L 8 U 1386/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 2693/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1386/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Januar 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 2008 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2006 bis 26. März 2007 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel seiner außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist vorliegend streitig, ob dem Kläger über den 28.02.2006 hinaus Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht.

Der 1954 geborene Kläger erlitt in Ausübung einer bei der Beklagten versicherten Tätigkeit am 26.03.2004 einen Arbeitsunfall, als er aus ca. 4 m Höhe von einer Hebebühne stürzte. Dabei zog sich der Kläger eine Beckenringfraktur mit Iliosacralfugenbeteiligung und Begleithämatomen, eine Commotio cerebri, eine Kopfplatzwunde, eine nicht dislozierte Acetabulumfraktur links, eine Fraktur der Querfortsätze der LWK 3 und 4 links sowie Schürfwunden zu. Ein CT vom 26.03.2004 erbrachte außerdem den V.a. eine kleine Kontusionsblutung (Bericht Prof. Dr. D. vom 29.03.2004). Im Verlauf der stationären Behandlung im Klinikum M. vom 26.03.2004 bis 08.04.2004 erfolgte am 29.03.2004 eine Verschraubung der Iliosacralfugen (Bericht vom 08.04.2004). Im Anschluss an die stationäre Behandlung erfolgte eine erweiterte ambulante Physiotherapie sowie in der Zeit vom 05.10.2004 bis 10.11.2004 und vom 30.11.2004 bis 24.12.2004 eine stationäre Heilbehandlung in der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Unfallklinik L. (Berichte vom 10.11.2004 und 29.12.2004). Am 28.04.2005 erfolgte in der BG Klinik L. in stationärer Behandlung die Materialentfernung am Iliosacralgelenk (zwei Schrauben mit Ausnahme einer von Knochen ummauerten Unterlegscheibe - Bericht vom 06.05.2005 -). Nach Durchführung einer Belastungserprobung und berufshelferischen Maßnahmen trat am 01.08.2005 Arbeitsfähigkeit des Klägers ein.

In dem vom Beklagten eingeholten Rentengutachten vom 12.10.2005 gelangte Prof. Dr. W. zu der Beurteilung, beim Kläger bestünden an aktuellen Unfallfolgen eine Belastungsminderung des rechten Beins mit Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte, der Verbleib von Osteosynthesematerial (Unterlegscheibe) rechtes Os ilium, eine knöchern konsolidierte Acetabulumfraktur und vordere Beckenringfraktur jeweils links und eine Sensibilitätsminderung rechts gluteal. Er schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Zeit ab 01.08.2005 bis voraussichtlich 28.02.2006 auf 20 vH. und danach auf 10 vH. ein und empfahl eine Gesamtvergütung.

Mit Bescheid vom 24.11.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 26.03.2004 für die Zeit vom 01.08.2005 bis 28.02.2006 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 vH. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er eine MdE von 30 vH. geltend machte, der durch Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 erfolglos blieb. Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage (S 2 U 1139/06). Er machte unter Vorlage eines Befundberichts des Universitätsklinikums H. vom 26.05.2006 (Diagnose: Einblutung in die Bursa praepatellaris rechts) eine Verschlimmerung seiner Situation geltend. Das SG holte die Stellungnahme von Prof. Dr. W. vom 23.06.2006 zu einem vom Kläger vorgelegten Gutachten von Prof. Dr. W. vom 31.03.2005 an die A. C. Versicherung (MdE 30) und Stellungnahme vom 26.09.2006 sowie die gutachtliche Stellungnahme von Prof. Dr. M. vom 25.09.2006, die hinsichtlich der Einblutungen in die Bursa praepatellaris rechts übereinstimmend einen Zusammenhang mit den Unfallereignis vom 26.03.2004 sowie eine MdE verneinten, ein. Außerdem beauftragte das SG gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden G. mit der Erstattung eines Gutachtens. Der Orthopäde G. gelangte in seinem Gutachten vom 01.04.2007 zu der Bewertung, eine posttraumatische Arthrose des rechten Sakroiliakalgelenks mit chronisch persistierendem Becken- und Beinschmerz rechts seien mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 26.03.2004 zurückzuführen. Er schätzte die MdE auf 30 vH. seit 01.08.2005 ein. Auf Einwendungen der Beklagten blieb der Orthopäde G. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.05.2007 bei seinen Bewertungen.

