L 1 U 1494/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1331/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1494/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. Februar 2010 aufgehoben. Auf die Berufung des Klägers wird der Bescheid vom 15. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2008 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 5. März 2007 bis 30. September 2007 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem Drittel in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung von Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1975 geborene Kläger erlitt am 21. Februar 2007 einen Verkehrsunfall. Er befand sich mit einem Firmenwagen auf dem Weg zu einem Kunden, um dort eine Reparatur durchzuführen. Ein betrunkener Autofahrer missachtete die Vorfahrt des Klägers, als er von einem Gemeindeverbindungsweg in die Kreisstraße einbog, auf der der Kläger fuhr. Der Kläger erlitt eine HWS-Distorsion und eine Schädelprellung (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 28. Februar 2007; Durchgangsarztbericht vom 12. März 2007-dort allerdings mit Unfalldatum 14. Februar 2007). Bis einschließlich 4. März 2007 war der Kläger arbeitsunfähig.

Die Beklagte nahm Ermittlungen auf und zog u.a. die Akten der Staatsanwaltschaft Ulm bei (Az.: 26 Js 3635/07). Am 23. Februar 2007 stellte sich der Kläger beim Arzt vor, da er weiterhin im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) sowie in Schulter und Nacken Schmerzen verspürte. Die Schmerzen in der Schulter wurden als in den linken Oberarm und linken Unterarm ausstrahlend beschrieben. Besondere Behandlungsmaßnahmen wurden nicht für erforderlich gehalten und weitere 10 Tage Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Im Arztbrief des Neurologen Dr. L. vom 20. April 2007 beschrieb dieser ein Cervikalsyndrom und Dysästhesien im Medianusversorgungsgebiet links bei unauffälligen Reflexen, Sensibilität und Motorik und im Übrigen unauffälligem neurologischen und psychiatrischen Befund. Dr. L. fasste seine Befunde als "typische Halswirbelsäulenschleuderverletzung mit anhaltenden Verspannungszuständen und ausstrahlenden Beschwerden" ohne radikuläres Defizit zusammen. Die vom Kläger auch geschilderten Missempfindungen im Bereich der linken Hand seien als Stauchungsverletzung der linken Hand bzw. des linken Arms anzusehen. Auch am 5. September 2007 stellte sich der Kläger wegen anhaltender Schmerzen im Bereich der HWS beim Durchgangsarzt vor, vor allem bei längerer Arbeit mit anschließenden Kopfschmerzen. Dr. W. erkannte einen Druckschmerz über der HWS und deutlich verspannte Nackenmuskulatur bei unauffälligem neurologischem Befund nach orientierender Untersuchung. Der Kläger wurde gebeten, sich in der Wirbelsäulensprechstunde der Universitätsklinik Ulm vorzustellen. Im Bericht der Klinik vom 6. November 2007 (Prof. Dr. G.) mit MRT-Bericht vom 4. Oktober 2007 wurden als Diagnosen ein Zustand nach HWS-Schleudertrauma mit persistierenden HWS-Schmerzen sowie intermittierendem Taubheitsgefühl C7/C8 mitgeteilt. Ein neurologisches Defizit habe nicht festgestellt werden können.

Mit Schreiben vom 27. November 2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie nunmehr Behandlungskosten nicht mehr übernehme. Das durchgeführte MRT habe gezeigt, dass in den Bewegungssegmenten der Halswirbelkörper 3 und 4 sowie 4 und 5 knöcherne, degenerative Veränderungen bestünden. Auch sei ein kleiner Bandscheibenvorfall im Segment C 4/5 festzustellen. Diese Veränderungen beruhten auf körpereigenen Ursachen, so dass das Unfallereignis seine Qualität als wesentliche Ursache der Beschwerden verloren habe.

