Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 4268/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3686/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10. Juli 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2007 und des Änderungsbescheides vom 22. November 2010 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag für die Monate Oktober 2006 bis Januar 2007 und März 2007 sowie die damit verbundene Rückforderung in Höhe von 1.225 Euro.
Der 1969 geborene Kläger ist seit dem 28. April 2005 verheiratet und hat mit seiner Ehefrau drei Kinder, den 1996 geborenen Ar., den geborenen Arb. und die 2003 geborene An ... Er ist bei der Firma Ho. GmbH (Oberflächentechnik) als Schichtarbeiter beschäftigt und erhält (bei im hier maßgeblichen Zeitraum gleichbleibendem Stundenlohn) u.a. Schichtzulagen, aufgrund derer sein monatliches Arbeitseinkommen Schwankungen unterliegt. Im September 2005 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung eines Kinderzuschlags. In diesem Zusammenhang legte er seine Gehaltsabrechnungen vor, wonach er in den Monaten Januar bis Oktober 2005 folgendes Arbeitseinkommen erzielte:
brutto netto Januar 2005 1.926,62 Euro 1.358,79 Euro Februar 2005 1.678,72 Euro 1.203,58 Euro März 2005 1.997,61 Euro 1.359,85 Euro April 2005 1.906,15 Euro 1.365,55 Euro Mai 2005 2.186,32 Euro 1.445,66 Euro Juni 2005 2.045,60 Euro 1.446,22 Euro Juli 2005 2.030,21 Euro 1.591,51 Euro August 2005 1.835,14 Euro 1.464,32 Euro September 2005 2.058,80 Euro 1.629,95 Euro Oktober 2005 1.963,60 Euro 1.578,37 Euro
Mit Bescheid vom 29. November 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Kinderzuschlags für die Zeit von Januar bis September 2005 ab, weil das Einkommen und/oder Vermögen des Klägers den Gesamtbedarf übersteige. Mit Bescheid vom gleichen Tag bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Kinder Ar., Arb. und An. einen Kinderzuschlag in Höhe von 245,00 Euro monatlich für die Zeit ab Oktober 2005.
Am 1. Februar 2007 gingen bei der Beklagten ein vom Kläger ausgefüllter Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag sowie Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar, Februar, April, September, Oktober, November und Dezember 2006 ein. Nach Aufforderung der Beklagten legte der Kläger außerdem die Gehaltsabrechnungen für Januar bis März 2007 vor. Daraus ergibt sich folgendes Arbeitseinkommen des Klägers:
brutto netto Januar 2006 1.650,51 Euro 1.321,25 Euro Februar 2006 1.841,22 Euro 1.478,29 Euro April 2006 1.860,98 Euro 1.490,59 Euro September 2006 1.837,29 Euro 1.429,62 Euro Oktober 2006 2.400,16 Euro 1.918,51 Euro November 2006 2.854,56 Euro 2.175,61 Euro Dezember 2006 2.374,21 Euro 1.961,68 Euro Januar 2007 1.976,42 Euro 1.598,72 Euro Februar 2007 1.912,18 Euro 1.550,87 Euro März 2007 2.002,65 Euro 1.641,97 Euro
Diese Beträge enthielten u.a. steuerfreie Nachtzulagen bzw. Schicht- oder Feiertagszuschläge, nämlich im Oktober 2006 375,65 Euro, im November 2006 278,71 Euro, im Dezember 2006 353,26 Euro, im Januar 2007 202,17 Euro, im Februar 2007 195,76 Euro und im März 2007 293,88 Euro.
Im April 2007 stellte die Beklagte die Gewährung von Kinderzuschlag ein. Außerdem hob sie mit Bescheid vom 4. Juni 2007 die Bewilligung des Kinderzuschlags gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab Oktober 2006 auf, weil das Einkommen und/oder Vermögen den Gesamtbedarf überstiegen habe. Es lägen keine besonderen Umstände vor, nach denen von einer Aufhebung für die Vergangenheit abgesehen werden könne. Der Kinderzuschlag sei deshalb in Höhe von 1.470,00 Euro zu Unrecht gezahlt worden. Dieser Betrag sei gemäß § 50 SGB X zu erstatten.
Am 20. Juni 2007 legte der Kläger hiergegen mit der Begründung Widerspruch ein, dass in dem angefochtenen Bescheid Ermessenserwägungen vollständig fehlten. Zum Anderen seien die Tatbestandsvarianten der Nummern 1 bis 4 nicht einschlägig. Die Regelungen zum Kinderzuschlag seien so kompliziert gefasst, dass sie selbst für einen Fachmann nur schwer zu überblicken seien. Zudem sei zu berücksichtigen, dass seine monatlichen Tankkosten für den Weg zu seinem Arbeitsplatz als berufsbedingte Aufwendungen zu berücksichtigen seien. Auch seien seine monatlichen Aufwendungen für die Kfz-Steuer in Höhe von 9,75 Euro, für die Kfz-Haftpflicht in Höhe von monatlich 55,48 Euro und für die Rechtsschutzversicherung in Höhe von 27,00 Euro zu berücksichtigen. Dieser Betrag reiche freilich noch nicht aus, um bei Bereinigung des Einkommens ein Nettoeinkommen zu erreichen, das unterhalb des Bedarfs der Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) liege. Es handle sich hierbei jedoch um Beträge, die im zwei- bzw. einstelligen Eurobereich schwankten. In diesem Zusammenhang sei noch darauf hinzuweisen, dass er nur wegen eines um 4,04 Euro zu niedrigen Einkommens überhaupt Kinderzuschlag erhalten habe. Es sei daher unverständlich, weshalb er nicht darauf hingewiesen worden sei, dass er bereits bei einer geringfügigen Erhöhung seiner Bezüge wieder aus dem Kinderzuschlag herausfallen werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2007 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 SGB X der Verwaltungsakt rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben sei, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Grob fahrlässig in diesem Sinne handle, wer in besonders schwerem Maße die erforderliche Sorgfaltspflicht verletze, wer einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstelle, also nicht beachte, was jedem einleuchten müsse. Dies sei in der Regel der Fall, wenn eindeutige Hinweise in Vordrucken, Merkblättern sowie mündliche Belehrungen nicht beachtet würden. Nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) seien Leistungsempfänger verpflichtet, alle Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich seien, unverzüglich mitzuteilen. Dieser Verpflichtung sei der Kläger nicht nachgekommen. Im Übrigen sei Einkommen erzielt worden, das zum Wegfall der Leistung geführt habe. Es habe sich nicht um eine geringfügige Erhöhung des Einkommens gehandelt, vielmehr habe der Widerspruchsführer ein wesentlich höheres Einkommen als bei der Ausgangsberechnung erzielt.
