L 11 R 2569/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 47/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2569/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Pflichtbeitragszeiten, die nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung,
sondern in einem anderen Sicherungssystem (hier: Versorgungswerk der
Rechtsanwälte in Baden-Württemberg) zurückgelegt worden sind, sind im
Rahmen des § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI nicht berücksichtigungsfähig.
Sie fallen auch nicht unter den Anwendungsbereich von § 55 Abs 1
Satz 2 SGB VI.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit streitig.

Der am 15. September 1949 geborene Kläger, der als Rechtsanwalt zugelassen ist, entrichtete vom 1. November 1973 bis 30. November 1975 und vom 1. August 1979 bis 31. Dezember 1992 Pflichtbeiträge an die Beklagte (Pflichtbeitragszeiten in Höhe von insgesamt 214 Monate). Für die Zeit vom 1. März 1977 bis 21. Juni 1979 wurde er bei der Beklagten nachversichert (vgl Aufstellung der rentenrechtlichen Zeiten, Bl 22 der Verwaltungsakte). Auf seinen Antrag vom 3. Februar 1993 hin befreite die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 15. April 1993 von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten ab dem 1. Januar 1993, dem Beginn der Mitgliedschaft des Klägers im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg (Stuttgart). Der Kläger entrichtete fortan Beiträge an das Versorgungswerk. Neben seiner Tätigkeit als freiberuflicher Rechtsanwalt war der Kläger zudem bei der Firma I. Deutschland als Programmleiter beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 25. November 2003 wurde vereinbart, dass der Kläger vom 1. Oktober 2004 bis 30. September 2009 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden und einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 5.425,00 EUR als Programmleiter eingestellt werde. Der befristete Arbeitsvertrag werde im Rahmen des für das Unternehmen gültigen Tarifvertrages über Altersteilzeit geschlossen. Das Arbeitsverhältnis ende zum vereinbarten Termin, ohne dass es einer besonderen Kündigung bedürfe. Es gälten darüber hinaus die gültigen betrieblichen Regelungen über Altersteilzeit, wobei die vereinbarte Soll-Arbeitszeit folgendermaßen verteilt sei: Vom 1. Oktober 2004 bis 31. März 2007 Arbeitszeit und vom 1. April 2007 bis 30. September 2009 arbeitsfrei (ohne Urlaubsanspruch).

Am 17. August 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit. Die Altersrente solle als Vollrente gezahlt werden. Er gab hierbei an, dass er am 1. Januar 2004 nicht arbeitslos gemeldet gewesen sei und er vor diesem Zeitpunkt eine Vereinbarung über Altersteilzeitarbeit getroffen habe. Mit Bescheid vom 24. August 2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, da die Voraussetzungen des § 237 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht erfüllt seien. Voraussetzung sei nämlich, dass in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente mindestens 96 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten nachgewiesen seien. In dem hier maßgebenden Zehnjahreszeitraum vom 1. Oktober 1999 bis 30. September 2009 seien keine Pflichtbeiträge nachgewiesen, sodass ein Anspruch auf Altersrente nach Altersteilzeitarbeit nicht bestehe. Allerdings bestehe ein Anspruch auf Regelaltersrente ab 1. Oktober 2014.

Hiergegen erhob der Kläger am 21. September 2009 Widerspruch und wies darauf hin, dass er seit vielen Jahren neben seiner Anstellung in der Industrie freiberuflich als Rechtsanwalt tätig gewesen sei und daher als Zwangsmitglied in der Rechtsanwaltskammer Höchstbeiträge an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte gezahlt habe. Deshalb sei ihm auch eine Befreiung von der staatlichen Rentenversicherung erteilt worden. Beim Versorgungswerk handle es sich um einen gleichgestellten Rententräger im Sinne des Gesetzes. Die Beiträge zu Versorgungswerken der Freiberufler seien somit den in § 237 Abs 1 Nr 4 genannten Pflichtbeitragszeiten gleichgestellt. Dies ergebe sich auch aus einer Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, in der es heiße, dass Voraussetzung für eine Altersrente nach Altersteilzeitarbeit sei, dass in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente für acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit oder sonstige Beiträge, die Pflichtbeiträge gleichstünden, gezahlt seien. Im Altersteilzeitgesetz (AtzG) sei bereits an angestellte Selbstständige gedacht worden, da Ausnahmeregelungen für die Zuverdienstgrenze geschaffen worden seien. Gleiches müsse dann aber auch für den Rentenbeginn bei Selbstständigen mit eigenem Versorgungswerk gelten, da ansonsten das SGB VI die Regelungen des AtzG aushöhle. Auch sei er zuvor nicht darauf hingewiesen worden, dass die Zahlung von Beiträgen an ein Versorgungswerk für ihn negative Auswirkungen auf seine gesetzliche Rente haben würde. Er habe vielmehr darauf gehofft, ab Vollendung des 60. Lebensjahres auch Zahlungen aus der staatlichen Rentenversicherung zu erhalten. Der Kläger hat zur weiteren Begründung Beitragsbescheinigungen des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg vom 1. Februar 2000 und 19. Januar 2009 vorgelegt. Mit Schreiben vom 28. September 2009 hat die Beklagte ihre Rechtsansicht nochmals erläutert und darauf hingewiesen, dass die am 24. November 2003 und am 7. Mai 2009 erteilten Rentenauskünfte keinen Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente begründeten. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2009 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch sodann zurück und führte hierbei aus, zu den Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählten grundsätzlich nur die Pflichtbeiträge, die aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt worden seien. Für sonstige Pflichtbeitragszeiten gelte § 55 Abs 2 SGB VI. Beiträge zu einem berufsständischen Versorgungswerk stellten hingegen keine Pflichtbeiträge im Sinne des § 237 SGB VI dar. Darüber hinaus handle es sich bei Rentenauskünften nicht um eine Zusicherung, sodass sie auch nicht rechtsverbindlich seien.

