Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 181/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 4362/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. August 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Übernahme von Kosten für Arzneimittel und medizinische Produkte.
Die am 17.03.1958 geborene Klägerin ist allein stehend. Sie steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II.
Auf einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 26.10.2009, in welchem die Klägerin angab, sie benötige wegen einer Konservierungsallergie einen Mehrbedarf, bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 27.10.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 i.H.v. 359,- EUR monatlich.
Unter Bezugnahme auf diesen Bewilligungsbescheid beantragte die Klägerin am 05.11.2009 die Anerkennung eines medizinischen Mehrbedarfs für Arzneimittel zur äußerlichen Behandlung einer bei ihr bestehenden Nagelpilzerkrankung.
Mit Bescheid vom 11.11.2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, ein medizinischer Mehrbedarf werde vom SGB II nicht abgedeckt.
Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass ihr als Hartz IV-Empfängerin die finanziellen Mittel fehlten, die Medikamente, für die sie mehr als 50,- EUR aufwenden müsse, die von der Krankenkasse nicht übernommen würden, zu beschaffen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte hierzu an, Mehrbedarfe könnten für werdende Mütter, Alleinerziehende, Behinderte, Personen, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten, und für Kranke, die eine Krankenkostzulage aufgrund eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes benötigten, gewährt werden. Die Krankenkostzulage umfasse jedoch nicht die Übernahme von Medikamentenkosten. Ein Mehrbedarf könne daher nicht anerkannt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.01.2010 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgebracht, dass sie lediglich 4 % des Regelsatzes von 359,- EUR für Arzneimittelkosten aufzubringen habe. Der sich hieraus errechnende Betrag von 14,39 EUR reiche nicht aus, um ihre Ausgaben abzudecken. Bereits die Unkosten für medizinische Arzneimittel für Erkältungen, nicht verschreibbare Salben und Tinkturen zur äußeren Anwendung, Calcium-Magnesium- und Biophosphate überstiegen die Jahresausgaben von 172,32 EUR. Die von ihr zu tragenden Kosten beliefen sich über einen Zeitraum von drei Monaten auf 54,- EUR für die Behandlung der Nagelpilzerkrankung sowie auf jeweils 75,- EUR für Zusatzpräparate für Osteoporose (Mineralstoffe und Vitamine zur Unterstützung) bzw. sonstige frei verkäufliche Arzneimittel (Salben und medizinische Creme). Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat hierzu vorgebracht, es sei nicht ersichtlich, dass es sich bei der von der Klägerin vorgebrachten Situation um einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010 handele.
Mit Urteil vom 13.08.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige zwar nach § 21 Abs. 6 SGB II in der ab dem 03.06.2010 geltenden Fassung einen Mehrbedarf erhalten könnten, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger, besonderer Bedarf bestehe, ein solcher Bedarf bestehe jedoch bei der Klägerin nicht. Die Nutzung von Tinkturen und Salben, die frei verkäuflich in der Apotheke zu erwerben seien, zeige, dass bei der Klägerin keine schwerwiegende Erkrankung bestehe. Im Falle einer schwerwiegenden expandierenden Nagelpilzerkrankung sei eine medikamentöse Behandlung durch verschreibungspflichtige Medikamente angezeigt, die vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt sei. Die Einnahme von Calcium-, Magnesium- und Vitaminpräparaten rechne zum üblichen Bedarf des Alltagslebens, weswegen die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht in Betracht komme.
Gegen das ihr am 19.08.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.09.2010 die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt die Klägerin vor, dass die äußerliche Behandlung ihrer Nagelpilzerkrankung weitergeführt werden solle, da es im Falle einer Beendigung der Behandlung zu einer erneuten Infektion kommen könne. Weitere Kosten entstünden ihr durch die Behandlung der bei ihr bestehenden Osteoporose, durch die Einnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und Biophosphaten sowie die regelmäßige Durchführung von kranken-, geräte- und wassergymnastischen Maßnahmen. Die Kosten überstiegen das im Regelsatz vorgesehene Budget von 4 %.
