Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1840/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 5143/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Oktober 2010 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2009 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztenrente wegen der anerkannten BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV nach einer MdE um 10 v.H. über den 30. September 2008 hinaus zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zur Hälfte.
Tatbestand:
Im Streit steht ein Anspruch auf Verletztenrente wegen der anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1972 geborene Kläger war seit 1999 immer wieder zeitweise als Leiharbeiter, ab April 2007 auf ein Jahr befristet als Ansetzer von Farbe und Putz bei der Fa. S. AG tätig. Mit Hautarztbericht vom 17. Oktober 2007 teilte Dr. B. mit, beim Kläger bestehe ein großflächiges, akutes Ekzem mit ausgeprägter Bläschenbildung, Juckreiz, Rötung und Schuppung an den Händen und Unterarmen sowie im Gesicht und Nacken. Es bestehe der Verdacht auf beruflich verursachtes Handekzem, differentialdiagnostisch kumulativ-subtoxisches Handekzem, allergisches Kontaktekzem. Der Kläger war zunächst arbeitsunfähig und teilte der Beklagten unter dem 6. November 2007 auch mit, dass er die ganze Zeit auch Atembeschwerden gehabt habe, die er auf den Umgang mit Epoxidharz zurückführe. Seit er wegen der Hautbeschwerden ein Allergikum verwende, seien auch die Atembeschwerden wieder gut.
Die Beklagte leitete daraufhin das Feststellungsverfahren hinsichtlich der Haut- und Atemwegserkrankung ein. Letztere ist Gegenstand des Verfahrens L 1 U 2187/10.
Am 26. Februar 2008 fand im Beisein des Klägers eine Arbeitsplatzbesichtigung durch den Präventionsdienst der Beklagten statt. Unter dem 10. April 2008 erstattete Dr. S., Dermatologe, im Auftrag der Beklagten ein fachärztlich-dermatologisches Gutachten. Bei der Untersuchung am 17. März 2008 sei die Haut erscheinungsfrei gewesen. Aufgrund der Beschreibung des behandelnden Hautarztes sowie der aktenkundigen Bilder sei ein allergisches Kontaktekzem mit Streuung oder ein allergisches Kontaktekzem in Verbindung mit einem aerogenen Kontaktekzem zu diagnostizieren. Das Ekzem an Händen, Armen und im Gesicht sei wahrscheinlich durch berufliche Exposition ausgelöst, Formaldehyd komme als Auslöser in Betracht, aber auch andere berufliche Allergene. Bei Allergenkarenz könne die Sensibilisierung langsam abnehmen, wobei bei erneuter Exposition mit dem Wiederauftreten zu rechnen sei. Es liege deshalb auch eine schwere Hauterkrankung vor. Aufgrund der aerogenen Sensibilisierung werde eine MdE um 20 v.H. vorgeschlagen, entsprechend dem Empfehlungen des Bamberger Merkblatts.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2008 erkannte die Beklagte die Hauterkrankung des Klägers als BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV an und legte als Tag des Versicherungsfalls den 17. November 2007 fest (Tag nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit). Als Folgen der BK würden anerkannt ein Zustand nach abgeheiltem allergischen Ekzem der Hände, auf den Armen und im Gesicht sowie Kontaktsensibilisierung vom Spättyp gegenüber Formaldehyd und Formaldehydabspaltern. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht, da die Leistungsfähigkeit hierdurch nicht rentenrelevant eingeschränkt sei. Durch die Arbeitsunfähigkeit und die anschließende Tätigkeitsaufgabe bei der Fa. S. seien die Hauterscheinungen völlig abgeheilt. Der Kontakt mit Formaldehyd und Formaldehydabspaltern solle künftig vermieden werden. Für die berufliche Rehabilitation erkläre sich die Beklagte zuständig. Mit Bescheid vom 1. Juli 2008 wurden dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 BKV ab 17. November 2008 bis 31. März 2009 bewilligt.
Mit Bescheid vom 18. November 2008 anerkannte die Beklagte auch das Bestehen einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV mit den Folgen: medizinisch provozierte geringgradige obstruktive Ventilationsstörung nach arbeitsplatzbezogenem Expositionstest, welche sich im 6-stündigen Nachbeobachtungszeitraum völlig zurückgebildet hat; intermittierend auftretende symptomatische grenzwertige Hyperreagibilität mit Hustenreiz und Luftnot bei Exposition gegenüber unspezifischen Reizen. Nicht als Folgen der BK würden anerkannt ein bullöses Lungenemphysem, eine anerkannte BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV sowie Gelenkschmerzen mit Müdigkeit. Die MdE belaufe sich bis 30. September 2008 auf 10 v.H. Diese Feststellungen gründeten sich auf das Gutachten des Prof. Dr. N. vom 23. September 2008, der u.a. auch das Bestehen einer BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV bejahte.