Hiergegen hat der Kläger am 5. Januar 2010 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Ergänzend hat er ausgeführt, dass in der Rentenauskunft vom 22. September 2009 darauf hingewiesen worden sei, dass er die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung erfülle und der früheste Rentenbeginn mit Rentenabschlag der 1. Oktober 2009 sei. Im Übrigen halte er die Regelung des § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI für grundrechtswidrig und diskriminierend. Zur weiteren Begründung seiner Klage hat er ua den Arbeitsvertrag vom 25. November 2003 und die Rentenauskunft vom 22. September 2009 vorgelegt.

Mit Urteil vom 21. April 2010, dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 22. Mai 2010 zugestellt, hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente keine acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachgewiesen. Hierbei seien nur Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen, nicht aber solche in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Diese Beiträge führten auch nicht nach § 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI aufgrund besonderer Vorschriften dazu, dass Pflichtbeiträge als gezahlt gelten. Eine Vorschrift des Inhalts, dass Beiträge zu einem berufsständischen Versorgungswerk als zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlte Pflichtbeiträge gelten, existiere nicht. Ebenso wenig handele es sich bei diesen Beiträgen um freiwillige Beiträge im Sinne des § 55 Abs 2 Nr 1 SGB VI. Zu beachten sei, dass es sich bei den Versorgungswerken um eigenständige Sicherungssysteme handle und die Mittel für die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber aufgebracht würden. Es bestehe daher auch keine Regelungslücke. Im Hinblick auf den Einwand des Klägers, ihm sei nicht klar, an wen solche Pflichtbeiträge zu zahlen seien, sei auf die entsprechenden Regelungen der §§ 28h und 28i Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) hinzuweisen. Auch sei in der Rentenauskunft vom 22. September 2009 keine Zusicherung eines Rentenanspruchs erteilt worden. Darin werde zwar der 1. Oktober 2009 als der früheste Rentenbeginn mit Rentenabschlag genannt, dies aber nur unter der Bedingung, dass die Anspruchsvoraussetzungen für diese Rente erfüllt seien. Hierzu gehöre aber auch die Anzahl der Pflichtbeitragszeiten. Die vom Kläger erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände seien nicht durchgreifend.

Hiergegen hat der Kläger am 31. Mai 2010 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Er habe während des maßgebenden Zehnjahreszeitraums durchgängig Pflichtbeiträge an das Versorgungswerk geleistet. § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI sage nicht, wie die Pflichtbeiträge zu definieren und an wen sie zu entrichten seien. Darüber hinaus sei das Verhältnis zu den Spezialregelungen des AtzG nicht geregelt. § 55 SGB VI sage nicht, dass Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk keine Berücksichtigung finden könnten. Der Hinweis des SG auf die §§ 28h und 28i SGB IV regelten nur die Einzugsstellen für die Gesamtsozialversicherung. Entgegen den Ausführungen des SG sei dort gerade nicht eine Pflicht zur Zahlung von Rentenpflichtbeiträgen an die Rentenversicherung geregelt. Ein anderes Ergebnis verstoße auch gegen die Intention des AtzG. Dem Gesetzgeber sei die Problematik "angestellter Selbstständiger" bewusst gewesen, was sich in der Ausnahmeregelung für die Zuverdienstgrenze zeige. Die Altersteilzeitregelungen seien insofern lex specialis. Folge man der Auffassung der Beklagten, käme es zu einer Altersdiskriminierung bzw zu einer Enteignung.

