L 10 R 1401/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 494/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1401/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 09.02.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist (noch) die Gewährung höherer Altersrente ohne Kürzung der nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anzurechnenden Entgeltpunkte (EP) streitig.

Der am 1939 geborene Kläger siedelte im Februar 1994 aus der ehemaligen U. kommend ins Bundesgebiet über. Er ist als Spätaussiedler nach § 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt. Im Herkunftsgebiet war der Kläger von 1957 bis 1989 als Traktorist bzw. Brigadier in einer Kolchose tätig und anschließend bis Ende 1993 als Schlosser bzw. Operator in einer Geflügelgroßfarm. Im Inland übte er keine Beschäftigung aus.

Ab 01.03.1995 bezog der Kläger aufgrund Bescheids der Landesversicherungsanstalt Baden (LVA), Rechtsvorgängerin der Beklagten, vom 26.06.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Einen neuerlichen, im Juli 1997 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte die LVA mit Bescheid vom 28.08.1997 und Widerspruchsbescheid vom 07.01.1998 ab. In dem dagegen vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) geführten Rechtsstreit S 4 RJ 335/98 hat der Kläger neben seiner Erwerbsunfähigkeit auch die Fehlerhaftigkeit des dem Bescheid beigefügten Versicherungsverlaufs geltend gemacht, und zwar die darin enthaltene Kürzung der nach dem FRG anerkannten Zeiten auf 5/6 sowie die fehlende Anerkennung weiterer Versicherungszeiten.

Mit Bescheid vom 20.10.1998 berechnete die LVA die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers neu, wobei sie nunmehr von ganzjährigen Beschäftigungszeiten ausging. Die Kürzung der nach dem FRG anerkannten Zeiten auf 5/6 behielt sie bei. Darüber hinaus waren die EP nach dem Fremdrentengesetz um den Faktor 0,7 gekürzt. In der Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheids ist ausgeführt, der Bescheid werde gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens.

Mit Bescheid vom 26.04.2000 bewilligte die LVA dem Kläger ab 01.12.1999 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige. Die der Rentenberechnung zu Grunde liegenden, nach dem FRG anerkannten Zeiten waren wiederum auf 5/6 gekürzt; darüber hinaus waren die EP nach dem Fremdrentengesetz um den Faktor 0,6 gekürzt. In der Rechtsmittelbelehrung ist ausgeführt, dieser Bescheid werde gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens.

In dem Verfahren S 4 RJ 335/98 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.05.2000 erklärt, er mache die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht mehr geltend. Er halte die Klage nur noch insoweit aufrecht, als seine Beschäftigungszeiten auf 5/6 gekürzt worden und eine Kürzung der EP auf 60% gemäß § 22 Abs. 4 FRG erfolgt seien.

Im Hinblick auf die zwischenzeitlich anhängig gewesenen Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 22 Abs. 4 FRG hat das SG das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Im Januar 2008 hat die Beklagte das Verfahren, das nunmehr unter dem Aktenzeichen S 14 R 494/08) geführt wurde, wieder angerufen und auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13.06.2006 (1 BvL 9/00 u.a. in SozR 4-5050 § 22 Nr. 5) hingewiesen, wonach die Absenkung der EP für Zeiten nach dem FRG auf 60% gemäß § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) vom 25.09.1996 (BGBl. I S.1461) mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei. Soweit das BVerfG für einen näher bestimmten Personenkreis der vor dem 01.01.1991 Zugezogenen eine Übergangsregelung gefordert habe, sei der Kläger hiervon nicht betroffen, da er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland erst am 03.02.1994 und damit nach dem Stichtag genommen habe.

Die zuletzt nur noch gegen den Bescheid vom 26.04.2000 gerichtete Klage mit dem Begehren, dem Kläger höhere Altersrente ohne Kürzung der EP um den Faktor 0,6 zu gewähren (Schriftsatz vom 21.09.2009), hat das SG mit Urteil vom 09.02.2010 unter Darlegung der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 13.06.2006, a.a.O.) sowie des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.10.2009 (B 5 R 38/08 R) abgewiesen.

