L 12 AL 2319/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AL 2091/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2319/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Februar 2010 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch über die Dauer einer Sperrzeit.

Der 1961 geborene Kläger war am 1. Januar 2003 bis 15. Januar 2008 als Fahrer bei der Firma G.T. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch arbeitgeberseitige Kündigung vom 31. Dezember 2007 zum 15. Januar 2008 beendet. Grund hierfür war der Führerscheinverlust des Klägers im Dezember 2007.

Ursache für den Führerscheinverlust war ausweislich des Strafbefehls des Amtsgerichts Reutlingen (AG) vom 28. April 2008 (10 Cs 21 Js 25465/07) ein vom Kläger am 30. November 2007 mit einem Lkw verschuldeter Verkehrsunfall, bei dem der Kläger in Reutlingen an einer Fußgängerfurt das für ihn geltende Rotlicht überfuhr und dabei zwei Fußgängerinnen erfasste, die auf die Fahrbahn geschleudert und schwer verletzt wurden (Schädel-Hirn-Trauma, mehrere Schädelbrüche, Gehirnblutung, Lungenquetschung, Schlüsselbeinsprung linksseitig, mehrere Beckenfrakturen und Steißbeinfraktur bzw. Schädelfrakturen, Polytrauma, Hämatome und Nierenquetschung). Gegen den Kläger wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verhängt. Der Führerschein wurde eingezogen, die Fahrerlaubnis wurde entzogen, für die Dauer von fünf Monaten wurde der Verwaltungsbehörde untersagt, eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen (Strafbefehl vom 28. April 2008).

Mit Bescheid vom 13. Februar 2008 bewilligte die Beklagte vorläufig für die Zeit 9. April bis 14. November 2008 Arbeitslosengeld (Alg) mit einem täglichen Leistungsbetrag von 18,76 EUR. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2008 zurück und führte aus, ob für den Zeitraum bis 8. April 2008 ein Anspruch auf Alg vorliege, könne erst nach Ablauf des anhängigen Gerichtsverfahrens entschieden werden.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2008 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit in der Zeit vom 16. Januar bis 8. April 2008 fest. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Beschäftigungsverhältnis bei der Firma G. T. seitens des Arbeitgebers zum 15. Januar 2008 wegen vertragswidrigen Verhaltens des Klägers gelöst worden sei. Das vertragswidrige Verhalten sei darin zu sehen, dass der Kläger aufgrund seines Führerscheinverlustes seine Arbeitsleistung als Berufskraftfahrer nicht mehr habe anbieten können. Der Kläger habe damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber das Verhalten nicht hinnehmen, sondern das Beschäftigungsverhältnis beenden würde. Gerade als Berufskraftfahrer wisse man um die Bedeutung der Fahrerlaubnis und die Konsequenzen, die sich aus dem Führerscheinentzug ergeben würden. Der Kläger sei daher gehalten gewesen, sich so im Straßenverkehr zu verhalten, dass er seinen Führerschein nicht gefährde. Die Arbeitslosigkeit sei daher zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar.

Mit seiner am 11. Juni 2008 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass es sich um einen einfachen Unfall mit tragischem Ausgang gehandelt habe, wie er jedem Verkehrsteilnehmer passieren könne. Ferner sei es sein erster Unfall gewesen seit mehr als einer Million Kilometern. Er habe daher weder vorsätzlich noch grob fährlässig seinen Job aufs Spiel gesetzt. Dies habe sein Arbeitgeber auch so gesehen und ihn nicht sofort, sondern erst nach sechs Wochen entlassen, nachdem sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in die Länge gezogen hätten.

