L 12 AL 5500/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AL 634/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 5500/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagte wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Januar 2009 abgeändert und die Klage vollständig abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Bewilligungen von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und eine damit verbundene Erstattungsforderung der Beklagten für den Zeitraum 10. August 1995 bis 21. Oktober 1996 in Höhe von insgesamt 14.871,01 EUR.

Der 1970 geborene Kläger beantragte am 13. September 1995 die Gewährung von Alhi und gab hierbei an, 1994 eine Abfindung in Höhe von 45.000,- DM erhalten zu haben. Die Frage nach Vermögen von mehr als 8.000,- DM verneinte er.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger Alhi ab 10. August 1995 nach einem Bemessungsentgelt von 1.190,- DM. Im Folgeantrag vom 30. Mai 1996 verneinte der Kläger erneut das Vorhanden- sein von Vermögen. Die Beklagte bewilligte Alhi ab 1. Juni 1996 weiter nach einem Bemessungsentgelt von 1.220,- DM. Der Alhi-Bezug endete am 21. Oktober 1996, anschließend machte sich der Kläger mit einem Imbissstand selbstständig. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 7. Juli 1997 die Bewilligung von Alhi für den Zeitraum 1. August bis 21. Oktober 1996 wegen fehlender Verfügbarkeit des Klägers (Aushilfstätigkeit im später erworbenen Imbiss) aufgehoben hatte, verglichen sich die Beteiligten im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) dahin, dass der Kläger zur Erledigung des Rechtsstreits 1.700,- DM Alhi zurückzahlte (S 7 AL 2450/97).

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2005 informierte das Hauptzollamt Stuttgart die Beklagte über eine Überweisung von der D. Bank auf ein Konto des Klägers bei der TCMB vom 7. Februar 1995 über 220.000,- DM. Im Rahmen der von der Beklagten mit Schreiben vom 2. November 2005 eingeleiteten Anhörung äußerte der Kläger, das Geld habe seiner Mutter gehört. Er habe eine Vollmacht über das Konto seiner Mutter gehabt, da diese weder habe lesen noch schreiben können. Er habe das Geld für seine Mutter bei der TCMB eingezahlt, weil diese das Geld in die Türkei habe mitnehmen wollen. Unterlagen seien keine mehr vorhanden, der Kläger selbst habe außer der Abfindung kein Vermögen. Auf Aufforderung legte der Kläger zusätzlich einen Kontoauszug der TCMB vor, woraus sich eine Einzahlung am 7. Februar 1995 in Höhe von 220.000,- DM ergibt sowie eine Abhebung am 20. Oktober 1995 über 65.000,- DM. Weitere Abhebungen erfolgten erst im Jahr 1998.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 9. Mai 2006 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi für den Zeitraum 10. August 1995 bis 21. Oktober 1996 zurück und forderte die Erstattung der gewährten Alhi in Höhe von 10.468,09 EUR nebst Versicherungsbeiträgen in Höhe von 4.402,92 EUR. Der Kläger habe eine Spareinlage von 220.000,- DM verschwiegen, er sei aufgrund des vorhandenen Vermögens nicht bedürftig gewesen. Der Kläger habe vorsätzlich, zumindest grob fahrlässig falsche Angaben zu seiner Vermögenssituation gemacht. Zwar mache der Kläger geltend, dass das Vermögen seiner Mutter gehört habe, aus dem Kontoauszug sei jedoch nicht ersichtlich, dass einschränkende Abreden zugunsten Dritter zwischen dem Kläger und der Bank getroffen worden seien, der Kläger habe somit jederzeit uneingeschränkt Zugriff auf das Vermögen gehabt. Eine Weisungsbefugnis des Treugebers gegenüber dem Treuhänder und dessen Verpflichtung zur jederzeitigen Rückgabe des Treugutes sei ebenfalls nicht erkennbar.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, das Vermögen habe seiner am 3. Mai 2000 verstorbenen Mutter gehört, die für ihr Konto bei der C.bank einen Bevollmächtigten gebraucht hätte. Dies seien zunächst der Bruder bzw. die Schwester des Klägers gewesen, ab 16. Mai 1995 sei dem Kläger eine Kontovollmacht erteilt worden. Das Geld auf dem Konto der TCMB habe aus den Ersparnissen der Mutter sowie des Vaters einschließlich der seit 1984 ausbezahlten Rente des Vaters bestanden. Das Geld sei für einen Hausbau, für die Hochzeit sowie Unterstützungsleistungen der Schwestern des Klägers verbraucht worden. Der Kläger selbst habe von dem Geld nicht profitiert. Aufgrund seines Alters und seiner Erwerbshistorie sei er gar nicht in der Lage gewesen, ein derartiges Vermögen anzusammeln. Die 220.000,- DM seien auch nicht von der C.bank abgehoben worden, sondern die Mutter habe diesen Betrag über die Jahre angesammelt durch Ersparnisse und Renten. Die Rente sei auf das Konto gegangen und sodann abgehoben worden. Im Jahr 1995 habe die Mutter dem Kläger und seinen Geschwistern eröffnet, dass sie mit ihren Ersparnissen in die Türkei reisen wolle mit dem Geld in der Handtasche. Um den Geldtransfer in die Türkei sicher zu machen, habe das Geld dann überwiesen werden sollen. Der Kläger habe daraufhin ein Konto bei der TCMB über die D.Bank eröffnet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend zu den Ausführungen im Ausgangsbescheid führte sie aus, dass abzüglich des Freibetrags ein Vermögen von 212.000,- DM im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen sei. Da der Kläger Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.220,- DM bezogen habe, sei er für die Dauer von 173 Wochen nicht bedürftig gewesen, somit im gesamten Zeitraum, in dem er Alhi bezogen habe.