Hiergegen hat der Kläger am 28. November 2007 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) mit der Begründung erhoben, die Beklagte habe nicht erkannt, dass ihr ein Ermessen zustehe. Des Weiteren sei für ihn nicht nachvollziehbar, wie ihm vorgehalten werden könne, er habe für ihn nachteilige Änderungen mitteilen müssen. Zudem habe er aufgrund des missratenen Gesetzes nicht wissen können, auf welche Kriterien es überhaupt ankomme. Außerdem habe er auf Anforderung der Beklagten Lohnabrechnungen vorgelegt, worauf keine umgehende Reaktion erfolgt sei. Letztlich sei von einem atypischen Fall auszugehen. Seine besondere Betroffenheit ergebe sich aus der begrenzten Einkommenslage bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 2.000,00 Euro. Für ihn sei die Berechnung des Kinderzuschlags nicht nachvollziehbar. Er stamme aus dem Kosovo und sei als Flüchtling nach Deutschland gekommen, weshalb er sich mit geschriebenen Texten ausgesprochen schwer tue. Für ihn sei der Vergleich zu Arbeitskollegen maßgeblich. Weiter trete hinzu, dass sich die Beklagte ein Fehlverhalten anrechnen lassen müsse. Sie habe ihn zur Hereingabe von Lohnabrechnungen aufgefordert, ohne ihn darauf hinzuweisen, dass infolge des erhöhten Nettogehalts der Kinderzuschlag in Wegfall geraten könne. Zudem sei nicht darauf hingewiesen worden, dass nach den eingeholten Lohnabrechnungen der Kinderzuschlag bereits entfallen sei. In der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2008 hat der Kläger zudem darauf hingewiesen, dass das Fahrgeld nicht richtig berechnet worden sei. Mit Urteil vom 10. Juli 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gegeben sei. Es liege auch kein atypischer Fall vor, bei dem die Behörde Ermessen auszuüben habe. Auch ein mitwirkendes Fehlverhalten auf Seiten der Beklagten könne nicht festgestellt werden.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 22. Juli 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. August 2009 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit der Begründung Berufung eingelegt, dass die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vorliegend unbillig sei, weil ein Missverhältnis zwischen dem Rückforderungsbetrag und dem geringfügig höheren Verdienst des Klägers bestehe. In diesem Zusammenhang werde auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. März 1995 (13 RJ 39/94) verwiesen. Danach sei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X restriktiv auszulegen. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sowie der Entscheidung des BSG vom 12. Dezember 1995 (10 RKg 9/95) sei zu ermitteln, wie viel der Kläger zu viel verdient habe; lediglich in Höhe dieses "Doppelverdienstes" könne für die Vergangenheit aufgehoben werden. Zu der Frage, ob die vom 13. Senat des BSG aufgestellten Grundsätze zum Altersruhegeld auch auf den Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) bzw. dessen Rückforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X übertragen werden können, sei bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung vorhanden. Im Übrigen habe er keinen Lohnzuschlag von 500,00 Euro bekommen. Sein Stundenlohn von 9,48 Euro sei unverändert geblieben. Der höhere Hinzuverdienst hänge allein mit der Mehrarbeit des Klägers zusammen. Insofern könne keine grobe Fahrlässigkeit erkannt werden. Die bloße Lektüre des Merkblatts zum Kinderzuschlag ermögliche es noch nicht, die Berechnung des Kinderzuschlags zu verstehen.
Auf gerichtliche Anforderung der noch fehlenden Berechnungsbögen für die Monate Januar bis März 2007 teilte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. November 2010 mit, dass entgegen ihrer bisherigen Annahme für den Monat Februar 2007 die Voraussetzungen für die Gewährung von Kinderzuschlag erfüllt seien. Mit Bescheid vom 19. November 2010 änderte die Beklagte den Bescheid vom 4. Juni 2007 dahingehend ab, dass sich für den Monat Februar 2007 ein Anspruch auf Kinderzuschlag in Höhe von 245 Euro ergebe. Mit Änderungsbescheid vom 22. November 2010 hob die Beklagte die Bewilligung des Kinderzuschlags für die Zeit von Oktober 2006 bis Januar 2007 und ab März 2007 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X in vollem Umfang auf und reduzierte die Rückforderung vom 4. Juni 2007 um 245 Euro auf 1.225 Euro.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2007 und des Änderungsbescheides vom 22. November 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Es liege kein atypischer Fall vor, der für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligungsentscheidung eine Ermessensausübung erfordern würde. Dafür, dass der Kläger im Vergleich zu anderen Erstattungspflichtigen in besondere Bedrängnis gerate, sei nichts ersichtlich. Es sei auch zu berücksichtigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag Zahlungserleichterungen gewährt werden könnten. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BSG zur Altersrente könne nicht ohne Weiteres auf den Kinderzuschlag übertragen werden. Die Altersrente werde aufgrund der erworbenen Rentenanwartschaften mit einem festen Betrag bewilligt. Lediglich die gesetzlich vorgesehene Zuverdienstgrenze dürfe nicht überschritten werden. Werde diese Zuverdienstgrenze überschritten, entfalle der gesamte Rentenanspruch. Der Anspruch auf Kinderzuschlag sei von dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen des Antragstellers abhängig. Selbst wenn die Grundsätze des Urteils zur Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf den vorliegenden Fall anwendbar wären, hindere das nicht an einer weitergehenden Aufhebung des Bewilligungsbescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Der Kläger habe in seinem Antrag auf Kinderzuschlag vom 21. September 2005 erklärt und mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Familienkasse unaufgefordert und unverzüglich mitteilen werde, sowie dass er das Merkblatt über den Kinderzuschlag bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe. Darin werde über die Bedeutung des Einkommens für den Kinderzuschlag informiert und in Punkt 7. darauf hingewiesen, dass Änderungen in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Familienkasse unverzüglich mitzuteilen seien. Aus der Tatsache, dass sein Antrag auf Kinderzuschlag für die Monate Januar bis September 2005 mit der Begründung abgelehnt worden sei, sein Einkommen übersteige den Gesamtbedarf, habe der Kläger unschwer erkennen können, dass bei der Erhöhung seines Verdienstes ab Oktober 2006 um ca. 500,00 Euro netto die Anspruchsvoraussetzungen für den Kinderzuschlag weggefallen seien. Er habe sein erhöhtes Einkommen jedoch nicht unverzüglich, sondern erst aufgrund der Überprüfung der Beklagten im Januar 2007 mitgeteilt.