Am 18. November 2008 erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid, mit dem nochmals die Hauterkrankung als BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV sowie als Folgen der BK ein Zustand nach abgeheiltem allergischen Ekzem der Hände, auf den Armen und im Gesicht sowie Kontaktsensibilisierung vom Spättyp gegenüber Formaldehyd und Formaldehydabspaltern festgestellt worden sind. Nicht als Folgen der BK würden anerkannt die Folgen der BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Wegen der Folgen der BK habe er zeitlich begrenzt Anspruch auf Rente, nämlich vom 1. April bis 30. September 2008 nach einer MdE um 10 v.H. Diese Rente werde wegen des gleichzeitigen Bestehens einer zusätzlichen MdE von wenigstens 10 v.H. wegen der BK Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV bewilligt. Nach dem 30. September 2008 werde eine Rente nicht bezahlt, da eine krankheitswertige MdE nicht mehr bestehe.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die MdE mit 10 v.H. für die Hauterkrankung sei viel zu niedrig angesetzt. Die durch die Fa. S. ausgelöste Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd, das überall im Alltag vorkomme, beeinträchtige ihn erheblich. Auch hätte die Fa. S. den Arbeitsvertrag des Klägers sicher über den 30. September 2008 hinaus verlängert, so dass die Rente nicht zu befristen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger am 14. April 2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben. Zur Begründung führt er aus, seine Haut reagiere ständig. Zum Beweis diene das beigefügte Foto vom 3. März 2009. Die Symptome würden selten abklingen. Beide Berufskrankheiten gehörten zusammen und auch zusammen bewertet. Er habe auch Depressionen wegen seiner Erkrankungen und könne auch seine Hobbys (Modellbau) nicht mehr ausüben.
Das SG hat den Hausarzt Dr. H. sowie den Hautarzt Dr. B. als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Beide berichteten, dass sich unter Karenz eine Besserung bis zur Abheilung der Hautbeschwerden gezeigt habe. Verschlechterungen seien nach Wiederaufnahme der Arbeit sowie am 8. Juni 2009 nach privaten Arbeiten bei einem Nachbarn (Hilfe beim Einbau der Küche) aufgetreten. Im Auftrag des SG hat am 17. Juni 2010 Prof. Dr. B.-T., Ärztliche Direktorin der Universitätshautklinik F. mit Dr. G. ein fachärztlich-dermatologisches Gutachten erstellt. Als Diagnosen hat sie ein seborrhoisches Ekzem des Gesichts, eine Typ-IV-Sensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain und eine Typ-I-Sensibilisierung gegenüber Beifuß mitgeteilt. Bei dem aktuellen Befund des Klägers (seborrhoisches Ekzem des Gesichts in Gestalt eines diskreten Erythems mit feinlamellärer Schuppung an den Wangen und im Stirnbereich) gebe es keinen Anhalt für eine berufsbedingte Dermatose. Das bislang diagnostizierte allergische Kontaktekzem mit einer aerogenen Komponente bei einer Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd habe sich bei der durchgeführten Epicutantestung nicht nachvollziehen lassen. Die epicutane Sensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain sei mit großer Wahrscheinlichkeit außerberuflich erworben. Es handle sich bei Cocamidopropylbetain um eine waschaktive Substanz, die in Shampoos, Waschlotionen, Badepräparaten sowie Augen-make-up-Entferner vorkomme. Aus diesem Grund werde keine Relevanz mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers gesehen. Eine BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV liege nicht vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf das eingeholte Gutachten. Die bestehenden Hautveränderungen seien nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen.
Gegen den mit Postzustellungsurkunde vom 11. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 5. November 2010 Berufung eingelegt. Es sei bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen, dass beim Kläger mehrere Berufskrankheiten vorliegen würden. Diese müssten auch bei der MdE-Bewertung gemeinsam gewürdigt werden. Auch sei die MdE nicht zeitlich zu befristen. Dies hätten auch die eingeholten Sachverständigengutachten nicht belegt. Die Hautkrankheit sei weiter vorhanden, auch wenn die Symptome gelegentlich und kurzzeitig abgeschwächt sein mögen. Das vom SG eingeholte Gutachten sei nicht geeignet, eine andere Bewertung zu rechtfertigen, denn die Testung sei ohne arbeitsplatzbezogene Stoffe erfolgt. Diese Stoffe befänden sich jedoch allerorts, so dass die Beeinträchtigung erheblich höher als 10 v.H. sei.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2009 zu verurteilen, dem Kläger wegen der als BK Nr. 5101 anerkannten Hautkrankheit ab April 2008 Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise eine arbeitsmedizinische Begutachtung zur MdE-Bewertung,
und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist teilweise begründet. Dem Kläger steht über den 30. September 2008 Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zu.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.
Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [(SGB VII)]. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV können als BK anerkannt werden schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die Beklagte hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. Juni 2008 die Hauterkrankung des Klägers als BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV anerkannt. Keine erneute Regelung hinsichtlich des Bestehens eines BK ist durch den Bescheid vom 18. November 2008 getroffen worden.
Bei der Auslegung von Verwaltungsakten ist in Anwendung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) vom objektiven Sinngehalt ihrer Erklärungen auszugehen, wie sie der Empfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste (Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 31 RdNr 26 mwN), wobei der der Bestandskraft (Bindungswirkung) zugängliche Verfügungssatz zugrunde zu legen und zur Klärung seines Umfangs die Begründung des Bescheides zu berücksichtigen ist (vgl Engelmann, aaO, RdNr 51). Mit Bescheid vom 18. November 2008 hat die Beklagte hinsichtlich der Anerkennung der Hauterkrankung als BK lediglich die im Bescheid vom 30. Juni 2008 enthaltene Verfügung wiederholt (zur wiederholenden Verfügung auch Hofmann/Gerke, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Auflage 2006 S. 216 f) und nur hinsichtlich der Frage des Anspruchs auf Verletztenrente eine eigenständige Regelung getroffen. Deshalb ist im vorliegenden Verfahren - auch nach den Anträgen des Klägers - lediglich der Anspruch auf Verletztenrente wegen der bestandskräftig festgestellten BK im Streit und nicht auch die Frage des Bestehens/Nichtbestehens einer BK an sich. Der Umstand, dass die vom SG beauftragte Dr. B.-T. das Bestehen einer BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV verneint hat, da sie lediglich eine außerberuflich erworbene epicutane Sensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain festgestellt hat, führt deshalb schon aus formellen Gründen nicht zur - teilweisen - Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Im Übrigen hat auch Prof. Dr. N. im Verfahren um die Anerkennung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV nach arbeitsplatzbezogenem Provokationstest positive Hautreaktionen auf Formaldehyd festgestellt und das Bestehen (auch) einer BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV bejaht.
Streitig ist deshalb im vorliegenden Fall nur, ob und inwieweit dem Kläger wegen der bestandskräftig festgestellten BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente zusteht.
Für die Bewertung der MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19. Dezember 2001 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Nach Maßgabe dieser Kriterien hat die Beklagte zu Unrecht eine MdE um 10 v.H. lediglich bis 30. September 2008 festgestellt.
Wie bereits Dr. S. in seinem Gutachten ausgeführt hat, ist nämlich bei der Feststellung der MdE nicht nur zu beachten, dass beim Kläger eine sog. Streureaktion auf Formaldehyd und Formaldehydabspalter besteht, sondern auch, dass diese Stoffe in der Arbeitswelt vielfach und vielfach kaum vermeidbar vorkommen, so dass aufgrund der erworbenen Sensibilisierung gegen diese Stoffe tatsächlich eine erhebliche Zahl von Arbeitsmöglichkeiten für den Kläger ausgeschlossen ist. Dem entsprechend wird auch in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010 S. 859 die Auswirkung des Allergens Formaldehyd in der Regel als mittelgradig bezeichnet, allerdings als schwerwiegend bei Vorliegen einer hochgradigen Sensibilisierung mit zusätzlichen positiven Reaktionen gegenüber Formaldehydabspaltern.
Wie Dr. S. in seinem Gutachten, übereinstimmend mit dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S. 846 ff) sowie Prof. Dr. N. in seinem Gutachten vom 23. September 2008 ausgeführt haben, leidet der Kläger unter einer Allergie vom Spättyp gegen Formaldehyd und Formaldehydabspalter, die sich in einem Ekzem der Haut an Händen, Unterarmen und Gesicht manifestiert. Dieses Ekzem heilt unter Expositionskarenz regelmäßig ab, wie den aktenkundigen Berichten des behandelnden Hautarztes Dr. B. aber auch den Gutachten, z.B. auch im SG-Verfahren, zu entnehmen ist.
Diese Umstände schlagen sich auch in der Feststellung der MdE nieder. Der Senat legt zur Gleichbehandlung aller Versicherten, wie auch Dr. S. und im Ergebnis auch Prof. Dr. N., der Feststellung der MdE die im überarbeiteten sog. "Bamberger Merkblatt", Stand März 2009, niedergelegten Empfehlungen zugrunde, unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handelt oder nicht (vgl. dazu auch Becker, ASUMed 2009, 592-597 ).
