L 3 SB 202/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 6242/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 202/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 06. November 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festzustellen sind.

Bei dem am 31.10.1948 geborenen Kläger hat das Versorgungsamt Stuttgart zuletzt mit Bescheid vom 17.01.2003 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 13.09.2002 festgestellt. Entsprechend einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 08.01.2003 hat es hierbei eine "Schwerhörigkeit beidseitig, Ohrgeräusche (Tinnitus), Schwindel" mit einem Einzel-GdB von 40, eine "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks" mit einem Einzel-GdB von 30, eine "Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke" mit einem Einzel-GdB von 20 und eine "Fingerpolyarthrose, Dupuytren‘sche Kontraktur" mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt. Das Versorgungsamt hat ferner entschieden, dass die vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "G" nicht vorliegen.

Am 28.11.2005 beantragte der Kläger beim Landratsamt Böblingen - Versorgungsamt in Stuttgart - (VA) die Erhöhung des bei ihm festgestellten GdB sowie die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen. Er gab hierzu u.a. an, sein Hüftleiden habe sich verschlimmert.

Das VA forderte daraufhin von den behandelnden Ärzten Untersuchungsunterlagen an und führte diese einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. F. zu. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 08.01.2006 gab Dr. F. an, dass eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sei und keine Merkzeichen festzustellen seien. Gestützt hierauf lehnte das VA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 17.01.2006 ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es an, dass die aktuellen medizinischen Unterlagen eine wesentliche Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers nicht belegten. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in vollem Umfang erfasst und mit dem bereits festgestellten GdB zutreffend bewertet. Die Voraussetzungen für die Feststellung von gesundheitlichen Merkmalen, u.a. für den Nachteilsausgleich "G" lägen nicht vor.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruches brachte der Kläger vor, die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule - im Zusammenhang mit dem Schulter-Arm-Syndrom -, die Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks und die Fingerpolyarthrose seien zu gering bewertet. Die Bewertung der Funktionsbehinderung der Hüftgelenke mit einem Einzel-GdB von 20 entspräche nicht dem tatsächlichen Umfang der Funktionsstörung. Überdies habe das VA den GdB fehlerhaft gebildet. Eine ärztliche Gesamtschau führe dazu, dass die anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen im Wesentlichen voneinander unabhängig seien, sodass der höchste Einzel-GdB von 40 nicht lediglich um 10 Punkte zu erhöhen sei. Ein GdB von mindestens 80 sei gerechtfertigt. Auch werde eine eingehende Ermittlung des medizinischen Sachverhalts ergeben, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" in der Person des Klägers erfüllt seien.