Die Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 5. August 2010 erörtert. Auf die entsprechende Niederschrift wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Senatsakten, der Verfahrensakten des SG, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Arbeitsverwaltung sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 1.470 Euro zum maßgebenden Zeitpunkt der Einlegung der Berufung sowie nach Erlass des Änderungsbescheides vom 22. November 2010 mit nunmehr 1.225 Euro die maßgebliche Grenze von 750 Euro übersteigt.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG vom 10. Juli 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2007 und des Änderungsbescheides vom 22. November 2010 sind aufzuheben. Die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag für die Monate Oktober 2006 bis Januar 2007 sowie März 2007 und die damit verbundene Rückforderung gemäß § 50 SGB X sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Zwar spricht vieles dafür, dass hier als Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag grundsätzlich § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und nicht § 45 SGB X in Betracht kommt. Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, weil die hier angefochtene Entscheidung auf keine der beiden Vorschriften gestützt werden kann.
§ 45 SGB X findet Anwendung, wenn der Verwaltungsakt (hier: der Bescheid vom 29. November 2005 über die Bewilligung von Kinderzuschlag für die Zeit ab Oktober 2005) im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen zurückgenommen werden soll; dagegen kommt eine Aufhebung nach § 48 SGB X in Betracht, wenn nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung eine wesentliche Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten ist (vgl. BSGE 96, 285). Eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 29. November 2005 kommt allenfalls unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass die Beklagte dem Kläger darin für einen nicht begrenzten Zeitraum ("ab Oktober 2005") endgültig Leistungen bewilligt hat, obwohl ihr aus den vom Kläger vorgelegten Gehaltsmitteilungen für die Monate Januar bis Oktober 2005 bekannt war, dass sein Einkommen aufgrund seiner Tätigkeit als Schichtarbeiter Schwankungen unterlag, insbesondere durch Schichtzuschläge und (teilweise) Überstundenvergütungen. Für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II wird insofern die Auffassung vertreten, dass die Behörde bei ihr bekannten Einkommensschwankungen von der Möglichkeit einer vorläufigen Festsetzung der Leistung im Sinne einer Vorschussgewährung nach § 42 SGB I bzw. einer vorläufigen Entscheidung nach der mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 durch das Freibetragsregelungsgesetz vom 14. August 2005 (BGBl. I S. 2407) in die Verfahrensregelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II eingefügten Nr. 1a i.V.m. § 328 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) Gebrauch machen muss, und - sofern sie dies unterlässt - die Leistungsbewilligung gegebenenfalls lediglich unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X aufheben kann (vgl. Sächsisches LSG, Urteil v. 29. Oktober 2009 – L 2 AS 99/08 - m.w.N.; SG Dresden, Urteil vom 1. September 2010 - S 36 AS 5042/08 - (jeweils juris)). Eine Anwendung der genannten Vorschriften über vorläufige Leistungen bzw. Vorschüsse dürfte hier allerdings nicht in Betracht kommen. Gemäß § 42 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Die Einkommensschwankungen wirken sich vorliegend aber bereits auf das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach aus, so dass eine unmittelbare Anwendung von § 42 Abs. 1 SGB I ausscheidet. Eine analoge Anwendung der Vorschrift hat das BSG (SozR 3-1200 § 42 Nr. 2) für den Fall erwogen, dass ein Großteil der tatbestandlichen Voraussetzungen des Sozialleistungsanspruchs einschließlich der Leistungshöhe bereits positiv festgestellt war, der Berechtigte bereits im Leistungsbezug stand und der Träger hinsichtlich des Vorliegens der letzten Anspruchsvoraussetzung nahezu überzeugt war. Diese Voraussetzungen dürften hier nicht erfüllt sein. Auch § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 SGB III ist vorliegend nicht anwendbar. § 18 BKGG sieht zwar vor, dass - soweit das BKGG keine ausdrückliche Regelung trifft - bei dessen Ausführung das Sozialgesetzbuch anzuwenden ist. Damit sind vor allem die Vorschriften des SGB X zu beachten (vgl. Felix, Kindergeldrecht, § 18 BKGG Rdnr. 5); § 40 SGB II ist dagegen mangels ausdrücklicher Anordnung im BKGG auf den Kinderzuschlag nicht anwendbar. Die in § 2 Abs. 3 Satz der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) vom 17. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2942) erstmals vorgesehene Zugrundelegung eines monatlichen Durchschnittseinkommens, wenn zu erwarten ist, dass die laufenden Einnahmen im Bewilligungszeitraum in unterschiedlicher Höhe zufließen, war im hier maßgeblichen Zeitraum noch nicht möglich, so dass es bei einer auf den jeweiligen Zuflussmonat bezogenen Betrachtung zu verbleiben hatte (Sächsisches LSG, a.a.O.); auch wäre die Zugrundelegung eines durchschnittlichen Einkommens im Hinblick auf die Höchsteinkommensgrenze nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG problematisch. Ob eine vorläufige Leistung im Übrigen nach allgemeinen Grundsätzen möglich gewesen wäre (vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) BVerwGE 67, 99), bedarf hier letztlich keiner Entscheidung, weil weder die Voraussetzungen des § 48 SGB X noch des § 45 SGB X erfüllt sind.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (a.a.O. Nr. 1), der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (a.a.O. Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (a.a.O. Nr. 3), oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (a.a.O. Nr. 4).
Inwieweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes überhaupt eine für den Kläger nachteilige Änderung der Verhältnisse (hier: die Erzielung von Einkommen, das die Höchsteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG überschreitet) eingetreten ist, hängt davon ab, ob seine Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge als Einkommen zu berücksichtigen sind. § 6a BKGG nimmt sowohl für die Bestimmung des Mindest- als auch des Höchsteinkommens auf § 11 SGB II Bezug. Nach der im hier streitigen Zeitraum maßgeblichen Fassung des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II sind Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Damit wird auch zweckbestimmtes privatrechtliches Einkommen von der Anrechnung ausgenommen (vgl. z.B. BSGE 102, 295). Ob hierzu auch Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge gehören, ist strittig. Nach der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG (Urteil vom 1. Juni 2010 - B 4 AS 89/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 29) ist mit diesen Zahlungen kein konkreter, vom Arbeitgeber vorgegebener Verwendungszweck verbunden, so dass sie als Einkommen zu berücksichtigen sind (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Januar 2010 - L 7 AS 81/09 - m.w.N.; Sächsisches LSG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - L 2 AS 99/08 - (jeweils juris)). Eine Entscheidung des 14. Senates des BSG steht hierzu noch aus (B 14 AS 45/10). Dies kann letztlich aber dahinstehen, weil die angefochtene Entscheidung auch dann nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X gestützt werden kann, wenn man die Zuschläge als Einkommen berücksichtigt.
In Betracht kommen insoweit - da die Änderung zum Nachteil des Klägers erfolgt - lediglich § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X setzt voraus, dass der Betroffene der Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Obwohl der Kläger bei seiner Antragstellung auch die Erklärung unterzeichnet hat, wonach er Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Familienkasse unaufgefordert und unverzüglich mitteilen werde, erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob dem Kläger insoweit grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Denn der Kläger hatte hier von vorneherein über ein monatlich schwankendes Einkommen verfügt und der Beklagten dies unter Vorlage seiner Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar bis Oktober 2005 auch mitgeteilt. Zudem hatte die Beklagte mit Bescheid vom 29. November 2005 Kinderzuschlag für die Zeit von Januar bis September 2005 mit der Begründung abgelehnt, dass insoweit das Einkommen und/oder Vermögen des Klägers den Gesamtbedarf übersteige. In diesen Monaten hatte der Kläger aber teilweise ein Bruttoeinkommen erzielt, das niedriger lag als sein Einkommen im Monat Oktober 2005, das zur Bewilligung von Kinderzuschlag geführt hatte. Auch § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X dürfte vor diesem Hintergrund nicht in Betracht kommen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dürften dagegen zumindest bei Anrechnung der Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge als Einkommen vorliegen, weil der Kläger dann im hier maßgeblichen Zeitraum Einkommen erzielt hätte, das - wegen Überschreitung der Höchsteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG - zum Wegfall des Anspruchs auf Kinderzuschlag geführt hätte.
Die Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag ist vorliegend aber bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist die Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X im Anwendungsbereich dieser Vorschriften zwar eine gebundene Entscheidung; § 40 SGB II ist für den Bereich des Kinderzuschlags - wie oben gezeigt - aber nicht anwendbar. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt bei Vorliegen der im Einzelnen genannten Aufhebungsgründe rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Nur in atypischen Fällen muss die Verwaltung ein Ermessen ausüben. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44). Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) nach Lage des Falls eine Härte bedeutet, die den Leistungsbezieher in atypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (BSG, Breithaupt 2011, 336 m.w.N.). Ebenso ist das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falls im Sinne einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestands nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergeben (BSG, SozR 3-1300 § 48 Nr. 33; Breithaupt 2011, 336 jeweils m.w.N). Ob ein atypischer Fall vorliegt, haben die Gerichte voll zu überprüfen (BSG SozR 1300 § 48 Nrn. 21, 25, 30 und 44).
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine atypische Fallkonstellation anzunehmen, die Anlass für eine Ermessensentscheidung der Beklagten gibt. Zwar begründet allein der Umstand, dass der Kläger ein monatlich schwankendes Einkommen erzielt hat, noch keinen atypischen Fall; ein solcher liegt aber wegen der besonderen Umstände bei der Bewilligung von Kinderzuschlag durch die Beklagte vor. Der Kläger hat der Beklagten bereits in seinem Antrag auf Kinderzuschlag vom September 2005 mitgeteilt, dass er im Drei-Schicht-Betrieb arbeitet; aus den von ihm vorgelegten Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar bis Oktober 2005 ergab sich zweifellos, dass er (bei gleichbleibendem Stundenlohn) aufgrund von Überstunden, Nachtzulagen und steuerprivilegierten Schichtzuschlägen über ein monatlich schwankendes Einkommen verfügt. Die Beklagte hat für den Monat Oktober 2005 einen Anspruch auf Kinderzuschlag errechnet, einen solchen aber für die Monate Januar bis September 2005 verneint, obwohl der Kläger in diesem Zeitraum zum Teil ein niedrigeres Einkommen erzielt hat. Wenn auch - wie oben dargelegt - nicht davon auszugehen sein dürfte, dass die Beklagte vor diesem Hintergrund für die Zeit ab November 2005 Leistungen lediglich vorläufig bewilligen durfte, so hatte sie unter Berücksichtigung ihrer Beratungspflicht gemäß § 18 BKGG i.V.m. § 14 SGB I vom Kläger jedenfalls die Vorlage monatlicher Gehaltsabrechnungen zu verlangen, um eine (in Anbetracht der Einkommenssituation naheliegende) Überzahlung größerer Beträge zu verhindern. Dass es hierzu - für die Beklagte: vorhersehbar - gekommen ist, begründet eine atypische Sachlage, bei der die Beklagte verpflichtet ist, eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und ggf. inwieweit sie von ihrem Aufhebungsrecht Gebrauch machen will. Daran fehlt es hier. Auszugehen ist vom Inhalt der Entscheidung und ihrer Begründung. Daraus muss nicht nur erkennbar sein, dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat, sondern auch die Gesichtspunkte, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (BSG, Breithaupt 2011, 336 m.w.N.). Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und des Änderungsbescheides entspricht diesen Voraussetzungen nicht. Sein Inhalt erhellt, dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung nicht getroffen hat, weil sie diese aufgrund ihrer Rechtsauffassung, dass die Aufhebung als gebundene Entscheidung zu ergehen habe, gar nicht treffen wollte. Sie gelangt lediglich unter Hinweis auf die tatbestandlichen Voraussetzungen für ihr Aufhebungsrecht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 SGB X zu der getroffenen Entscheidung.
Käme eine Rücknahme der Bewilligung nur auf der Grundlage von § 45 SGB X in Betracht, so würde einer Umdeutung der auf § 48 SGB X gestützten Aufhebung bereits entgegenstehen, dass die Bewilligung von Kinderzuschlag nach dem oben Gesagten nicht auf Angaben beruhte, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) und auch nicht davon auszugehen ist, dass er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Anordnung der Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 50 SGB X rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag für die Monate Oktober 2006 bis Januar 2007 und März 2007 sowie die damit verbundene Rückforderung in Höhe von 1.225 Euro.