Danach ist bei leichten bis keinen Hauterscheinungen (bei Expositionskarenz) (vgl. dazu ebenfalls Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S. 883 sowie Bamberger Merkblatt S. 28 f) allerdings nur bei gleichzeitig schwerwiegender Auswirkung der Allergie eine MdE um 20 v.H. festzustellen. Von einer schwerwiegenden Auswirkung der Allergie ist jedoch nicht auszugehen. Denn dies könnte nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S. 859) nur angenommen werden bei Vorliegen einer hochgradigen Sensibilisierung mit zusätzlichen positiven Reaktionen gegenüber Formaldehydabspaltern. Eine derartige hochgradige Sensibilisierung ist bei einer vom Spättyp nicht anzunehmen.
Diese Einordnung der Sensibilisierung als leichtgradig wird bestätigt durch die Ergebnisse des Gutachtens Prof. Dr. B.-T. vom 17. Juni 2010, die nach durchgeführter Prick- und Epicutantestung auf Formaldehyd ein allergisches Kontaktekzem nicht hat feststellen können. Keine Untersuchung erfolgte jedoch im Hinblick auf Formaldehydabspalter, so dass das Gericht aus dem Gutachten der Dr. B.-T. nicht ableiten kann, dass überhaupt keine Sensibilisierung gegen Formaldehyd- und Formaldehydabspalter mehr besteht, sondern dass die Sensibilisierung allenfalls als gering einzustufen ist. Sollte die Beklagte der Auffassung sein, es liege überhaupt keine Sensibilisierung mehr vor, müsste dem über die Prüfung der BK-Anerkennung und nicht im Rahmen der MdE-Bewertung Rechnung getragen werden.
Diese Abweichung hinsichtlich des Sensibilisierungsgrads von den im Bamberger Merkblatt zur Feststellung einer MdE um 20 v.H. aufgeführten Kriterien rechtfertigt die Feststellung einer MdE um 10 v.H., die sowohl dem Ausmaß der Sensibilisierung als auch der Hauterscheinungen ausreichend und angemessen Rechnung trägt. Dem entspricht auch der Vorschlag von Prof. Dr. N. in seinem Gutachten im Verfahren zur Feststellung der BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV, dem die Beklagte in ihrem Bescheid vom 18. November 2008 im Übrigen selbst gefolgt ist. Sie hat lediglich durch die unzutreffende Auslegung des Gutachtens die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zeitlich begrenzt, allerdings keine Feststellungen dazu getroffen, dass nach dem 30. September 2008 keine stützrentenberechtigende MdE um 10 v.H. mehr vorliegt.
Eines arbeitsmedizinischen Gutachtens zur Feststellung der MdE, wie hilfsweise von dem Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt, bedarf es für die Feststellung der MdE nicht. Die Feststellung der MdE, wie ausgeführt, ist richterliche Tätigkeit und nicht dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Sollte die Beklagte der Auffassung sein, hinsichtlich der funktionellen Einschränkungen des Klägers sei eine Verbesserung gegenüber dem durch Prof. Dr. N./Dr. S. festgestellten Zustand eingetreten, hat sie diesbezüglich eigene Ermittlungen anzustellen und ggf. durch Bescheid über die Rentenentziehung zu entscheiden, der dann wiederum gerichtlicher Überprüfung unterzogen werden kann. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine lediglich angenommene Verbesserung des Gesundheitszustands Ermittlungen ins Blaue hinein durchzuführen.
Die Gewährung von Übergangsleistungen bis 31. März 2009 steht der Bewilligung von Verletztenrente in diesem Zeitraum nicht entgegen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BKV).
Ob und inwieweit der Kläger an weiteren, nicht beruflich bedingten Hautsensibilisierungen leidet (vgl. das Gutachten Prof. Dr. B.-T.), die ebenfalls behandlungsbedürftige Hauterscheinungen hervorrufen (vgl. insoweit die Behandlungen in 2009 durch Dr. B. zu Lasten der Krankenkasse), kann offen bleiben. Diese Unterscheidung wird allenfalls relevant bei der Frage, ob akute Krankheitserscheinungen zu Lasten der Beklagten oder der Krankenkasse zu behandeln sind, nicht aber bei der Frage der Erwerbsmöglichkeiten des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die für die Feststellung der MdE relevant ist. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Klägers, er könne aufgrund der Allergie sein Hobby Modellbau nicht mehr ausüben, für die Feststellung der MdE unmaßgeblich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zur Hälfte.
