L 3 AS 5425/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 391/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 5425/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 09. September 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Änderung aller ihm gegenüber seit dem 15.01.2008 ergangenen Bescheide der Beklagten und die Erhöhung der ihm gewährten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf ein "mittlerweile angestiegenes umgerechnetes Bruttoeinkommen von 3.061,60 EUR".

Der am 04.11.1954 geborene, alleinstehende Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 01.10.2005, mit einer Unterbrechung von März 2007 bis einschließlich Januar 2008, in der er erwerbstätig war, Leistungen nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 10.09.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.10.2008 bis 31.01.2009 i.H.v. 231,- EUR monatlich, wobei sie dessen Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit im Umfang von 120,- EUR in Abzug brachte. Mit Bescheiden vom 04.12.2008 hob die Beklagte die Bewilligungsentscheidung vom 10.09.2008 für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.03.2009 jeweils im Umfang von 10 v.H. der maßgebenden Regelleistung i.H.v. 35,- EUR monatlich auf. Sie hat ihre Entscheidungen damit begründet, dass der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu Meldeterminen am 20.10.2008 und am 27.10.2008 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei. Den hiergegen jeweils eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 11.12.2008, die jeweils am gleichen Tag zur Post aufgegeben wurden, als unbegründet zurück. Mit Bescheid vom 26.01.2009 entschied die Beklagte, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01.02.2009 ganz zu entziehen. Zur Begründung führte sie an, die von ihr mit Schreiben vom 10.12.2008 angeforderten fehlenden Unterlagen seien trotz Belehrung über die Rechtsfolgen vom Kläger nicht vorgelegt worden. Hierdurch sei dieser seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und habe die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Mit Bescheid vom 06.02.2009 bewilligte die Beklagte sodann vorläufig für die Zeit vom 01.02.2009 bis 31.03.2009 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 281,- EUR monatlich. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 zurück.

Am 01.02.2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, mit der er die Änderung aller Bescheide seit dem 15.01.2008 und die Erhöhung seines "monatlichen Schecks auf ein mittlerweile angestiegenes umgerechnetes Bruttoeinkommen von 3.061,60 EUR" geltend gemacht hat. Die gleichzeitig erhobene Klage auf Schadensersatz gegen die Beklagte wegen Untätigkeit, Rechtsbeugung, Betruges, Beihilfe zum Betrug, unzulässiger Rechtsausübung, Begünstigung und Unterlassung der Einlegung von Rechtsmitteln gegen eine Zeitarbeitsfirma hat das SG durch Beschluss vom 27.02.2009 an das Landgericht Ravensburg verwiesen. Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger seine E-Mail-Korrespondenz mit verschiedenen Dienststellen der Beklagten vorgelegt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat hierzu vorgebracht, dass die am 01.02.2009 erhobene Klage außerhalb der einmonatigen Klagefrist gegen die Widerspruchsbescheide vom 11.12.2008 erhoben sei. Soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 27.01.2009 richte, dürfte sich diese zwischenzeitlich erledigt haben, da dem Kläger Leistungen vorläufig weiterbewilligt worden seien. Auch soweit der Kläger gegen alle Bescheide seit dem 15.01.2008 Klage erhoben habe, sei die Klage unzulässig, da sämtliche Bescheide bestandskräftig seien und das Gericht nicht einfach zur Überprüfung bestandskräftiger Entscheidungen angerufen werden könne.

Am 30.12.2009 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) für alle bereits bestandskräftigen SGB II-Bewilligungsbescheide. Zu dessen Begründung brachte der Kläger vor, dass das Bundesverfassungsgericht am 20.10.2009 mündlich über Verfassungsbeschwerden betreffend der Höhe des Leistungssatzes nach dem SGB II verhandelt habe. Er führte ferner an, "eine vorherige Entscheidung durch" die "Behörde" sei "aufgrund der offenen Rechtsfrage unsinnig und würde meinerseits zu einem weiteren Widerspruch und eventuell Klage führen". Mit Bescheid vom 19.01.2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung führte sie an, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass die Bescheide aus den Jahren 2005 bis 2010 ergeben habe, dass diese nicht zu beanstanden seien. Ein Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.01.2010 ist nicht aktenkundig.