Das VA forderte daraufhin bei dem behandelnden Orthopäden Dr. H. einen Befundschein an und führte diesen versorgungsärztlichen Überprüfungen zu. Dr. M. und Dr. F. kamen in ihren jeweiligen Stellungnahmen zu der übereinstimmenden Einschätzung, die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 50 zutreffend bewertet. Die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" lägen nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2006 wies der Beklagte sodann den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte er an, dass in den Verhältnissen, die den Bescheid vom 17.01.2003 zugrundelagen, keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Eine nochmalige versorgungsärztliche Überprüfung habe ergeben, dass der Einzel-GdB für die Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen tatsächlich nur mit 30 zu Grunde zu legen sei. Die Auswertung der ärztlichen Befundunterlagen habe ergeben, dass der Kläger nicht dem in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigten Personenkreis zugeordnet werden könne. Die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bedingten beim Kläger für sich allein keinen GdB von wenigstens 50. Auch könnten die Behinderungen an den unteren Gliedmaßen einer Versteifung des Hüftgelenks oder einer Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung nicht gleichgestellt werden. Keine der festgestellten Behinderungen wirke sich auf die Gehfähigkeit in besonderem Maße aus. Der Kläger sei trotz der Behinderungen noch in der Lage, ohne erhebliche Schwierigkeiten und ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Hiergegen hat der Kläger am 18.08.2006 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er, den Vortrag zur Widerspruchsbegründung wiederholend, vorgetragen, die bestehenden Behinderungen seien zu gering bewertet, die Bildung des Gesamt-GdB unterliege Bedenken. Die Funktionsbeeinträchtigungen bedingten einen GdB von mindestens 80. Auch sei er in seiner Bewegungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Ergänzend hat der Kläger Arztbriefe von Dr. N. vom 12.03.2007 und Dr. H. vom 17.04.2007 vorgelegt.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. H. - Facharzt für Orthopädie - hat in seiner Stellungnahme vom 22.02.2007 angegeben, die von ihm erhobenen Befunde und Diagnosen stimmten im Wesentlichen mit denjenigen überein, die in den versorgungsärztlichen Stellungnahme niedergelegt seien. Zusätzlich bestehe eine Claudicatio-Symptomatik, die noch nicht vollständig abgeklärt sei. Die Gehfähigkeit sei auf orthopädischem Fachgebiet durch degenerative Veränderung im Bereich der Lendenwirbelsäule und beider Hüftgelenke beeinträchtigt. Ihm gegenüber habe der Kläger angegeben, eine Wegstrecke von 500 m zurücklegen zu können, dann müsse er stehen bleiben und sich ausruhen um sodann, nach einer gewissen Zeit, weitergehen zu können. Eine objektive Einschätzung der Gehfähigkeit des Klägers sei zur Zeit nicht möglich, da die Abklärung der Gefäßsituation noch nicht abgeschlossen sei. Dr. E., - Chirurg - hat in seiner Stellungnahme vom 23.10.2007 mitgeteilt, er habe zur Evaluierung eines eventuell bestehenden postthrombotischen Syndroms eine Überweisung zur Farb-Duplex-Sonographie ausgestellt, die am 12.03.2007 durchgeführt worden sei. Hinweise auf eine wesentliche Gefäßerkrankung seien nicht festgestellt worden. Die Varikosis sei von Dr. N. als geringgradig, klinisch wenig bedeutsam, eingestuft worden. Aus den von ihm selbst erhobenen Befunden resultiere keine Einschränkung der Gehfähigkeit. Mit seiner Stellungnahme hat Dr. E. einen Arztbrief von Dr. N. - Innere Medizin (SP Angiologie) - vom 12.03.2007 vorgelegt, in dem dieser u.a. ausgeführt hat, dass der Venenbefund die Beschwerden des Klägers nicht erkläre.

Das SG hat sodann Dr. S. - Facharzt für Orthopädie - mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem fachorthopädischen Gutachten vom 15.01.2008 hat Dr. S. ein cervicocephales und cervicobrachialgieformes Schmerzsyndrom ohne Nervenwurzelreizerscheinung mit vertebragen induzierten Kopfschmerzen und Schmerzausstrahlung in die Schulter-/Armregion, eine lumbalgieforme, pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik bei einem Facettensyndrom L4/5, L5/S1 ohne Hinweise für manifesten Bandscheibenschaden, ein subacromiales Impingementsyndrom beidseits bei Rotatorenmanschettendegeneration, eine Heberden- und Bouchard-Arthrose sowie eine initial beginnende Rhizarthrose der Daumensattelgelenke beidseits, einen Z.n. Operation einer Dupuytren‘schen Kontraktur rechts ohne Hinweise für Rezidiv und ohne Funktionsdefizite, einen Z.n. Operation eines schnellenden Fingers D II links ohne Funktionsdefizit, den dringenden V.a. ein Carpaltunnelsyndrom, eine mäßiggradige Arthrose der Hüftgelenke, ein femoropatellares Schmerzsyndrom mit retropatellarer Chondromalazie bei medial betonter Gonarthrose mäßiggradigen Ausmaßes und eine Senk/Spreizfußdeformität beider Füße diagnostiziert. Er hat angeführt, im Vordergrund der Gesundheitsstörungen stünde die Schultergelenks- und die Hals-/Lendenwirbelsäulen-Situation sowie die Knie- und Hüftgelenkserkrankung. Die Verschleißerscheinung beider Hüftgelenke, rechts ausgeprägter als links, gehe mit einer eingeschränkten Beugefähigkeit und endgradig eingeschränkter Rotationsfähigkeit sowie einem leichten Schonhinken rechts einher. Die Kniegelenke zeigten eine initial bis allenfalls mäßiggradige Arthrose derzeit ohne Reizerscheinungen. Dr. S. gab ferner an, der GdB des Klägers sei mit 60 zu bewerten. Eine höhere Bewertung komme nicht in Betracht, weil sich die Schultergelenksbeweglichkeit deutlich verbessert dargestellt habe und nur noch einen Einzel-GdB von 10 rechtfertige. Ein Einzel-GdB von 30 für die Hüft- und Kniegelenksveränderungen und ihre gegenseitigen Auswirkungen spiegle die fehlenden Reizerscheinungen und die relativ gute Gesamtbeweglichkeit wieder. Nach seiner Einschätzung sei dem Kläger das Zurücklegen einer Wegstrecke von etwa 2 km bei einer Gehdauer von einer halben Stunde noch zumutbar.

