L 1 U 896/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 24/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 896/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 6. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer Verletztenrente.

Der als Automatenaufsteller tätige, 1950 geborene Kläger, erlitt am 16. Juli 2008 einen Arbeitsunfall, als sich beim Anbringen eines Zigarettenautomaten dessen Aufhängung löste. Dadurch rutschte auch der Automat aus der oberen Einhängeöse. Der Kläger fing den Automaten mit der rechten Hand/dem rechten Arm auf. Das Gewicht des Automaten belief sich auf 150 - 200 kg (Angaben des Klägers im "Schulterfragebogen" vom 1. August 2008; Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 29. Juli 2008).

Im Durchgangsarztbericht des Dr. P. vom 21. Juli 2008 wurde eine starke Zerrung des rechten Schultergelenks mit proximaler Bizepssehnenruptur rechts berichtet. Dem Durchgangsarztbericht beigefügt war der Bericht des Radiologen Dr. R. vom 23. Juli 2008, der einen proximalen Abriss des langen Bizepskopfes mit deutlicher Retraktion und Hämatom am proximalen Oberarm beschrieb, daneben eine Teilruptur der Supraspinatussehne am Ansatz mit 5 bis 6 mm großem transmuralem Defekt. Im Zwischenbericht vom 13. August 2008 empfahl die Chirurgin B. eine Operation bei degenerativen Veränderungen und leitete die kassenärztliche Weiterbehandlung ein.

Mit Bescheid vom 18. September 2008 lehnte die Beklagte einen Rentenanspruch wegen des Arbeitsunfalls ab. Der Unfall habe nur zu einer folgenlos verheilten Zerrung des rechten Schultergelenks geführt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten nicht bestanden. Die später festgestellten Risse der rechten Bizepssehne sowie der unterhalb der rechten Schulterblattgräte verlaufenden Sehne seien nicht durch den Arbeitsunfall entstanden, sondern beruhten auf degenerativen Veränderungen. Auf diese seien auch die Behandlungsbedürftigkeit und die Arbeitsunfähigkeit zurückzuführen.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte zog den OP-Bericht vom 14. August 2008 bei. Der operierende Facharzt für Chirurgie Dr. W. teilte unter dem 16. Oktober 2008 ergänzend mit, dass eine histologische Untersuchung nicht veranlasst worden sei. Die bg-liche Behandlung sei bereits am 4. August 2008 wegen überwiegend degenerativer Schäden des rechten Schultergelenks abgebrochen worden. Als Diagnosen sind im OP-Bericht ein subacromiales Impingement, eine Bursitis subacromialis, eine Rotatorenmanschettenruptur mit Intervalläsion sowie ein Partialruptur der langen Bizepssehne aufgeführt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Bereits im Bericht der Kernspintomographie vom 22. Juli 2008 seien lediglich degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter beschrieben; auch der behandelnde Arzt Dr. W. habe die Behandlung aus diesem Grund zu Lasten der Krankenversicherung durchgeführt. Entsprechendes gelte für die am 14. August 2008 im Rahmen der Operation erhobenen Befunde. Nicht zuletzt spreche auch der Unfallhergang gegen einen Ursachenzusammenhang.

Dagegen hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 2. Januar 2009 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und beantragt festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen im Bereich der rechten Schulter/Oberarm Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Juli 2008 seien und ihm deshalb Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren sei. Der Kläger sei bis zum Unfallereignis vollkommen gesund gewesen; degenerative Veränderungen hätten nicht bestanden. Das SG hat die Ärzte Dr. P., Dr. R. und Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugen befragt, die die Auffassung vertreten haben, keine der Gesundheitsstörungen sei auf den Unfall zurückzuführen. Es handle sich nur um eine Gelegenheitsursache bei erheblichen degenerativen Veränderungen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat am 12. März 2010 Dr. A., Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin, ein orthopädisches Gutachten erstellt. In diesem hat er mitgeteilt, die Erkrankungen im Bereich der rechten Schulter beruhten nicht mit Wahrscheinlichkeit auf dem Unfall vom 16. Juli 2008. Es habe sich ein Riss einer vorgeschädigten und stark abgenutzten Bizepssehne ereignet. Geschlossene Sehnenverletzungen mit ausgedehnten Partialrupturen seinen vorwiegend auf unfallunabhängige, schwere degenerative Veränderungen, also Abnutzungserscheinungen, zurückzuführen, die sogar häufig Spontanrisse zeigten.

