L 4 P 5525/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 P 2699/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 5525/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt, ihr Pflegegeld nach der Pflegestufe I auch für die Zeit vom 14. Mai bis 30. September 2008 zu zahlen.

Die am 1928 geborene Klägerin, die versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist, leidet an einer Demenzerkrankung. Sie beantragte am 14. Mai 2008 Geldleistungen. Es bestehe ein vollständiger Hilfebedarf beim Duschen/Baden einmal wöchentlich. In dem daraufhin von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 3. Juli 2008 schätzte Pflegefachkraft E., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), den Zeitbedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 14 Minuten täglich (Körperpflege zehn Minuten, Ernährung drei Minuten, Mobilität eine Minute). Die Klägerin benötige Hilfe beim Waschen des Rückens und der Beine sowie beim Halbieren der Brote und beim Kleinschneiden von Fleisch. Die weitere Körperwäsche werde selbstständig durchgeführt. Das Einschenken von Getränken, das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe sowie Aufstehen, Stehen und Gehen mit Gehstock innerhalb der Wohnung sei selbstständig möglich. Der Faustschluss sei komplett. Nacken- und Schürzengriff seien durchführbar. Beim Bücken komme die Klägerin mit den Händen bis zum Knöchel. Die Klägerin sei in der Wohnung sowie in der Umgebung orientiert. Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 22. Juli 2008 ab, "Pflegeleistungen" zu zahlen.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie legte das Pflegetagebuch für die Zeit vom 29. August bis 5. September 2008 vor. Wegen Angstzuständen könne sie kaum mehr alleine sein. Ihre Tochter, die die Pflege durchführe, sei berufstätig und ca. 12 Stunden täglich außer Haus. Sie (die Klägerin) verlasse das Haus, lasse die Haustür offen und traue sich nicht allein wieder zurück. Auch mache sie den Herd oder das Bügeleisen an und verlasse in Panik das Haus. Pflegefachkraft K., MDK, bestätigte in ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 16. Oktober 2008 den von Pflegefachkraft E. angenommenen Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege von 14 Minuten. Die im Pflegetagebuch genannten Hilfestellungen entsprächen weitgehend denen, die auch in dem Gutachten erfasst seien. Die im Pflegetagebuch gemachten Angaben zum Zeitaufwand sowie zum Hilfebedarf seien aufgrund der durchaus vorhandenen Ressourcen der Klägerin nicht plausibel. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin unter Bezugnahme auf die Gutachten der Pflegefachkräfte E. und K. zurück (Widerspruchsbescheid vom 19. März 2009).

Gegen den am 21. März 2009 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin, die sich ab Oktober 2008 in Tagespflege befand, am 20. April 2009 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Bereits seit 14. Mai 2008 lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe I vor. Die Einnahme der verschiedenen Medikamente müsse überwacht werden. Wegen einer beidseitigen Gonarthrose könne sie nur kurze Wegstrecken gehen. Sie sei phasenweise verwirrt und häufig selbst in der eigenen Wohnung orientierungslos. Wegen der Berufstätigkeit ihrer Tochter werde sie tagsüber in einem Pflegeheim betreut. Sie legte den Pflegebericht des Heim- und Pflegedienstleiters S.-E. vom 10. Februar 2009, das Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Bu. vom 23. März 2009, Arztbriefe der Neurologin und Psychiaterin Dr. R. vom 22. Januar und 7. März 2009 (Diagnose vaskuläre Demenz bzw. demenzielle Entwicklung) sowie Rechnungen des Deutschen Roten Kreuz über die Tagespflege vom 21. Oktober 2008 bis 28. Februar 2009 vor.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. Br., MDK, nach Untersuchung der Klägerin das Gutachten vom 20. Mai 2009. Er schätzte den Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege seit 1. Oktober 2008 (Beginn der Tagespflege) auf 48 Minuten (Körperpflege 26 Minuten, Ernährung drei Minuten, Mobilität 19 Minuten) und für die Hauswirtschaft auf 60 Minuten. Im Vordergrund stehe die demenzielle Entwicklung, die innerhalb des letzten Jahres erheblich zugenommen habe. Die Beklagte erklärte sich bereit, ab 1. Oktober 2008 "gesetzliche Leistungen in Höhe der Pflegestufe I zur Verfügung zu stellen" (Schriftsatz vom 22. Mai 2009) und bewilligte u.a. Kombinationsleistungen und Pflegegeld nach der Pflegestufe I (Bescheide vom 3. März 2010). Aufgrund eines Höherstufungsantrag der Klägerin bewilligte die Beklagte der Klägerin (mit einem nicht in den vorliegenden Akten enthaltenen Bescheid) ab 1. Januar 2010 Pflegegeld nach der Pflegestufe II.

