L 13 AL 5433/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 2830/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 5433/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2009 aufgehoben; die Klagen werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2008 (3.201,90 EUR) nebst von der Beklagten entrichteter Beiträge zur Kranken- (635,66 EUR) und Pflegeversicherung (32,99 EUR; insgesamt: 3.870,55 EUR) und eines für die Zeit ab 1. März 2008 bewilligten Gründungszuschusses.

Der am 1972 geborene Kläger meldete sich am 19. Dezember 2007 mit Wirkung ab 1. Januar 2008 bei Agentur für Arbeit Mannheim (AA) arbeitslos und beantragte Alg. Er hatte zuvor seit 1. Januar 2004 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei der Firma S. AG in W. (S.) gestanden; das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 24. Mai 2007 mit Wirkung zum 31. Dezember 2007 gegen Zahlung einer Bruttoabfindung in Höhe von 20.000,00 EUR einvernehmlich beendet. Seit 1. September 2007 war der Kläger von der Arbeit freigestellt. Mit Bescheid vom 13. Februar 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2008. Aufgrund der beabsichtigten Aufnahme einer (hauptberuflichen) selbständigen Tätigkeit hob die Beklagte die Leistungsbewilligung zunächst ab 15. Februar 2008 auf (Bescheid vom 19. Februar 2008). Nach Mitteilung des Klägers, der Zeitpunkt der Tätigkeitsaufnahme verschiebe sich auf den 1. März 2008 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Februar 2008 Alg auch für die Zeit vom 15. bis 29. Februar 2008. Zuvor hatte die Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 25. und 26. Februar 2008 auch die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Januar bis 14. Februar 2008 (wegen eines Wechsels der Lohnsteuerklassen) abgeändert.

Der Kläger hatte bereits während seiner Tätigkeit bei der Firma S. seit 17. April 2007 die Firma M. I. GmbH als Gewerbe im Nebenerwerb angemeldet. Am 6. Mai 2008 meldete er diese Firma als Gewerbe im Haupterwerb an, am 15. Januar 2009 wiederum als Gewerbe im Nebenerwerb. Seit 1. Juni 2007 hatte der Kläger den Arbeitnehmer Al. B. und seit 1. Oktober 2007 den Arbeitnehmer Bayram Ke. jeweils in Vollzeit beschäftigt. Am 31. Dezember 2007 meldete er darüber hinaus die Firma G. M. Bauservice als Gewerbe im Haupterwerb an. Diese Eintragung ließ er am 6. Februar 2008 rückwirkend mit Wirkung zum 31. Dezember 2007 ändern und das Gewerbe als Nebenerwerb eintragen. Ab 1. März 2008 meldete er dann die Firma G. M. Bauservice wieder als Haupterwerb an; am 15. Januar 2009 erfolgte auch hier die Ummeldung als Gewerbe im Nebenwerb.

Am 8. Januar 2008 beantragte der Kläger bei der AA die Gewährung eines Gründungszuschusses für die Erbringung von Bauservice-Leistungen als selbständige Tätigkeit. Im am 29. April 2008 bei der AA eingegangenen Antragsformular gab der Kläger an, er habe die Tätigkeit am 1. März 2008 aufgenommen; in der Vergangenheit sei er nicht selbständig tätig gewesen. Mit Bescheid vom 5. Mai 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger einen Gründungszuschuss in Höhe von monatlich 2225,40 EUR als Zuschuss für die Zeit vom 1. März bis 30. November 2008.

