleiben, ob die Schultererkrankung - wie vom Beklagten angenommen - nur einen GdB von 10 oder einen höheren GdB bedingt. Selbst wenn im Hinblick auf die von Dr. H. diagnostizierte Teileinsteifung der rechten Schulter insoweit nach Teil B Nr. 18.13 der VG ein GdB von 20 anzunehmen wäre, käme eine Erhöhung der Gesamt-GdB auf über 70 nicht in Betracht. Bei Teil-GdB-Werten von 50 (psychische Störung), 20 (Wirbelsäule), 20 (rechte Schulter) und nur noch 10 für das Nierensteinleiden (vgl. Teil B Nr. 12.1 der VG) wäre ein GdB von 80 überhöht.

Der medizinische Sachverhalt ist geklärt. Weiterer Ermittlungen, insbesondere der Einholung eines Gutachtens, bedarf es nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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