Mit Bescheid vom 15. Januar 2008 wurden als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannt eine Zerrung der HWS und Prellung des Schädels, welche ohne Folgen zu hinterlassen ausgeheilt seien. Nicht als Unfallfolgen anzuerkennen seien anhaltende Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Bandscheiben an den Halswirbelkörpern 3 bis 5 mit knöcherner Einengung des Wirbelkanals sowie einem kleinen Bandscheibenvorfall an den Halswirbelkörpern 4 und 5. Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten habe bis 31. Mai 2007 bestanden. Die danach bestehenden Beschwerden seien nicht wesentlich auf das Unfallereignis zurück zu führen. Die Folgen des Unfalls seien daher ausgeheilt. Ein Anspruch auf Verletztenrente bestehe nicht. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2008 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 11. April 2008 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, die er mit fortbestehenden Beschwerden im Bereich der HWS begründet hat. Das SG hat bei Dr. K., Orthopäde und Unfallchirurge, ein fachärztliches Gutachten in Auftrag gegeben. In seinem Gutachten vom 2. Oktober 2008 kommt er zum Schluss, beim Kläger liege unfallbedingt ein chronisches posttraumatisches Schmerzsyndrom der HWS mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in den linken Oberarm bei Zustand nach Distorsionsverletzung der HWS (Grad II, mittelschwer, in der Klassifikation von Erdmann) sowie anlagebedingt ein kernspintomographisch nachgewiesener kleiner, tränenförmiger Bandscheibenvorfall im Segment HWK 4/5 links mit diskreter Einengung des Recessus vor. Die Unfallfolgen bedingten eine MdE um 20 v.H. bis zum Ende des 1. Unfalljahres und um 10 v.H. bis zum Ende des 2. Unfalljahres.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat OA PD Dr. K. unter dem 7. April 2009 ein unfallchirurgisches Gutachten erstellt. Dieser hat als wesentliche Unfallfolgen eine chronifizierte HWS-Distorsionsverletzung QTF Grad II, eine chronische posttraumatische Cervicobrachialgie linksbetont mit asymmetrischer Bewegungseinschränkung für Linksrotations- und Flexions-/Extensionsbewegung mitgeteilt, als unfallunabhängige Veränderungen eine geringfügige Segmentdegeneration mit diskreter Bandscheibenfacherniedrigung, Retrospondylophytenbildung und minimalem Bandscheibenprolaps C 3/4 und C 4/5 beschrieben. Er hat zusammenfassend ausgeführt, dass aufgrund des Umstands, dass keine weiteren Erkrankungen vorlägen, die als Ursachen der geklagten Beschwerden eine Rolle spielen könnten, und des zeitlichen Verlaufs der Beschwerden sowie der klinischen Befunde von einem Kausalzusammenhang der Beschwerden mit dem Unfallereignis auszugehen sei. Die MdE belaufe sich vom 1. März bis 13. März 2007 auf 50 v.H., bis 13. August 2007 auf 20 v.H. und danach bis auf Weiteres auf 10 v.H.

Mit Urteil vom 24. Februar 2010 hat das SG die angefochtenen Bescheide abgeändert und festgestellt, dass ein chronisches posttraumatisches Schmerzsyndrom der HWS mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in den linken Oberarm bei Zustand nach Distorsionsverletzung der HWS Grad II Folge des Arbeitsunfalls vom 21. Februar 2007 ist und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das SG hat sich bei seiner Beurteilung auf die Ausführungen des Dr. K. in seinem Gutachten vom 2. Oktober 2008 gestützt, mit Ausnahme der Einschätzung der MdE. Diese sei nach den in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur geltenden Maßstäben, an denen sich die Kammer orientiere, bei einer HWS-Distorsion Grad I bis II lediglich für eine Zeit von drei bis maximal sechs Monaten mit 20 v.H., danach mit 10 v.H. festzustellen. Auch führe das posttraumatische Schmerzsyndrom nicht zu einer Erhöhung der MdE, da die mit einer Erkrankung regelhaft verbundenen Schmerzen ohnehin bereits bei der Bewertung der MdE berücksichtigt würden und zudem Anhaltspunkte für ein eigenständiges Krankheitsbild nicht vorliegen würden.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 11. März 2010, der Beklagten am 15. März 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 29. März 2010 Berufung, die Beklagte am 12. April 2010 (Anschluss-)Berufung eingelegt.

