L 6 U 2806/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 380/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2806/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erstrebt die Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BK 2108).

Der im Jahre 1966 geborene Kläger erlernte von August 1982 bis Ende Juni 1984 den Beruf eines Maurers. In dieser Zeit fand während des gesamten ersten Lehrjahres sowie im zweiten und dritten Lehrjahr jeweils 10 Wochen am Stück Schulunterricht in Vollzeit statt. Im Übrigen übte er die Tätigkeit eines Maurers im Hochbau aus. Im Anschluss an seine Ausbildung war der Kläger bis Ende März 1985 als Maurergeselle im Hochbau mit den Verrichtungen eines Maurers/Betonbauers beschäftigt. In der Folgezeit war er dann im Automobilbau in der Blechbearbeitung am Band tätig und leistete zwischenzeitlich seinen Wehrdienst ab. Von September 1990 bis Mitte November 1998 war der Kläger dann wieder als Maurer beschäftigt und mit den Verrichtungen eines Maurers/Betonbauers betraut. Anschließend arbeitete er als Stahlbetonbauer in einem Fertigteilewerk und ab Mitte September 1999 bis Ende November 2003 wiederum als Maurer. Während seiner Beschäftigungen als Maurer und Betonbauer war der Kläger wirbelsäulenbelastend tätig. Im Dezember 2003 nahm er eine Umschulung zum Industriekaufmann auf. Am 13.08.2004 zeigte der Allgemeinmediziner H. bei der Württembergischen Bau-Berufsgenossenschaft, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an. Er führte aus, der Kläger habe seit dem Jahre 1996 bestehende Rückenschmerzen im unteren Wirbelsäulenbereich angegeben. Es bestehe eine chronisch rezidivierende Lumbalgie bei Bandscheibenvorfall L4/5. Dies werde auf eine ungünstige Rückenhaltung sowie das Heben schwerer Lasten bei der Tätigkeit als Maurer zurückgeführt. Darüber hinaus liege ein chronisches Schmerzsyndrom der Wirbelsäule mit rezidivierenden Blockaden im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich vor.

Im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Ermittlungen gab der Kläger auf Nachfrage ergänzend an, seine Wirbelsäulenbeschwerden seien im Zusammenhang mit dem Bandscheibenvorfall im Jahre 1998 erstmals aufgetreten. Die Württembergische Bau-Berufsgenossenschaft holte Auskünfte früherer Arbeitgeber des Klägers, Belastungsbeurteilungen ihrer Präventionsabteilung (zuvor Technischer Aufsichtsdienst) und einen Arztbericht des Neurochirurgen Dr. H. (regelmäßige Behandlung von Juli 1998 bis Dezember 2002 wegen lumboischialgieformen Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Großzeh bei Bandscheibenvorfall L4/5; Steilstellung der HWS, Bandscheibengeneration C4 bis C6, Uncovertebralarthrose, Spondylodese im Bereich der BWS, Bandscheibendegeneration L4 bis S1, Spondylarthrosen L4/5( L5/S1, Arthrose der ISG) ein.

Ferner zog sie Vorerkrankungsverzeichnisse der I. Baden-Württemberg (Versicherung von September 1990 bis März 1994; Arbeitsunfähigkeit vom 28.01. bis zum 01.02.1991 wegen Lumbalgie [Blockierung], am 04.11.1991 wegen Blockierung L2, vom 18.11. bis zum 29.11.1991 u.a. wegen Blockierung L2) und der A. Rottweil (Versicherung von Mai 1985 bis August 1990 und seit Mai 1994; Arbeitsunfähigkeit vom 02.04. bis zum 15.11.1998 u. a. wegen Bandscheibenvorfall L4/5 und auch hernach Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Hals- Brust- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden) sowie den Entlassungsbericht der Federseeklinik Bad B. über die vom 08.06 bis zum 24.06.1999 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme (chronisch rezidivierende Lumbago bei 04/98 diagnostiziertem Bandscheibenvorfall L4/5, Spondylochondrose L3/4 bis L5/1, chronisch rezidivierende Cervicalgie bei Unkarthrose C5/6 sowie akute Tonsillitis; nach Angaben des Klägers seit zwei Jahren bestehende chronisch rezidivierende Kreuzschmerzen mit Exazebationen 04/98) bei.