Nachdem die AA Kenntnis von der Existenz beider auf den Kläger angemeldeter Firmen sowie von dem Umstand, dass der Kläger seit 1. Oktober 2007 sogar einen Eingliederungszuschuss für die Beschäftigung eines Arbeitnehmers in Vollzeit bezog, erlangt hatte, hörte sie den Kläger mit Schreiben vom 15. Mai 2008 zum Umfang seiner selbständigen Tätigkeit an. Gegen dieses Schreiben erhob der Kläger am 26. Mai 2008 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 als unzulässig verworfen wurde. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. Juni 2008 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alg ab 1. Januar 2008 zurück und forderte vom Kläger Erstattung des für die Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2008 gezahlten Alg (3.201,90 EUR) sowie der entrichteten Beiträge zur Kranken- (635,66 EUR) und Pflegeversicherung (32,99 EUR). Insgesamt beläuft sich die Erstattungsforderung auf 3.870,55 EUR. Mit weiterem Bescheid vom 13. Juni 2008 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung eines Gründungszuschusses (Bewilligungsbescheid vom 5. Mai 2008) mit Wirkung ab 1. März 2008 zurück. Gegen beide Bescheide erhob der Kläger am 11. Juli 2008 Widerspruch und trug zur Begründung vor, er habe in der fraglichen Zeit maximal fünf bis acht Stunden wöchentlich gearbeitet; die bewilligten Leistungen hätten ihm deshalb zugestanden. Zur weiteren Begründung legte der Kläger eine selbst erstellte Aufstellung über erbrachte Arbeitsstunden in der Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2008 vor. Mit Widerspruchsbescheiden vom 22. Juli 2008 (Widerspruch gegen die Zurücknahme der Bewilligung des Gründungszuschusses) und vom 23. Juli 2008 (Widerspruch gegen die Zurücknahme und Erstattung von Alg) wies die Beklagte die Widersprüche zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2008 hat der Kläger am 21. August 2008 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG; Az. S 6 AL 2830/08) erhoben; seine Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2008 (ursprüngliches Az. S 6 AL 2831/08) ist am selben Tag beim SG eingegangen. Mit Beschluss vom 17. April 2009 hat das SG beide Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 6 AL 2830/08 verbunden. Der Kläger hat vorgetragen, er habe die Beschäftigung bei der Firma S. auf Anraten seines Arztes aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Es sei zwar richtig, dass er bereits im Jahre 2007 einer Nebenbeschäftigung nachgegangen sei und in diesem Zusammenhang auch Mitarbeiter beschäftigt habe. Es sei jedoch unzulässig, deren Arbeitszeiten für die Bestimmung des Umfangs der Nebenbeschäftigung heranzuziehen. Daneben sei es ihm im streitgegenständlichen Zeitraum bereits aus rein gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, eine Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von mindestens 15 Stunden auszuüben. Das SG hat die Ehefrau des Klägers Christiane M. sowie dessen frühere Mitarbeiter Al. B. und Bayram Ke. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des SG am 9. Oktober 2009 (Bl. 120 bis 132 der Klageakten des SG) Bezug genommen. Mit Urteil vom 22. Oktober 2009 hat das SG die Bescheide vom 13. Juni 2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Juli 2008 und vom 23. Juli 2008 aufgehoben. Zur Begründung ist in den Entscheidungsgründen des Urteils ausgeführt worden, es verblieben ernsthafte Zweifel am Vortrag der Beklagten, der Kläger habe in den Monaten Januar und Februar 2008 seine selbständige Tätigkeit in einem Umfang von wöchentlich 15 Stunden und mehr ausgeübt. Damit sei der Beklagten der erforderliche Nachweis für die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Leistungsbewilligung nicht gelungen; die Voraussetzungen für eine Zurücknahme der jeweiligen Bewilligungsbescheide lägen deshalb nicht vor.

Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 28. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. November 2009 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Weder die vom Kläger vorgelegte Stundenaufstellung noch die Aussagen der vom SG vernommenen Zeugen belegten, dass der Umfang der Tätigkeiten des Klägers unter 15 Stunden gelegen habe. Allein der Umstand, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum zwei Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt habe, rechtfertige die Annahme, auch der Kläger selbst sei seiner Tätigkeit in mehr als geringfügigem Umfang nachgegangen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2009 aufzuheben und die Klagen abzuweisen,

hilfsweise,

zum Nachweis der Tatsache, dass der Kläger im Januar und Februar 2008 auf der Baustelle mitgearbeitet hat, Herrn B. als Zeugen zu vernehmen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Zeugen Ke. und M. erneut zu vernehmen.