Während des Gerichtsverfahrens S 2 U 1139/06 holte die Beklagte zu der Frage, ob eine MdE nach dem Gesamtvergütungszeitraum vorliegt, das Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. F. vom 02.12.2007 ein. Dr. F. gelangte in seinem Gutachten zu der Bewertung, an Unfallfolgen bestünden eine Belastungsminderung des rechten Beines mit Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks, der Verbleib von Osteosynthesematerial, eine knöchern ohne Folgen verheilte Fraktur des Acetabulum, des vorderen Beckenrings und des Os ilium jeweils links sowie eine Gefühlsminderung im rechten Gesäß. Die MdE schätzte er ab 01.02.2006 bis auf weiteres auf 10 v.H. ein.

Mit Bescheid vom 15.01.2008 lehnte die Beklagte eine Rentenzahlung nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums ab. Die Belastungsminderung im Bereich des rechten Beins mit Bewegungseinschränkung im Bereich der rechten Hüfte, eine Minderung der Sensibilität im Bereich des rechten Gesäßes und der Verbleib einer Unterlegscheibe bedingten keine MdE in rentenberechtigendem Grad. Gegen den Bescheid vom 15.01.2008 legte der Kläger am 28.01.2008 Widerspruch ein. Die Beklagte holte daraufhin unter Bezug auf das Gutachten des Orthopäden G. die ergänzende Stellungnahme von Dr. F. vom 17.04.2008 ein, in der er sich der Auffassung des Orthopäden G. nicht anschloss und eine außergewöhnliche Schmerzbelastung beim Kläger verneinte. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2008 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 15.01.2008 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 08.08.2008 wiederum Klage beim SG (S 2 U 2693/08). Er berief sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten des Orthopäden G. und machte eine Rente nach einer MdE von 30 vH. geltend.

Das SG holte zu den Klageverfahren von Amts wegen das unfallchirurgische Gutachten des Dr. B. vom 30.10.2009 und das nuklearmedizinische Zusatzgutachten von Dr. A. vom 18.08.2009 ein. Dr. B. führte in seinem Gutachten aus, an unfallbedingten Befunden bestünden beim Kläger Schmerzen und eine Gangbildstörung, eine Störung der Gefühlswahrnehmung an der rechten Gesäßbacke, ein altersentsprechende, allenfalls gering eingeschränkte Bewegung im rechten Hüftgelenk und subjektiv empfundene Schmerzen im Bereich der rechten Iliosacralfuge und eine dadurch verursachte Minderbelastung des rechten Beins bzw. eine rechtsseitige Gehstörungen bei ansonsten knöchernen Durchbauung der rechten Iliosacralfuge und der Hüftpfannen- und Beckenschaufelfraktur jeweils in anatomischer Position, eine verbliebene Unterlegscheibe hinter der rechten Iliosacralfuge und regelrechte Darstellung des gesamten Beckenskeletts. Die MdE schätzte Dr. B. auf 10 vH. ein.

Mit zwei Urteilen vom 22.01.2010 wies das SG die Klagen des Klägers ab. Zur Klage gegen den Bescheid vom 15.01.2008 wurde zur Begründung ausgeführt, die Schlussfolgerung des Prof. B., dass die MdE mit 10 v.H. zu bewerten sei, sei überzeugend. Die erlittenen Brüche seien knöchern in anatomisch korrekter Position gut durchbaut und führten zu keinen erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen. Dies werde vom Orthopäden G. in seinem Gutachten vom 01.04.2007 nicht ausreichend berücksichtigt, dessen Annahmen im Übrigen kaum zu objektivieren seien. Das an die A. C. Versicherungen von Dr. W. erstattete Gutachten vom 31.03.2005 ändere an der Beurteilung nichts. Soweit der Kläger eine Schädigung des Kniegelenkes als nicht berücksichtigt geltend mache, könnten diese nicht in Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen gebracht werden.

Gegen die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.03.2010 (S 2 U 2693/08) und 19.03.2010 (S 2 U 1139/06) zugestellten Urteile hat der Kläger am 23.03.2010 Berufung betreffend den Bescheid vom 15.01.2008 wegen Verletztenrente ab 01.03.2006 (L 8 U 1386/10) sowie am 24.03.2010 betreffend den Bescheid vom 24.11.2005 wegen Gesamtvergütung (L 8 U 1398/10) eingelegt. Die Berufung L 8 U 1398/10 hat der Kläger - im Anschluss an einen Erörterungstermin am 11.02.2011 - mit Schriftsatz vom 11.03.2011 zurückgenommen.