Mit Bescheid vom 27.07.2005 lehnte die Beklagte das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (BK 2108) ab. Zur Begründung ist ausgeführt, die auf der Arbeitsplatzanalyse durch den Technischen Aufsichtsdienst beruhende Berechnung der bandscheibengefährdenden Tätigkeit des Klägers nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) habe ergeben, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht erfüllt seien, da die Mindestexposition nicht erreicht werde. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung einer berichtigten Belastungsbeurteilung ihrer Präventionsabteilung (Gesamtbelastung des Klägers für die wirbelsäulenbelastenden Zeiten der Beschäftigung als Maurer und Betonbauer mit 16,31 x 106 Nh unter dem Richtwert des MDD zur Mindestexposition von 25 x 106 Nh) mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2005 im Wesentlichen aus den Gründen der Ausgangsentscheidung zurück. Die Entscheidung wurde am 19.12.2005 an die Prozessbevollmächtigten des Klägers abgesandt.

Am 30.01.2006 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben und eine Übergabe des Widerspruchsbescheides durch eine Nachbarin der Kanzlei am 31.12.2005 anwaltlich versichert.

Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen von Dr. H. (Behandlung von Juli 1998 bis Dezember 2002 sowie im August 2005; chronisches Wirbelsäulensyndrom bei deutlichen degenerativen Veränderungen der BWS und fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der LWS sowie wechselnden Blockaden im Bereich der HWS), dem Orthopäden B. (Behandlung seit September 2004; rezidivierende funktionelle Blockierungen der Wirbelsäule, Instabilität der Wirbelsäule, Wirbelsäulen-Skoliose bei Beinverkürzung links, Osteochondrose L4/5 Grad II-III) und des Allgemeinmediziners H. (im Mai 1999 erstmals geklagt über Schmerzen im Brust- und Ländernbereich bei bekanntem Bandscheibenvorfall L4/5, im August 2001 Querfortsatzfraktur L2 links ohne röntgenologisch erkennbare Frakturlinie bei allerdings nachgewiesener Osteochondrose L4/5 und L5/S1 mit geringen Spondylosen, im November 2001 Diagnose eines Schulterhochstandes links bei Torsionsskoliose der Wirbelsäule mit Verkrümmung nach rechts, im August 2002 Rückenschmerzen im Lumbalbereich bei Verhebetrauma) eingeholt.

Ferner haben der Orthopäde Priv. Doz. Dr. Dr. St. ein vom Sozialgericht von Amts wegen eingeholtes Sachverständigengutachten nebst ergänzender Stellungnahme und der Orthopäde B. ein auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholtes Gutachten erstattet. Priv. Doz. Dr. Dr. St. hat in seinem Gutachten ausgeführt, beim Kläger bestehe eine erhebliche bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule und eine deutliche bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren Halswirbelsäule; es liege ein Verschleißleiden (Spondylosis deformans, Spondylarthrose und Osteochondrose) im Bereich der gesamten Wirbelsäule mit unterschiedlicher Ausprägung in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten, eine Steilstellung der Wirbelsäule eine Rundrückenbildung (kontrakte Kyphose) der Brustwirbelsäule und eine minimale Seitverbiegung (Skoliose) des thoracolumbalen Übergangs vor. Angesichts der fehlenden Belastungsexposition nach dem MDD, der auch im Bereich der unteren Halswirbelsäule bestehenden bandscheibenbedingten Erkrankung und des mangelnden belastungstypischen Schadensbildes an der Lendenwirbelsäule könne die berufliche Belastung nicht als wahrscheinlich ursächlich für die Entstehung oder eine Verschlimmerung der dort vorliegenden Degeneration angesehen werden, sondern handle es sich um ein anlagebedingtes Leiden. Der Orthopäde B. hat eine chronische Lumboischialgie links bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L4/5 und ausgeprägten degenerativen Veränderungen in den Segmenten L3 bis S1, eine leichte Wirbelsäulenskoliose bei Beinverkürzung links von ca. 1 cm und eine chronische Instabilität der Wirbelsäule mit funktionellen Blockierungen diagnostiziert. Hieraus ergebe sich eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, für deren Entstehung die schwere berufliche Tätigkeit des Klägers mit großer Wahrscheinlichkeit überwiegend ursächlich sei. Die Beinverkürzung mit entsprechender Verkrümmung der Wirbelsäule habe zu dieser Entwicklung sicherlich nur geringfügig beigetragen. Eine Rundrückenbildung liege nicht vor; die degenerativen Veränderungen an den übrigen Wirbelsäulenabschnitten seien von Priv. Doz. Dr. Dr. St. überbewertet worden. Unter Berücksichtigung einer an die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 -) angepassten Neubeurteilung der Belastungsdosis durch die Präventionsabteilung der Beklagten (Gesamtbelastung des Klägers für die wirbelsäulenbelastenden Zeiten der Beschäftigung als Maurer und Betonbauer mit 17,56 x 106 Nh über dem hälftigen Orientierungswert des MDD zur Mindestexposition von 12,5 x 106 Nh) sowie der Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe (abgedr. in Trauma und Berufskrankheit 2005, Seite 211 ff.) hat Priv. Doz. Dr. Dr. St. in seiner ergänzenden Stellungnahme dargelegt, ein ursächlicher Zusammenhang der versicherten Tätigkeit des Klägers und der Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Jedoch habe die berufliche Tätigkeit mit Wahrscheinlichkeit zu einer nicht nur vorübergehenden Verschlimmerung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule geführt.

