L 13 AL 3360/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 1434/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 3360/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im Wege des Zugunstenverfahrens gegen ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Eintritts einer zwölfwöchigen Sperrzeit.

Der 1954 geborene Kläger stand in der Zeit vom 1. September 2000 bis 29. Februar 2004 in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis als Konstrukteur bei der Firma K. M. Konstruktionen GbR in A. (K.). Am 20. Februar 2004 meldete er sich bei der Agentur für Arbeit R. (AA) arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung der Firma K. war das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Klägers vom 11. Februar 2004 mit Wirkung zum 29. Februar 2004 beendet worden. In seinem dem Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei Kündigung durch den Arbeitnehmer oder Abschluss eines Aufhebungs-/Auflösungsvertrages beigefügten Schreiben vom 9. April 2004 erklärte der Kläger, er habe das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt; die Gründe hierfür seien vielfältig. Ausschlaggebend sei aber letztlich die Mitteilung seines Arbeitgebers gewesen, ein Kunde sei nicht bereit, die zu erledigende Arbeit mit ihm, dem Kläger, abzusprechen. Er habe seine Arbeit nicht nach "Kundenwunsch" erfüllen können, wenn der Kunde selbst sich der Zusammenarbeit verweigere. Mit einem anderen Kunden sei es im Jahr 2002 zu ähnlichen Problemen gekommen. Außerdem habe es immer wieder Zeiten gegeben, in denen nicht ausreichend Arbeit vorhanden gewesen sei. Letztlich habe er auch sein Gehalt dauerhaft nur mit Verzögerung erhalten. Wegen der weiteren Ausführungen des Klägers im Einzelnen wird auf Bl. 512 bis 571 der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Mit Bescheid vom 4. Mai 2004 stellte die Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit (1. März bis 23. Mai 2004) fest. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma K. durch die Kündigung selbst gelöst. Für dieses Verhalten habe er keinen wichtigen Grund gehabt. Die Sperrzeit mindere den Anspruch auf Alg um ein Viertel der Anspruchsdauer (165 Tage). Mit Verfügung vom 11. Mai 2004 veranlasste die Beklagte die Bewilligung von Alg (nach Ablauf der Sperrzeit) ab 24. Mai 2004 für die Dauer von 579 Tagen.

Der Kläger erhob am 14. Mai 2004 Widerspruch. Er trug vor, er habe lediglich einer seitens seines Arbeitgebers wegen Auftragsmangels ohnehin beabsichtigten Kündigung vorgegriffen. Dies zeige sich daran, dass zwei Wochen später zwei anderen Mitarbeitern seiner ehemaligen Abteilung gekündigt worden sei. Die Aussicht, möglicherweise wieder wochenlang nur auf Minusstundenbasis angestellt zu werden, sei für ihn nicht tragbar gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger erhob gegen diesen Widerspruchsbescheid am 8. Juli 2004 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG; S 3 AL 1597/04). Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 22. Dezember 2004 zurück. Die Klage sei unzulässig; der Kläger habe die Klagefrist nicht eingehalten. Zur Erledigung des nachfolgenden Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 13 AL 385/06) schlossen die Beteiligten am 8. Januar 2008 einen Vergleich, mit dem die Beklagte sich verpflichtete, über einen gleichzeitig gestellten Antrag des Klägers auf Überprüfung des Bescheids der AA vom 4. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2004 rechtsmittelfähig zu entscheiden. Mit Bescheid vom 27. Februar 2008 lehnte die Beklagte eine Zurücknahme des Bescheids vom 4. April 2004 (gemeint wohl: 4. Mai 2004) ab. Den hiergegen am 28. März 2008 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens am 16. Mai 2008 Klage beim SG erhoben. Das SG hat die ehemaligen Arbeitgeber des Klägers K. und M. sowie die ehemalige Kollegin Ke. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des SG am 29. April 2009 (Bl. 24 bis 28 der Klageakten des SG) Bezug genommen. Mit Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis gelöst, ohne sich auf einen wichtigen Grund berufen zu können. Die vom Kläger vorgetragenen Gründe seien nicht derart schwerwiegend, dass eine Weiterbeschäftigung als unzumutbar erscheine. Das Verhalten des Klägers sei deshalb als versicherungswidrig zu werten; es ziehe dementsprechend den Eintritt einer Sperrzeit nach sich. Die Tatsache, dass der Kläger das Arbeitsverhältnis fristgerecht gekündigt habe, ändere hieran nichts.