Mit Urteil vom 06.11.2008 hat das SG sodann den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2006 verurteilt, die Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Gesamt-GdB von 60 zu bewerten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG u.a. ausgeführt, die sachlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" seien nicht erfüllt. Hierzu hat sich das SG auf die aus seiner Sicht widerspruchsfreien Darstellungen und Bewertungen von Dr. S. gestützt. Zwar seien Schmerzen des Klägers wegen der Veränderungen im Kniebereich nachvollziehbar, weswegen er nicht in der Lage sei, längere Wegstrecken unbeschwert zurücklegen zu können, dies führe jedoch nicht dazu, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des erstrebten Nachteilsausgleiches festzustellen wären.

Mit Bescheid vom 12.01.2009 hat das VA in Ausführung des Urteils des SG den GdB des Klägers seit 28.11.2005 mit 60 festgestellt.

Gegen das am 17.12.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.01.2009 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, das SG habe, obschon die Feststellungen des GdB mit 60 nicht mehr angegriffen werde, nicht festgestellt, welche jeweiligen Einzel-GdB es bei der Ermittlung des GdB zugrundegelegt habe. Es habe sich unzulässigerweise darauf beschränkt, auf das eingeholte medizinische Gutachten und sonstige Unterlagen zu verweisen. Inhaltlich habe das SG zu Unrecht die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" verneint. Die von Dr. S. in dessen Gutachten vom 15.01.2008 erhobenen Befunde stünden im Widerspruch zu dessen Feststellung, dass die lokale Schmerzhaftigkeit beider Kniegelenke ohne wesentliche Einschränkung der Streck- und Beugefähigkeit die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches nicht zu rechtfertigen vermögen. Da der Kläger zur Zeit der Untersuchung durch Dr. S. Schmerzmittel eingenommen habe, könnten die gefundenen Ergebnisse den Gesundheitszustand des Klägers, insbesondere im Hinblick auf die Bewegungsfähigkeit der einzelnen Extremitäten nicht objektiv darstellen. Die Arthrose der Kniegelenke sei so schwerwiegend, dass die Gehfähigkeit des Klägers erheblich eingeschränkt sei. Zur weiteren Begründung hat der Kläger ein ärztliches Attest von Dr. H. vom 23.01.2009 vorgelegt. Zuletzt hat der Kläger einen Arztbrief des Klinikums S. - P. - vom 15.11.2010 vorgelegt, in dem eine beidseitige Coxarthrose mitgeteilt wird. Der Kläger könne noch ca. 300 Meter schmerzfrei laufen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 06. November 2008 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2006 zu verurteilen, festzustellen, dass bei ihm seit dem 28. November 2005 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches der erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G") vorliegen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages bringt er vor, das SG habe zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nicht vorlägen. Aus dem Urteil sei hinreichend deutlich, dass das SG im Hinblick auf die zu Grunde gelegten Einzel-GdB dem Gutachten von Dr. S. gefolgt sei. Aus den im Berufungsverfahren eingeholten ärztlichen Unterlagen ergebe sich keine abweichende Beurteilung. Ergänzend hat der Beklagte versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. K. vom 03.09.2009 und von Dr. I. vom 16.09.2010 vorgelegt.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat Dr. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. In seiner Stellungnahme vom 18.03.2009 hat Dr. H. angegeben, im Gesundheitszustand des Klägers sei es zu einer Verschlechterung gekommen. Die Schmerzsituation habe den Kläger zermürbt, weswegen eine zunehmend depressive Verstimmung zu beobachten sei. Der Senat hat sodann bei der E-Klinik., B., den Rehabiliationsentlassungsbericht der dort vom Kläger vom 14.04. - 14.05.2009 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme beigezogen. Hinsichtlich des Inhalts des Rehabilitationsentlassungsberichtes wird auf Bl. 42 - 50 der Senatsakte verwiesen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Dr. C. - Orthopäde, Sportmedizin, Chirotherapie - mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem freien fachärztlich-orthopädischen Gutachten vom 21.04.2010 hat Dr. C. beim Kläger Funktionseinschränkungen der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in die Arme sowie Spinalkanalstenose bei Facettengelenks-Arthrose und sensibler L5/S1-Symptomatik beidseitig mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Einzel-GdB 30), eine Funktionseinschränkung beider Hüftgelenk bei Coxarthrose beidseitig (Einzel-GdB 20), eine Funktionseinschränkung beider Kniegelenke mit ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke ohne anhaltende Reizerscheinungen und ohne Bewegungseinschränkungen (Einzel-GdB 20), Funktionseinschränkung beider Schultergelenke bei Supraspinatus-Tendiose beidseitig (Einzel-GdB 10), eine geringgradige Fingerpolyarthtrose, Dupuytren’sche Kontraktur im Rezidiv, chronisches dyshidrosiformes Ekzem der linken Hand (Einzel-GdB 10), Schwerhörigkeit beidseitig, Tinnitus mit starker psychovegetativer Reaktion und Schwindel (Einzel-GdB 40) und ein Fibromyalgie-Syndrom mit massiven Schlafstörungen und sekundärer Anpassungsstörung/Depression (Einzel-GdB 30) diagnostiziert. Dr. C. hat angegeben, beim Kläger bestehe ein kurzschrittiges, zum Teil mühsames Gangbild. Differenzierte Gang- und Standformen seien jedoch durchführbar. In der Entkleidesituation sei ein mühsames nur unter Trickbewegungen mögliches Bewegungsmuster festgestellt worden. Bei Exploration der Hüftgelenke habe er eine starke Innenrotationsschmerzhaftigkeit bei 15° beidseitig festgestellt. Die Hüftgelenke seien beidseitig in der Dimension Beugung/Streckung bis zu 120° beweglich. Zwar bestehe hiernach eine beidseitig eingeschränkte Belastungsfähigkeit, die Beweglichkeit sei jedoch weitgehend frei gewesen. Eine bestehende Belastungseinschränkung habe sich an dem Schonhinken gezeigt. Seitens der Kniegelenke bestehe eine Verschiebeschmerzhaftigkeit. Ein Kniegelenkserguss könne nicht sicher ausgeschlossen werden, eine Kniegelenksschwellung habe nicht festgestellt werden können. Die Beweglichkeit sei in der Dimension Beugung/Streckung im Umfang von 140° erhalten. Bei Untersuchung der Sprunggelenke habe keine Überwärmung und keine Ergussbildung des oberen Sprunggelenks festgestellt werden können. Das obere Sprunggelenk sei in der Dimension Heben/Senken im Umfang 20/0/50° beweglich gewesen. Die Eversion/Inversion des unteren Sprunggelenks sei um 1/5 beidseitig reduziert. Im Bereich der Lendenwirbelsäule habe sich eine deutliche Einschränkung des spinalen Raums im Lendenwirbel durch deutliche Facettengelenksarthrose und eine deutliche Einschränkung der Mobilität im unteren LWS-Bereich gezeigt. Dr. C. gab an, seines Erachtens sei der GdB des Klägers mit 70 zu bewerten. Aus seiner Sicht sei die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, da die Einschränkung der Lendenwirbelsäule in Kombination mit den Veränderungen der Hüft- und Kniegelenke zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit führe, die den Leistungsfall des Nachteilsausgleichs "G" rechtfertige.