Der Kläger hatte zur Begründung der (weitergeführten) Berufung vorgetragen, seit der Entfernung der Schrauben aus den Frakturen hätten sich seine Beschwerden verschlimmert. Er hat sich auf das Gutachten des Orthopäden G. vom 01.04.2007 und dessen Ausführungen berufen. Die Annahmen des SG gegen die Bewertungen des Orthopäden G. in dessen Gutachten seien unrichtig. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass seine schweren Verletzungen automatisch zur Verheilung des umgebenden Weichteilgewebes geführt habe. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass bei ihm unverändert Sensibilitäts- sowie Gleichgewichtsstörungen, eine Störung des Gangbildes, eine sensible Läsion des Nervus temoralis sowie eine Arthrose der Iliosacralfuge mit Druckschmerzhaftigkeit und eine Skoliose der Wirbelsäule vorlägen. Auch Prof. Dr. W. habe in seinem Schreiben vom 23.06.2006 eine MdE von 20 vH. über den 28.02.2006 hinaus bejaht. Zudem dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass durch die knöcherne Durchbauung der Iliosacralfuge eine gewisse sonst vorhandene Flexibilität verloren gegangen sei. Dies sei vom SG ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen unberücksichtigt gelassen worden. Die Ansicht des SG, die von ihm geschilderten Schmerzen seien nicht verifizierbar, widerspreche nach der von Dr. B. geschilderten Schonhaltung den tatsächlichen Gegebenheiten. Auch die Ansicht des SG, seine Kniegelenksverletzung vom Mai 2006 habe mit seinem Arbeitsunfall nichts zu tun, sei unrichtig. Sie sei darauf zurückzuführen, dass er wegen der Unfallfolgen seine Arbeit statt in der Hocke auf den Knien habe verrichten müssen, was als indirekte Folge bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen sei.

Der Kläger beantragt zuletzt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Januar 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. ab 01.03.2006 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zur Begründung vorgetragen, funktionelle Einschränkungen, die für die Zeit ab 01.03.2006 eine MdE von 20 rechtfertigten, seien nicht nachgewiesen. Auf das Gutachten von Dr. B. vom 30.10.2009 sowie die überzeugenden Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil des SG werde verwiesen. Die Einschätzung des Orthopäden G. sei von den Gutachtern Dr. F. und Dr. B. berücksichtigt worden. Das SG habe im angefochtenen Urteil überzeugend dargelegt, weshalb dem Gutachten des Orthopäden G. nicht gefolgt werden könne.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die in den Klageverfahren und den Berufungsverfahren angefallenen Gerichtsakten sowie auf zwei Band Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und in der Sache teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte für die Zeit vom 01.03.2006 bis 28.11.2007 Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. zu. Im Übrigen ist seine Berufung unbegründet.

Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 15.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2008, mit dem die Beklagte Verletztenrente für die Zeit ab 01.03.2006 abgelehnt hat. Soweit der Kläger ursprünglich begehrt hat, ihm Verletztenrente nach einer MdE von 30 vH. für die Zeit ab 01.03.2006 zu zahlen, hat er in der nichtöffentlichen Sitzung am 11.02.2011 dieses Begehren nicht weiterverfolgt, sondern nur noch Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. beantragt, so dass sich seine Berufung insoweit durch eine konkludente teilweise Berufungsrücknahme erledigt hat.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.aO.; zuletzt BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Hiervon ausgehend bedingen beim Kläger die verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalls vom 26.03.2004 zur Überzeugung des Senats eine MdE von 20 vH. bis 26.03.2007. Für die Zeit ab 27.03.2007 liegt dagegen eine rentenberechtigende MdE beim Kläger nicht (mehr) vor.