Vor dem SG wurde gegen den Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 unter dem Az.: S 3 AS 825/09 ein Klageverfahren geführt.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei nur die Überprüfung früherer Bescheide und die Gewährung höherer Leistungen. Die gleichzeitig eingelegte Schadensersatzklage sei an das Landgericht Ravensburg verwiesen worden. Der so umgrenzte Klagegegenstand sei jedoch unzulässig. Die gerichtliche Überprüfung von Bescheiden der Beklagten sei nur im durch das Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgegebenen Rahmen möglich. Eine Anfechtungs- und Leistungsklage sei fristgebunden, sie könne jeweils nur innerhalb der in § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG bestimmten Monatsfrist zulässigerweise erhoben werden. Im vorliegenden Verfahren könnten allenfalls noch Bescheide überprüft werden, welche dem Kläger innerhalb eines Monats vor Klageerhebung bekannt gegeben worden seien. Alle übrigen Bescheide seien nach § 77 SGG bindend geworden und unterlägen keiner gerichtlichen Kontrolle mehr. Dies gelte auch für die Widerspruchsbescheide vom 11.12.2008, welche mit dem 14.12.2008 als zugegangen gälten. Die einmonatige Klagefrist diesbezüglich sei am 14.01.2009 abgelaufen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist seien weder dargetan noch ersichtlich. Auch der innerhalb der einmonatigen Frist vor Klageerhebung ergangene Versagungsbescheid könne in Ermangelung eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht gerichtlich überprüft werden, da der Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Klage könne, nachdem die Beklagte am 06.02.2009 einen Bewilligungsbescheid erlassen habe, zu keiner rechtlichen oder wirtschaftlichen Besserstellung des Klägers führen. Die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes könne gleichermaßen nicht zulässigerweise verfolgt werden, da die Bestandskraft der getroffenen Entscheidungen einer entsprechenden gerichtlichen Überprüfung entgegenstehe. Auch könne die Klageerhebung nicht als Überprüfungsantrag gewertet werden, da die vorherige Beantragung der Überprüfung der Bescheide bei der Beklagten eine nicht nachholbare Klagevoraussetzung sei. Auch könne die Klagen nicht in einen Widerspruch gegen nach Klageerhebung ergangene Entscheidungen, gegen die ebenfalls zunächst ein Widerspruchsverfahren durchzuführen sei, umgedeutet werden, weil Widersprüche vor Ergehen des Verwaltungsaktes stets unzulässig seien.

Gegen den am 20.09.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.10.2010 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung hat er wiederum seinen E-Mail-Verkehr mit der Beklagten vorgelegt, in welchem keine Bezüge zum angefochtenen Gerichtsbescheid beinhaltet sind.

Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 09. September 2010 aufzuheben und alle Bescheide der Beklagten seit dem 15. Januar 2008 abzuändern und die ihm gewährten monatlichen Leistungen unter Zugrundelegung eines umgerechneten Bruttoeinkommens von 3.061,60 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides sowie ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die bei der Beklagten für den Kläger geführten Leistungsakten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 wurden sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens wird durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das vom Kläger aufgrund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende Begehren sowie dem Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll. Mit seinem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, alle Bescheide der Beklagten seit dem 15. Januar 2008 abzuändern und die ihm gewährten monatlichen Leistungen unter Zugrundelegung eines umgerechneten Bruttoeinkommens von 3.061,60 EUR zu gewähren, macht der Kläger (höhere) Leistungen nach dem SGB II geltend. Im Klagesystem des SGG ist dieses Begehren im Wege einer Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG zu verfolgen.

Die Bewilligungsbescheide der Beklagten seit 15.02.2008 sind durchgängig bestandkräftig geworden. Sie sind für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG). Zwar ist der jeweilige Bewilligungsbescheid gemäß § 44 SGB X, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Eine Klage, die auf die Verpflichtung einer Behörde zur Zurücknahme von Verwaltungsakten gerichtet ist, ist nur zulässig, wenn vor Klageerhebung bei der erlassenden Behörde ein Überprüfungsantrag gestellt, dieser abgelehnt oder nicht beschieden und sodann ein Widerspruchsverfahren (erfolglos) durchgeführt wurde. Eine direkte Anrufung der Sozialgerichte mit dem Ziel, ohne vorherige Behördenentscheidung, bestandskräftige Bescheide nach § 44 SGB X zurückzunehmen, ist nicht zulässig. Dies folgt bereits aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der gebietet, dass sich zunächst die Verwaltung mit (vermeintlichen) Ansprüchen des einzelnen befasst. Ein solches Verfahren wurde vor Erhebung der Klage am 01.02.2009 nicht durchgeführt. Soweit der Kläger erst am 30.12.2009 einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt hat, wurde dieser durch die Beklagte mit Bescheid vom 19.01.2010 abgelehnt. Ein Widerspruch hiergegen ist nicht ersichtlich. Der Bescheid vom 19.01.2010 ist auch nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Der Bescheid hat einen (nicht existenten) Bescheid weder abgeändert noch ersetzt.

Soweit sich das klägerische Begehren auch dagegen richtet, dass die Beklagte mit Bescheiden vom 04.12.2008 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.03.2009 jeweils im Umfang von 10 v.H. der maßgebenden Regelleistung, d.h. i.H.v. insg. 70,- EUR monatlich aufgehoben hat, ist die Klage gleichfalls unzulässig. Gemäß §§ 87 Abs. 1, Abs. 2 SGG ist die Klage binnen eines Monats ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben. Die Beklagte hat die Widersprüche des Klägers mit Widerspruchsbescheiden vom 11.12.2008 zurückgewiesen und diese am gleichen Tag zur Post aufgegeben. Gemäß § 37 Abs. 2 SGB X gelten sie am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, d.h. am 14.12.2008 als bekanntgegeben. Die Klagefrist begann gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 15.12.2008 zu laufen, sie endete gemäß § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf des 14.01.2009. Da die Klage jedoch erst am 01.02.2009, d.h. außerhalb der Frist erhoben wurde, ist die Klage auch insofern unzulässig. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) sind weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich. Überdies ist eine Wiedereinsetzung nicht beantragt worden.

Schließlich hat das SG zutreffend entschieden, dass die Klage, auch soweit sie sich gegen den Versagungsbescheid vom 26.01.2009 richtet, unzulässig ist, da ihr das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt, nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 06.02.2009 Leistungen nach dem SGB II bewilligt hat.

Mithin hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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