Hiergegen richtet sich die am 15. Februar 2007 zum SG erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem SG auf Befragung angegeben, dass zwischen ihm und seiner Mutter nichts Schriftliches vereinbart worden sei. Es seien auch keine Vereinbarungen getroffen worden bezüglich des Anlagezeitraums, Rückzahlungsvereinbarungen oder Vereinbarungen über Zinsen. In der türkischen Familie sei es nicht üblich, derartige Vereinbarungen zu treffen. Die Barabhebungen in der Türkei seien durch die Schwester mit Vollmacht des Klägers erfolgt.

Mit Urteil vom 21. Januar 2009 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 2007 aufgehoben, soweit er die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 4.402,92 EUR betrifft und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Beklagte zu Recht alle Bewilligungen von Alhi ganz zurückgenommen und die zu Unrecht erhaltene Alhi zurückgefordert habe. Der Kläger habe vom 10. August 1995 bis 21. Oktober 1996 zu Unrecht Alhi bezogen, da er nicht bedürftig gewesen sei. Bis zum 31. Dezember 1997 hätten sich die Bestimmungen für den Bezug von Alhi nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gerichtet. Nach § 134 Abs. 1 Nr. 3 AFG habe Anspruch auf Alhi, wer u.a. bedürftig sei. Der Arbeitslose sei nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen und das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt sei (§ 137 Abs. 2 AFG). Näheres sei in der Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV) geregelt. Nach § 6 Abs. 1 AlhiV in der vom 17. Oktober 1990 bis 31. März 1996 geltenden Fassung sei Vermögen des Arbeitslosen, seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten und der Eltern eines minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar und die Verwertung zumutbar sei und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar sei, jeweils 8.000,- DM, bei den Eltern eines minderjährigen unverheirateten Arbeitslosen jeweils 12.000,- DM übersteige. In der ab 1. April 1996 gültigen Fassung des § 6 Abs. 1 AlhiV sei Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegattens zu berücksichtigen, soweit es verwertbar sei, die Verwertung zumutbar sei und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar sei, jeweils 8.000,- DM übersteige. Für die Bewertung des Vermögens sei der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Alhi gestellt worden sei. Hinsichtlich der Dauer der Berücksichtigung sei nach § 9 AlhiV zu beachten, dass Bedürftigkeit lediglich für die Zahl der vollen Wochen, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigten Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergebe, nach dem sich die Alhi richte, nicht bestehe.

Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger im Zeitpunkt der Beantragung von Alhi und auch zum Zeitpunkt des Beginns des Bezugs mindestens über ein Vermögen in Höhe von 220.000,- DM verfügt habe. Das auf dem Konto der TCMB angelegte Vermögen sei dem Kläger zuzuordnen, auch wenn es von der mittlerweile verstorbenen Mutter des Klägers stammen sollte. Die strengen Voraussetzungen, die an eine hier allein denkbare verdeckte Treuhand und deren Nachweis gestellt würden, seien nicht erfüllt. Zwar müsse sich der Arbeitslose nicht am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen (unter Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 6 Nr. 4). Bei der Prüfung von Schuldverpflichtungen unter nahen Angehörigen gelte jedoch der Grundsatz, dass ein Vertrag und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten einem Fremdvergleich standhalten müssten. Diese Grundsätze seien auf die Frage, ob ein verdecktes Treuhandverhältnis im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung Berücksichtigung finden müsse, zu übertragen. Aus dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung ergebe sich, dass letztlich gar keine Vereinbarung getroffen worden sei. Selbst wenn man von einer konkludenten Vereinbarung einer verdeckten Treuhand ausgehe, entspreche dies nicht dem zwischen fremden Dritten Üblichen. Dies zeige sich bereits daran, das trotz der erheblichen Summe keine schriftliche Vereinbarung getroffen worden sei. Auch zahlreiche Modalitäten wie die Frage, wem die erlösten Zinserträge zufließen sollten, seien nicht geregelt. Auffallend sei zudem, dass die Mutter entgegen der bisherigen Handhabung im Hinblick auf deren Konto bei der C.bank gerade nicht als Kontoinhaberin mit Kontovollmacht der Kinder geführt worden sei. Vielmehr sei bei der Eröffnung des Kontos bei der TCMB angegeben worden, die Anlage erfolge auf eigene Rechnung. Von dem Betrag sei ein Freibetrag von 8.000,- DM abzuziehen. Das verbleibende Vermögen von 212.000,- DM sei durch das wöchentliche Bemessungsentgelt in Höhe von 1.190,- DM zu teilen; daraus folge, dass für 178,15 Wochen keine Bedürftigkeit bestehe. Selbst wenn man die Abhebung in Höhe von 65.000,- DM berücksichtige, wäre der Kläger im gesamten Zeitraum nicht bedürftig gewesen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit seien gegeben, auch die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sei beachtet worden. Die erhaltene Alhi sei nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Für eine Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gebe es allerdings keine Rechtsgrundlage mehr.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 26. Februar 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. März 2009 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung verweist er erneut darauf, dass das bei der TCMB angelegte Vermögen seiner verstorbenen Mutter gehört habe, welche des Lesens und Schreibens nicht mächtig gewesen sei. Deshalb sei eine Kontovollmacht erforderlich gewesen, weil die Mutter ihr eigenes Konto nicht habe verwalten können. Das Geld sei in der Türkei in ein Haus verbaut worden, in dem die Schwester des Klägers wohne, außerdem sei Geld für die Hochzeit einer Schwester ausgegeben worden, eine andere Schwester habe Unterstützungen bekommen. Der Kläger habe hiervon nicht profitiert, er kenne die Türkei nur als Urlaubsland. Im Jahr 1995 habe der Kläger gerade drei Jahre lang gearbeitet, als er wieder arbeitslos geworden sei. Von daher sei nicht nachzuvollziehen, woher er ein Guthaben von damals 220.000,- DM gehabt haben solle. Die Mutter des Klägers habe die 220.000,- DM im Lauf der Jahre angesammelt, sie habe nie Geld gebraucht. Es sei aus den Medien hinreichend bekannt, dass es Fälle gebe, dass jemand riesige Geldsummen zuhause deponiere, anstatt sie auf der Bank zu lassen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Januar 2009 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 2007 ganz aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Beweisanträge aus dem Schriftsatz vom 30. September 2010.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Januar 2009 abzuändern und die Klage ganz abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 25. Februar 2009 zugestellte Urteil am 7. März 2009 Berufung eingelegt. Sie nimmt auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug, soweit die Klage abgewiesen wurde. Neue Gesichtspunkte seien in der Berufungsbegründung des Klägers nicht dargelegt worden. Hinsichtlich der Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen habe das BSG am 7. Oktober 2009 entschieden, dass trotz der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" in § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III für die Zeit ab 1. Januar 2005 die Rechtsgrundlage für den Ersatz der neben der Alhi gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht weggefallen sei. Die durch die versehentliche Streichung entstandene planwidrige Gesetzeslücke sei im Rahmen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die Bezieher von Alhi den sonstigen Leistungsbeziehern im Sinne des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III gleichzustellen seien.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, die Berufung der Beklagten ist erfolgreich.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegten Berufungen sind statthaft (§ 143 SGG), da der Wert des Beschwerdegegenstands jeweils 750,- EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung des Klägers ist nicht begründet, denn die Beklagte war berechtigt, die Leistungsbewilligung in vollem Umfang für den hier streitigen Zeitraum zurückzunehmen und die erbrachten Leistungen nebst der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zurückzufordern. Entsprechend ist die Berufung der Beklagten begründet, denn die Aufhebung der Bescheide durch das SG hinsichtlich der Rückforderung der Beiträge erfolgte zu Unrecht.

