S 18 R 1208/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 R 1208/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung in Höhe vom 3.940,00 Euro für vom Kläger selbst beschaffte Hörgeräte streitig.

Der am 11.05.1945 geborene Kläger ist Leiter eines Chemielabors. Im Rahmen seiner Tätigkeit ist er mit hochkomplexen Werkstoffentwicklungen und Forschungsarbeiten betraut.

Am 14.07.2008 wurde dem Kläger ärztlich eine Erstversorgung mit Hörhilfen verordnet. Der Kläger leidet an einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit. Er probierte bei seinem Hörgeräteakustiker drei Hörsysteme aus. Davon war keines zuzahlungsfrei bzw. von der Versorgungspauschale der Krankenkasse gedeckt. Letztlich entschied sich der Kläger für das Hörsystem GN Resound/DOT 30, da damit das beste Sprachverstehen erzielt werden konnte. Am 19.12.2008 erhielt der Kläger eine Rechnung seines Hörgeräteakustikers für die Hörversorgung mit dem gewählten System in Höhe von insgesamt 3.960,- Euro, darin war bereits der Kassenanteil von 1.276,80 Euro als Abzug berücksichtigt. Diese Rechnung wurde vom Kläger am 29.12.2008 bezahlt.

Am 19.01.2009, eingegangen bei der Beklagten am 29. Januar 2009 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Hörgeräte. Zur Begründung führte er aus, dass er vier Hörgeräte ausprobiert habe und sich anschließend für das gekaufte Gerät entschieden habe, weil dies die beste Wirkung erzielt hätte. Er sei beruflich auf sehr gutes Hören angewiesen. Mit seinen technischen Eigenschaften sei das bereits erstandene Hörgerät in der Lage, die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.

Mit Bescheid vom 11.02.2009 wurde der Antrag auf Übernahme der Kosten für die bereits erstandenen Hörgeräte abgelehnt, weil der Rentenversicherungsträger grundsätzlich nicht zuständig sei, sondern die Krankenkasse. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Vor dem Sozialgericht Nürnberg sei einem Kollegen in ähnlicher Situation die Kosten erstattet worden. Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse dies auch für ihn gelten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2009 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger an einer mittelgradigen Schwerhörigkeit leide, welche ihn generell auf das Tragen von Hörgeräten angewiesen sein lässt. Zumindest sei nicht von einer besonderen spezifischen beruflichen Betroffenheit auszugehen. Bei der beim Kläger bestehenden mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit sei die Kommunikation mit Menschen bei üblicher Lautstärke gestört, ausreichende Kommunikationsfähigkeit, sowohl im privaten als auch beruflichen Bereich werde jedoch durch die Hörgeräteversorgung der Krankenkasse erreicht. Im Übrigen sei der Antrag auf Kostenübernahme verspätet gestellt.

Hiergegen reichte der Kläger Klage ein.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 11.02.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2009, Az. 58 110545 M 010, 01 A6, verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Hörhilfen zu gewähren und EUR 3.940,00 an den Kläger nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Krankenkasse des Klägers wurde zum Verfahren notwendig beigeladen. Sie führte aus, dass der Kläger nie direkt mit einem Antrag auf Kostenerstattung an sie herangetreten sei. Die Kostenpauschale sei direkt mit dem Hörgeräteakustiker abgerechnet worden. Nach Aussage des Hörgeräteakustikers habe der Kläger drei Hörgeräte ausprobiert und angepasst bekommen, davon sei keines zuzahlungsfrei gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Kammerberatung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht Nürnberg eingereichte Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von ihm selbst angeschafften Hörgeräte gem. § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX. § 15 Abs 1 SGB IX normiert trägerübergreifend Kostenerstattungsansprüche für selbstbe-schaffte Teilhabeleistungen. Ausweislich der gesetzgeberischen Absicht sollte mit § 15 SGB IX eine einheitliche Kostenerstattungsregelung für den Bereich der Teilhabeleistungen geschaffen werden. Hierfür spricht auch, dass § 15 Abs 1 Satz 5 SGB IX ausdrücklich regelt, für welche Träger welche Kostenerstattungsansprüche der Norm nicht gelten sollen. Von den in § 15 Abs 1 Sätze 1 bis 3 und Satz 4 SGB IX geregelten drei unterschiedlichen Tatbeständen, die zur Kostenerstattungspflicht führen können, kommen vorliegend die in Satz 4 aufgeführten Alternativen in Betracht. Nach dieser Vorschrift besteht die Erstattungspflicht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Rehabilitationsträger iS von § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX ist ausweislich des systematischen Zusammenhangs der Bestimmung mit Satz 3 der zuständige Rehabilitationsträger. Nach Satz 3 ist der "zuständige" Rehabilitationsträger unter bestimmten Voraussetzungen zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, wenn sich Leistungsberechtigte eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Die Erstattungspflicht des "zuständigen" Rehabilitationsträgers erstreckt Satz 4 auf die darin geregelten Tatbestände, indem er bestimmt, dass die Erstattungspflicht "auch" in diesen Fällen besteht. Zuständiger Rehabilitationsträger iS des § 15 Abs 1 SGB IX ist der nach § 14 SGB IX verantwortliche Rehabilitationsträger.