Nach den Gutachten von Prof. Dr. W. vom 12.10.2005 bestanden beim Kläger am Untersuchungstag (23.09.2005) ein rechts dezent hinkendes Gangbild. Der Kläger neigte dazu, das Gewicht auf die linke Körperseite zu verlagern und das rechte Bein zu entlasten. Die Einnahme der Hockstellung war nur verlangsamt und der einseitige Zehenspitzengang rechts nur unsicher möglich. Zudem bestand eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Hüftgelenks (Streckung/Beugung 0-0-115°, Abspreizen/Anführen 20-0-10° sowie eine Einschränkung der Drehbeweglichkeit) und eine Arthrose im Bereich der Iliosacralfuge rechts. Weiter bestand beim Kläger eine Taubheit der Gesäßbacke ohne sensible oder motorische Ausfallerscheinungen bei einer ungestörten Blasen- und Mastdarmfunktion. Diese Verletzungsfolgen bedingen nach der überzeugenden Bewertung von Prof. Dr. W. eine MdE von 20 vH. Maßgebend für die MdE-Bewertung ist das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung, welche nach den unfallmedizinischen Erfahrungssätzen beim vorliegenden Schadensbild grundsätzlich nach den noch möglichen Bewegungsmaßen des betroffenen Organs pauschalisierend bemessen wird. Nach einem Beckenbruch, wie ihn der Kläger beim Arbeitsunfall am 26.03.2004 erlitten hat, steht bei der Bemessung der MdE die Folgen der Verletzung für die Statik und Dynamik der Wirbelsäule und der unteren Gliedmaßen im Vordergrund (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Nummer 8.8.2.2 Seite 578). MdE-Bewertungssätze nach der unfallmedizinischen Literatur ergeben für eine stabil ausgeheilte Beckenringfraktur eine MdE um 0 vH., mit Schoßfugenerweiterung um 10 vH. (Schönberger u.a., a.a.O., Seite 579). Die Bewegungseinschränkung eines Hüftgelenks rechtfertigt danach eine MdE um 10 vH. bei einer Streckbehinderung um 0/10/90° und von 20 vH. bei einer Streckbehinderung um 0/30/90° (Schönberger u.a., a.a.O., Seite 581). Damit lag zum Zeitpunkt der Untersuchung von Prof. Dr. W. ein Unfallfolgezustand vor, der nach der unfallmedizinischen Literatur, welche die Bewertungskriterien für eine Dauerrente, bzw. jetzt Rente auf unbestimmte Zeit, wiedergeben, nur eine unfallbedingte MdE von 10 vH. gerechtfertigt hätte. Im Hinblick auf die von Prof. Dr. W. in seinem Gutachten genannten Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers, insbesondere der Leistungsminderung der rechten unteren Gliedmaße und der Arthrose im Bereich der Iliosacralfuge rechts erachtet jedoch auch der Senat eine Bewertung dieser unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigungen mit einer MdE von 20 vH. für angemessen. Dem entspricht auch der Bescheid der Beklagten vom 24.11.2005, mit dem sie dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. (als Gesamtvergütung) bis 28.02.2006 zuerkannt hat. Prof. Dr. W. ist von den unfallmedizinischen Erfahrungssätzen ausgegangen, dass die nach dem Unfall auftretenden Beschwerden wegen noch erhöhter Schmerzhaftigkeit in der Ausheilungsphase und der postoperativen Regenerationszeit abweichend von den MdE-Erfahrungswerten der medizinischen Literatur, die unter Dauerrentengesichtspunkten gelten, eine rentenberechtigende MdE im Umfang von 20 vH. rechtfertigten.

Nach den von dem Orthopäden G. in seinem Gutachten vom 01.04.2007 (Untersuchungstag des Klägers 03.01.2007) erhobenen objektiven Befunden war beim Kläger eine wesentliche Besserung der verbliebenen Unfallfolgen (noch) nicht eingetreten. Es bestand weiter ein hinkendes Gangbild. Außerdem eine deutliche Minderbelastung des rechten Beines (in Test mit zwei Waagen). Der Einbeinstand rechts war dem Kläger nicht möglich. Weiter bestand - im Vergleich zu den von Prof. Dr. W. erhobenen Befunden - eine im Wesentlichen gleiche Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Hüftgelenks sowie eine posttraumatische Arthrose des rechten Sakroiliakalgelenkes mit einer Tendenz zur Unbeweglichkeit und Änderung der Biomechanik und Biodynamik der Beckenregion. Weiter bestand die Sensibilitätsminderung der rechten Gesäßbacke unverändert fort. Danach ist beim Kläger zur Überzeugung des Senats hinsichtlich der verbliebenen unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigungen über den 28.02.2006 hinaus weiterhin von einer MdE von 20 vH. auszugehen. Dem entspricht auch die Bewertung von Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 23.06.2006 an das SG, in der er angegeben hat, dass die Gesamtschau der Verletzungen eine Einschätzung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung mit einer MdE von 20 vH. auch für den Zeitraum über den 28.02.2006 hinaus rechtfertigt.