Gegen das am 22.02.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.03.2010 Berufung eingelegt und sein Begehren weiterverfolgt, ihm höhere Altersrente ohne Kürzung der EP um den Faktor 0,6 zu gewähren. Diese Kürzung verstoße sowohl gegen Art. 14 GG als auch gegen Art. 3 GG. Soweit das BVerfG die Kürzung von EP bei Personen für möglich erachtet habe, die keine Beiträge für das Versicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland geleistet haben, und es in der Hand hatten, in das Bundesgebiet einzureisen, treffe dies auf ihn nicht zu, weil es ihm bis zum Abschluss eines Aufnahmeverfahrens verwehrt gewesen sei, in das Bundesgebiet einzureisen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vorm 09.02.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26.04.2000 zu verurteilen, ihm höhere Altersrente unter Verzicht auf eine Kürzung der EP um den Faktor 0,6 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits im Berufungsverfahren ist - wie schon zuvor im Klageverfahren - allein noch der Bescheid vom 26.04.2000, mit dem die die LVA dem Kläger Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige gewährt hat und bei der Rentenberechnung die EP des Klägers um den Faktor 0,6 gekürzt hat. Dies hat der Kläger im Klageverfahren mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 21.12.2009 ausdrücklich erklärt und dementsprechend in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2010 auch unter Abänderung des Bescheids vom 26.04.2000 sinngemäß die Gewährung höherer Altersrente ohne Kürzung der EP um den Faktor 0,6 beantragt.

Obwohl Ausgangspunkt dieses Verfahrens hat der Senat demnach nicht mehr darüber zu befinden, ob die Beklagte es mit Bescheid vom 28.08.1997 und Widerspruchsbescheid vom 07.01.1998 zu Recht ablehnte, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Dass er das Begehren auf Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente nicht weiter aufrecht erhält, hat der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23.05.2000 ausdrücklich erklärt. Auch über die Richtigkeit der Daten in dem dem Bescheid vom 28.08.1997 beigefügten Versicherungsverlauf - hinsichtlich dessen der Kläger zunächst die Kürzung der Entgeltpunkte auf 5/6 sowie die Anerkennung weiterer Versicherungszeiten geltend gemacht hat - hat der Senat allein schon wegen der Begrenzung des Streitgegenstands durch den Kläger nicht mehr zu entscheiden, weshalb auch offen bleiben kann, ob der Kläger insoweit überhaupt beschwert war. Nicht mehr zu befinden hat der Senat ferner über die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 20.10.1998, mit dem die LVA die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers neu berechnete und der nach seiner Rechtsmittelbelehrung Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens geworden sein sollte.

Der Senat erachtet die Klage gegen den Bescheid vom 26.04.2000 für zulässig. Allerdings ist dieser Bescheid entgegen seiner Rechtsmittelbelehrung, wonach er gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens werde, nicht Gegenstand des seinerzeit beim SG unter dem Aktenzeichen L 4 RJ 335/98 anhängigen Rechtsstreits geworden. Nach dieser Regelung wird ein nach Klageerhebung ergangener neuer Verwaltungsakt nämlich nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Bescheid vom 26.04.2000, mit dem die LVA dem Kläger Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige ab 01.12.1999 gewährt hat, hat den Bescheid über die Ablehnung von Erwerbsunfähigkeitsrente weder abgeändert noch ersetzt. Denn der Regelungsgegenstand dieses Bescheides (Gewährung von Altersrente) ist nicht identisch mit jenem aus dem früheren, damals bereits streitbefangenen Bescheid vom 28.08.1997 (Ablehnung von Erwerbsunfähigkeitsrente). Vielmehr handelt es sich um einen gänzlich anderen Streitstoff, so dass für die Einbeziehung des später ergangenen Bescheids vom 26.04.2000 über die Gewährung von Altersrente in das anhängige Verfahren wegen der Ablehnung von Erwerbsunfähigkeitsrente nach der in Rede stehenden Regelung kein Raum ist.

Der Senat erachtet die Einbeziehung des Bescheids vom 26.04.2000 in das Verfahren allerdings im Wege der Klageänderung für zulässig. Gemäß § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Beklagte hat der Änderung der Klage zwar nicht ausdrücklich zugestimmt oder in diese eingewilligt, indem sie sich insoweit schriftlich oder zu Protokoll erklärt hat. Jedoch hat sie sich - wie der Niederschrift vom 09.02.2010 entnommen werden kann - ohne gegen die geänderte Klage ausdrücklich Widerspruch zu erheben auf die geänderte Klage eingelassen und die Abweisung der Klage beantragt. Damit aber liegt eine stillschweigende Einwilligung in die geänderte Klage vor (Leiterer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 99 Rdnr. 9).