Tatbestand:
Im Streit steht ein Anspruch auf Verletztenrente wegen der anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1972 geborene Kläger war seit 1999 immer wieder zeitweise als Leiharbeiter, ab April 2007 auf ein Jahr befristet als Ansetzer von Farbe und Putz bei der Fa. S. AG tätig. Mit Hautarztbericht vom 17. Oktober 2007 teilte Dr. B. mit, beim Kläger bestehe ein großflächiges, akutes Ekzem mit ausgeprägter Bläschenbildung, Juckreiz, Rötung und Schuppung an den Händen und Unterarmen sowie im Gesicht und Nacken. Es bestehe der Verdacht auf beruflich verursachtes Handekzem, differentialdiagnostisch kumulativ-subtoxisches Handekzem, allergisches Kontaktekzem. Der Kläger war zunächst arbeitsunfähig und teilte der Beklagten unter dem 6. November 2007 auch mit, dass er die ganze Zeit auch Atembeschwerden gehabt habe, die er auf den Umgang mit Epoxidharz zurückführe. Seit er wegen der Hautbeschwerden ein Allergikum verwende, seien auch die Atembeschwerden wieder gut.
Die Beklagte leitete daraufhin das Feststellungsverfahren hinsichtlich der Haut- und Atemwegserkrankung ein. Letztere ist Gegenstand des Verfahrens L 1 U 2187/10.
Am 26. Februar 2008 fand im Beisein des Klägers eine Arbeitsplatzbesichtigung durch den Präventionsdienst der Beklagten statt. Unter dem 10. April 2008 erstattete Dr. S., Dermatologe, im Auftrag der Beklagten ein fachärztlich-dermatologisches Gutachten. Bei der Untersuchung am 17. März 2008 sei die Haut erscheinungsfrei gewesen. Aufgrund der Beschreibung des behandelnden Hautarztes sowie der aktenkundigen Bilder sei ein allergisches Kontaktekzem mit Streuung oder ein allergisches Kontaktekzem in Verbindung mit einem aerogenen Kontaktekzem zu diagnostizieren. Das Ekzem an Händen, Armen und im Gesicht sei wahrscheinlich durch berufliche Exposition ausgelöst, Formaldehyd komme als Auslöser in Betracht, aber auch andere berufliche Allergene. Bei Allergenkarenz könne die Sensibilisierung langsam abnehmen, wobei bei erneuter Exposition mit dem Wiederauftreten zu rechnen sei. Es liege deshalb auch eine schwere Hauterkrankung vor. Aufgrund der aerogenen Sensibilisierung werde eine MdE um 20 v.H. vorgeschlagen, entsprechend dem Empfehlungen des Bamberger Merkblatts.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2008 erkannte die Beklagte die Hauterkrankung des Klägers als BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV an und legte als Tag des Versicherungsfalls den 17. November 2007 fest (Tag nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit). Als Folgen der BK würden anerkannt ein Zustand nach abgeheiltem allergischen Ekzem der Hände, auf den Armen und im Gesicht sowie Kontaktsensibilisierung vom Spättyp gegenüber Formaldehyd und Formaldehydabspaltern. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht, da die Leistungsfähigkeit hierdurch nicht rentenrelevant eingeschränkt sei. Durch die Arbeitsunfähigkeit und die anschließende Tätigkeitsaufgabe bei der Fa. S. seien die Hauterscheinungen völlig abgeheilt. Der Kontakt mit Formaldehyd und Formaldehydabspaltern solle künftig vermieden werden. Für die berufliche Rehabilitation erkläre sich die Beklagte zuständig. Mit Bescheid vom 1. Juli 2008 wurden dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 BKV ab 17. November 2008 bis 31. März 2009 bewilligt.
Mit Bescheid vom 18. November 2008 anerkannte die Beklagte auch das Bestehen einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV mit den Folgen: medizinisch provozierte geringgradige obstruktive Ventilationsstörung nach arbeitsplatzbezogenem Expositionstest, welche sich im 6-stündigen Nachbeobachtungszeitraum völlig zurückgebildet hat; intermittierend auftretende symptomatische grenzwertige Hyperreagibilität mit Hustenreiz und Luftnot bei Exposition gegenüber unspezifischen Reizen. Nicht als Folgen der BK würden anerkannt ein bullöses Lungenemphysem, eine anerkannte BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV sowie Gelenkschmerzen mit Müdigkeit. Die MdE belaufe sich bis 30. September 2008 auf 10 v.H. Diese Feststellungen gründeten sich auf das Gutachten des Prof. Dr. N. vom 23. September 2008, der u.a. auch das Bestehen einer BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV bejahte.