Der 1969 geborene Kläger ist seit dem 28. April 2005 verheiratet und hat mit seiner Ehefrau drei Kinder, den 1996 geborenen Ar., den geborenen Arb. und die 2003 geborene An ... Er ist bei der Firma Ho. GmbH (Oberflächentechnik) als Schichtarbeiter beschäftigt und erhält (bei im hier maßgeblichen Zeitraum gleichbleibendem Stundenlohn) u.a. Schichtzulagen, aufgrund derer sein monatliches Arbeitseinkommen Schwankungen unterliegt. Im September 2005 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung eines Kinderzuschlags. In diesem Zusammenhang legte er seine Gehaltsabrechnungen vor, wonach er in den Monaten Januar bis Oktober 2005 folgendes Arbeitseinkommen erzielte:
brutto netto Januar 2005 1.926,62 Euro 1.358,79 Euro Februar 2005 1.678,72 Euro 1.203,58 Euro März 2005 1.997,61 Euro 1.359,85 Euro April 2005 1.906,15 Euro 1.365,55 Euro Mai 2005 2.186,32 Euro 1.445,66 Euro Juni 2005 2.045,60 Euro 1.446,22 Euro Juli 2005 2.030,21 Euro 1.591,51 Euro August 2005 1.835,14 Euro 1.464,32 Euro September 2005 2.058,80 Euro 1.629,95 Euro Oktober 2005 1.963,60 Euro 1.578,37 Euro
Mit Bescheid vom 29. November 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Kinderzuschlags für die Zeit von Januar bis September 2005 ab, weil das Einkommen und/oder Vermögen des Klägers den Gesamtbedarf übersteige. Mit Bescheid vom gleichen Tag bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Kinder Ar., Arb. und An. einen Kinderzuschlag in Höhe von 245,00 Euro monatlich für die Zeit ab Oktober 2005.
Am 1. Februar 2007 gingen bei der Beklagten ein vom Kläger ausgefüllter Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag sowie Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar, Februar, April, September, Oktober, November und Dezember 2006 ein. Nach Aufforderung der Beklagten legte der Kläger außerdem die Gehaltsabrechnungen für Januar bis März 2007 vor. Daraus ergibt sich folgendes Arbeitseinkommen des Klägers:
brutto netto Januar 2006 1.650,51 Euro 1.321,25 Euro Februar 2006 1.841,22 Euro 1.478,29 Euro April 2006 1.860,98 Euro 1.490,59 Euro September 2006 1.837,29 Euro 1.429,62 Euro Oktober 2006 2.400,16 Euro 1.918,51 Euro November 2006 2.854,56 Euro 2.175,61 Euro Dezember 2006 2.374,21 Euro 1.961,68 Euro Januar 2007 1.976,42 Euro 1.598,72 Euro Februar 2007 1.912,18 Euro 1.550,87 Euro März 2007 2.002,65 Euro 1.641,97 Euro
Diese Beträge enthielten u.a. steuerfreie Nachtzulagen bzw. Schicht- oder Feiertagszuschläge, nämlich im Oktober 2006 375,65 Euro, im November 2006 278,71 Euro, im Dezember 2006 353,26 Euro, im Januar 2007 202,17 Euro, im Februar 2007 195,76 Euro und im März 2007 293,88 Euro.
Im April 2007 stellte die Beklagte die Gewährung von Kinderzuschlag ein. Außerdem hob sie mit Bescheid vom 4. Juni 2007 die Bewilligung des Kinderzuschlags gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab Oktober 2006 auf, weil das Einkommen und/oder Vermögen den Gesamtbedarf überstiegen habe. Es lägen keine besonderen Umstände vor, nach denen von einer Aufhebung für die Vergangenheit abgesehen werden könne. Der Kinderzuschlag sei deshalb in Höhe von 1.470,00 Euro zu Unrecht gezahlt worden. Dieser Betrag sei gemäß § 50 SGB X zu erstatten.
Am 20. Juni 2007 legte der Kläger hiergegen mit der Begründung Widerspruch ein, dass in dem angefochtenen Bescheid Ermessenserwägungen vollständig fehlten. Zum Anderen seien die Tatbestandsvarianten der Nummern 1 bis 4 nicht einschlägig. Die Regelungen zum Kinderzuschlag seien so kompliziert gefasst, dass sie selbst für einen Fachmann nur schwer zu überblicken seien. Zudem sei zu berücksichtigen, dass seine monatlichen Tankkosten für den Weg zu seinem Arbeitsplatz als berufsbedingte Aufwendungen zu berücksichtigen seien. Auch seien seine monatlichen Aufwendungen für die Kfz-Steuer in Höhe von 9,75 Euro, für die Kfz-Haftpflicht in Höhe von monatlich 55,48 Euro und für die Rechtsschutzversicherung in Höhe von 27,00 Euro zu berücksichtigen. Dieser Betrag reiche freilich noch nicht aus, um bei Bereinigung des Einkommens ein Nettoeinkommen zu erreichen, das unterhalb des Bedarfs der Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) liege. Es handle sich hierbei jedoch um Beträge, die im zwei- bzw. einstelligen Eurobereich schwankten. In diesem Zusammenhang sei noch darauf hinzuweisen, dass er nur wegen eines um 4,04 Euro zu niedrigen Einkommens überhaupt Kinderzuschlag erhalten habe. Es sei daher unverständlich, weshalb er nicht darauf hingewiesen worden sei, dass er bereits bei einer geringfügigen Erhöhung seiner Bezüge wieder aus dem Kinderzuschlag herausfallen werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2007 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 SGB X der Verwaltungsakt rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben sei, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Grob fahrlässig in diesem Sinne handle, wer in besonders schwerem Maße die erforderliche Sorgfaltspflicht verletze, wer einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstelle, also nicht beachte, was jedem einleuchten müsse. Dies sei in der Regel der Fall, wenn eindeutige Hinweise in Vordrucken, Merkblättern sowie mündliche Belehrungen nicht beachtet würden. Nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) seien Leistungsempfänger verpflichtet, alle Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich seien, unverzüglich mitzuteilen. Dieser Verpflichtung sei der Kläger nicht nachgekommen. Im Übrigen sei Einkommen erzielt worden, das zum Wegfall der Leistung geführt habe. Es habe sich nicht um eine geringfügige Erhöhung des Einkommens gehandelt, vielmehr habe der Widerspruchsführer ein wesentlich höheres Einkommen als bei der Ausgangsberechnung erzielt.