Verfahrensrechtliche Grundlage der Rücknahme der Bewilligungen ist mit Blick auf die von Anfang an rechtswidrigen Bewilligungsbescheide die Bestimmung des § 45 SGB X in der Modifikation durch § 330 Abs. 2 SGB III. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit bestimmt sich hierbei nach den tatsächlichen und materiell-rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsakts (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18). Nach § 45 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigter Verwaltungsakt unter Beachtung der Einschränkungen der Absätze 2 und 4 von § 45 SGB X ganz oder teilweise zurückzunehmen. Auf Vertrauensschutz (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Maßgeblicher Zeitraum für die Bösglaubigkeit ist der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Bescheids (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 24 S. 82; SozR a.a.O. Nr. 39 S. 127).

Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bescheide liegen hier vor. Die Bewilligungsbescheide waren rechtswidrig, weil der Kläger wegen des ihm zuzurechnenden Vermögens keinen Anspruch auf Alhi hatte.

Nach § 134 Abs. 1 Satz 1 AFG (in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung) hat Anspruch auf Alhi, wer (1.) arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat und Alhi beantragt hat (2.) keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, (3.) bedürftig ist und (4.) innerhalb eines Jahres vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi erfüllt sind (Vorfrist) (a) Arbeitslosengeld bezogen hat, ohne dass der Anspruch nach § 119 Abs. 3 erloschen ist, oder (b) mindestens 150 Kalendertage, sofern der letzte Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Alhi nach § 119 Abs. 3 erloschen ist, danach mindestens 240 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaft dienen könnte.

Nach § 137 Abs. 2 AFG ist ein Arbeitsloser nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen und das seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Unter welchen Voraussetzungen die Gewährung von Alhi mit Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse nicht gerechtfertigt ist, hat das AFG der Regelung durch Rechtsverordnung überlassen (§ 137 Abs. 3 AFG). Nach § 6 Abs. 1 AlhiV ist Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigten, soweit es verwertbar ist, die Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens für den Kläger 8.000,- DM übersteigt. Vermögen ist nach § 6 Abs. 2 AlhiV insbesondere verwertbar, soweit seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können. Es ist nicht verwertbar, soweit der Inhaber des Vermögens in der Verfügung beschränkt ist und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann. Die Verwertung ist zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AlhiV). Nach § 9 AlhiV besteht Bedürftigkeit nicht für die Zahl voller Wochen, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergibt, nach dem sich die Alhi richtet (Verbot der Mehrfachanrechnung von Vermögen, vgl. hierzu BSGE 88, 252 ff. = SozR 3-4300 § 193 Nr. 2; ferner BSG, Urteil vom 17. März 2005 - B 7a/7 AL 38/04 R - (juris)).