Die Klägerin beantragt (zweckdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. August 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. Oktober 2009 und unter Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2009 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 einen Mehraufwand für Medikamente i.H.v. 68,- EUR monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf die, aus ihrer Sicht, zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils. Ergänzend bringt sie vor, dass der geltend gemachte Medikamentenbedarf nicht unabweisbar im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II sei. Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente könnten im Rahmen der Härtefallregelung nach deren Sinn und Zweck nicht übernommen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die bei der Beklagten für die Klägerin geführte Leistungsakte, sowie die vom Senat beigezogenen Akten des Verfahrens der Klägerin gegen die Deutsche Rentenversicherung - Bund - (Landessozialgericht Baden- Württemberg - L 10 R 5527/10 -), welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 wurden sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die jedenfalls nach Zulassung durch das SG (§§ 143, 144 Satz 1, Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) statthafte Berufung ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Streitgegenstand des Verfahrens ist nicht lediglich der Bescheid der Beklagten vom 11.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2009, sondern auch der Bewilligungsbescheid vom 27.10.2009. Der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das von der Klägerin aufgrund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende Begehren sowie dem Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll. Bei einem Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage ihre Leistungsansprüche nach dem SGB II unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11 b AS 9/06 R -; Urteil vom 16.05.2007 - B 11 b AS 29/06 R - jeweils veröffentlicht in juris). Zwar können nach der Rechtsprechung des BSG einzelne Streitgegenstände abgetrennt werden, was beispielsweise für die Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt ist, weitere Regelungen können jedoch nicht in unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R - veröffentlicht in juris). Dies gilt auch für eine Leistung für Mehrbedarfe, die nach der Rechtsprechung des BSG Bestandteil der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts, mithin ein Berechnungselement des Gesamtbedarfes, sind (vgl. BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R; Urteil vom 18.02.2010 - B 4 AS 29/09 R - veröffentlicht in juris). Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Beklagte zwar mit dem selbständigen Bescheid vom 11.11.2009 den Antrag der Klägerin auf Anerkennung eines Mehrbedarfes verbeschieden hat, die Entscheidung war jedoch keiner vom Bewilligungsbescheid gelösten Regelung zugänglich (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 04.11.2010 - L 11 AS 759/10 B PKH - veröffentlicht in juris). Nachdem die Klägerin den Antrag unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Bewilligungsbescheid vom 27.10.2009 gestellt hat und der Bescheid vom 11.11.2009 innerhalb der gegen den Bescheid vom 27.10.2009 laufenden Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) erging, ist vorliegend auch der Bescheid vom 27.10.2009 streitgegenständlich. Mithin ist vorliegend die Höhe der der Klägerin in der Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 zu gewährenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitgegenständlich.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage in nicht zu beanstandender Weise abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010. Die Klägerin ist als erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II berechtigt, Leistungen nach dem SGB II zu erhalten. Nach § 19 Satz 1 SGB II hat sie Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die monatliche Regelleistung belief sich im streitbefangenen Zeitraum gemäß § 20 Abs. 1 SGB II auf 359,- EUR. Ein weitergehender Anspruch, insb. ein solcher auf Zuerkennung eines Mehrbedarfes für Medikamente, besteht nicht.
Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 09.02.2010 (-1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - veröffentlicht in juris) die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung nach dem SGB II (§ 20 Abs. 2 1. Halbsatz und Abs. 3 Satz 1 SGB II sowie § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 1. Alt. SGB II) als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Es hat dem Gesetzgeber aufgegeben, die Regelleistung in einem verfassungsgemäßen Verfahren bis zum 31.12.2010 neu festzusetzen. Es hat den Gesetzgeber ferner verpflichtet, bis spätestens zum 31.12.2010 eine Regelung im SGB II zu schaffen, die sicherstellt, dass bestehende besondere Bedarfe gedeckt werden, da andernfalls eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes vorläge, die auch nicht vorübergehend hingenommen werden könne. Um dieser Gefahr zu begegnen, müsse in der Übergangszeit bis zur Einführung einer entsprechenden Härtefallklausel die verfassungswidrige Lücke durch eine entsprechende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts geschlossen werden. Die im Urteil vom 9.02.2010 geschaffene Regelung ersetzte für die Zeit bis zur Schaffung einer entsprechenden Härtefallregelung durch den Gesetzgeber im Sinne einer Übergangsregelung die an sich notwendige einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage. Sie galt jedoch nur für die Zeit ab der Verkündung des Urteils und damit nicht für Leistungszeiträume vor dem 9. Februar 2010 (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 24.03.2010 - 1 BvR 395/09 - veröffentlicht in juris). Nachdem der Gesetzgeber den Vorgaben des BVerfG durch die Einfügung von Abs. 6 des § 21 SGB II erst mit Wirkung zum 03.06.2010 durch das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung anderer Gesetze vom 27.05.2010 (BGBl. I S. 671) entsprochen hat, folgt hieraus, dass sich die Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 nicht in § 21 Abs. 6 SGB II, sondern ab dem 09.02.2010 in der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 findet. Nachdem die Anordnung des BVerfG keine Rückwirkung entfaltet hat (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 24.03.2010, a.a.O.) und für die Zeit vor dem 09.02.2010 auch keine (einfachgesetzliche) Anspruchsgrundlage für die Zuerkennung des geltend gemachten Mehrbedarfs für Arzneimittel bestand, kommt dessen Zuerkennung vor dem 09.02.2010 nicht in Betracht.