Der Bewertung der MdE mit 30 vH. durch den Orthopäden G. kann allerdings nicht gefolgt werden. Er stützt seine höhere Bewertung der MdE im Wesentlichen darauf, dass Schmerzzustände nicht genügend gewürdigt worden seien. Eine nachvollziehbare und überzeugende Begründung dafür, dass beim Kläger eine besondere Schmerzhaftigkeit vorliegt, die die Anhebung der MdE rechtfertigt, lässt sich jedoch weder dem Gutachten vom 01.04.2007 noch der ergänzenden Stellungnahme vom 15.05.2007 entnehmen. Objektive Befunde, die einen Rückschluss auf eine besondere Schmerzhaftigkeit zuließen, hat der Orthopäde G. nicht festgestellt. Allein die hierzu gemachten subjektiven Angaben des Klägers reichen für die Annahme einer besonderen Schmerzhaftigkeit nicht aus. Zudem ist die Neigung des Klägers, eine schmerzbedingte Gewichtsverlagerung auf die linke Körperseite und Entlastung des rechten Beines in die Bildung der MdE mit 20 vH. bereits eingeflossen.

Allerdings hat sich im weiteren zeitlichen Verlauf nach der Begutachtung durch den Orthopäden G. beim Kläger eine Besserung der unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigungen eingestellt, die es nicht mehr rechtfertigen, von einer MdE von 20 vH. (auf Dauer) auszugehen. Dies steht für den Senat aufgrund des von der Beklagten eingeholten Gutachtens von Dr. F. vom 02.12.2007 sowie des vom SG eingeholten Gutachtens von Dr. B. vom 30.10.2009 fest.

Nach den von Dr. F. bei der Begutachtung des Klägers festgestellten Befunden bestand an den unteren Extremitäten keine sichtbare Muskelminderung. Zwar bestand rechts auch beim zügigen Gehen ein gering hinkendes Gangbild. Der Zehen- und Hackenstand war dem Kläger aber beidseitig normal durchführbar. Die Hocke konnte rechts mit einem Gesäß - Fersenabstand von 10 cm ohne Schwierigkeiten erreicht werden. Weiter war die Beweglichkeit des rechten Hüftgelenks im Vergleich zu den von Prof. Dr. W. und dem Orthopäden G. erhobenen Bewegungsmaßen verbessert (Streckung/Beugung 0-0 120°, Abspreizen/Anführen 35-0-15°, ebenso die Drehbeweglichkeit). Insgesamt bestand bei der Begutachtung durch Dr. F. - im Gegensatz zu den bei der Begutachtung des Klägers durch Prof. Dr. W. und dem Orthopäden G. erhobenen Befunden - im Vergleich zur Beweglichkeit des linken Hüftgelenks nur noch eine (eher) geringgradige Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks des Klägers. Zudem lieferten die von Dr. F. erhobenen Befunde keinen Hinweis auf eine außergewöhnliche Schmerzbelastung des Klägers, wie Dr. F. in seiner Stellungnahme vom 17.04.2008 an die Beklagte nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat. Damit ist in den verbliebenen Unfallfolgen eine Besserung eingetreten, die nach den dargestellten Grundsätzen zur Bildung der MdE beim Kläger eine MdE von 20 vH. zur Überzeugung des Senates nicht mehr rechtfertigt. Dem entspricht auch die überzeugenden Bewertung des Dr. F., der die MdE mit 10 vH. bewertet hat. Auch Dr. B. gelangte in seinem vom SG eingeholten Gutachten vom 30.10.2009 - bei im Vergleich zum Gutachten von Dr. F. vergleichbaren Bewegungsmaßen des rechten Hüftgelenkes, rechtsseitiger Gehstörung, Minderbelastung des rechten Beins, herabgesetzter Gefühlswahrnehmung an der rechten Gesäßbacke, in anatomischer Position knöchern durchbauter Iliosacralfuge, der Hüftpfannen- und Deckenschaufelfraktur und subjektiv empfundenen Schmerzen im Bereich der Iliosacralfuge als verbliebenen Unfallfolgen, sowie ohne Verschmächtigungen seitengleich ausgebildeter Muskulatur an beiden oberen Extremitäten - zu der Bewertung der MdE von 10 vH. Diesen übereinstimmenden Bewertungen schließt sich der Senat an.