Er hält unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens daran fest, dass er bei Ausübung seiner selbständigen Tätigkeiten in den Monaten Januar und Februar 2008 die maßgebliche Grenze von 15 Stunden wöchentlich nicht erreicht habe. Dass er bei der Beantragung des Gründungszuschusses angegeben habe, in der Vergangenheit nicht selbständig tätig gewesen zu sein, beruhe auf einem Missverständnis. Er habe angenommen, es werde nur nach hauptberuflichen selbständigen Tätigkeiten gefragt. Eine solche habe er nicht ausgeübt und deshalb die Frage mit "nein" beantwortet. Ob er gegenüber der Beklagten angegeben habe, dass er zwei Firmen betreibe, könne er nicht mehr sagen. Die Beschäftigung seiner zwei Mitarbeiter in Vollzeit habe er jedenfalls nicht mitgeteilt; danach sei er nicht gefragt worden.

Der Senat hat vom Finanzamt Schwetzingen die Einkommensteuerakten des Klägers und seiner Ehefrau für die Jahre 2007 und 2008 sowie die Körperschaftssteuerakten der Firma M. I. für die Jahre 2007 und 2008 beigezogen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Kundennummer 644D104937), die Klageakten des SG (S 6 AL 2830/08 und S 6 AL 2831/08) und die Berufungsakte des Senats (L 13 AL 5433/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 hat Erfolg.

Die Berufung ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR übersteigt (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in der anwendbaren ab 1. April 2008 geltenden Fassung); sie ist auch im Übrigen zulässig; denn sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist auch begründet; das SG hat die Bescheide vom 13. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheide vom 22. Juli 2008 und vom 23. Juli 2008 zu Unrecht aufgehoben. Diese im Wege der isolierten Anfechtungsklage angegriffenen Bescheide erweisen sich - anders als vom SG entschieden - als rechtmäßig und den Kläger nicht in subjektiven Rechten verletzend. Die Beklagte war berechtigt und verpflichtet, die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2008 zurückzunehmen und vom Kläger die Erstattung zu Unrecht gewährter Leistungen nebst hierauf entrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu fordern (dazu unter 1.) sowie die Bewilligung eines Gründungszuschusses für die Zeit ab 1. März 2008 zurückzunehmen (dazu unter 2.). Dementsprechend sind die gegen diese Verwaltungsentscheidungen gerichteten Klagen abzuweisen.

1. Der Kläger war zur vollen Überzeugung des Senats (auch) während der Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2008 wegen der Ausübung einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit nicht arbeitslos und hatte deshalb keinen Anspruch auf Alg.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der dem Kläger Alg für die Zeiten vom 1. Januar bis 14. Februar 2008 (Bescheid vom 13. Januar 2008, teilweise aufgehoben durch Bescheid vom 19. Februar 2008 und geändert durch Bescheide vom 25. und 26. Januar 2008) und vom 15. bis 29. Februar 2008 (Bescheid vom 29. Februar 2008) bewilligenden Bescheide ist § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Verbindung mit § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist eine Rücknahme ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch unter anderem dann nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). § 330 Abs. 2 SGB III bestimmt unter anderem für diesen Fall, dass der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts tritt damit an die Stelle der gemäß § 45 SGB X eigentlich vorgesehenen Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Die dem Kläger für die streitgegenständlichen Zeiträume Alg bewilligenden Bescheide waren von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe auf den Bestand dieser Bewilligungsbescheide vertraut, denn er hat nach Überzeugung des Senats bei der Antragstellung vorsätzlich unzutreffende Angaben gemacht, die für die Bewilligungsentscheidung maßgeblich gewesen sind. Letztlich sind die gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2 SGB X einzuhaltenden Fristen gewahrt.

Gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der hier anzuwendenden ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit Anspruch auf Alg. Der Anspruch steht nach § 118 Abs. 1 SGB III Arbeitnehmern zu, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich bei der AA arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Das Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit wiederum setzt gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III voraus, dass der Arbeitnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Die Arbeitszeiten mehrerer Erwerbstätigkeiten werden zusammengerechnet (§ 119 Abs. 3 SGB III).

Entgegen dem SG hat der Senat keine Zweifel, dass der Kläger im Rahmen seiner beiden selbständigen Tätigkeiten als Inhaber der Firmen M. I. GmbH und G. M. Bauservice während des gesamten (insoweit) streitgegenständlichen Zeitraums vom 1. Januar bis 29. Februar 2008 in einem zeitlichen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden selbständig tätig und deshalb (von Anfang an) nicht arbeitslos gewesen ist. Der Kläger hat in der fraglichen Zeit u. a. eine ehemalige Scheune in der Z.str. in Ne. zu einem Einfamilienhaus umgebaut. Dort beschäftigte er zwei Arbeitnehmer, die vom SG vernommenen Zeugen B. und Ke., in Vollzeit. In Übereinstimmung mit der Beklagten wertet auch der Senat diesen Umstand als entscheidendes Indiz für das Vorliegen einer mehr als geringfügigen Beschäftigung. Die Beschäftigung von Arbeitnehmern zieht für den Arbeitgeber nämlich regelmäßig eine Vielzahl von Tätigkeiten nach sich, die sich nicht im Erteilen und Überwachen von Arbeitsaufträgen erschöpfen. Letztlich muss der Arbeitgeber während der gesamten Arbeitszeit seiner Mitarbeiter auf der Baustelle zur Verfügung stehen können, z. B. wenn Probleme bei der Arbeit selbst oder bei der Abstimmung mit Fremdfirmen auftreten. Auch wenn beispielsweise eine Überprüfung der Baustelle durch hierfür zuständige Behörden stattfindet, muss der Firmeninhaber im Zweifel greifbar sein. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Zeugen B. und Ke. nur Hilfs- und Zuarbeiten ausgeführt haben und der Großteil der Arbeiten an Fremdfirmen vergeben werden musste. Auch insoweit hat der Kläger die Baustellenüberwachung nach eigenem Vorbringen gegenüber dem SG zum Teil selbst übernommen. Hinzu kam der Erwerb der benötigten Baustoffe, den der Kläger neben seiner ebenfalls mitarbeitenden Ehefrau und den Arbeitnehmern ebenfalls zum Teil selbst ausgeführt hat. Nachdem der Kläger darüber hinaus, wie die Zeugen Ke. und B. insoweit übereistimmend und glaubhaft gegenüber dem SG bekundet haben, auch selbst mit auf der Baustelle gearbeitet hat, steht für den Senat fest, dass dieser allein für die Verrichtung der Kerntätigkeit einen Zeitaufwand von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufbringen musste und auch aufgebracht hat. Dies gilt selbst dann, wenn die Mitarbeit des Klägers auf der Baustelle, wie der Zeuge Ke. gegenüber dem SG ausgesagt hat, lediglich auf kurze Zeiträume beschränkt gewesen sein sollte. Ob diese Aussage des Zeugen Ke. zutreffend war oder diejenige des Zeugen B., der über teilweise ganztägige Mitarbeit des Klägers berichtet hat, konnte der Senat offenlassen und brauchte dem hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers deshalb nicht nachzugehen. Zusätzlich ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit eines Selbständigen naturgemäß nicht auf diese Kerntätigkeit beschränkt ist. In Ansatz zu bringen sind vielmehr zahlreiche weitere Betätigungen wie z. B. die Akquisition neuer Kunden, die Kundenpflege, Verwaltung, die Ausarbeitung und Gestaltung von Betriebsabläufen, die Organisation der Betriebsräume einschließlich Lagerhaltung, die Verwaltung und die Buchhaltung (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG) SozR 4100 § 102 Nr. 7; Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 2000 - L 13 AL 3645/98 - veröffentlicht in Juris). Zu den Arbeitszeiten eines Selbständigen zählen letztlich nicht nur die Zeiten, in denen er tatsächlich seiner Tätigkeit nachgeht, sondern auch die mit der Berufsausübung notwendig verbundenen Wartezeiten und die Zeiten, in denen er seine Arbeitskraft nur vorhält (Urteil des erkennenden Senats vom 24. April 2007 - L 13 AL 4002/03 - nicht veröffentlicht). Der Senat hat deshalb im Ergebnis keine Zweifel, dass die vom Kläger selbst gefertigte Aufstellung über seine Arbeitszeiten diese jedenfalls nicht vollständig erfasst und der Gesamtumfang der zeitlichen Inanspruchnahme durch die selbständige Tätigkeit die maßgebliche 15-Stunden-Grenze während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums nicht nur erreicht, sondern sogar deutlich überschritten hat.