§ 14 SGB IX sieht im Grundsatz lediglich zwei Zuständigkeiten vor, die des erstangegangenen oder des im Wege der Weiterleitung zweitangegangenen Rehabilitationsträgers. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach den für ihn geltenden Leistungsgesetzen zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag gemäß § 14 Abs 1 Satz 2 SGB IX unverzüglich dem seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträ-ger zu. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Im Falle der Nichtweiterleitung des Antrags ist danach der erstangegangene Rehabilitationsträger zuständig. Die Beklagte ist erstangegangener Rehabilitationsträger, da der Kläger nur bei der Be-klagten einen Antrag auf Übernahme der Mehrkosten für die Hörgeräte am 19.01.2009 gestellt hat. Zwar wurde vom Hörgeräteakustiker mit der beigeladenen Krankenkasse am 17. November 2008 direkt die Versorgungspauschale abgerechnet. Ein Antrag auf Mehrkosten der Hörgeräteversorgung kann darin jedoch nicht gesehen werden, insbesondere, weil sich der Kläger nie direkt an seine Krankenkasse gewendet hat. Die Beklagte ist damit zuständiger Rehabilitationsträger im Sinn von § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX. Es kann letztlich dahin stehen, ob die Beklagte alle Rechtsgrundlagen für Teilhabeleistungen unter Beachtung der jeweiligen besonderen persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der jeweiligen Leistungsgesetze geprüft hat, weil jedenfalls die besonderen Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs iS des § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX - das Unvermögen zu einer rechtzeitigen Leistung oder deren Ab-lehnung zu Unrecht sowie ein vorheriger Antrag - nicht erfüllt sind. § 15 SGB IX ist vom Antragsprinzip geprägt (vgl. auch § 115 Abs. 1 S. 1 SGB VI). Vor ei-ner Selbstbeschaffung ist zwingend ein Antrag vom Versicherten auf Erbringung der Leistung zu stellen (vgl. LSG Bayern, 26.11.2003, L 16 RJ 263/03). Vorliegend hat sich der Kläger die Leistung bereits im Dezember 2008 selbst beschafft und bezahlt, bevor er am 19.01.2009 einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Beklagten stellte. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht daher mangels vorherigen Antrags bereits nicht. Die Leistung war zudem nicht unaufschiebbar. Eine unaufschiebbare Leistung liegt immer dann vor, wenn zwingende medizinische Gründe für den sofortigen Beginn einer Leistung vorhanden sind (zB Notfall) (vgl. Jabben in BeckOK § 15 SBB IX Rn. 6). Zwar trägt der Kläger vor, ohne die Selbstbeschaffung wäre sein Arbeitsplatz gefährdet gewesen. Nach eigenen Angaben bemerkte der Kläger bereits über Jahre hinweg sein verschlechtertes Hörvermögen. Auch ließ sich der Kläger vom Zeitpunkt der Hörmittelversorgung am 14.07.2008 bis zum Kauf der Hörgeräte im Dezember 2008 ausreichend Zeit, Hörgeräte zu testen und sich für eines zu entscheiden. Warum plötzlich die Hörgeräteversorgung so unaufschiebbar gewesen sein soll, dass beispielsweise eine unmittelbare und unabweisbare Arbeitgeberkündigung drohte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr erscheint der Kläger für den Betrieb auch als einziger Ausbilder eher unabkömmlich. Jedenfalls war es ihm zuzumuten, vor der Selbstbeschaffung einen Antrag zu stellen und eine Entscheidung der Beklagten abzuwarten.

Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenerstattung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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