Zur Begründung trägt der Kläger vor, entsprechend den Ausführungen von Dr. K. stehe ihm Verletztenrente bis zum Ablauf des ersten Jahres nach dem Unfall zu.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. Februar 2010 insoweit abzuändern, als die Klage abgewiesen worden ist und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Februar 2007 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. bis zum Ende des ersten Unfalljahres zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. Februar 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt die Beklagte aus, das Unfallereignis habe im Zeitpunkt des Urteils bereits mehr als drei Jahre zurück gelegen. Die Anerkennung eines Schmerzsyndroms ohne jegliche zeitliche Begrenzung widerspreche dem anerkannten medizinischen Erfahrungswissen nach HWS-Verletzungen. Nach dem 31. Mai 2007 bestehe auch keine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit mehr. Die HWS-Distorsion sei vielmehr folgenlos ausgeheilt.

Der Senat hat bei Dr. B., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, von Amts wegen das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 20. Januar 2011 und bei Dr. v. S., Orthopäde, das fachorthopädische Zusatzgutachten vom 21. Januar 2011 eingeholt. Dr. v. S. hat zusammenfassend ausgeführt, dass auf orthopädischem Fachgebiet keine Unfallfolgen mehr vorliegen würden. Das Unfallgeschehen sei lediglich Auslöser der Beschwerden durch die klinisch nachweisbaren degenerativen Veränderungen der mittleren HWS. Die Ursache der chronischen Beschwerden liege allerdings in den degenerativen Veränderungen der Bandscheiben C 3/4 und C 4/5 mit körpereigenen Abstützreaktionen dorsal im Segment C 4/5 und begleitenden Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke. Ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit habe die MdE für das erste halbe Jahr bei 20 v.H., danach auf 10 v.H. für die Zeit bis zum Ablauf des ersten Jahres nach dem Unfall und danach auf 0 v.H. gelegen.

Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hat Dr. B. mitgeteilt, dass der Unfall eine HWS-Distorsion nach der Quebec-Task-Force (QTC) Grad II verursacht habe. Für eine unfallbedingte strukturelle Schädigung der HWS und nervaler Strukturen ergäben sich keine Hinweise. Der bei der Untersuchung erhobene Befund sei regelgerecht. Weder lägen Anhaltspunkte für eine zervikale Nervenwurzelschädigung, eine Schädigung des Arm-Nervengeflechts oder der peripheren Nerven im Arm vor. Die vom Kläger bei körperlicher Arbeit beschriebenen Missempfindungen könnten Ausdruck einer leichten Wurzelirritation C 5 durch den degenerativ bedingten Bandscheibenvorfall HWK 4/5 sein. Die Kopfschmerzen seien dem Typus des episodischen Spannungskopfschmerzes zuzuordnen. Ein posttraumatischer Kopfschmerz sei nicht anzunehmen. Was die Bewertung der orthopädischen und neurologischen Unfallfolgen anbelange, schließe er sich der Einschätzung von Dr. v. S. an.