Mit Urteil vom 24. Februar 2010 hat das SG den Sperrzeitbescheid vom 14. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2008 dahin abgeändert, dass eine Sperrzeit nur in der Zeit vom 16. Januar bis 26. Februar 2008 eingetreten ist und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe durch sein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung seines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses gegeben, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben und dadurch grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt, sodass der Anspruch auf Arbeitslosengeld gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) wegen Eintritts einer Sperrzeit ruhe. Anlass für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei der Entzug der Fahrerlaubnis des Klägers gewesen. Berufskraftfahrer unterlägen einer ungeschriebenen arbeitsvertraglichen Nebenpflicht, sich untadelig während ihrer Berufsausübung im Straßenverkehr zu verhalten. Hiergegen habe der Kläger durch sein schuldhaftes Verhalten und den dadurch von ihm verursachten schweren Unfall verstoßen. Das vom Arbeitnehmer zu vertretende Unvermögen, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, stelle bei Kündigung eines Berufskraftfahrers wegen Entziehung der Fahrerlaubnis ein vertragswidriges Verhalten im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III dar. Daran ändere auch nichts, dass der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt wieder eingestellt worden sei und der Arbeitgeber in der Arbeitsbescheinigung ein vertragswidriges Verhalten des Klägers verneint habe. Der Kläger habe seine Arbeitslosigkeit auch grob fahrlässig herbeigeführt. Er habe damit rechnen müssen, dass nach dem Entzug seiner Fahrerlaubnis infolge eines derartig schweren Verkehrsverstoßes sein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mangels einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit kündigen werde und dies Arbeitslosigkeit zur Folge haben würde. Für sein Verhalten habe der Kläger auch keinen wichtigen Grund gehabt. Die Beklagte habe den Beginn der Sperrzeit zutreffend zum 16. Januar 2008 bestimmt, da das Beschäftigungsverhältnis zum 15. Januar 2008 gekündigt worden sei. Nach Auffassung der Kammer sei aber die 12-wöchige Sperrzeit auf 6 Wochen gemäß § 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b SGB III zu verkürzen, da eine 12-wöchige Sperrzeit für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Es sei zu berücksichtigen, dass es nach den glaubhaften Angaben des Klägers sein erster Unfall seit mehr als einer Million Kilometern gewesen sei. Grundsätzlich sei daher davon auszugehen, dass sich der Kläger an die Straßenverkehrsregeln halte, zumal er nicht wegen einer Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c des Strafgesetzbuchs verurteilt worden sei. Auch unter Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft erscheine die Annahme einer unbilligen Härte und damit die Halbierung der Sperrzeit als gerechtfertigt.

Gegen das ihr am 21. April 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Mai 2010 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie ist der Auffassung, die bisherige Unfallfreiheit und die Anzahl der gefahrenen Kilometer rechtfertigten keinesfalls die Annahme einer besonderen Härte. Die Annahme einer besonderen Härte sei gerechtfertigt, wenn nach den Gesamtumständen des Einzelfalls der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen sei. Außerhalb des Sperrzeittatbestandes liegende Umstände könnten keine Berücksichtigung finden, ein vorangegangenes Verhalten müsse daher unbeachtet bleiben. Es komme nach dem gesetzgeberischen Willen allein auf die Umstände an, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den sperrzeitrelevanten Tatsachen stünden. Vorliegend habe zur Sperrzeit geführt, dass der Kläger infolge eines selbstverschuldeten Unfalls seine Fahrerlaubnis und damit seine Arbeitsstelle als Kraftfahrer verloren habe. Der Kläger habe ein Rotlicht übersehen und zwei Fußgänger schwer verletzt. Er habe sich nicht in einer besonderen Ausnahmesituation befunden, die ihm ein angemessenes Verhalten im Straßenverkehr nicht mehr ermöglicht habe. Die Darstellung des Unfallhergangs durch den Kläger, die Fußgänger seien bei Rot über die Straße gegangen und ihm vor den Lkw gelaufen, werde im Strafbefehl nicht bestätigt. Am Schuldverwurf bestehe kein Zweifel. Das AG habe das Verhalten des Klägers als gröblichste Mißachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gewertet. Im Hinblick darauf sei in keiner Weise nachvollziehbar, wo hier Raum für die Annahme einer besonderen Härte sein solle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Februar 2010 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten der Beklagten und die beigezogenen Akten des AG (21 Js 25465/07) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist auch begründet, denn die Beklagte hat zu Recht für die Zeit vom 16. Januar bis 8. April 2008 den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt. Gründe für eine Verkürzung der Sperrzeit auf sechs Wochen liegen nicht vor.