Mit Urteil vom 27.04.2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule seien nicht als BK 2108 anzuerkennen. Zwar überschreite die berufliche Gesamtbelastung der Wirbelsäule des Klägers den unteren Grenzwert von 12,5 x 106 Nh. Indes sei zu berücksichtigen, dass der Bandscheibenvorfall des Klägers im Jahre 1998 aufgetreten und zu dieser Zeit die Belastungsdosis von 17,56 x 106 Nh noch weit unterschritten gewesen sei. Danach sei bereits das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Feststellung der BK 2108 fraglich. Jedenfalls seien aber die medizinischen Voraussetzungen der besagten BK nicht erfüllt. Priv. Doz. Dr. Dr. St. habe in seinem Gutachten schlüssig dargelegt, dass das frühe Auftreten der bandscheibenbedingten Erkrankung des Klägers gegen eine wesentliche Verursachung durch die berufliche Belastung spreche, zumal der Belastungszeitraum im Jahre 1998 erst acht Jahre betragen und zudem mit Unterbrechungen versehen gewesen sei. Ferner habe der Sachverständige ein belastungskonformes Schadensbild nicht feststellen können. Auch nach den sog. Konsensempfehlungen liege eine Konstellation, aufgrund derer er sich eine berufliche Verursachung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers bejahen lasse (Konstellation B1 oder B2), nicht vor. Insbesondere habe Priv. Doz. Dr. Dr. St. darauf hingewiesen, dass in der kernspintomographischen Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom Juli 2000 die distalen Brustwirbelsäulenbewegungssegmente als altersentsprechend unauffällig beschrieben worden seien, während für die hier allein in Frage kommenden Konstellation B2 eine bereits zu jener Zeit bestehende Veränderung der oberen Bandscheiben erforderlich gewesen wäre. Eine Verschlimmerung einer vorbestehenden bandscheibenbedingten Erkrankung durch die berufliche Belastung liege - anders als der Sachverständige meine - nicht vor, da beim Kläger zu Beginn der Erkrankung etwa im Jahre 1998 noch kein abgrenzbarer Vorschaden vorgelegen habe. Die Einschätzung des Sachverständigen B. sei mangels Auseinandersetzung mit der Krankheitsentwicklung sowie fehlender Einbeziehung des MDD und der Konsensempfehlungen nicht überzeugend. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 17.05.2010 zugestellt.

Am 15.06.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt.

Er ist der Auffassung, die arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen für die Feststellung der BK 2108 seien erfüllt. Insbesondere spreche das frühzeitige Auftreten seiner bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht für eine individuelle Prädisposition, liege ein belastungsangepasstes Schadensbild mit einer hinreichenden Begleitspondylose vor und sei zumindest eine Verschlimmerung einer vorbestehenden Erkrankung der Lendenwirbelsäule festzustellen. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. April 2010 sowie den Bescheid vom 27. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2005 aufzuheben und das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage I zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, beim Kläger seien weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Bei Auftreten des Bandscheibenvorfalls des Klägers im März 1998 sei der Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh noch nicht erreicht gewesen. Auch seien nach den Konsensempfehlungen die zeitnah zum Ende der belastenden beruflichen Tätigkeit erhobenen Befunde maßgeblich. Den mit Blick auf die Tätigkeitsaufgabe im Jahre 2003 zeitnahen Befunden aus dem Jahre 2000 lasse sich aber eine zur Feststellung der BK 2108 führende B2-Konstellation gerade nicht entnehmen. Der Umstand, dass die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit erheblich fortgeschritten seien, beweise eine berufsunabhängige innere Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung. Auch eine berufliche Verschlimmerung liege nicht vor, da sich ein zu Beginn der Erkrankung bestehender Vorschaden nicht abgrenzen lasse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Reutlingen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) des Klägers abgewiesen. Die das Vorliegen einer BK 2108 ablehnenden Bescheide verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens einer BK 2108.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz SGB VII). Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anlage 1 zur BKV sind "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können" als BK 2108 enthalten.