Hiergegen hat der Kläger am 28. November 2007 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) mit der Begründung erhoben, die Beklagte habe nicht erkannt, dass ihr ein Ermessen zustehe. Des Weiteren sei für ihn nicht nachvollziehbar, wie ihm vorgehalten werden könne, er habe für ihn nachteilige Änderungen mitteilen müssen. Zudem habe er aufgrund des missratenen Gesetzes nicht wissen können, auf welche Kriterien es überhaupt ankomme. Außerdem habe er auf Anforderung der Beklagten Lohnabrechnungen vorgelegt, worauf keine umgehende Reaktion erfolgt sei. Letztlich sei von einem atypischen Fall auszugehen. Seine besondere Betroffenheit ergebe sich aus der begrenzten Einkommenslage bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 2.000,00 Euro. Für ihn sei die Berechnung des Kinderzuschlags nicht nachvollziehbar. Er stamme aus dem Kosovo und sei als Flüchtling nach Deutschland gekommen, weshalb er sich mit geschriebenen Texten ausgesprochen schwer tue. Für ihn sei der Vergleich zu Arbeitskollegen maßgeblich. Weiter trete hinzu, dass sich die Beklagte ein Fehlverhalten anrechnen lassen müsse. Sie habe ihn zur Hereingabe von Lohnabrechnungen aufgefordert, ohne ihn darauf hinzuweisen, dass infolge des erhöhten Nettogehalts der Kinderzuschlag in Wegfall geraten könne. Zudem sei nicht darauf hingewiesen worden, dass nach den eingeholten Lohnabrechnungen der Kinderzuschlag bereits entfallen sei. In der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2008 hat der Kläger zudem darauf hingewiesen, dass das Fahrgeld nicht richtig berechnet worden sei. Mit Urteil vom 10. Juli 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gegeben sei. Es liege auch kein atypischer Fall vor, bei dem die Behörde Ermessen auszuüben habe. Auch ein mitwirkendes Fehlverhalten auf Seiten der Beklagten könne nicht festgestellt werden.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 22. Juli 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. August 2009 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit der Begründung Berufung eingelegt, dass die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vorliegend unbillig sei, weil ein Missverhältnis zwischen dem Rückforderungsbetrag und dem geringfügig höheren Verdienst des Klägers bestehe. In diesem Zusammenhang werde auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. März 1995 (13 RJ 39/94) verwiesen. Danach sei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X restriktiv auszulegen. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sowie der Entscheidung des BSG vom 12. Dezember 1995 (10 RKg 9/95) sei zu ermitteln, wie viel der Kläger zu viel verdient habe; lediglich in Höhe dieses "Doppelverdienstes" könne für die Vergangenheit aufgehoben werden. Zu der Frage, ob die vom 13. Senat des BSG aufgestellten Grundsätze zum Altersruhegeld auch auf den Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) bzw. dessen Rückforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X übertragen werden können, sei bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung vorhanden. Im Übrigen habe er keinen Lohnzuschlag von 500,00 Euro bekommen. Sein Stundenlohn von 9,48 Euro sei unverändert geblieben. Der höhere Hinzuverdienst hänge allein mit der Mehrarbeit des Klägers zusammen. Insofern könne keine grobe Fahrlässigkeit erkannt werden. Die bloße Lektüre des Merkblatts zum Kinderzuschlag ermögliche es noch nicht, die Berechnung des Kinderzuschlags zu verstehen.
Auf gerichtliche Anforderung der noch fehlenden Berechnungsbögen für die Monate Januar bis März 2007 teilte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. November 2010 mit, dass entgegen ihrer bisherigen Annahme für den Monat Februar 2007 die Voraussetzungen für die Gewährung von Kinderzuschlag erfüllt seien. Mit Bescheid vom 19. November 2010 änderte die Beklagte den Bescheid vom 4. Juni 2007 dahingehend ab, dass sich für den Monat Februar 2007 ein Anspruch auf Kinderzuschlag in Höhe von 245 Euro ergebe. Mit Änderungsbescheid vom 22. November 2010 hob die Beklagte die Bewilligung des Kinderzuschlags für die Zeit von Oktober 2006 bis Januar 2007 und ab März 2007 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X in vollem Umfang auf und reduzierte die Rückforderung vom 4. Juni 2007 um 245 Euro auf 1.225 Euro.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2007 und des Änderungsbescheides vom 22. November 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Es liege kein atypischer Fall vor, der für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligungsentscheidung eine Ermessensausübung erfordern würde. Dafür, dass der Kläger im Vergleich zu anderen Erstattungspflichtigen in besondere Bedrängnis gerate, sei nichts ersichtlich. Es sei auch zu berücksichtigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag Zahlungserleichterungen gewährt werden könnten. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BSG zur Altersrente könne nicht ohne Weiteres auf den Kinderzuschlag übertragen werden. Die Altersrente werde aufgrund der erworbenen Rentenanwartschaften mit einem festen Betrag bewilligt. Lediglich die gesetzlich vorgesehene Zuverdienstgrenze dürfe nicht überschritten werden. Werde diese Zuverdienstgrenze überschritten, entfalle der gesamte Rentenanspruch. Der Anspruch auf Kinderzuschlag sei von dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen des Antragstellers abhängig. Selbst wenn die Grundsätze des Urteils zur Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf den vorliegenden Fall anwendbar wären, hindere das nicht an einer weitergehenden Aufhebung des Bewilligungsbescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Der Kläger habe in seinem Antrag auf Kinderzuschlag vom 21. September 2005 erklärt und mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Familienkasse unaufgefordert und unverzüglich mitteilen werde, sowie dass er das Merkblatt über den Kinderzuschlag bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe. Darin werde über die Bedeutung des Einkommens für den Kinderzuschlag informiert und in Punkt 7. darauf hingewiesen, dass Änderungen in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Familienkasse unverzüglich mitzuteilen seien. Aus der Tatsache, dass sein Antrag auf Kinderzuschlag für die Monate Januar bis September 2005 mit der Begründung abgelehnt worden sei, sein Einkommen übersteige den Gesamtbedarf, habe der Kläger unschwer erkennen können, dass bei der Erhöhung seines Verdienstes ab Oktober 2006 um ca. 500,00 Euro netto die Anspruchsvoraussetzungen für den Kinderzuschlag weggefallen seien. Er habe sein erhöhtes Einkommen jedoch nicht unverzüglich, sondern erst aufgrund der Überprüfung der Beklagten im Januar 2007 mitgeteilt.