Die Beklagte hat gegen die von den Gutachtern vorgeschlagene MdE um 20 v.H. für ein halbes Jahr Einwendungen erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist nur zu einem geringen Teil begründet, die Berufung der Beklagten ebenfalls nur teilweise. Weitere Unfallfolgen sind nicht festzustellen; allerdings hat der Kläger Anspruch auf Verletztenrente für 6 Monate nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nach einer MdE um 20 v.H.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Als Folge eines Unfalls sind Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 278). Daran fehlt es, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 222; BSG, Urt. v. 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R -, in: HVBG-Info 2001, 1713). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist, abweichend von den Feststellungen des SG im angefochtenen Urteil, beim Kläger keine - weitere - Unfallfolge, verglichen mit der in den angefochtenen Bescheiden aufgeführten Zerrung der HWS und Prellung des Schädels festzustellen. Dies steht nach der Beweisaufnahme durch die Gutachten des Dr. B. sowie des Dr. v. S. zur Überzeugung des Senats fest. Der Kläger hat bei dem Auffahrunfall eine Halswirbelsäulendistorsion Grad II nach QTF erlitten, ohne knöcherne Verletzung, ohne Verletzung der Ligamenta alaria im Kopfgelenkbereich, ohne discoligamentäre Verletzung mit Bänderverletzungen oder einen traumatischen Bandscheibenvorfall. Dies hat Dr. v. S. nach gründlicher Untersuchung und Auswertung vorhandener und zusätzlich von ihm angefertigter (Röntgen-)Aufnahmen schlüssig begründet. Er hat in Abweichung von Dr. K., auf Grundlage der von ihm erhobenen Befunde aber überzeugend, dargelegt, dass es für die Annahme eines chronischen und posttraumatischen Schmerzsyndroms an einem pathomorphologischen Korrelat fehlt, auf das diese Erkrankung zurückgeführt werden könnte. Auch die von PD Dr. K. mitgeteilte chronische posttraumatische Cervicobrachialgie linksbetont mit asymmetrischer Bewegungseinschränkung für Linksrotations- und Flexions-/Extensionsbewegung hat Dr. v. S. überzeugend ausgeschlossen, da die hierfür erforderliche Plexusläsion nicht nachgewiesen ist.

Auf rein neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hat der Unfall nach den schlüssigen Darlegungen von Dr. B. keine Folgen hinterlassen.

Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urt. vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urt. vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.

Abweichend von den Ausführungen der Beklagten und in Übereinstimmung mit den Vorschlägen von Dr. v. S. und Dr. B. ist der Senat der Auffassung, dass eine MdE um 20 v.H für die Dauer von 6 Monaten nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit, d.h. unter Berücksichtigung des § 73 Abs. 2 Satz 1 SGB VII bis 30. September 2007, festzustellen ist. Auch nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wiedergegeben z.B. bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010 S. 472, ist bei einem Schweregrad einer HWS-Distorsion nach QTF Grad II von einer MdE um 20 v.H. von 3, aber gelegentlich auch bis 6 Monaten auszugehen. Dies ist beim Kläger der Fall. Das Unfallgeschehen ist auf eine vorgeschädigte HWS getroffen und hat zur Aktivierung vorbestehender Bandscheibenveränderungen in den Segmenten C 3/4 bzw. C 4/5 geführt. Infolge dieser vorbestehenden (wenn auch bis zum Unfall klinisch stummen) Erkrankungen der HWS (mit denen der Kläger versichert ist) verlängerte sich der Heilungsverlauf und damit letztlich auch die Dauer der unfallbedingten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers. Diese Einschätzung wird zusätzlich dadurch gestützt, dass erst durch das Kernspintomogramm der HWS vom 4. Oktober 2007 das Bestehen degenerativer Veränderungen an der HWS und damit eine (Konkurrenz-)Ursache für die fortbestehenden, nunmehr nachweislich unfallunabhängigen Beschwerden festgestellt werden konnte. Nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums hat sich die Grundlage der teilweise noch fortbestehenden Beschwerden verändert, die seitdem rechtlich wesentlich nur noch auf den degenerativen Veränderungen in der HWS beruhen.

Soweit sich die Beklagte (auch) darauf beruft, dass das LSG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 29. April 2010 (Az.: L 2 U 314/07) eine MdE um 20 v.H. für die Dauer von 6 Monaten bei einer HWS-Distorsion Grad II nach QTF ausschließe, folgt der Senat dieser Einschätzung nicht. Bereits in seinem Leitsatz spricht das Gericht lediglich von "Behandlungsbedürftigkeit", die nach - insoweit zutreffender - Auffassung der Beklagten hier nicht Streitgegenstand ist. Tatsächlich hatte das LSG auch nur über die Gewährung von Heilbehandlung und Verletztengeld zu entscheiden. Auch kann den Feststellungen des Urteils nicht entnommen werden, welchen Grad die HWS-Distorsion der dortigen Klägerin hatte. Zur Dauer der MdE bei klinisch stummen Vorerkrankungen verhält sich die von der Beklagten angeführte Entscheidung nicht, so dass eine weitere Auseinandersetzung damit entbehrlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved