L 9 R 200/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2269/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 200/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 8. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit anstelle auf Zeit.

Der 1950 geborene Kläger kam im Jahr 1970 aus dem ehemaligen J. in die Bundesrepublik Deutschland. Zuletzt vor seinem Unfall (Sturz vom Lkw) am 30.1.2001, bei dem er sich eine Schulterkontusion rechts zuzog, war er als Kraftfahrer beschäftigt. Von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BG) erhält er eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. (Bescheide vom 23.1.2004 und 25.9.2006). Seit 30.1.2001 ist bei ihm ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt (Bescheid des Versorgungsamts Ravensburg vom 7.10.2004).

Den am 4.7.2002 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.12.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2004 ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Konstanz (Az.: S 2 RJ 2832/04 bzw. später S 9 R 2832/04) anerkannte die Beklagte mit Schriftsatz vom 27.6.2006, dass der Kläger seit Oktober 2004 voll erwerbsgemindert ist und erklärte sich bereit, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1.5.2005 bis 30.4.2008 zu gewähren. Dieses Anerkenntnis führte die Beklagte mit Bescheid vom 4.7.2006 aus. Am 24.5.2007 wurde ein einsprechender gerichtlicher Vergleich geschlossen und der Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Grundlage für die Rentengewährung war die beratungsärztliche Stellungnahme von Obermedizinalrat F. vom 7.6.2006 in Verbindung mit dem Gutachten von Dr. J. vom 18.8.2005. Dr. J. hatte in dem auf Veranlassung des Vormundschaftsgerichts Überlingen erstatteten Gutachten eine längere depressive Reaktion diagnostiziert und die Notwendigkeit einer Betreuung im Bereich der finanziellen Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge sowie des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für notwendig erachtet. Eine Überprüfung hat er nach Ablauf von 3 Jahren empfohlen.

Am 5.2.2008 beantragte der Kläger die Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte eine Auskunft bei der behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. K. vom 8.1.2008 sowie eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Dr. F. vom 17.03.2008 ein.

Mit Bescheid vom 18.3.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger weiterhin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis 30.04.2011.

Hiergegen legte der Kläger am 15.4.2008 Widerspruch ein und trug vor, es sei nicht ersichtlich, wie die Beklagte davon ausgehen könne, dass innerhalb des von der Rechtsprechung geforderten Zeitrahmens ernsthaft eine Tendenz zur Besserung erkennbar sein sollte. Der Befund sei langjährig chronifiziert und eine Aussicht auf Besserung bestehe nicht.

Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme von Dr. F. vom 21.4.2008 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.6.2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen leide der Kläger unter einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine Besserung sei nicht unwahrscheinlich, da sich die psychischen Beschwerden nach Therapie verbessern könnten und das Leistungsvermögen, das derzeit unter 3 Stunden liege, angehoben werden könne. Aus medizinischer Sicht sei eine Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht unwahrscheinlich.

Hiergegen hat der Kläger am 30.7.2008 Klage zum SG Konstanz (S 4 R 2269/08) erhoben und die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit begehrt.

Das SG hat Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Diese hat unter dem 16.10.2008 mitgeteilt, der Kläger befinde sich seit dem 20.12.2004 bei ihr in regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung. Er leide an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren depressiven Episode, zum Teil mit psychotischen Symptomen, und einer Polyneuropathie. Das Schlafverhalten habe sich trotz Albträume verbessert; seit längerer Zeit sei Blickkontakt möglich. Desweiteren komme der Kläger seit längerem allein und pünktlich zu den vereinbarten Terminen. Sofern eine medizinisch-psychiatrische Rehabilitation nicht durchgeführt werde und der Kläger nicht zu Trainingsmaßnahmen ins Gemeindepsychiatrische Zentrum gehe, was bisher krankheitsbedingt nicht möglich gewesen sei, könne davon ausgegangen werden, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers nicht bessere.

Die Beklagte hat ärztliche Stellungnahmen von Obermedizinalrat F. vom 22.12.2008 und 19.2.2009 vorgelegt, der unter anderem ausgeführt hat, Besserungsaussichten seien nicht unwahrscheinlich.

Mit Gerichtsbescheid vom 8.12.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit würden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) auf Zeit geleistet. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage bestehe, würden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne, wovon nach einer Gesamtdauer der Befristung von 9 Jahren auszugehen sei. Unwahrscheinlichkeit sei erst zu bejahen, wenn schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine rechtlich relevante Besserungsaussicht sprächen, so dass ein Dauerzustand vorliege. Davon könne jedoch erst ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien und auch danach ein aufgehobenes Leistungsvermögen bestehe. Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides sei es nicht unwahrscheinlich gewesen, dass innerhalb von 3 Jahren bei bestmöglicher Behandlung eine Besserung zu erzielen sei. Dies ergebe sich aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. K., die ausgeführt habe, bislang seien noch nicht alle möglichen Behandlungen durchgeführt worden. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 10.12.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am Montag, den 11.1.2010 Berufung eingelegt und unter Vorlage eines von der BG eingeholten Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 28.5.2009 und eines vom SG im Rechtsstreit wegen Feststellung von Behinderungen eingeholten Gutachtens von PD Dr. P., Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie, beim SG eingegangen am 29.6.2010, vorgetragen, es erscheine schon fragwürdig, die Korrektheit einer Prognoseentscheidung, welche die Beklagte bei Erlass des angefochtenen Bescheides getroffen habe, anhand einer erst 7 Monate später erstellten Zeugenauskunft zu überprüfen. Aus dem Gutachten von Dr. K. ergebe sich, dass in absehbarer Zeit mit einer Besserung nicht zu rechnen sei. Am Zustand des Klägers habe sich seit der Zeugenaussage von Dr. K. nichts geändert; die vom Gericht in der Zeugenaussage hinein interpretierte günstige Prognose habe sich als völlig unzutreffend herausgestellt. Rein fürsorglich werde die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Dr. B. beantragt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 8. Dezember 2009 aufzuheben sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2008 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert unter Vorlage ärztlicher Stellungnahmen von Obermedizinalrat F. vom 16.2. und 11.8.2010, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres Standpunktes zuließen. Obermedizinalrat Fischer führt aus, auch Dr. K. gehe davon aus, dass die anhaltende Episode des depressiven Beschwerdebildes bisher nicht einer angemessenen Behandlung zugeführt worden sei. Auch bei Beantwortung der Beweisfragen werde eine Besserungsmöglichkeit hinsichtlich des schweren depressiven Beschwerdebildes gesehen und die depressive Beeinträchtigung weiterhin als dringend behandlungsbedürftig gesehen.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat am 21.1.2011 Dr. B. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Nachdem der Sachverständige mitgeteilt hatte, dass der Kläger zweimaligen Einbestellungen zur Begutachtung nicht gefolgt sei und der Bevollmächtigte des Klägers auf die Anfrage des Senats, ob der Kläger bereit sei, einer erneuten Einbestellung Folge zu leisten, mitgeteilt hat, der Kläger wolle an der Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG offensichtlich nicht mehr festhalten, hat der Senat den Beweisbeschluss (mit Gutachtensauftrag) aufgehoben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet, da er keinen Anspruch auf unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

Streitgegenstand ist allein die Frage, ob der Kläger ab 1.5.2008 - nach dem Eintritt des Leistungsfalls vom Oktober 2004 und nach der vom 1.5.2005 bis 30.4.2008 befristet gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung - Anspruch auf unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.5.2008 hat oder ob die Beklagte die Rentenleistung befristen durfte.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die vom Kläger beanspruchte unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung - §§ 43, 102 SGB VI - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass der Kläger zwar weiter erwerbsgemindert sei, es zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides jedoch nicht unwahrscheinlich gewesen sei, dass sich bei bestmöglicher Behandlung eine Besserung erzielen lasse.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der Kläger offensichtlich nicht berücksichtigt hat, dass - anders als nach der vom 1.1.1992 bis 31.12.2000 geltenden Rechtslage - nicht mehr die begründete Aussicht bestehen muss, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann, sondern dass Rente wegen Erwerbsminderung, die unabhängig von der Arbeitsmarktlage gewährt wird, nur dann unbefristet geleistet wird, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.3.2006 - B 13 RJ 31/05 R - in SozR 4-2600 § 102 Nr. 2 und in Juris).

Der Senat gelangt wie das SG zu der Überzeugung, dass die Unwahrscheinlichkeit einer Besserung schon deswegen nicht vorliegt, weil die Therapiemöglichkeiten bei Weitem nicht ausgeschöpft sind. So wurde der Kläger wegen seines depressiven Beschwerdebilds bisher weder stationär behandelt, noch hat er die von der Neurologin und Psychiaterin Dr. K. für erforderlich gehaltenen Trainingsmaßnahmen im Gemeindepsychiatrischen Zentrum wahrgenommen und bisher auch keine medizinisch-psychiatrische Rehamaßnahme durchgeführt. Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 18.3.2008 hatte der Kläger auch erst knapp 3 Jahre eine Rente bezogen und nicht 9 Jahre, so dass auch die gesetzliche Fiktion des § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI nicht zum Tragen kommt.

Die beim Kläger vorliegenden sonstigen Gesundheitsstörungen (Bewegungseinschränkungen des rechten Schultergelenks bzw. des rechten Armes, Zustand nach Myocardinfarkt von September 2009) führen ebenfalls nicht dazu, dass die Zeitrente unbefristet gewährt werden müsste. Zum einen sind diese Ereignisse erst nach Erlass des angefochtenen Bescheides eingetreten, zum anderen zeigte die am 9. März 2010 durchgeführte ambulante kardiologische Untersuchung einen insgesamt stabilen kardialen Zustand, wie sich aus dem vorgelegten Gutachten von PD Dr. P. ergibt und worauf Obermedizinalrat F. zu Recht hingewiesen hat. Das beim Kläger diagnostizierte Bauchaortenaneurysma ist einer operativen Behandlung zugänglich. Darüber hinaus stehen die auf internistischem sowie chirurgisch-orthopädischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen auch nicht im Vordergrund. Vielmehr beruht das auf unter 3 Stunden täglich eingeschätzte Leistungsvermögen auf dem psychiatrischen Beschwerdebild.

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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