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. April 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Oktober 2009 Altersrente nach Altersteilzeitarbeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Beteiligten schriftlich darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, den Fall gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zu entscheiden. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Da der Senat die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 24. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2009 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat weder ab dem 1. Oktober 2009 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Altersrente wegen Altersteilzeitarbeit, da er die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

Der Anspruch des Klägers auf Altersrente nach Altersteilzeitarbeit für die Zeit ab 1. Oktober 2009 richtet sich nach § 237 SGB VI in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung. Nach § 237 Abs 1 haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1. vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, 2. das 60. Lebensjahr vollendet haben, 3. entweder

a) bei Beginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und sechs Monaten insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder b) die Arbeitszeit aufgrund von Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs 1 Nr 1 des Altersteilzeitgesetzes für mindestens 24 Kalendermonate vermindert haben, 4. in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von zehn Jahren um Anrechnungszeiten, Berücksichtigungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente aus eigener Versicherung, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind, verlängert, und 5. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.

Der Kläger ist vor dem 1. Januar 1952, nämlich am 15. September 1949 geboren und hat damit am 15. September 2009 sein 60. Lebensjahr vollendet. Er hat auch die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt, was der Senat der Wartezeitübersicht der Beklagten vom 22. September 2009 (Bl 19 der Verwaltungsakte) entnimmt. Darüber hinaus hatte er die Arbeitszeit aufgrund von Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs 1 Nr 1 des AtzG für mindestens 24 Kalendermonate vermindert. Dies ergibt sich aus dem zwischen dem Kläger und der Firma I. Deutschland GmbH geschlossenen Arbeitsvertrag vom 25. November 2003. Denn danach betrug seine Arbeitszeit vom 1. Oktober 2004 bis 31. März 2007 20 Stunden pro Woche und in dem sich daran anschließenden Zeitraum bestand bis 30. September 2009 Arbeitsfreiheit.

Der Kläger erfüllt jedoch nicht die sogenannte Acht-Zehntel-Regelung des § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI. Denn er hat in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente nicht acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Zwischen den Beteiligten ist insofern unstreitig, dass er keine Pflichtbeiträge im maßgebenden (vorliegend mangels Anrechnungszeiten, Berücksichtigungszeiten oder Zeiten des Bezugs einer Rente aus eigener Versicherung nicht zu verlängernden) Zehnjahreszeitraum vom 1. Oktober 1999 bis 30. September 2009 zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Ein Rentenanspruch wäre daher nur dann gegeben, wenn die vom Kläger an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte Baden-Württemberg entrichteten Pflichtbeiträge auch als (Pflicht-)Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI anzusehen oder jedenfalls als solche zu behandeln wären. Dies ist jedoch vom SG zu Recht verneint worden.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass die Definition des § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI (Pflichtbeitragszeiten) für die Normen des SGB VI gilt, die als Anspruchsvoraussetzung die Entrichtung von "Pflichtbeiträgen" normieren (vgl BSG Urteil vom 19. Mai 2004 - B 13 RJ 4/04 R = veröffentlicht in juris; BSG, Urteil vom 22. Februar 1990 - 4 RA 62/89 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 3; Urteil vom 27. Juni 1990 - 5 RJ 19/89 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 6). Beitragszeiten nach § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI sind danach Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach § 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Auf diese Begriffsbestimmung nimmt § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI erkennbar Bezug, wenn im maßgeblichen Zehnjahreszeitraum für acht Jahre eine Belegung mit Pflichtbeiträgen gefordert wird. Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei den an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte Baden-Württemberg entrichteten (Pflicht-)Beiträgen für die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 30. September 2009 nicht um Beitragszeiten im Sinne von § 55 SGB VI. Denn mit "Pflichtbeitragszeiten" im Sinne dieser Vorschrift können im System der gesetzlichen Rentenversicherung schon aus systematischen Erwägungen nur Zeiten gemeint sein, in denen nach Bundesrecht gerade zu diesem Sicherungssystem Pflichtbeiträge entrichtet worden sind (vgl BSG, Urteil vom 19. Mai 2004 - B 13 RJ 4/04 R = aaO Rdnr 25). Die Ansicht des Klägers, wonach die Regelung des § 55 Abs 1 SGB VI nicht herangezogen werden könne, da nicht geregelt sei, dass Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk keine Berücksichtigung finden könnten, trifft daher nicht zu. Hätte der Gesetzgeber unter Pflichtbeitragszeiten bzw Beitragszeiten andere Zeiten einbeziehen wollen, in denen Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk entrichtet worden sind, hätte dies einer eindeutigen gesetzlichen Regelung bedurft. Eine solche Regelung liegt jedoch nicht vor. Hätte der Gesetzgeber darüber hinaus unter Pflichtbeitragszeiten in § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI andere Zeiten als die in § 55 SGB VI genannten einbeziehen und die Gewährung des Versicherungsschutzes nach dem SGB VI auch durch die Zurücklegung von Versicherungszeiten in anderen Sicherungssystemen gewährleisten wollen, hätte auch dies einer eindeutigen gesetzlichen Regelung bedurft. Angesichts der klaren Rechtslage kann auch nicht von einer planwidrigen Lücke ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr - in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise - dafür entschlossen, die vorzeitige Altersrente nach Altersteilzeitarbeit nur denjenigen Versicherten zu eröffnen, die in den letzten Jahren ihrer Arbeitszeit hinsichtlich Beitragsdauer und Beitragsdichte besondere Verpflichtungen im gesetzlichen Rentensystem getragen haben, denen sie sich nicht haben entziehen können (vgl hierzu Fichte in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VI, § 237 Rdnr 64, Stand Oktober 2009). Pflichtbeitragszeiten, die in einem anderen Sicherungssystem (wie hier: Versorgungswerk der Rechtsanwälte) zurückgelegt worden sind, sind daher im Rahmen des § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig (Fichte, aaO, Rdnr 66; O’Sullivan in jurisPK-SGB VI, § 237 Rdnr 65, Stand Oktober 2008; Niesel in Kasseler Kommentar, § 55 Rdnr 5, Stand November 2001). Sie fallen auch nicht unter den Anwendungsbereich von § 55 Abs 2 SGB VI.