Auf schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Kläger nicht berufen, da er bei der Antragstellung lediglich eine Nebenbeschäftigung angegeben und damit vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Der Kläger erhielt anlässlich seiner Arbeitslosmeldung das Merkblatt 1 für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" und bestätigte den Erhalt unterschriftlich. In diesem Merkblatt wird auf die (leistungsrechtliche) Bedeutung der Aufnahme bzw. Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ausdrücklich hingewiesen. Dem Kläger musste danach bewusst sein, dass ein Anspruch auf Alg mangels Arbeitslosigkeit nicht besteht, wenn der zeitliche Umfang seiner Tätigkeit die Grenze von 15 Stunden erreicht. Dabei musste sich ihm auch aufdrängen, dass insoweit nicht nur die tatsächliche Verrichtung der Kerntätigkeit, sondern auch die mit einer selbständigen Berufsausübung notwendig verbundenen Nebentätigkeiten sowie Zeiten, in denen er seine Arbeitskraft nur vorhält, zu berücksichtigen sind. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger dies auch gewusst hat und gleichwohl - vorsätzlich - falsche Angaben zum Umfang seiner Tätigkeit gemacht hat, um auf diesem Wege - neben dem Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit - zu Unrecht Alg beziehen zu können. Anders ist es nicht zu erklären, dass er, wie er selbst gegenüber dem Senat eingeräumt hat, die Existenz seiner beiden Arbeitnehmer in Vollzeit verschwiegen hat, obwohl gerade dieser Umstand erhebliche Zweifel am Vorliegen von Arbeitslosigkeit begründet. Die Frage, ob der Kläger gegenüber der AA überhaupt auf die bereits bestehende Firma M. I. GmbH und deren Betätigungsfeld hingewiesen hat, kann bei dieser Sachlage offen bleiben, wenngleich dies sehr unwahrscheinlich erscheint, nachdem der Kläger im Rahmen des Antrags auf Bewilligung eines Gründungszuschusses noch in seiner schriftlichen Erklärung vom 3. März 2008 wahrheitswidrig angegeben hat, in der Vergangenheit nicht selbständig tätig gewesen zu sein. Den Vortrag des Klägers, er habe die betreffende Frage so verstanden, dass nur nach einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit gefragt werde, wertet der Senat angesichts des eindeutigen Wortlauts der Fragestellung als reine Schutzbehauptung. Der Senat hat auch keine Zweifel, dass der Kläger angesichts seiner beruflichen Vorbildung als Diplom-Wirtschaftsingenieur intellektuell dazu in der Lage gewesen ist, die von ihm im Fragebogen verlangten Angaben nach Inhalt und Zielsetzung zutreffend zu verstehen und wahrheitsgemäß zu beantworten.

Der auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 13. Juni 2008 wurde dem Kläger am 16. Juni 2008 (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X), also innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bekannt gegeben. Die Frist von zehn Jahren ab Bekanntgabe der dem Kläger Alg für den streitgegenständlichen Zeitraum bewilligenden Bescheide ist damit ebenfalls gewahrt (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X), wobei der Senat nicht zu entscheiden braucht, ob die Einhaltung dieser Frist angesichts vorliegender Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 580 der Zivilprozessordnung entbehrlich ist (§ 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X).