Nach der Entscheidung des BVerfG kann der pauschale Regelleistungsbetrag des SGB II, im streitbefangenen Zeitraum 359,- EUR monatlich, nach seiner Konzeption nur den durchschnittlichen Bedarf decken. Die Gesamtheit der Regelungen des SGB II erlaubt jedoch in der Regel auch die Deckung eines individuellen, besonderen Bedarfs. Sie ist jedoch hierzu nicht ausnahmslos im Stande. Tritt in Sondersituationen ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf auf, erweist sich die Regelleistung als unzureichend. Da bei einem längerfristigen, dauerhaften Bedarf ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II nicht gewährt werden kann, bedarf es neben den in §§ 20 ff. SGB II vorgegebenen Leistungen noch eines zusätzlichen Anspruchs auf Leistungen bei unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums. Er entsteht erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet, wobei dieser zusätzliche Anspruch angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen besteht (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 -1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - veröffentlicht in juris, dort Rn. 206 ff).
Eine Leistungsgewährung auf Grundlage des Urteils des BVerfG kommt daher nur dann in Betracht, wenn ein unabweisbarer, laufender und besonderer Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums besteht, der so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Hiervon vermag sich der Senat jedoch nicht zu überzeugen.
Die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für Zusatzpräparate für Osteoporose und für Mineralstoffe und Vitamine zur Unterstützung, die sie einnimmt, dienen nicht primär der konkreten Behandlung der Krankheit. Die Behandlung einer Osteoporoseerkrankung im Wege einer Pharmakotherapie erfolgt nach den Leitlinien des Dachverbandes Osteologie e.V. nicht durch freiverkäufliche Arzneimittel, sondern durch Bisphosphonate (Alendronsäure, Ibandronsäure und Risedronat) oder selektive Östrogen Rezeptor Modulatoren. Im Falle einer behandlungsbedürftigen Erkrankung könnte die Klägerin eine entsprechende medikamentöse Therapie - mit den entsprechenden Medikamenten - erhalten. Die geltend gemachten Kosten i.H.v. 75,- EUR (für drei Monate) sind hiernach nicht als solche der Behandlung einer Erkrankung, sondern als allgemeine Gesunderhaltungskosten anzusehen. Diese begründen keinen besonderen Mehrbedarf, da durch einen Verzicht hierauf das menschenwürdige Existenzminimum und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht gefährdet wäre. Es besteht insb. kein verfassungsrechtliches Gebot, im Falle einer Krankheit staatlicherseits alles erhalten zu können, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (st. Rspr. des BVerfG, u.a. Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -; Beschluss vom 05.03.1997 - 1 BvR 1071/95 - jeweils veröffentlicht in juris).
Gleiches gilt für die geltend gemachten weiteren Kosten von 75,- EUR für "freiverkäufliche Arzneimittel". Diesbezüglich ist schon nicht vorgetragen, zu welchem Zweck die Klägerin diese Mittel einnimmt. Nachdem diesbezüglich eine besondere Bedarfslage nicht ersichtlich ist, kommt eine Kostenübernahme auch im Hinblick auf diese Kosten nicht in Betracht.