Am 18. November 2008 erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid, mit dem nochmals die Hauterkrankung als BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV sowie als Folgen der BK ein Zustand nach abgeheiltem allergischen Ekzem der Hände, auf den Armen und im Gesicht sowie Kontaktsensibilisierung vom Spättyp gegenüber Formaldehyd und Formaldehydabspaltern festgestellt worden sind. Nicht als Folgen der BK würden anerkannt die Folgen der BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Wegen der Folgen der BK habe er zeitlich begrenzt Anspruch auf Rente, nämlich vom 1. April bis 30. September 2008 nach einer MdE um 10 v.H. Diese Rente werde wegen des gleichzeitigen Bestehens einer zusätzlichen MdE von wenigstens 10 v.H. wegen der BK Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV bewilligt. Nach dem 30. September 2008 werde eine Rente nicht bezahlt, da eine krankheitswertige MdE nicht mehr bestehe.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die MdE mit 10 v.H. für die Hauterkrankung sei viel zu niedrig angesetzt. Die durch die Fa. S. ausgelöste Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd, das überall im Alltag vorkomme, beeinträchtige ihn erheblich. Auch hätte die Fa. S. den Arbeitsvertrag des Klägers sicher über den 30. September 2008 hinaus verlängert, so dass die Rente nicht zu befristen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger am 14. April 2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben. Zur Begründung führt er aus, seine Haut reagiere ständig. Zum Beweis diene das beigefügte Foto vom 3. März 2009. Die Symptome würden selten abklingen. Beide Berufskrankheiten gehörten zusammen und auch zusammen bewertet. Er habe auch Depressionen wegen seiner Erkrankungen und könne auch seine Hobbys (Modellbau) nicht mehr ausüben.
Das SG hat den Hausarzt Dr. H. sowie den Hautarzt Dr. B. als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Beide berichteten, dass sich unter Karenz eine Besserung bis zur Abheilung der Hautbeschwerden gezeigt habe. Verschlechterungen seien nach Wiederaufnahme der Arbeit sowie am 8. Juni 2009 nach privaten Arbeiten bei einem Nachbarn (Hilfe beim Einbau der Küche) aufgetreten. Im Auftrag des SG hat am 17. Juni 2010 Prof. Dr. B.-T., Ärztliche Direktorin der Universitätshautklinik F. mit Dr. G. ein fachärztlich-dermatologisches Gutachten erstellt. Als Diagnosen hat sie ein seborrhoisches Ekzem des Gesichts, eine Typ-IV-Sensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain und eine Typ-I-Sensibilisierung gegenüber Beifuß mitgeteilt. Bei dem aktuellen Befund des Klägers (seborrhoisches Ekzem des Gesichts in Gestalt eines diskreten Erythems mit feinlamellärer Schuppung an den Wangen und im Stirnbereich) gebe es keinen Anhalt für eine berufsbedingte Dermatose. Das bislang diagnostizierte allergische Kontaktekzem mit einer aerogenen Komponente bei einer Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd habe sich bei der durchgeführten Epicutantestung nicht nachvollziehen lassen. Die epicutane Sensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain sei mit großer Wahrscheinlichkeit außerberuflich erworben. Es handle sich bei Cocamidopropylbetain um eine waschaktive Substanz, die in Shampoos, Waschlotionen, Badepräparaten sowie Augen-make-up-Entferner vorkomme. Aus diesem Grund werde keine Relevanz mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers gesehen. Eine BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV liege nicht vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf das eingeholte Gutachten. Die bestehenden Hautveränderungen seien nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen.
Gegen den mit Postzustellungsurkunde vom 11. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 5. November 2010 Berufung eingelegt. Es sei bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen, dass beim Kläger mehrere Berufskrankheiten vorliegen würden. Diese müssten auch bei der MdE-Bewertung gemeinsam gewürdigt werden. Auch sei die MdE nicht zeitlich zu befristen. Dies hätten auch die eingeholten Sachverständigengutachten nicht belegt. Die Hautkrankheit sei weiter vorhanden, auch wenn die Symptome gelegentlich und kurzzeitig abgeschwächt sein mögen. Das vom SG eingeholte Gutachten sei nicht geeignet, eine andere Bewertung zu rechtfertigen, denn die Testung sei ohne arbeitsplatzbezogene Stoffe erfolgt. Diese Stoffe befänden sich jedoch allerorts, so dass die Beeinträchtigung erheblich höher als 10 v.H. sei.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2009 zu verurteilen, dem Kläger wegen der als BK Nr. 5101 anerkannten Hautkrankheit ab April 2008 Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise eine arbeitsmedizinische Begutachtung zur MdE-Bewertung,
und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist teilweise begründet. Dem Kläger steht über den 30. September 2008 Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zu.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.
Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [(SGB VII)]. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV können als BK anerkannt werden schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die Beklagte hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. Juni 2008 die Hauterkrankung des Klägers als BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV anerkannt. Keine erneute Regelung hinsichtlich des Bestehens eines BK ist durch den Bescheid vom 18. November 2008 getroffen worden.
Bei der Auslegung von Verwaltungsakten ist in Anwendung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) vom objektiven Sinngehalt ihrer Erklärungen auszugehen, wie sie der Empfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste (Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 31 RdNr 26 mwN), wobei der der Bestandskraft (Bindungswirkung) zugängliche Verfügungssatz zugrunde zu legen und zur Klärung seines Umfangs die Begründung des Bescheides zu berücksichtigen ist (vgl Engelmann, aaO, RdNr 51). Mit Bescheid vom 18. November 2008 hat die Beklagte hinsichtlich der Anerkennung der Hauterkrankung als BK lediglich die im Bescheid vom 30. Juni 2008 enthaltene Verfügung wiederholt (zur wiederholenden Verfügung auch Hofmann/Gerke, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Auflage 2006 S. 216 f) und nur hinsichtlich der Frage des Anspruchs auf Verletztenrente eine eigenständige Regelung getroffen. Deshalb ist im vorliegenden Verfahren - auch nach den Anträgen des Klägers - lediglich der Anspruch auf Verletztenrente wegen der bestandskräftig festgestellten BK im Streit und nicht auch die Frage des Bestehens/Nichtbestehens einer BK an sich. Der Umstand, dass die vom SG beauftragte Dr. B.-T. das Bestehen einer BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV verneint hat, da sie lediglich eine außerberuflich erworbene epicutane Sensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain festgestellt hat, führt deshalb schon aus formellen Gründen nicht zur - teilweisen - Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Im Übrigen hat auch Prof. Dr. N. im Verfahren um die Anerkennung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV nach arbeitsplatzbezogenem Provokationstest positive Hautreaktionen auf Formaldehyd festgestellt und das Bestehen (auch) einer BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV bejaht.
Streitig ist deshalb im vorliegenden Fall nur, ob und inwieweit dem Kläger wegen der bestandskräftig festgestellten BK nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente zusteht.
Für die Bewertung der MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19. Dezember 2001 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die schädigende Einwirkung beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Nach Maßgabe dieser Kriterien hat die Beklagte zu Unrecht eine MdE um 10 v.H. lediglich bis 30. September 2008 festgestellt.
Wie bereits Dr. S. in seinem Gutachten ausgeführt hat, ist nämlich bei der Feststellung der MdE nicht nur zu beachten, dass beim Kläger eine sog. Streureaktion auf Formaldehyd und Formaldehydabspalter besteht, sondern auch, dass diese Stoffe in der Arbeitswelt vielfach und vielfach kaum vermeidbar vorkommen, so dass aufgrund der erworbenen Sensibilisierung gegen diese Stoffe tatsächlich eine erhebliche Zahl von Arbeitsmöglichkeiten für den Kläger ausgeschlossen ist. Dem entsprechend wird auch in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010 S. 859 die Auswirkung des Allergens Formaldehyd in der Regel als mittelgradig bezeichnet, allerdings als schwerwiegend bei Vorliegen einer hochgradigen Sensibilisierung mit zusätzlichen positiven Reaktionen gegenüber Formaldehydabspaltern.
Wie Dr. S. in seinem Gutachten, übereinstimmend mit dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S. 846 ff) sowie Prof. Dr. N. in seinem Gutachten vom 23. September 2008 ausgeführt haben, leidet der Kläger unter einer Allergie vom Spättyp gegen Formaldehyd und Formaldehydabspalter, die sich in einem Ekzem der Haut an Händen, Unterarmen und Gesicht manifestiert. Dieses Ekzem heilt unter Expositionskarenz regelmäßig ab, wie den aktenkundigen Berichten des behandelnden Hautarztes Dr. B. aber auch den Gutachten, z.B. auch im SG-Verfahren, zu entnehmen ist.
Diese Umstände schlagen sich auch in der Feststellung der MdE nieder. Der Senat legt zur Gleichbehandlung aller Versicherten, wie auch Dr. S. und im Ergebnis auch Prof. Dr. N., der Feststellung der MdE die im überarbeiteten sog. "Bamberger Merkblatt", Stand März 2009, niedergelegten Empfehlungen zugrunde, unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handelt oder nicht (vgl. dazu auch Becker, ASUMed 2009, 592-597 ).