Die Klägerin hielt an ihrem ursprünglichen Begehren fest, sie sei bereits seit der Antragstellung (14. Mai 2008) gesundheitlich so beeinträchtigt, dass ihr ab diesem Zeitpunkt "Pflegestufe I" zustehe. Sie legte das weitere Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Bu. vom 26. Juni 2009 vor.

Das SG hörte Dr. R. und Dr. Bu. als sachverständige Zeugen. Dr. R. (Auskunft vom 9. August 2009) gab an, bei den Untersuchungen am 20. Januar und 4. März 2009 sei die Klägerin in allen Qualitäten nicht voll orientiert gewesen. Die Klägerin benötige Hilfestellungen bei allen alltäglichen Verrichtungen. Gegenüber einer Voruntersuchung von Juni 2006, bei welcher bereits Demenzsymptome vorhanden gewesen seien, sei eine erhebliche Verschlechterung eingetreten. Dr. Bu. (Auskunft am 26. August 2009 beim SG eingegangen) gab an, die demenzielle Entwicklung habe seit April 2008 deutlich zugenommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. Oktober 2010 verurteilte das SG die Beklagte gemäß ihrem Teilanerkenntnis vom 22. Mai 2009, der Klägerin ab dem 1. Oktober 2008 Leistungen bei häuslicher Pflege nach Pflegestufe I nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren und wies im Übrigen die Klage ab. Zur Begründung der Abweisung der Klage hinsichtlich des Zeitraums vom 14. Mai bis 30. September 2008 führte es aus, vor dem 1. Oktober 2008 habe der grundpflegerische Hilfebedarf der Klägerin nicht die notwendigen 46 Minuten erreicht. Das Gutachten der Pflegefachkraft E. vom 3. Juli 2008 sei schlüssig und nachvollziehbar. Dass die Klägerin bereits damals wegen ihrer Demenz eine erhebliche allgemeine Beaufsichtigung und Betreuung benötigt habe, sei für die Ermittlung des verrichtungsbezogenen Grundpflegebedarfs nicht erheblich. Auch sei die demenzielle Entwicklung im Sommer 2008 noch nicht so weit fortgeschritten gewesen, dass erheblichere Auswirkungen auf die Grundpflege bestanden hätten, als dies der MDK damals festgestellt habe. Die Klägerin sei bei der Untersuchung am 30. Juni 2008 noch zu allen drei Qualitäten orientiert gewesen. Lediglich die Merkfähigkeit sei eingeschränkt gewesen. Dass im Sommer 2008 noch kein Grundpflegebedarf von 46 Minuten bestanden habe, ergebe sich auch aus den Angaben der Klägerin. In ihrem Antrag vom 14. Mai 2008 habe sie ausschließlich einen einmal wöchentlichen Hilfebedarf beim Duschen bzw. Baden angegeben. Die im Pflegetagebuch erheblich höheren angegebenen Zeitwerte, könnten nur zu einem Teil berücksichtigt werden. Dass vor dem 1. Oktober 2008 keine Pflegebedürftigkeit im Rechtssinne bestanden habe, ergebe sich im Rückschluss auch aus dem weiteren Gutachten vom 20. Mai 2009. Stelle man beide Gutachten des MDK gegenüber, zeige sich, dass das pflegebegründende Krankheitsbild der Klägerin anscheinend mit erheblicher Geschwindigkeit verlaufen sei. Dies werde auch durch die Aussagen der behandelnden Ärzte bestätigt.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 5. November 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 1. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Dr. Bu. habe im Attest vom 26. Juni 2009 ausdrücklich bestätigt, dass ihr Gesundheitszustand bereits im Zeitraum vom 14. Mai bis 30. September 2008 so schlecht gewesen sei, dass er damals schon die Einstufung in die Pflegestufe I für erforderlich gehalten habe. Die Einschätzungen der Pflegefachkräfte E. und K. seien unzutreffend. Der von Dr. Br. eingenommene Zeitpunkt für die Pflegestufe I mit dem 1. Oktober 2008 sei willkürlich. Das SG hätte Dr. Bu. und Dr. R. in einer mündlichen Verhandlung als sachverständige Zeugen vernehmen müssen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 14. Mai bis 30. September 2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu zahlen, hilfsweise Herrn Dr. Bu. als sachverständigen Zeugen zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung verblieben, dass für die Zeit vor dem 1. Oktober 2008 ein Hilfebedarf im Umfang der Pflegestufe I nicht bestanden habe und sich auch nicht aus dem Attest des Dr. Bu. ergebe.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten, der beigezogenen Rentenakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nicht gegeben. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von EUR 750,00 ist überschritten. Für den Zeitraum vom 14. Mai bis 30. September 2008 ergibt sich ein Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von EUR 966,17 (EUR 116,17 für die Zeit vom 14. bis 31. Mai 2008 (17/30 von EUR 205,00), EUR 205,00 für den Monat Juni 2008 sowie EUR 645,00 für die Monate Juli bis September 2008 (3 × EUR 215,00)).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage hinsichtlich des Zeitraums vom 14. Mai bis 30. September 2008 zu Recht abgewiesen. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2009 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, weil die Klägerin für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I hatte.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, veröffentlicht in juris).

Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I in der Zeit vom 14. Mai bis 30. September 2008, weil in diesem Zeitraum der erforderliche Zeitaufwand für die im Gesetz abschließend genannten Verrichtungen der Grundpflege (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 2) nicht mindestens 46 Minuten täglich betrug. Bei der Klägerin liegt eine Demenzerkrankung vor. Die Demenzerkrankung war zum Zeitpunkt der Antragstellung am 14. Mai 2008 noch nicht soweit fortgeschritten, dass die Klägerin in größerem Umfang Hilfe bei den im Gesetz abschließend genannten Verrichtungen bedurfte. Wie das SG stützt sich auch der Senat auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten der Pflegefachkraft E. vom 3. Juli 2008. Der von Pflegefachkraft E. geschätzte Zeitaufwand von 14 Minuten erscheint plausibel. Die Klägerin war im streitigen Zeitraum noch in der Lage, die Verrichtungen der Grundpflege selbstständig auszuführen. Sie benötigte allenfalls Unterstützung. Die von der Gutachterin erhobenen Befunde zeigen, dass die Klägerin zwar in ihrer Mobilität eingeschränkt war, jedoch im Bereich der oberen Extremitäten keine erhebliche Bewegungseinschränkungen bestanden sowie innerhalb der Wohnung ein selbstständiges Stehen und Gehen möglich war. Da nur die bei den Katalogverrichtungen anfallenden notwendigen Hilfeleistungen berücksichtigungsfähig sind, muss ein nicht verrichtungsbezogener Aufsichtsbedarf ("allgemeiner Aufsichts- und Betreuungsbedarf") bei der Ermittlung des Pflegebedarfs außer Ansatz bleiben (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8).