Soweit Dr. F. in seinem Gutachten vom 02.12.2007 auch für die Zeit ab 01.02.2006 beim Kläger die MdE ebenfalls mit 10 vH. bewertet hat, vermag der Senat dieser Bewertung allerdings nicht zu folgen. Dr. F. berücksichtigt dabei, auch soweit er sich mit dem Gutachten des Orthopäden G. in seiner Stellungnahme vom 17.04.2008 an die Beklagte auseinandersetzt, ersichtlich nur die von ihm bei der Untersuchung des Klägers am 29.11.2007 erhobenen Befunde, die wie ausgeführt, seine Bewertung der MdE mit 10 vH. rechtfertigen. Er setzt sich jedoch nicht damit auseinander, weshalb die von Prof. Dr. W. und den Orthopäden G. im Wesentlichen übereinstimmend erhobenen (objektiven) Befunde, die von den von Dr. F. am 29.11.2007 abweichen, die Bewertung der MdE mit 20 vH. nicht rechtfertigen. Hierzu hätte aber Anlass bestanden, nachdem Dr. F. in seiner Stellungnahme vom 17.04.2008 an die Beklagte selbst davon ausgeht, dass sich bei seiner Untersuchung wesentlich geringere Bewegungseinschränkungen des Hüftgelenkes als in dem Gutachten des Orthopäden G. ergeben haben. Entsprechendes gilt, soweit Dr. B. in seinem Gutachten vom 30.10.2009 die MdE von 10 vH. ebenfalls bereits ab März 2006 angenommen hat. Einen konkreten Zeitpunkt, zu dem nach medizinischer Erfahrung bei dem vorliegenden Schadensbild sicher mit dem Ende der Anpassungs- und Gewöhnungsphase für den Unfallverletzten zu rechnen wäre, haben beide Sachverständige nicht genannt. Zu Gunsten des Klägers ist deshalb der Senat davon ausgegangen, dass aufgrund des unfallmedizinischen Erfahrungswissens die Phase der Anpassung und Gewöhnung jedenfalls längstens bis zum Ende des dritten Jahres nach dem Unfall - in dem vom Gesetzgeber unterstellten Zeitraum der noch häufig instabilen Befundlage der Anpassung und Gewöhnung (vgl. § 62 SGB VII) - am 26.03.2007 abgeschlossen ist. Nach diesem Zeitraum beträgt die MdE in Anwendung der unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätze, wie oben dargelegt, jedoch nur 10 vH.

Auf die Bewertung der MdE mit 30 vH. im Gutachten des Prof. Dr. W. vom 31.03.2005 an die A. C. Versicherung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Prof. Dr. W. hat in seiner hierzu vom SG eingeholten Stellungnahme vom 23.06.2006 plausibel und überzeugend ausgeführt, das die Einschätzungskriterien für private und gesetzliche Unfallversicherungen unterschiedlich seien. Insbesondere beinhaltet die Einschätzung für die private Unfallversicherung einen erhöhten prognostischen Faktor für weitere mögliche eintretende Beschwerden und Schäden. Er hat im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung beim Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH. bestätigt. Eine MdE von 30 vH. hat Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 23.06.2006 erst angenommen, wenn eine deutliche Verschmälerung des Gelenksspaltes der Hüfte sowie eine Randwulstbildung am Oberschenkelkopf, eine Bewegungseinschränkung der Hüfte sowie eine Muskelminderung des Beines von mehr als 3 cm aufträten. Dies trifft nach den vorliegenden Gutachten und sonstigen Befundunterlagen beim Kläger jedoch nicht zu.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Senat hält den entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch die von der Beklagten und vom SG durchgeführten Ermittlungen sowie die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen für geklärt.

Die Kniegelenksverletzung im Mai 2006 kann nicht auf den Unfall vom 26.03.3004 zurückgeführt werden. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang ist von keinem der eingeholten Gutachten bejaht worden. Vielmehr haben Prof. Dr. M. in seinem Gutachten vom 25.09.2006 und Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme an die Beklagte einen direkten und indirektem medizinischen Unfallzusammenhang - und im Übrigen eine dadurch bedingte MdE - übereinstimmend verneint. Auch der Orthopäde G. geht jedenfalls nur von einem indirekten Unfallzusammenhang aus, den er mit einer unfallbedingten häufigeren knienden Arbeitshaltung des Klägers begründet. Abgesehen davon, dass hierfür bei der allenfalls endgradigen Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk kein überzeugender Anhalt für ein unfallbedingtes häufiges Knien besteht, wäre aber ein rechtlich wesentlicher Unfallzusammenhang zu verneinen. Die kniende Arbeitshaltung wäre nur zufälliger Auslöser für die schicksalhaft aufgetretene Einblutung in die prädisponierte Bursa, die durch den Unfall selbst nicht verletzt worden war.

Nach alledem erweist sich die Berufung des Klägers für die Zeit vom 01.03.2006 bis 26.03.2007 als begründet. Im Übrigen ist die Berufung des Klägers jedoch nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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