Der Senat weist darüber hinaus darauf hin, dass es sich bei den in § 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI genannten "besonderen Vorschriften" um Vorschriften des Bundesrechts handeln muss. Die Pflichtbeiträge, die der Kläger an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte geleistet hat, wurden jedoch aufgrund der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte Baden-Württemberg und nicht aufgrund von Bundesrecht entrichtet.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach § 173 Satz 1 SGB VI Beiträge unmittelbar an die "Träger der Rentenversicherung" zu zahlen sind. Zu den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl hierzu § 125 SGB VI) zählen jedoch nicht die Versorgungswerke der Rechtsanwälte.

Die Behandlung der an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte Baden-Württemberg entrichteten Pflichtbeiträge als Beiträge im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten (vgl hierzu BSG, Urteil vom 19. Mai 2004 - B 13 RJ 4/04 R = aaO, Rdnr 28 ff). Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art 3 Abs 1 Grundgesetz [GG]) liegt nicht vor. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl nur BVerfGE 105, 73 = SozR 3-1100 Art 3 Nr 176 mwN). Im vorliegenden Fall scheidet eine Ungleichbehandlung schon deshalb aus, weil im Hinblick auf die Gruppe der Pflichtversicherten und die Gruppe der freiberuflich Tätigen, die für ihre Altersversorgung Beiträge in ein anderes Sicherungssystem leisten (Versorgungswerk), insofern Unterschiede bestehen, als es sich um zwei getrennte Sicherungssysteme handelt. Der Gesetzgeber war daher nicht verpflichtet, eine Kongruenz zwischen beiden Sicherungssystemen herzustellen.

Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die Regelung des § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI auch nicht gegen die Intention des AtzG. Denn die Privilegierung Pflichtversicherter, die Altersteilzeitarbeit und im Anschluss daran die Altersrente nach § 237 SGB VI in Anspruch nehmen, ist - wie bereits dargelegt - auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt. An diesem Ergebnis ändert auch die vom Kläger angeführte Regelung des § 5 Abs 3 Satz 4 AtzG nichts. Danach bleiben Beschäftigungen oder selbstständige Tätigkeiten im Hinblick auf das Ruhen des Anspruchs auf Leistungen der Bundesagentur für Arbeit unberücksichtigt, soweit der altersteilzeitarbeitende Arbeitnehmer sie bereits innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeitarbeit ständig ausgeübt hat. Die Ansicht des Klägers, dass diese Regelung nur notwendig gewesen sei, weil der Gesetzgeber davon ausgehe, dass Personen, die Altersteilzeitarbeit in Anspruch nehmen, mit Vollendung des 60. Lebensjahres nahtlos in die staatliche Rente übergingen, trifft nicht zu. § 5 AtzG regelt vielmehr, unter welchen Voraussetzungen die Förderleistungen der Bundesagentur für Arbeit an den Arbeitgeber vorübergehend oder auf Dauer entfallen. Der Anspruch des Arbeitgebers auf Förderung (vgl § 4 AtzG) ruht nach der Regelung des § 5 Abs 3 Satz 4 AtzG dann nicht, wenn der altersteilzeitarbeitende Arbeitnehmer eine weitere Beschäftigung innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeitarbeit ständig ausgeübt hat. Die Regelung steht damit in keinem Zusammenhang mit der Gewährung von Altersrente wegen Altersteilzeitarbeit.

Das SG hat darüber hinaus zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger keinen Rentenanspruch aus der Auskunft vom 22. September 2009 herleiten kann. Der Senat schließt sich dem an und sieht deshalb von einer weiteren Begründung ab (§ 153 Abs 2 SGG).

Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nach § 160 Abs 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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