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis erwiesen sein, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , zit. nach juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt jeweils das Bestehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße - nicht auszuschließende - Möglichkeit. Danach muss bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999 - B 2 U 47/98 R - SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

In Anwendung dieser Grundsätze liegen beim Kläger zwar - zwischenzeitlich auch unstreitig - sowohl hinreichende berufliche Einwirkungen i. S. der BK 2108 (arbeitstechnische Voraussetzungen unter Berücksichtigung des MDD) bei Aufgabe der lendenwirbelsäulenbelastenden Tätigkeit Ende November 2003 als auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Indes fehlt es an einem mit Wahrscheinlichkeit feststellbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Einwirkung und der bandscheibenbedingten Erkrankung. Dies hat das Sozialgericht im Urteil vom 27.04.2010 unter Zugrundelegung der sog. Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Die in den Konsensempfehlungen angeführte Konstellation B2, für die ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und der Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung anzunehmen wäre, liegt auch deshalb nicht vor, weil es bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des durch den Bandscheibenvorfall L4/5 dokumentierten klinischen Auftretens der bandscheibenbedingten Erkrankung Ende März/Anfang April 1998 (vgl. hierzu das Vorerkrankungsverzeichnis der A. Rottweil sowie den Entlassungsbericht der Federseeklinik Bad B.) an einer besonders intensiven Belastung fehlt. Denn die Beklagte hat in ihrer Berufungserwiderung zutreffend darauf hingewiesen, dass beim Kläger nach der an die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 -) angepassten - schlüssigen - Neubeurteilung der Belastungsdosis durch ihre Präventionsabteilung bis Ende März 1998 lediglich eine Gesamtbelastungdosis von 10,743 x 106 Nh vorlag und damit der Grundlage des Konsenses bildende, nicht modifizierte Lebensrichtwert von 25 x 106 Nh nach dem MDD (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 06.05.2010 - L 3 U 19/06 – zit. nach juris) und selbst der abgesenkte Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh nicht annähernd erreicht wurde (vgl. zu den Voraussetzungen einer besonders intensiven Belastung nach den Konsensempfehlungen Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheitenverordnung, M 2108 Rdnr. 6.2.2).

Hinsichtlich der danach beim Kläger bestehenden Konstellation B3 wurde von der interdisziplinären kein Konsens erzielt und besteht daher kein wahrscheinlicher Kausalzusammenhang zwischen wirbelsäulenbelastender Tätigkeit und Erkrankung (vgl. Mehrtens/Brandenburg, M 2108 Rdnr. 6.2.2); die Beweiserleichterung des § 9 Abs. 3 SGB VII findet keine Anwendung (vgl. auch hierzu Mehrtens/Brandenburg, M 2108 Rdnr. 6.1).

Soweit Priv. Doz. Dr. Dr. St. in seiner ergänzenden Stellungnahme die Auffassung vertreten hat, die berufliche Tätigkeit habe mit Wahrscheinlichkeit zu einer nicht nur vorübergehenden Verschlimmerung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule geführt, hat das Sozialgericht zutreffend auf das Fehlen eines abgrenzbaren Vorschadens hingewiesen. Ermangelt es an einem (verschlimmerungsfähigen) Vorschaden und kommt mithin die Verschlimmerung eines solchen nicht in Betracht, so stellt sich die Frage der Kausalität möglicher Ursachen nicht im Rahmen einer Verschlimmerung, sondern allein mit Blick auf die Entstehung der Erkrankung. Daher scheidet in diesen Fällen eine - gleichsam unter Umgehung der Kausalitätskriterien erfolgende - Berücksichtigung von im Rahmen der Entstehung nicht wahrscheinlich, sondern lediglich möglicherweise kausalen und damit im Ergebnis unbeachtlichen beruflichen Erkrankungsursachen als wahrscheinliche Verschlimmerungsursachen aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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