Die Rechtmäßigkeit der Erstattung des Alg beruht auf § 50 Abs. 1 SGB X, diejenige der Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung auf § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Für den Erstattungszeitraum hat insbesondere kein weiteres Krankenversicherungsverhältnis bestanden. Die Höhe der Erstattungsforderung ist zutreffend berechnet. Der Senat macht sich insoweit ausgehend von den nach den Zahlungsnachweisen und aktenkundigen Bewilligungsbescheiden erbrachten Leistungen die Berechnung auf Bl. 76 der Verwaltungsakten zu eigen. Etwaige Mängel bei der Anhörung sind dadurch geheilt worden, dass der angegriffene Bescheid alle für die Rücknahme und Erstattung erforderlichen Tatsachen enthalten hat und damit die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt wurde (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

2. Nachdem Arbeitslosigkeit - wie oben dargelegt - bereits ab 1. Januar 2008 (und auch davor) nicht vorgelegen hat, fehlt es an der für die Bewilligung eines Gründungszuschusses erforderlichen Beendigung von Arbeitslosigkeit; der Kläger hat durch die Gründung der Firma G. M. Bauservice keine Arbeitslosigkeit beendet, sondern nur die bereits ausgeübte selbständige Tätigkeit fortgesetzt bzw. ausgebaut. Darüberhinaus hatte er bis zur Aufnahme der Tätigkeit auch keinen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III und auch aus diesem Grund keinen Anspruch auf einen Gründungszuschuss.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung des dem Kläger einen Gründungszuschuss für die Zeit vom 1. März bis 30. November 2008 bewilligenden Bescheids vom 5. Mai 2008 ist ebenfalls § 330 Abs. 2 SGB III in Verbindung mit § 45 SGB X. Die oben im einzelnen dargestellten tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen auch bezogen auf die Bewilligung eines Gründungszuschusses vor. Der Bescheid vom 5. Mai 2008 war von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger kann sich auch insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe auf den Bestand dieser Bewilligungsbescheide vertraut, denn er hat nach Überzeugung des Senats auch bei der Beantragung des Gründungszuschusses vorsätzlich unzutreffende Angaben gemacht, die für die Bewilligungsentscheidung maßgeblich gewesen sind. Letztlich sind auch diesbezüglich die gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2 SGB X einzuhaltenden Fristen gewahrt.

Gemäß § 57 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss. Voraussetzung des Anspruchs ist u. a., dass der Arbeitnehmer bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hat oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem SGB III gefördert worden ist (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b SGB III). Fermer muss der Arbeitnehmer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügt haben. Beide Voraussetzungen haben hier, wie sich aus den obigen Ausführungen unter 1. ergibt, nicht vorgelegen; der Kläger war nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma S. nicht arbeitslos; ein Anspruch auf Alg ist nicht entstanden. Damit erweist sich auch die Bewilligung des Gründungszuschusses als von Anfang an rechtswidrig.

Auf schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Kläger auch bezüglich der Zurücknahme des Gründungszuschusses nicht berufen, da er bei der Beantragung dieser Leistung angegeben hat, in der Vergangenheit nicht selbständig tätig gewesen zu sein (Erklärung vom 3. März 2008) und damit wiederum, wie oben bereits ausgeführt, vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) um auf diesem Wege einen Gründungszuschuss beziehen zu können, obwohl ihm bewusst war, dass er hierauf wegen der bereits seit längerem ausgeübten selbständigen Tätigkeit keinen Anspruch hatte. Auch hinsichtlich des den Gründungszuschuss betreffenden Rücknahmebescheids vom 13. Juni 2008 ist die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X und die Frist von zehn Jahren ab Bekanntgabe des dem Kläger den Gründungszuschuss für den streitgegenständlichen Zeitraum bewilligenden Bescheids (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X) gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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