Der Senat hat schließlich Dr. R., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In ihrem nervenfachärztlichen Gutachten vom 21.01.2011 hat Frau Dr. R. auf neurologischem Gebiet Spannungskopfschmerz und den Verdacht auf benignen paraoxysmalen Lagerungsschwindel diagnostiziert. Dr. R. hat angegeben, dass sie während der gutachterlichen Untersuchung ein flüssiges Gangbild, eine lebhafte uneingeschränkte Spontanmotorik, ein flüssiges Bewegungsmuster beim An- und Auskleiden, eine adäquate Ausprägung der Muskulatur und eine adäquate Hand- und Fußbeschwielung festgestellt habe. Der Kläger sei infolge der neurologischen Gesundheitsstörungen nicht andauernd in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für den Kläger geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2011 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist, nachdem der Kläger seine Berufung hierauf beschränkt hat, der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung, dass bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" vorliegen. Soweit das VA mit Bescheid vom 12.01.2009 in Ausführung des Urteils des SG den GdB des Klägers seit 28.11.2005 mit 60 festgestellt hat, ist dieser nicht gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, da er den Bescheid vom 17.01.2006 im Hinblick auf den Streitgegenstand des Berufungsverfahrens weder abgeändert noch ersetzt hat (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 30.09.2009 - B 9 SB 19/09 B - veröffentlicht in juris)

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G", der erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr, festzustellen sind.

Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte (Neu-)Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G" ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. §§ 69 Abs. 4, 145 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX).

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sie den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, vorliegend den vom 17.01.2003, so tangiert, dass die Behörde unter den veränderten Verhältnissen nicht mehr so, wie geschehen, entscheiden würde, d.h. wenn die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG, Urteil vom 21.03.1996 - 11 RAr 101/94 - veröffentlicht in juris), bspw. weil die gesundheitlichen Voraussetzungen eines Nachteilausgleichs nunmehr vorliegen. (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - veröffentlicht in juris). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich damit nach dem für die begehrte Feststellung maßgeblichen materiellen Recht.

Gemäß §§ 69 Abs. 4, 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalls an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Nach der Rechtsprechung gilt als übliche Wegstrecke in diesem Sinne eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RVs 11/87 - veröffentlicht in juris).

Für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 beinhalteten die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008) konkretisierende Fallgestalten, wann die Voraussetzzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als erfüllt angesehen werden können. Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipitierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R; vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - jeweils veröffentlicht in juris).

Die AHP gaben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist" und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von diesen Faktoren filterten die AHP getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen.

Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens waren hiernach als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusserkrankungen mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kam es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend war eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderung mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, waren die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (Ziff. 30 Abs. 3 [S.137 f] der AHP). Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, waren bei allen Sehbehinderten mit einem GdB von wenigstens 50 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen war die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt (Ziff. 30 Abs. 5 [S.138] der AHP).

Ab dem 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) getreten. Damit hat das Bun-desministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten jedoch weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich G sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 -; vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -; Urteil des Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2009 - L 10 SB 39/09 - jew. veröffentlicht in juris). Den VG lassen sich daher keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleichs entnehmen.