Nach Auffassung des Senats ist auch die geänderte Klage zulässig. Der Sache nach hat sich der Kläger bereits mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23.05.2000, Eingang beim SG am 29.05.2000, gegen den Bescheid vom 26.04.2000 gewandt, in dem er geltend gemacht hat, dass die Klage insoweit aufrechterhalten bleibe, als die EP auf 60% gekürzt wurden. Denn damit hat der Kläger der Sache nach Bezug genommen auf den zuvor ergangenen Altersrentenbescheid vom 26.04.2000, mit dem eine Kürzung der EP um den Faktor 0,6 erfolgt war. Somit war zum Zeitpunkt der Änderung der Klage der in Rede stehende Altersrentenbescheid auch noch nicht bestandskräftig.

Zwar könnte der Zulässigkeit der geänderten Klage vorliegend entgegen stehen, dass ein Vorverfahren im Hinblick auf den Bescheid vom 26.04.2000 nicht durchgeführt worden ist. Allerdings erachtet es der Senat vor dem Hintergrund der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung im Hinblick auf Ausnahmen vom Erfordernis eines Vorverfahrens bei Klageänderungen (vgl. Leiterer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 99 Rdnr. 13a) angesichts der Besonderheit der vorliegenden Fallgestaltung für sachgerecht, auf das Vorverfahrenserfordernis zu verzichten. Denn in Bezug auf die allein im Streit stehende Rechtsfrage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des WFG, nämlich der Kürzung der EP um den Faktor 0,6, liegt eine Entscheidung des BVerfG vor, mit der abschließend geklärt ist, dass die vom Kläger für verfassungswidrig erachtete Regelung mit dem GG in Einklang steht, weil sie weder gegen Art 14 noch Art. 3 GG verstößt. Da auch die Beklagte an diese Beurteilung durch das BVerfG gebunden ist, käme auch bei Durchführung eines Vorverfahrens schon aus Rechtsgründen keine Abhilfeentscheidung in Betracht; hierauf, auf diese eindeutige Rechtslage beruft sich die Beklagte auch ausdrücklich. Diese besondere Fallkonstellation erlaubt es nach Auffassung des Senats vorliegend von dem Erfordernis eines Vorverfahrens abzusehen.

Die gegen den Bescheid vom 26.04.2000 gerichtete Klage ist nach alledem zwar zulässig, in der Sache allerdings nicht begründet. Denn dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die von der Beklagten bei der Berechnung der Altersrente des Klägers gemäß § 22 Abs. 4 FRG vorgenommene Kürzung der EP um den Faktor 0,6 ist gesetzeskonform und steht insbesondere auch in Einklang mit der Verfassung, weshalb dem Kläger keine höhere Altersrente zusteht. Die maßgebliche Regelung verstößt weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 3 GG. Dies hat das BVerfG in seinem auch von der Beklagten herangezogenen Beschluss vom 13.06.2006 (a.a.O.) ausführlich dargelegt. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat in vollem Umfang an, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf die entsprechende Entscheidung des BVerfG Bezug genommen wird. Soweit das BVerfG die in Rede stehende Regelung für bestimmte Personengruppen beanstandet hat, kommt die vom Gesetzgeber daraufhin geschaffene Übergangsregelung von vorneherein für den Kläger schon deshalb nicht in Betracht, weil er - worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat - nicht zu dem betroffenen Personenkreis gehört, da er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht bereits vor dem 01.01.1991 genommen hat.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren geltend macht, er gehöre nicht zu dem Personenkreis, von dem das BVerfG ausgehe, weil er es bis zum Abschluss des Aufnahmeverfahrens nicht in der Hand gehabt habe, in das Bundesgebiet einzureisen, entbehrt seine Argumentation jeglicher Grundlage. Vielmehr bezieht sich die Entscheidung des BVerfG umfassend auf all die Personen, die nach dem FRG anwartschaftsberechtigt sind. Zu diesem Personenkreis gehört auch der Kläger. Der Umstand, ob diese Anwartschaftsberechtigten es "in der Hand hatten" in das Bundesgebiet einzureisen, ist für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Kürzung der EP ohne Belang. Für die abweichende Auffassung des Klägers findet sich im Beschluss des BVerfG keine Stütze; da die gesetzlichen Regelungen des FRG hierauf auch nicht abstellen, wäre das vom Kläger herangezogene Kriterium auch nicht nachvollziehbar.

Die Berufung des Klägers kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
Saved