Soweit die Klägerin schließlich Kosten für die Behandlung einer Nagelpilzerkrankung i.H.v. 54,- EUR für drei Monate, d.h. 18,- EUR monatlich geltend macht, sind auch diese Kosten nicht von der Beklagten zu übernehmen. Der Senat unterstellt hierbei sowohl das Vorliegen der Erkrankung, als auch deren Behandlung durch die Klägerin im Wege einer äußerlichen medikamentösen Therapie als wahr, weswegen weder eine Befragung der behandelnden Ärzte, noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist. Die von der Klägerin geltend gemachten Kosten sind jedenfalls nicht unabweisbar bzw. erheblich i.S.d. vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an die Zuerkennung eines besonderen Bedarfs. Der Regelbedarf von zunächst 345,- EUR beinhaltete in der Abteilung 06 (Gesundheitspflege) 71 % der von der Referenzgruppe durchschnittlich aufgewandten Kosten für Gesundheitspflege von 17,84 EUR monatlich, d.h. einen Betrag von 12,67 EUR. Mithin waren 3,7 % der Regelleistung für Maßnahmen der Gesundheitspflege vorgesehen (vgl. Aufstellung in Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 20 Rn. 24). Bei dem im streitbefangenen Zeitraum zuerkannten Regelsatz von 359,- EUR errechnet sich bei einem gleichbleibenden prozentualen Anteil von 3,7 %, ein Betrag von 13,28 EUR. In Ansehung dieses Betrages verbleibt gegenüber den von der Klägerin geltend gemachten Kosten von 18,- EUR monatlich eine Deckungslücke von 4,72 EUR monatlich. Dass dieser Betrag, der 1,31 % der Regelleistung entspricht, nicht durch anderweitige Einsparungen aufgewandt werden kann, was das BVerfG ausdrücklich als Kriterium angeführt hat, ist dem Senat nicht nachvollziehbar. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Existenzminimums droht der Klägerin durch eine Mittelumschichtung in diesem Umfang nicht. Der geltend gemachte Bedarf der Klägerin für die Kosten der medikamentösen Behandlung der Nagelpilzerkrankung ist mithin jedenfalls nicht unabweisbar. Die Zuerkennung eines Mehrbedarfes kommt daher auch diesbezüglich nicht in Betracht.
Der Bescheid der Beklagten vom 27.10.2009 und der Bescheid vom 11.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2009 erweisen sich mithin als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Übernahme von Kosten für Arzneimittel und medizinische Produkte.
Die am 17.03.1958 geborene Klägerin ist allein stehend. Sie steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II.
Auf einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 26.10.2009, in welchem die Klägerin angab, sie benötige wegen einer Konservierungsallergie einen Mehrbedarf, bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 27.10.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 i.H.v. 359,- EUR monatlich.
Unter Bezugnahme auf diesen Bewilligungsbescheid beantragte die Klägerin am 05.11.2009 die Anerkennung eines medizinischen Mehrbedarfs für Arzneimittel zur äußerlichen Behandlung einer bei ihr bestehenden Nagelpilzerkrankung.
Mit Bescheid vom 11.11.2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, ein medizinischer Mehrbedarf werde vom SGB II nicht abgedeckt.
Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass ihr als Hartz IV-Empfängerin die finanziellen Mittel fehlten, die Medikamente, für die sie mehr als 50,- EUR aufwenden müsse, die von der Krankenkasse nicht übernommen würden, zu beschaffen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte hierzu an, Mehrbedarfe könnten für werdende Mütter, Alleinerziehende, Behinderte, Personen, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten, und für Kranke, die eine Krankenkostzulage aufgrund eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes benötigten, gewährt werden. Die Krankenkostzulage umfasse jedoch nicht die Übernahme von Medikamentenkosten. Ein Mehrbedarf könne daher nicht anerkannt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.01.2010 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgebracht, dass sie lediglich 4 % des Regelsatzes von 359,- EUR für Arzneimittelkosten aufzubringen habe. Der sich hieraus errechnende Betrag von 14,39 EUR reiche nicht aus, um ihre Ausgaben abzudecken. Bereits die Unkosten für medizinische Arzneimittel für Erkältungen, nicht verschreibbare Salben und Tinkturen zur äußeren Anwendung, Calcium-Magnesium- und Biophosphate überstiegen die Jahresausgaben von 172,32 EUR. Die von ihr zu tragenden Kosten beliefen sich über einen Zeitraum von drei Monaten auf 54,- EUR für die Behandlung der Nagelpilzerkrankung sowie auf jeweils 75,- EUR für Zusatzpräparate für Osteoporose (Mineralstoffe und Vitamine zur Unterstützung) bzw. sonstige frei verkäufliche Arzneimittel (Salben und medizinische Creme). Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat hierzu vorgebracht, es sei nicht ersichtlich, dass es sich bei der von der Klägerin vorgebrachten Situation um einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010 handele.
Mit Urteil vom 13.08.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige zwar nach § 21 Abs. 6 SGB II in der ab dem 03.06.2010 geltenden Fassung einen Mehrbedarf erhalten könnten, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger, besonderer Bedarf bestehe, ein solcher Bedarf bestehe jedoch bei der Klägerin nicht. Die Nutzung von Tinkturen und Salben, die frei verkäuflich in der Apotheke zu erwerben seien, zeige, dass bei der Klägerin keine schwerwiegende Erkrankung bestehe. Im Falle einer schwerwiegenden expandierenden Nagelpilzerkrankung sei eine medikamentöse Behandlung durch verschreibungspflichtige Medikamente angezeigt, die vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt sei. Die Einnahme von Calcium-, Magnesium- und Vitaminpräparaten rechne zum üblichen Bedarf des Alltagslebens, weswegen die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht in Betracht komme.
Gegen das ihr am 19.08.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.09.2010 die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt die Klägerin vor, dass die äußerliche Behandlung ihrer Nagelpilzerkrankung weitergeführt werden solle, da es im Falle einer Beendigung der Behandlung zu einer erneuten Infektion kommen könne. Weitere Kosten entstünden ihr durch die Behandlung der bei ihr bestehenden Osteoporose, durch die Einnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und Biophosphaten sowie die regelmäßige Durchführung von kranken-, geräte- und wassergymnastischen Maßnahmen. Die Kosten überstiegen das im Regelsatz vorgesehene Budget von 4 %.
Die Klägerin beantragt (zweckdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. August 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. Oktober 2009 und unter Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2009 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 einen Mehraufwand für Medikamente i.H.v. 68,- EUR monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf die, aus ihrer Sicht, zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils. Ergänzend bringt sie vor, dass der geltend gemachte Medikamentenbedarf nicht unabweisbar im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II sei. Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente könnten im Rahmen der Härtefallregelung nach deren Sinn und Zweck nicht übernommen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die bei der Beklagten für die Klägerin geführte Leistungsakte, sowie die vom Senat beigezogenen Akten des Verfahrens der Klägerin gegen die Deutsche Rentenversicherung - Bund - (Landessozialgericht Baden- Württemberg - L 10 R 5527/10 -), welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 wurden sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die jedenfalls nach Zulassung durch das SG (§§ 143, 144 Satz 1, Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) statthafte Berufung ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Streitgegenstand des Verfahrens ist nicht lediglich der Bescheid der Beklagten vom 11.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2009, sondern auch der Bewilligungsbescheid vom 27.10.2009. Der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das von der Klägerin aufgrund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende Begehren sowie dem Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll. Bei einem Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage ihre Leistungsansprüche nach dem SGB II unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11 b AS 9/06 R -; Urteil vom 16.05.2007 - B 11 b AS 29/06 R - jeweils veröffentlicht in juris). Zwar können nach der Rechtsprechung des BSG einzelne Streitgegenstände abgetrennt werden, was beispielsweise für die Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt ist, weitere Regelungen können jedoch nicht in unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R - veröffentlicht in juris). Dies gilt auch für eine Leistung für Mehrbedarfe, die nach der Rechtsprechung des BSG Bestandteil der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts, mithin ein Berechnungselement des Gesamtbedarfes, sind (vgl. BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R; Urteil vom 18.02.2010 - B 4 AS 29/09 R - veröffentlicht in juris). Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Beklagte zwar mit dem selbständigen Bescheid vom 11.11.2009 den Antrag der Klägerin auf Anerkennung eines Mehrbedarfes verbeschieden hat, die Entscheidung war jedoch keiner vom Bewilligungsbescheid gelösten Regelung zugänglich (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 04.11.2010 - L 11 AS 759/10 B PKH - veröffentlicht in juris). Nachdem die Klägerin den Antrag unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Bewilligungsbescheid vom 27.10.2009 gestellt hat und der Bescheid vom 11.11.2009 innerhalb der gegen den Bescheid vom 27.10.2009 laufenden Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) erging, ist vorliegend auch der Bescheid vom 27.10.2009 streitgegenständlich. Mithin ist vorliegend die Höhe der der Klägerin in der Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 zu gewährenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts streitgegenständlich.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage in nicht zu beanstandender Weise abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010. Die Klägerin ist als erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II berechtigt, Leistungen nach dem SGB II zu erhalten. Nach § 19 Satz 1 SGB II hat sie Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die monatliche Regelleistung belief sich im streitbefangenen Zeitraum gemäß § 20 Abs. 1 SGB II auf 359,- EUR. Ein weitergehender Anspruch, insb. ein solcher auf Zuerkennung eines Mehrbedarfes für Medikamente, besteht nicht.
Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 09.02.2010 (-1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - veröffentlicht in juris) die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung nach dem SGB II (§ 20 Abs. 2 1. Halbsatz und Abs. 3 Satz 1 SGB II sowie § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 1. Alt. SGB II) als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Es hat dem Gesetzgeber aufgegeben, die Regelleistung in einem verfassungsgemäßen Verfahren bis zum 31.12.2010 neu festzusetzen. Es hat den Gesetzgeber ferner verpflichtet, bis spätestens zum 31.12.2010 eine Regelung im SGB II zu schaffen, die sicherstellt, dass bestehende besondere Bedarfe gedeckt werden, da andernfalls eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes vorläge, die auch nicht vorübergehend hingenommen werden könne. Um dieser Gefahr zu begegnen, müsse in der Übergangszeit bis zur Einführung einer entsprechenden Härtefallklausel die verfassungswidrige Lücke durch eine entsprechende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts geschlossen werden. Die im Urteil vom 9.02.2010 geschaffene Regelung ersetzte für die Zeit bis zur Schaffung einer entsprechenden Härtefallregelung durch den Gesetzgeber im Sinne einer Übergangsregelung die an sich notwendige einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage. Sie galt jedoch nur für die Zeit ab der Verkündung des Urteils und damit nicht für Leistungszeiträume vor dem 9. Februar 2010 (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 24.03.2010 - 1 BvR 395/09 - veröffentlicht in juris). Nachdem der Gesetzgeber den Vorgaben des BVerfG durch die Einfügung von Abs. 6 des § 21 SGB II erst mit Wirkung zum 03.06.2010 durch das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung anderer Gesetze vom 27.05.2010 (BGBl. I S. 671) entsprochen hat, folgt hieraus, dass sich die Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 nicht in § 21 Abs. 6 SGB II, sondern ab dem 09.02.2010 in der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 findet. Nachdem die Anordnung des BVerfG keine Rückwirkung entfaltet hat (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 24.03.2010, a.a.O.) und für die Zeit vor dem 09.02.2010 auch keine (einfachgesetzliche) Anspruchsgrundlage für die Zuerkennung des geltend gemachten Mehrbedarfs für Arzneimittel bestand, kommt dessen Zuerkennung vor dem 09.02.2010 nicht in Betracht.
Nach der Entscheidung des BVerfG kann der pauschale Regelleistungsbetrag des SGB II, im streitbefangenen Zeitraum 359,- EUR monatlich, nach seiner Konzeption nur den durchschnittlichen Bedarf decken. Die Gesamtheit der Regelungen des SGB II erlaubt jedoch in der Regel auch die Deckung eines individuellen, besonderen Bedarfs. Sie ist jedoch hierzu nicht ausnahmslos im Stande. Tritt in Sondersituationen ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf auf, erweist sich die Regelleistung als unzureichend. Da bei einem längerfristigen, dauerhaften Bedarf ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II nicht gewährt werden kann, bedarf es neben den in §§ 20 ff. SGB II vorgegebenen Leistungen noch eines zusätzlichen Anspruchs auf Leistungen bei unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums. Er entsteht erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet, wobei dieser zusätzliche Anspruch angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen besteht (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 -1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - veröffentlicht in juris, dort Rn. 206 ff).
Eine Leistungsgewährung auf Grundlage des Urteils des BVerfG kommt daher nur dann in Betracht, wenn ein unabweisbarer, laufender und besonderer Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums besteht, der so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Hiervon vermag sich der Senat jedoch nicht zu überzeugen.
Die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für Zusatzpräparate für Osteoporose und für Mineralstoffe und Vitamine zur Unterstützung, die sie einnimmt, dienen nicht primär der konkreten Behandlung der Krankheit. Die Behandlung einer Osteoporoseerkrankung im Wege einer Pharmakotherapie erfolgt nach den Leitlinien des Dachverbandes Osteologie e.V. nicht durch freiverkäufliche Arzneimittel, sondern durch Bisphosphonate (Alendronsäure, Ibandronsäure und Risedronat) oder selektive Östrogen Rezeptor Modulatoren. Im Falle einer behandlungsbedürftigen Erkrankung könnte die Klägerin eine entsprechende medikamentöse Therapie - mit den entsprechenden Medikamenten - erhalten. Die geltend gemachten Kosten i.H.v. 75,- EUR (für drei Monate) sind hiernach nicht als solche der Behandlung einer Erkrankung, sondern als allgemeine Gesunderhaltungskosten anzusehen. Diese begründen keinen besonderen Mehrbedarf, da durch einen Verzicht hierauf das menschenwürdige Existenzminimum und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht gefährdet wäre. Es besteht insb. kein verfassungsrechtliches Gebot, im Falle einer Krankheit staatlicherseits alles erhalten zu können, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (st. Rspr. des BVerfG, u.a. Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -; Beschluss vom 05.03.1997 - 1 BvR 1071/95 - jeweils veröffentlicht in juris).
Gleiches gilt für die geltend gemachten weiteren Kosten von 75,- EUR für "freiverkäufliche Arzneimittel". Diesbezüglich ist schon nicht vorgetragen, zu welchem Zweck die Klägerin diese Mittel einnimmt. Nachdem diesbezüglich eine besondere Bedarfslage nicht ersichtlich ist, kommt eine Kostenübernahme auch im Hinblick auf diese Kosten nicht in Betracht.
Soweit die Klägerin schließlich Kosten für die Behandlung einer Nagelpilzerkrankung i.H.v. 54,- EUR für drei Monate, d.h. 18,- EUR monatlich geltend macht, sind auch diese Kosten nicht von der Beklagten zu übernehmen. Der Senat unterstellt hierbei sowohl das Vorliegen der Erkrankung, als auch deren Behandlung durch die Klägerin im Wege einer äußerlichen medikamentösen Therapie als wahr, weswegen weder eine Befragung der behandelnden Ärzte, noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist. Die von der Klägerin geltend gemachten Kosten sind jedenfalls nicht unabweisbar bzw. erheblich i.S.d. vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an die Zuerkennung eines besonderen Bedarfs. Der Regelbedarf von zunächst 345,- EUR beinhaltete in der Abteilung 06 (Gesundheitspflege) 71 % der von der Referenzgruppe durchschnittlich aufgewandten Kosten für Gesundheitspflege von 17,84 EUR monatlich, d.h. einen Betrag von 12,67 EUR. Mithin waren 3,7 % der Regelleistung für Maßnahmen der Gesundheitspflege vorgesehen (vgl. Aufstellung in Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 20 Rn. 24). Bei dem im streitbefangenen Zeitraum zuerkannten Regelsatz von 359,- EUR errechnet sich bei einem gleichbleibenden prozentualen Anteil von 3,7 %, ein Betrag von 13,28 EUR. In Ansehung dieses Betrages verbleibt gegenüber den von der Klägerin geltend gemachten Kosten von 18,- EUR monatlich eine Deckungslücke von 4,72 EUR monatlich. Dass dieser Betrag, der 1,31 % der Regelleistung entspricht, nicht durch anderweitige Einsparungen aufgewandt werden kann, was das BVerfG ausdrücklich als Kriterium angeführt hat, ist dem Senat nicht nachvollziehbar. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Existenzminimums droht der Klägerin durch eine Mittelumschichtung in diesem Umfang nicht. Der geltend gemachte Bedarf der Klägerin für die Kosten der medikamentösen Behandlung der Nagelpilzerkrankung ist mithin jedenfalls nicht unabweisbar. Die Zuerkennung eines Mehrbedarfes kommt daher auch diesbezüglich nicht in Betracht.
Der Bescheid der Beklagten vom 27.10.2009 und der Bescheid vom 11.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2009 erweisen sich mithin als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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