Mit Urteil vom 6. Dezember 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf die Aussagen der behandelnden Ärzte sowie das Gutachten von Dr. A ...

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 11. Februar 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger durch diesen am 3. März 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung wird vorgetragen, die Untersuchung bei Dr. A. habe sich anders zugetragen als von diesem im Gutachten dargestellt. Darüber hinaus hätte das SG von den behandelnden Ärzten eine Bestätigung dafür einholen müssen, dass der Kläger vor dem Unfall an der rechten Schulter beschwerdefrei gewesen sei. Das SG hätte sich nicht auf die Aussage des Dr. A. berufen dürfen und selbst wenn, läge dennoch ein Arbeitsunfall vor, da vor dem Geschehen die rechte Schulter beschwerdefrei gewesen sei.

Der Kläger beantragt, teilweise sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 6. Dezember 2010 sowie den Bescheid vom 18. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2008 aufzuheben, festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen im Bereich der rechten Schulter/des rechten Oberarms Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Juli 2008 sind, und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers im Bereich des rechten Arms/der rechten Schulter sind nicht als Unfallfolgen festzustellen. Eine Verletztenrente steht ihm nicht zu.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Als Folge eines Unfalls sind Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 278). Daran fehlt es, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 222; BSG, Urt. v. 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R -, in: HVBG-Info 2001, 1713). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33).

Nach Maßgabe dieser Kriterien steht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang des Unfalls vom 16. August 2008 mit dem Riss der Bizeps- bzw. Supraspinatussehne fest.

Wie alle mit diesen Verletzungen befassten Ärzte, nämlich die behandelnden Ärzte Dr. P. und Dr. W., wie auch die Chirurgin B., übereinstimmend ausgeführt haben, beruhen die Sehnenrisse rechtlich wesentlich nicht auf dem angeschuldigten Unfallereignis, sondern den vorbestehenden, wenn auch klinisch stummen, erheblichen degenerativen Veränderungen. Deshalb haben sowohl Dr. W. wie auch die Ärztin B. die Behandlung zu Lasten der Krankenkasse durchgeführt bzw. veranlasst. Diese Beurteilung wird objektiviert sowohl durch die unfallnah durchgeführten MRT-Aufnahmen als auch den eindeutigen Operationsbefund, der auch bildlich erhebliche vorbestehende degenerative Veränderungen an beiden Sehnen belegt und nachweist. Deshalb hat folgerichtig auch der vom Kläger als Arzt seines Vertrauens benannte Dr. A. einen Unfallzusammenhang verneint.

Die Einwände des Klägerbevollmächtigten im Berufungsverfahren vermögen eine abweichende Bewertung nicht zu rechtfertigen. Soweit er vorbringt, die Darstellung der Untersuchungsergebnisse durch Dr. A. in dessen Gutachten hätten nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten beim Kläger in Übereinstimmung gestanden und dies darauf stützt, dass der Kläger schon seit längerem einen geschwollenen Finger habe, den Dr. A. nicht bemerkt habe, kann der Senat offen lassen, ob eine solche Abweichung vorliegt oder nicht. Denn für die Frage, ob ein Zusammenhang der Veränderungen im Bereich der rechten Schulter/des rechten Oberarms mit dem Unfallereignis besteht, sind diese Hinweise ohne Belang. Falls damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das Gutachten von Dr. A. an fachlichen Mängeln leidet und deshalb nicht einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden könne, wird übersehen, dass nicht nur Dr. A., sondern, wie ausgeführt, auch die übrigen den Kläger behandelnden Ärzte, eine wesentliche Ursache des Unfallereignis für den geltend gemachten Schaden verneinen. Angesichts der dokumentierten objektiven Befunde erscheint dies dem Senat auch schlüssig und nachvollziehbar, so dass weitere Ermittlungen diesbezüglich entbehrlich waren.

Nur ergänzend ist deshalb darauf hinzuweisen, dass degenerative Veränderungen durchaus klinisch stumm verlaufen können und deshalb die vor dem Arbeitsunfall geschilderte Beschwerdefreiheit rechts nichts über das Bestehen oder Nichtbestehen entsprechender Veränderungen aussagt. Angesichts des Umstands, dass der Kläger gegenüber Dr. A. im Übrigen Beschwerden vor dem Unfall im Bereich der linken Schulter schilderte, ist auch unter diesem Gesichtspunkt die Annahme vorbestehender degenerativer Veränderungen rechts (beim rechtshändigen Kläger) nicht unplausibel.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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