Dass die Klägerin noch in der Lage war, die Verrichtungen der Grundpflege mit Unterstützung selbstständig auszuführen, wird zum einen bestätigt durch die Angaben der Klägerin im Antrag vom 14. Mai 2008. Dort nannte sie als einzige Verrichtung, bei der sie der Hilfe bedurfte, das Waschen/Baden. In Übereinstimmung hiermit nannte Pflegefachkraft E. in ihrem Gutachten vom 3. Juli 2008 den hauptsächlichen Hilfebedarf in Form der Teilübernahme beim Waschen und Baden. Zum anderen wird dies durch das im Widerspruchsverfahren der Beklagten vorgelegte Pflegetagebuch bestätigt. Aus diesem Pflegetagebuch ergibt sich zunächst ebenfalls, dass die Klägerin überwiegend nur der Beaufsichtigung und nicht der Übernahme der Verrichtungen bedurfte, diese aber noch selbstständig durchführen konnte.

Die Angaben der Klägerin in dem der Beklagten vorgelegten Pflegetagebuch sind deshalb nicht geeignet, einen Hilfebedarf in einem Umfang von mindestens 46 Minuten täglich zu begründen. Die im Pflegetagebuch angegebenen Zeitwerte sind vielmehr zu hoch. Ein im Pflegetagebuch angegebener Zeitaufwand für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist - wie das SG zutreffend dargelegt hat - überhaupt nicht berücksichtigungsfähig. Denn Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn. 5 und 6 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist u.a. nur dann gegeben, wenn ein mindestens einmal wöchentlicher Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederauf-suchen der Wohnung für Arztbesuche oder das Aufsuchen ärztlich verordneter Behandlungen gegeben ist. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Klägerin noch den vorliegenden Akten.

Das von der Klägerin vorgelegte Attest des Dr. Bu. vom 26. Juni 2009 (Bl. 53 der SG-Akte) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Aus diesem Attest ergibt sich zwar, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit März 2007 deutlich verschlechtert hat und die Verschlechterung weiter zunimmt, weshalb er die Pflegestufe I befürwortet. Entsprechendes hat er auch in der gegenüber dem SG abgegebenen Auskunft als sachverständiger Zeuge angegeben (Zunahme der demenziellen Erkrankung seit April 2008). Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands gab auch die behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. R. an und kommt auch in dem Gutachten des Dr. Br. vom 20. Mai 2009 zum Ausdruck. Mit der stetigen Verschlechterung der demenziellen Erkrankung nahm auch der Hilfebedarf zu, weil ein vermehrtes Anleiten der Klägerin, die Verrichtungen der Grundpflege durchzuführen, erforderlich wurde. Der exakte Zeitpunkt, zu welchem wegen der Verschlechterung der Erkrankung der für die Pflegestufe I notwendige Zeitaufwand von 46 Minuten erreicht war, lässt sich nachträglich nicht feststellen. Jedenfalls der Beginn der Tagespflege im Oktober 2008 machte aber deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt der Pflegebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege in diesen Bereich angestiegen war. Im Hinblick auf die Angaben der Klägerin im Antrag vom 14. Mai 2008 und im Pflegetagebuch sowie die von Pflegefachkraft E. im Gutachten vom 3. Juli 2008 angegebenen Befunde ist allerdings nicht erkennbar, worauf Dr. Bu. seine ohne nähere Begründung abgegebene Auffassung, die Klägerin habe bereits im streitigen Zeitraum in eine Pflegestufe eingestuft werden müssen, tatsächlich stützen will. Die Zunahme der demenziellen Entwicklung allein reicht auch nicht aus, um die Voraussetzungen zumindest der Pflegestufe I zu erfüllen, wenn der Versicherte noch in der Lage, die Verrichtungen der Grundpflege selbstständig auszuführen.

Bei dieser Sachlage war eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen, insbesondere eine nochmalige Anhörung des Dr. Bu. als sachverständiger Zeuge, nicht notwendig. Es ist zudem nicht erkennbar, zu welchen Tatsachen Dr. Bu. nochmals als sachverständiger Zeuge hätte gehört werden sollen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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