In Anlegung der in den AHP niedergelegten Maßstäbe vermag der Senat eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr nicht zu erkennen. Zwar bestehen beim Kläger Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen und der Wirbelsäule, diese bedingen jedoch für sich keinen GdB von 50. Für die Funktionsbeeinträchtigung im Bereich der Wirbelsäule kann nach Ziff. 26.18 (S. 116) der AHP ein Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Schwere funktionelle Auswirkungen, die die Annahme eines höheren Einzel-GdB rechtfertigen könnten, bestehen beim Kläger nicht. Dr. C. hat in seinem Gutachten von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten berichtet, mithin die Annahme einer schweren funktionellen Auswirkung im Lendenwirbelsäulenbereich verneint. Die Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke ist, wie vom Beklagten im Bescheid vom 17.01.2003 berücksichtigt, unverändert mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Sowohl der im erstinstanzlichen Verfahren beauftragte Gutachter Dr. S., wie der im Berufungsverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Dr. C. haben eine entsprechende Einschätzung abgegeben. In Ansehung der bekundeten Beweglichkeitsmaße der Hüftgelenke entspricht dies den Vorgaben der AHP (Ziffer 26.18, S. 124). Eine Beweglichkeit der Hüftgelenke in der Dimension Beugung/Streckung von 120° rechtfertigt keine weitergehende Berücksichtigung. Die beim Kläger bestehende Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke rechtfertigt gleichfalls eine Berücksichtigung mit einem Einzel-GdB von 20. Die bekundete Bewegungsfähigkeit in der Dimension Streckung/Beugung von 140° vermag in Ansehung von Ziff. 26.18 (S. 126) der AHP eine Berücksichtigung mit einem höheren Einzel-GdB nicht zu begründen. Nachdem Dr. C. in seinem Gutachten angegeben hat, dass das Kniegelenk keinen Bewegungseinschränkungen unterliegt, ist ein Einzel-GdB von 20 einzig unter Berücksichtigung der bestehenden Knorpelschäden gerechtfertigt. Eine weitergehende Berücksichtigung unter diesem Aspekt kommt, da keine anhaltenden Reizerscheinungen bestehen, nicht in Betracht. In Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen und der Wirbelsäule ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von 50 für dieses Funktionssystem nicht gerechtfertigt. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist, bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Hierbei ist in der Regel von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Grade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (Ziff. 19 [S. 24 f] der AHP). Die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers an den unteren Gliedmaßen und der Wirbelsäule sind mit denen, die beim Verlust eines Beines im Unterschenkels bestehen, nicht vergleichbar; ein Einzel-GdB von 50 für die Funktionsbeeinträchtigung der unteren Gliedmaßen und der Wirbelsäule ist mithin nicht gerechtfertigt.

Die beim Kläger bestehenden Behinderungen wirken sich auf dessen Gehfähigkeit auch nicht besonders aus. Eine Vergleichbarkeit der bestehenden Einschränkungen mit denen, die bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung auftreten, ist nicht gerechtfertigt. Der Senat verkennt nicht, dass der Bewegungsablauf, der dem Gehen zugrundeliegt, durch das komplexe Zusammenwirken der Gelenke der unteren Extremitäten sowie des unteren Wirbelsäulenbereichs gekennzeichnet ist und beim Kläger sowohl die Knie- und die Hüftgelenke und der untere Bereich der Wirbelsäule betroffen sind, indes vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass die Bewegungsfähigkeit des Klägers im Sinne der Gehfähigkeit derart massiv beeinträchtigt ist, wie es für die Feststellung des Nachteilsausgleiches "G" erforderlich ist. Dies wird bereits daraus ersichtlich, dass der Kläger keine orthopädischen Hilfsmittel nutzt und, außer einem Schonhinken, durchgängig ein flüssiges Gangbild ohne Sturzneigung mitgeteilt wird. Nach den Bekundungen von Dr. C. ist darüber hinaus auch die Durchführung differenzierter Gang- und Standformen möglich. Die von den Gutachtern mitgeteilten Befunde lassen keinerlei Muskelverschmächtigungen im Bereich der unteren Extremitäten erkennen, weswegen ein weitgehendes Schonverhalten nicht belegt ist. Auch konnte der Kläger komplexe Bewegungsmuster wie An- und Auskleiden, die gleichfalls die Nutzung der unteren Extremitäten erfordern, bewältigen. Auch das von der Gutachterin Dr. R. mitgeteilte Aktivitätsausmaß des Klägers (Versorgung des Haushaltes, längere Urlaubsfahrten in die Heimat, die Versorgung eines Haustieres, die Bewältigung der Treppen bis in den zweiten Stock seiner Wohnung) sprechen gegen eine maßgeblich Bewegungseinschränkung. Überdies hat er angegeben, gemeinsam mit seiner Ehefrau Spaziergänge bis zu einer Stunde durchführen zu können. Der Senat vermag sich auch nicht der gutachterlichen Einschätzung von Dr. C., beim Kläger bestehe eine erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, anzuschließen. Das hierzu von Dr. C. angeführte Zusammenspiel der Lendenwirbelsäulenveränderungen und der Knie- und Hüftgelenksveränderung wirkt sich zwar auf die Gehfähigkeit des Klägers aus, eine so weitgehende Herabsetzung des Gehvermögens, wie es für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "G" erforderlich ist, vermag der Senat in Ansehung der vorliegenden Befunde nicht nachzuvollziehen. Auch unter Berücksichtigung der von Dr. C. angeführten Schwindelanfälle sieht der Senat eine Vergleichbarkeit mit den oben beschriebenen Fallgruppen als nicht gerechtfertigt an.

Da der Kläger auch die weiteren in den AHP aufgelisteten Fallgruppen (innere Leiden, hirnorganische Anfälle, Störung der Orientierungsfähigkeit) in seiner Person nicht erfüllt, bestand für die unter die Geltung der AHP fallende Zeit kein Anspruch darauf, die Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "G" festzustellen.

Gleiches gilt auch für die Zeit ab dem 01.01.2009. Unabhängig davon, ob die Maßstäbe der AHP gewohnheitsrechtlich weiterhin anzuwenden sind (so LSG NRW, a.a.O., Rn. 48 der juris- Veröffentlichung) oder die Beurteilung ausschließlich anhand der Kriterien des § 145 SGB IX erfolgt, ist der Kläger in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt. Der Senat vermag anhand der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen bereits nicht nachzuvollziehen, dass es dem Kläger nicht möglich ist, eine Wegstrecke von ca. zwei Kilometern in einer halben Stunde bewältigen zu können. Die mitgeteilten medizinischen Befunde rechtfertigen dies nicht. Wie oben ausgeführt, bestehen beim Kläger zwar Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten und der unteren Wirbelsäule, diese sind jedoch nicht schwergradig ausgeprägt. Soweit Dr. C. die Einschränkung des Gehvermögens mit neurologischen Störungen der unteren Extremitäten aufgrund einer deutlichen Spinalkanalstensose begründet hat, konnten diese bei der Untersuchung durch Dr. R. nicht bestätigt werden. Auch konnte der Facharzt für Neurologie Haug bei der Untersuchung des Klägers am 09.03.2010 keine Sensibilitätsstörungen feststellen.

Soweit Dr. C. seine Einschätzung (auch) darauf stützt, dass die Gehfähigkeit des Klägers zusätzlich aus organpathologischer Sicht durch den Schwindel und die dazugehörige Tinnitus-Situation beeinträchtigt sei, vermag dies zur Überzeugung des Senats eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gleichfalls nicht nachvollziehbar zu begründen. In Anlehnung an Ziff. 31 Abs. 4 (S.138) der AHP, nach der bei hirnorganischen Anfällen die Beurteilung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches "G" erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit und nur dann angenommen werden kann, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten, sieht der Senat auch durch Schwindelanfälle und die Tinnitus-Symptomatik eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht bedingt. Dr. C. selbst sieht die hierdurch bedingten Funktionsbeeinträchtigungen als psychovegetative Belastungsreaktion an und bewertet sie im Kontext einer psychischen Störung, indem er hierdurch die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt sieht (vgl. Ziff. 26.3 [S.48] der AHP). Körperliche Auswirkungen i.S. einer erhöhten Sturzgefahr hat er jedoch nicht beschrieben. Maßgebliche Auswirkungen der Schwindel- bzw. Tinnitus-Symptomatik auf die Gehfähigkeit des Klägers sind daher nicht belegt.

Die Angabe im Arztbrief des Diakonie-Klinikums Stuttgart vom 15.11.2010, der Kläger könne noch 300 Meter schmerzfrei laufen, beruht nicht auf einer Einschätzung der den Kläger dort behandelnden Ärzte, sondern gibt lediglich die eigenen Angaben des Klägers wieder. Diese stehen jedoch in Widerspruch zu den Angaben, die der Kläger gegenüber der gerichtlichen Gutachterin Dr. R. getätigt hat. Dort hat der Kläger angegeben, Spaziergänge mit seiner Frau zu unternehmen und mit seinem Enkel auf den Spielplatz zu gehen.

In Zusammenschau dieser Umstände ist der Senat daher nicht davon überzeugt, dass die Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" sind daher nicht gegeben.

Der Bescheid des Beklagten vom 17.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2006 erweist sich mithin als rechtmäßig. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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