Streitgegenstand ist allein die Frage, ob sich die Sperrzeit auch auf den Zeitraum vom 27. Februar bis 8. April 2008 erstreckt, denn der Kläger hat das die Sperrzeit im Übrigen bestätigende Urteil des SG nicht angefochten.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB III ruht der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit, soweit der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe), wenn der Arbeitnehmer hierfür keinen wichtigen Grund gehabt hat. Den Eintritt der Sperrzeit aufgrund des Arbeitsplatzverlustes wegen des vom Kläger verschuldeten Verkehrsunfalls hat das SG - insoweit rechtskräftig - bereits festgestellt.

Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt nach § 144 Abs. 3 Satz 1 SGB III zwölf Wochen. Sie verkürzt sich nach Satz 2 Nr. 2b der Vorschrift auf sechs Wochen, wenn eine Sperrzeit von zwölf Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Das Vorliegen einer besonderen Härte ist von Amts wegen zu prüfen, der Beklagten steht dabei weder Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum zu, es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Bundessozialgericht (BSG), SozR 4100 § 119 Nrn. 32 und 33; SozR 3-4100 § 119 Nr. 11).

Nach dem Gesetzeswortlaut beurteilt sich das Vorliegen einer besonderen Härte allein nach den Umständen, die für den Eintritt der Sperrzeit maßgeblich sind, außerhalb des Sperrzeittatbestandes liegende Umstände können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BSGE 77, 61, 63 = SozR 3-4100 § 119a Nr. 3). In Betracht kommen insoweit Umstände des Beschäftigungsverhältnisses, aber auch persönliche und sonstige Umstände, die zwar von ihrem Gewicht her den Eintritt einer Sperrzeit nicht verhindern, aber aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls den Eintritt der Regelsperrzeit als besonders hart erscheinen lassen (vgl. BSGE 54, 7, 14 = SozR 4100 § 119 Nrn. 19 und 32; Curkovic in NK-SGB III, 3. Aufl., § 144 Rdnr. 192). Die unmittelbaren Folgen der Sperrzeit, die nach dem SGB III bei allen Betroffenen eintreten wie Ruhen und Kürzung des Leistungsanspruchs sollen nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keine Rolle spielen. Mittelbare Folgewirkungen sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots zu berücksichtigen (vgl. BSGE 77, 61, 63 = SozR 3-4100 § 119a Nr. 3).

Nach diesen Grundsätzen kann die bis zu dem Unfall unfallfrei zurückgelegte Fahrleistung nicht berücksichtigt werden, denn sie hat mit den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Umständen nichts zu tun. Ebenso dürfen die mit dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten verbundenen strafrechtlichen Folgen (Verurteilung zu einer Geldstrafe und Entziehung der Fahrerlaubnis) bei der Beurteilung der besonderen Härte nicht berücksichtigt werden, weil strafbewehrtes Verhalten arbeitsförderungsrechtlich nicht privilegiert werden darf (vgl. Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juli 2002 - L 1 AL 1341/01 -; Hessisches LSG, Urteil vom 22. Juni 2010 - L 6 AL 13/08 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Februar 2011 - L 8 AL 3458/10 - (alle juris)). Schließlich erfolgte der Unfall auch nicht im Rahmen einer privaten Fahrt, so dass auch insoweit keine besonderen Umstände vorliegen. Auch ansonsten liegen keine Gründe vor, die das Verhalten des Klägers, ohne dass es als wichtiger Grund anerkannt werden kann, gleichwohl als verständlich und vertretbar erscheinen ließen. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass im Straßenverkehr letztlich jedem Verkehrsteilnehmer Fehler mit entsprechenden Folgen unterlaufen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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