Gegen den ihm gemäß Zustellungsurkunde am 26. Juni 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24. Juli 2009 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Seines Erachtens habe die Beklagte zu Unrecht den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt; er habe Anspruch auf Gewährung von Alg auch für den bei der Bewilligungsentscheidung im Hinblick auf die Sperrzeit ausgesparten Zeitraum.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. April 2008 zu verpflichten, den Bescheid vom 4. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2004 zurückzunehmen und ihm unter Abänderung des ihm Arbeitslosengeld erst ab 24. Mai 2004 bewilligenden Bescheids Arbeitslosengeld mit ungekürzter Anspruchsdauer bereits ab 1. März 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig und den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird im Übrigen auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (XXX), die Klage- und Vorakten des SG (S 3 AL 1597/04 und S 7 AL 1434/08) sowie die Berufungs- und Vorakten des Senats (L 13 AL 385/06 und L 13 AL 3360/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 20. Oktober 2010 - B 13 R 90/09 R - veröffentlicht in Juris) ist der den im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs vom 8. Januar 2008 gestellten Zugunstenantrag des Klägers ablehnende Bescheid vom 27. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. April 2008. Der Kläger begehrt, sein von Anfang an geltend gemachtes Begehren sachdienlich ausgelegt, allerdings nicht nur die Zurücknahme des (Sperrzeit-) Bescheids vom 4. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2004, sondern auch die Abänderung des (nicht aktenkundigen) Bescheids, mit dem ihm Alg - unter Aussparung der Sperrzeit und Kürzung der Anspruchsdauer um ein Viertel - erst ab 24. Mai 2004 bewilligt worden ist. Diese Bescheide, die hinsichtlich des Ruhens des Anspruchs auf Alg wegen des Eintritts der Sperrzeit und wegen der hieraus resultierenden Minderung der Anspruchsdauer um ein Viertel als rechtliche Einheit zu werten sind, erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ungekürztes Alg bereits ab 1. März 2004. Die Beklagte hat deshalb den Zugunstenantrag des Klägers vom 8. Januar 2008 zu Recht abgelehnt.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsnorm liegen jedoch nicht vor; bei Erlass des Sperrzeitbescheids vom 4. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2004 hat die Beklagte - ebenso wie bei Erlass des dem Kläger Alg erst ab 24. Mai 2004 bewilligenden Bescheids - weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich aus heutiger Sicht als unrichtig darstellt.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der hier anzuwendenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (Hartz III; BGBl. I S. 2848) ruht der Anspruch (auf Alg) für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten unter anderem vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Die Sperrzeit beginnt mit dem Tage nach dem Ereignis, das sie begründet; im Fall der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt ihre Dauer zwölf Wochen (§ 144 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB III). Bei Sperrzeiten nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III ist das die Sperrzeit begründende und damit für den Beginn der Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 2 Satz 1 SGB III maßgebliche Ereignis das rechtliche Ende des Beschäftigungsverhältnisses (Niesel, SGB III, § 144 Rdnr. 93). Deshalb beginnt die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe mit der durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses herbeigeführten Beschäftigungslosigkeit (BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 8).

Auch zur Überzeugung des Senats ist im Fall der Klägers eine Sperrzeit eingetreten. Der Kläger hat durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vom 11. Februar 2004 sein Beschäftigungsverhältnis selbst gelöst und dadurch die am 1. März 2004 eingetretene Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt; denn er hatte zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz (BSG SozR 4100 § 119 Nr. 28 und 33). Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen wichtigen Grund für sein Verhalten berufen. Der unbestimmte Rechtsbegriff des "wichtigen Grundes" ist für jeden Sperrzeittatbestand gesondert nach Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung zu definieren. Maßgeblich ist, ob dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denjenigen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 16; BSG NZS 1998, 136). Bei Sperrzeiten wegen der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses ist dementsprechend zu fragen, ob Umstände vorliegen, die dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen lassen, weil sonst seine eigenen Interessen in unbilliger Weise geschädigt würden (BSG SozR 4100 § 119 Nr. 2 und 17).

Solche Umstände liegen hier nicht vor. Das SG hat unter Heranziehung der genannten einschlägigen Rechtsgrundlagen sowie unter rechtlich nicht zu beanstandender Würdigung der umfassend erhobenen Beweise auch aus Sicht des Senats überzeugend festgestellt, dass es dem Kläger ohne weiteres zumutbar gewesen wäre, seine Beschäftigung bei der Firma K. fortzusetzen, bis er einen Anschlussarbeitsplatz gefunden hätte. Der Senat schließt sich - zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen - deshalb den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheids vom 24. Juni 2009 an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung eigener Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Lediglich ergänzend ist (nochmals) darauf hinzuweisen, dass die arbeitsrechtliche Berechtigung des Arbeitnehmers zur Eigenkündigung die Bejahung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III - jedenfalls nicht zwingend - nach sich zieht. Selbst wenn sich die Arbeitnehmerkündigung (arbeitsrechtlich) als rechtmäßig erweist, tritt regelmäßig eine Sperrzeit ein. Nur wenn ausnahmsweise (auch) ein wichtiger Grund im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III anerkannt werden kann, schließt dies die arbeitsförderungsrechtliche Sanktionierung des arbeitsrechtlich rechtmäßigen Verhaltens des Arbeitnehmers aus.

Die Sperrzeit beginnt nach § 144 Abs. 2 SGB III mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Zutreffend hat die Beklagte daher den 1. März 2004 als Beginn der Sperrzeit festgestellt, den ersten Tag der vom Kläger verursachten Arbeitslosigkeit. Nach § 144 Abs. 3 Satz 1 SGB III beträgt die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe zwölf Wochen; sie verkürzt sich nach Satz 2 Nr. 2 a der Vorschrift auf sechs Wochen, wenn eine Sperrzeit von zwölf Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Dies ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu beurteilen. Die Annahme einer besonderen Härte ist gerechtfertigt, wenn nach diesen Gesamtumständen der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (BSG, Urteil vom 26. März 1998 - B 11 AL 49/97 R - SozR 3-4100 § 119 Nr. 14). Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich; die Folgen der Sperrzeit für den Kläger gehen nicht über die Konsequenzen hinaus, die regelmäßig mit einer zwölfwöchigen Sperrzeit für die Betroffenen verbunden sind. Daher verbleibt es bei der Dauer der Sperrzeit von zwölf Wochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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