Die Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 5. August 2010 erörtert. Auf die entsprechende Niederschrift wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Senatsakten, der Verfahrensakten des SG, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Arbeitsverwaltung sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 1.470 Euro zum maßgebenden Zeitpunkt der Einlegung der Berufung sowie nach Erlass des Änderungsbescheides vom 22. November 2010 mit nunmehr 1.225 Euro die maßgebliche Grenze von 750 Euro übersteigt.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG vom 10. Juli 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2007 und des Änderungsbescheides vom 22. November 2010 sind aufzuheben. Die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag für die Monate Oktober 2006 bis Januar 2007 sowie März 2007 und die damit verbundene Rückforderung gemäß § 50 SGB X sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Zwar spricht vieles dafür, dass hier als Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag grundsätzlich § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und nicht § 45 SGB X in Betracht kommt. Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, weil die hier angefochtene Entscheidung auf keine der beiden Vorschriften gestützt werden kann.
§ 45 SGB X findet Anwendung, wenn der Verwaltungsakt (hier: der Bescheid vom 29. November 2005 über die Bewilligung von Kinderzuschlag für die Zeit ab Oktober 2005) im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen zurückgenommen werden soll; dagegen kommt eine Aufhebung nach § 48 SGB X in Betracht, wenn nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung eine wesentliche Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten ist (vgl. BSGE 96, 285). Eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 29. November 2005 kommt allenfalls unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass die Beklagte dem Kläger darin für einen nicht begrenzten Zeitraum ("ab Oktober 2005") endgültig Leistungen bewilligt hat, obwohl ihr aus den vom Kläger vorgelegten Gehaltsmitteilungen für die Monate Januar bis Oktober 2005 bekannt war, dass sein Einkommen aufgrund seiner Tätigkeit als Schichtarbeiter Schwankungen unterlag, insbesondere durch Schichtzuschläge und (teilweise) Überstundenvergütungen. Für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II wird insofern die Auffassung vertreten, dass die Behörde bei ihr bekannten Einkommensschwankungen von der Möglichkeit einer vorläufigen Festsetzung der Leistung im Sinne einer Vorschussgewährung nach § 42 SGB I bzw. einer vorläufigen Entscheidung nach der mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 durch das Freibetragsregelungsgesetz vom 14. August 2005 (BGBl. I S. 2407) in die Verfahrensregelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II eingefügten Nr. 1a i.V.m. § 328 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) Gebrauch machen muss, und - sofern sie dies unterlässt - die Leistungsbewilligung gegebenenfalls lediglich unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X aufheben kann (vgl. Sächsisches LSG, Urteil v. 29. Oktober 2009 – L 2 AS 99/08 - m.w.N.; SG Dresden, Urteil vom 1. September 2010 - S 36 AS 5042/08 - (jeweils juris)). Eine Anwendung der genannten Vorschriften über vorläufige Leistungen bzw. Vorschüsse dürfte hier allerdings nicht in Betracht kommen. Gemäß § 42 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Die Einkommensschwankungen wirken sich vorliegend aber bereits auf das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach aus, so dass eine unmittelbare Anwendung von § 42 Abs. 1 SGB I ausscheidet. Eine analoge Anwendung der Vorschrift hat das BSG (SozR 3-1200 § 42 Nr. 2) für den Fall erwogen, dass ein Großteil der tatbestandlichen Voraussetzungen des Sozialleistungsanspruchs einschließlich der Leistungshöhe bereits positiv festgestellt war, der Berechtigte bereits im Leistungsbezug stand und der Träger hinsichtlich des Vorliegens der letzten Anspruchsvoraussetzung nahezu überzeugt war. Diese Voraussetzungen dürften hier nicht erfüllt sein. Auch § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 SGB III ist vorliegend nicht anwendbar. § 18 BKGG sieht zwar vor, dass - soweit das BKGG keine ausdrückliche Regelung trifft - bei dessen Ausführung das Sozialgesetzbuch anzuwenden ist. Damit sind vor allem die Vorschriften des SGB X zu beachten (vgl. Felix, Kindergeldrecht, § 18 BKGG Rdnr. 5); § 40 SGB II ist dagegen mangels ausdrücklicher Anordnung im BKGG auf den Kinderzuschlag nicht anwendbar. Die in § 2 Abs. 3 Satz der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) vom 17. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2942) erstmals vorgesehene Zugrundelegung eines monatlichen Durchschnittseinkommens, wenn zu erwarten ist, dass die laufenden Einnahmen im Bewilligungszeitraum in unterschiedlicher Höhe zufließen, war im hier maßgeblichen Zeitraum noch nicht möglich, so dass es bei einer auf den jeweiligen Zuflussmonat bezogenen Betrachtung zu verbleiben hatte (Sächsisches LSG, a.a.O.); auch wäre die Zugrundelegung eines durchschnittlichen Einkommens im Hinblick auf die Höchsteinkommensgrenze nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG problematisch. Ob eine vorläufige Leistung im Übrigen nach allgemeinen Grundsätzen möglich gewesen wäre (vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) BVerwGE 67, 99), bedarf hier letztlich keiner Entscheidung, weil weder die Voraussetzungen des § 48 SGB X noch des § 45 SGB X erfüllt sind.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (a.a.O. Nr. 1), der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (a.a.O. Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (a.a.O. Nr. 3), oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (a.a.O. Nr. 4).
Inwieweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes überhaupt eine für den Kläger nachteilige Änderung der Verhältnisse (hier: die Erzielung von Einkommen, das die Höchsteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG überschreitet) eingetreten ist, hängt davon ab, ob seine Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge als Einkommen zu berücksichtigen sind. § 6a BKGG nimmt sowohl für die Bestimmung des Mindest- als auch des Höchsteinkommens auf § 11 SGB II Bezug. Nach der im hier streitigen Zeitraum maßgeblichen Fassung des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II sind Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Damit wird auch zweckbestimmtes privatrechtliches Einkommen von der Anrechnung ausgenommen (vgl. z.B. BSGE 102, 295). Ob hierzu auch Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge gehören, ist strittig. Nach der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG (Urteil vom 1. Juni 2010 - B 4 AS 89/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 29) ist mit diesen Zahlungen kein konkreter, vom Arbeitgeber vorgegebener Verwendungszweck verbunden, so dass sie als Einkommen zu berücksichtigen sind (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Januar 2010 - L 7 AS 81/09 - m.w.N.; Sächsisches LSG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - L 2 AS 99/08 - (jeweils juris)). Eine Entscheidung des 14. Senates des BSG steht hierzu noch aus (B 14 AS 45/10). Dies kann letztlich aber dahinstehen, weil die angefochtene Entscheidung auch dann nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X gestützt werden kann, wenn man die Zuschläge als Einkommen berücksichtigt.