Danach ist bei leichten bis keinen Hauterscheinungen (bei Expositionskarenz) (vgl. dazu ebenfalls Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S. 883 sowie Bamberger Merkblatt S. 28 f) allerdings nur bei gleichzeitig schwerwiegender Auswirkung der Allergie eine MdE um 20 v.H. festzustellen. Von einer schwerwiegenden Auswirkung der Allergie ist jedoch nicht auszugehen. Denn dies könnte nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S. 859) nur angenommen werden bei Vorliegen einer hochgradigen Sensibilisierung mit zusätzlichen positiven Reaktionen gegenüber Formaldehydabspaltern. Eine derartige hochgradige Sensibilisierung ist bei einer vom Spättyp nicht anzunehmen.
Diese Einordnung der Sensibilisierung als leichtgradig wird bestätigt durch die Ergebnisse des Gutachtens Prof. Dr. B.-T. vom 17. Juni 2010, die nach durchgeführter Prick- und Epicutantestung auf Formaldehyd ein allergisches Kontaktekzem nicht hat feststellen können. Keine Untersuchung erfolgte jedoch im Hinblick auf Formaldehydabspalter, so dass das Gericht aus dem Gutachten der Dr. B.-T. nicht ableiten kann, dass überhaupt keine Sensibilisierung gegen Formaldehyd- und Formaldehydabspalter mehr besteht, sondern dass die Sensibilisierung allenfalls als gering einzustufen ist. Sollte die Beklagte der Auffassung sein, es liege überhaupt keine Sensibilisierung mehr vor, müsste dem über die Prüfung der BK-Anerkennung und nicht im Rahmen der MdE-Bewertung Rechnung getragen werden.
Diese Abweichung hinsichtlich des Sensibilisierungsgrads von den im Bamberger Merkblatt zur Feststellung einer MdE um 20 v.H. aufgeführten Kriterien rechtfertigt die Feststellung einer MdE um 10 v.H., die sowohl dem Ausmaß der Sensibilisierung als auch der Hauterscheinungen ausreichend und angemessen Rechnung trägt. Dem entspricht auch der Vorschlag von Prof. Dr. N. in seinem Gutachten im Verfahren zur Feststellung der BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV, dem die Beklagte in ihrem Bescheid vom 18. November 2008 im Übrigen selbst gefolgt ist. Sie hat lediglich durch die unzutreffende Auslegung des Gutachtens die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 10 v.H. zeitlich begrenzt, allerdings keine Feststellungen dazu getroffen, dass nach dem 30. September 2008 keine stützrentenberechtigende MdE um 10 v.H. mehr vorliegt.
Eines arbeitsmedizinischen Gutachtens zur Feststellung der MdE, wie hilfsweise von dem Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt, bedarf es für die Feststellung der MdE nicht. Die Feststellung der MdE, wie ausgeführt, ist richterliche Tätigkeit und nicht dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Sollte die Beklagte der Auffassung sein, hinsichtlich der funktionellen Einschränkungen des Klägers sei eine Verbesserung gegenüber dem durch Prof. Dr. N./Dr. S. festgestellten Zustand eingetreten, hat sie diesbezüglich eigene Ermittlungen anzustellen und ggf. durch Bescheid über die Rentenentziehung zu entscheiden, der dann wiederum gerichtlicher Überprüfung unterzogen werden kann. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine lediglich angenommene Verbesserung des Gesundheitszustands Ermittlungen ins Blaue hinein durchzuführen.
Die Gewährung von Übergangsleistungen bis 31. März 2009 steht der Bewilligung von Verletztenrente in diesem Zeitraum nicht entgegen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BKV).
Ob und inwieweit der Kläger an weiteren, nicht beruflich bedingten Hautsensibilisierungen leidet (vgl. das Gutachten Prof. Dr. B.-T.), die ebenfalls behandlungsbedürftige Hauterscheinungen hervorrufen (vgl. insoweit die Behandlungen in 2009 durch Dr. B. zu Lasten der Krankenkasse), kann offen bleiben. Diese Unterscheidung wird allenfalls relevant bei der Frage, ob akute Krankheitserscheinungen zu Lasten der Beklagten oder der Krankenkasse zu behandeln sind, nicht aber bei der Frage der Erwerbsmöglichkeiten des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die für die Feststellung der MdE relevant ist. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Klägers, er könne aufgrund der Allergie sein Hobby Modellbau nicht mehr ausüben, für die Feststellung der MdE unmaßgeblich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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