Das bei der TCMB auf seinen Namen angelegte Vermögen von 220.000,- DM ist dem Kläger zuzurechnen. Der Senat teilt nach eigener Überprüfung die Auffassung des SG, dass selbst dann, wenn dieser Betrag der Mutter des Klägers gehört haben sollte, die Voraussetzungen für ein im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigendes verdecktes Treuhandverhältnis nicht vorgelegen haben. Das BSG hat in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 (SozR 4-4200 § 6 Nr. 4; vgl. auch die Parallelentscheidung B 11a AL 49/05 R - (juris)) zwar entschieden, dass es einen Rechtsgrundsatz, der Arbeitslose müsse sich am "Rechtsschein der Kontoinhaberhaft" festhalten lassen, im Recht der Alhi nicht gebe. Zur Begründung hat das BSG aber u.a. auf die verwaltungs- und finanzgerichtliche Rechtsprechung verwiesen und dazu ausgeführt: "Entsprechend ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei der Prüfung, ob ein Treuhandverhältnis tatsächlich besteht, ein strenger Maßstab anzulegen; das Handeln des Treuhänders im fremden Interesse muss eindeutig erkennbar sein (vgl. BFHE 183, 518 unter Bezug auf die Beweisregeln in § 159 Abs. 1 Abgabenordnung). Bei der Prüfung von Schuldverpflichtungen unter nahen Angehörigen gilt der Grundsatz, dass ein Vertrag und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten einem Fremdvergleich standhalten, also dem zwischen fremden Dritten Üblichen entsprechen muss (vgl. BFH, Urteil vom 5. Februar 1988 - III R 234/84 -; BFH, Beschluss vom 25. Juni 2002 - X B 30/01 - (beide juris))."

Diese Grundsätze, die sich auch der erkennende Senat zu Eigen macht, sind auch auf die Frage, ob eine stille Abtretung bzw. ein verdecktes Treuhandverhältnis im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung als Voraussetzung des Anspruchs auf Alhi Berücksichtigung finden muss, zu übertragen (vgl. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Dezember 2007 - L 13 AL 2389/05 - (juris)) und führen vorliegend dazu, dass der angelegte Betrag zu berücksichtigen ist. Insoweit kann hinsichtlich der Darlegungen, warum der behauptete Treuhandvertrag nicht den genannten Anforderungen entspricht auf die überzeugende und ausführliche Darstellung des SG Bezug genommen werden, welches unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze zutreffend zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das Vermögen dem Kläger im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zuzurechnen ist. Der Senat weist daher die Berufung des Klägers insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und nimmt hierauf Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Weitere Ermittlungen sind auch mit Bezug auf den hilfsweise gestellten Beweisantrag nicht erforderlich. Der Bevollmächtigte des Klägers hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf seinen Schriftsatz vom 30. September 2010 bezogen. Hierin wird Zeugenbeweis durch Vernehmung der Schwester und des Bruders des Klägers dafür angeboten, dass die Mutter des Klägers im Laufe der Jahre 220.000 DM angesammelt und zu Hause aufbewahrt habe und der Kläger auf seinen Namen ein Konto bei der TCMB eröffnet habe, um den Transfer dieses Geldes in die Türkei sicher zu gestalten. Wie bereits oben ausgeführt, ändert sich an der Beurteilung der Rechtslage nichts, wenn der Vortrag des Klägers als wahr unterstellt wird, denn die für ein insoweit allein in Betracht kommendes verdecktes Treuhandverhältnis im Rahmen des Fremdvergleichs zu stellenden Anforderungen sind schon nach den eigenen Ausführungen des Klägers hierzu vor dem SG keinesfalls erfüllt. Eine Beweiserhebung zu nicht entscheidungserheblichen Tatsachen ist nicht geboten (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 103 Rdnr. 8 m.w.N.), so dass der hilfsweise gestellte Beweisantrag abzulehnen war.

Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er die Alhi-Bewilligungen durch arglistige Täuschung erlangt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X), denn er hat bei allen Anträgen das in der Türkei bei der TCMB angelegte Vermögen verschwiegen. Die rechtswidrigen Bewilligungen beruhen auf den vorsätzlich unrichtigen und unvollständigen Angaben des Klägers. Entgegen der klaren und unmissverständlichen Fragestellung in den jeweiligen Antragsformularen bzw. dem Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" hat der Kläger unrichtige Angaben bezüglich seiner Vermögensverhältnisse gemacht, in dem er jeweils das Vorhandensein von Vermögen verneint und das auf seinen Namen angelegte Vermögen in der Türkei nicht angegeben hat. Dabei ist der Senat davon überzeugt, dass dem Kläger - unter Zugrundelegung der eindeutigen Fragestellung - auch bei der ihm eingeräumten eigenen rechtlichen Wertung (vgl. BSGE 42, 184, 188 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 47, 28, 33; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 6) ohne weitere Überlegung klar war, dass zu den anzugebenden Vermögenswerten nicht nur die im Inland, sondern auch die im Ausland angelegten gehören. Bedingter Vorsatz ist insoweit ausreichend (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X § 45 Rdnr. 37 m.w.N.). Der Kläger hat insoweit den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X).

Die in § 45 Abs. 3 und 4 SGB X genannten Fristen sind eingehalten. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X vorliegen. Im Fall des § 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X kann eine Rücknahme - wie hier - mit Wirkung für die Vergangenheit unbeschränkt erfolgen (vgl. BSGE 72, 139 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 16; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. August 1990 - L 4 V 21/89 - Breith 1991, 333; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, § 45 Rdnr. 59; Schütze in v. Wulffen, SGB X, § 45 Rdnr. 72; Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X § 45 Rdnr. 33 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 8/4022 S. 83 zu § 43 a.E.)).

Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Zur Kenntnis der Behörde von den maßgeblichen, die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen gehört regelmäßig auch die Anhörung der Beteiligten (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nrn. 27 und 42). Ganz davon abgesehen hat die Beklagte erst durch das Anschreiben des Hauptzollamts am 24. Oktober 2005 erstmals konkrete Hinweise darauf erhalten, dass der Kläger während des Leistungsbezugs über zu berücksichtigendes Vermögen verfügte. Bereits im Mai 2006 folgte der Rücknahme- und Erstattungsbescheid, sodass an der Einhaltung der Jahresfrist kein Zweifel besteht.

Der Kläger ist daher nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, die im Zeitraum vom 10. August 1995 bis 21. Oktober 1996 überzahlte Alhi zu erstatten. Der Rückforderungsbetrag für diesen Zeitraum ist von der Beklagten zutreffend mit 10.468,09 EUR festgesetzt worden. Dabei ist die vom Kläger aufgrund des gerichtlichen Vergleichs im Jahr 1999 geleistete Zahlung von 1.700,- DM bereits abgesetzt worden. Über die Modalitäten der Rückzahlung ist vorliegend nicht zu entscheiden (vgl. BSG SozR 1200 § 42 Nr. 4 S. 18; SozR 3-1300 § 48 Nr. 3 S. 84).

Rechtsgrundlage für die Rückforderung der in diesem Zeitraum von der Beklagten geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ist § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Zwar wird in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III (Gesetz vom 24. Dezember 2003 - BGBl I S. 2954) Alhi nicht mehr genannt, nach der Rechtsprechung des BSG ist die durch die versehentliche Streichung des Gesetzgebers entstandene planwidrige Gesetzeslücke im Rahmen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die Bezieher von Alhi den sonstigen Leistungsbeziehern im Sinne des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III gleichzustellen sind (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2009 - B 11 AL 31/08 R - (juris)). Der Kläger ist daher auch zur Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 4.402,92 EUR verpflichtet. Die Erstattungsforderung ist von der Beklagten zutreffend berechnet worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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