In Betracht kommen insoweit - da die Änderung zum Nachteil des Klägers erfolgt - lediglich § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X setzt voraus, dass der Betroffene der Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Obwohl der Kläger bei seiner Antragstellung auch die Erklärung unterzeichnet hat, wonach er Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Familienkasse unaufgefordert und unverzüglich mitteilen werde, erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob dem Kläger insoweit grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Denn der Kläger hatte hier von vorneherein über ein monatlich schwankendes Einkommen verfügt und der Beklagten dies unter Vorlage seiner Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar bis Oktober 2005 auch mitgeteilt. Zudem hatte die Beklagte mit Bescheid vom 29. November 2005 Kinderzuschlag für die Zeit von Januar bis September 2005 mit der Begründung abgelehnt, dass insoweit das Einkommen und/oder Vermögen des Klägers den Gesamtbedarf übersteige. In diesen Monaten hatte der Kläger aber teilweise ein Bruttoeinkommen erzielt, das niedriger lag als sein Einkommen im Monat Oktober 2005, das zur Bewilligung von Kinderzuschlag geführt hatte. Auch § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X dürfte vor diesem Hintergrund nicht in Betracht kommen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dürften dagegen zumindest bei Anrechnung der Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge als Einkommen vorliegen, weil der Kläger dann im hier maßgeblichen Zeitraum Einkommen erzielt hätte, das - wegen Überschreitung der Höchsteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG - zum Wegfall des Anspruchs auf Kinderzuschlag geführt hätte.
Die Aufhebung der Bewilligung von Kinderzuschlag ist vorliegend aber bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung kein Ermessen ausgeübt hat. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist die Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X im Anwendungsbereich dieser Vorschriften zwar eine gebundene Entscheidung; § 40 SGB II ist für den Bereich des Kinderzuschlags - wie oben gezeigt - aber nicht anwendbar. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt bei Vorliegen der im Einzelnen genannten Aufhebungsgründe rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Nur in atypischen Fällen muss die Verwaltung ein Ermessen ausüben. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44). Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) nach Lage des Falls eine Härte bedeutet, die den Leistungsbezieher in atypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (BSG, Breithaupt 2011, 336 m.w.N.). Ebenso ist das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falls im Sinne einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestands nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergeben (BSG, SozR 3-1300 § 48 Nr. 33; Breithaupt 2011, 336 jeweils m.w.N). Ob ein atypischer Fall vorliegt, haben die Gerichte voll zu überprüfen (BSG SozR 1300 § 48 Nrn. 21, 25, 30 und 44).
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine atypische Fallkonstellation anzunehmen, die Anlass für eine Ermessensentscheidung der Beklagten gibt. Zwar begründet allein der Umstand, dass der Kläger ein monatlich schwankendes Einkommen erzielt hat, noch keinen atypischen Fall; ein solcher liegt aber wegen der besonderen Umstände bei der Bewilligung von Kinderzuschlag durch die Beklagte vor. Der Kläger hat der Beklagten bereits in seinem Antrag auf Kinderzuschlag vom September 2005 mitgeteilt, dass er im Drei-Schicht-Betrieb arbeitet; aus den von ihm vorgelegten Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar bis Oktober 2005 ergab sich zweifellos, dass er (bei gleichbleibendem Stundenlohn) aufgrund von Überstunden, Nachtzulagen und steuerprivilegierten Schichtzuschlägen über ein monatlich schwankendes Einkommen verfügt. Die Beklagte hat für den Monat Oktober 2005 einen Anspruch auf Kinderzuschlag errechnet, einen solchen aber für die Monate Januar bis September 2005 verneint, obwohl der Kläger in diesem Zeitraum zum Teil ein niedrigeres Einkommen erzielt hat. Wenn auch - wie oben dargelegt - nicht davon auszugehen sein dürfte, dass die Beklagte vor diesem Hintergrund für die Zeit ab November 2005 Leistungen lediglich vorläufig bewilligen durfte, so hatte sie unter Berücksichtigung ihrer Beratungspflicht gemäß § 18 BKGG i.V.m. § 14 SGB I vom Kläger jedenfalls die Vorlage monatlicher Gehaltsabrechnungen zu verlangen, um eine (in Anbetracht der Einkommenssituation naheliegende) Überzahlung größerer Beträge zu verhindern. Dass es hierzu - für die Beklagte: vorhersehbar - gekommen ist, begründet eine atypische Sachlage, bei der die Beklagte verpflichtet ist, eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und ggf. inwieweit sie von ihrem Aufhebungsrecht Gebrauch machen will. Daran fehlt es hier. Auszugehen ist vom Inhalt der Entscheidung und ihrer Begründung. Daraus muss nicht nur erkennbar sein, dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat, sondern auch die Gesichtspunkte, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (BSG, Breithaupt 2011, 336 m.w.N.). Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und des Änderungsbescheides entspricht diesen Voraussetzungen nicht. Sein Inhalt erhellt, dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung nicht getroffen hat, weil sie diese aufgrund ihrer Rechtsauffassung, dass die Aufhebung als gebundene Entscheidung zu ergehen habe, gar nicht treffen wollte. Sie gelangt lediglich unter Hinweis auf die tatbestandlichen Voraussetzungen für ihr Aufhebungsrecht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 SGB X zu der getroffenen Entscheidung.
Käme eine Rücknahme der Bewilligung nur auf der Grundlage von § 45 SGB X in Betracht, so würde einer Umdeutung der auf § 48 SGB X gestützten Aufhebung bereits entgegenstehen, dass die Bewilligung von Kinderzuschlag nach dem oben Gesagten nicht auf Angaben beruhte, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) und auch nicht davon auszugehen ist, dass er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Anordnung der Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 50 SGB X rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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