S 6 AL 398/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 398/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
G e r i c h t s b e s c h e i d:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Strittig zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung.

Die 1957 in C., Ukraine geborene Klägerin verbüßte vom 16.03.2005 bis 08.05.2009 eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) A ... Seitens der Staatsanwaltschaft war gem. § 456a StPO von einer weiteren Vollstreckung der gegen sie verhängten Freiheitsstrafe abgesehen und sie aus Deutschland ausgewiesen worden. Allerdings wurde die Nachholung der Vollstreckung für den Fall ihrer Rückkehr angeordnet. Sie wurde am 11.05.2009 im Wege einer sog. "Luftabschiebung" nach K./Ukraine verbracht.

Während ihrer Inhaftierung arbeitete die Klägerin vom 08.05.2006 bis 07.05.2009 in der JVA als Schneiderin. Von dem hierfür gezahlten Arbeitsentgelt führte der Freistaat Bayern, als das für die Vollzugsanstalt zuständige Land nach § 347 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ab.

Den Antrag des Ehemanns der Klägerin vom 05.04.2010 auf Erstattung der während ihres Gefängnisaufenthalts entrichteten Arbeitslosenversicherungsbeiträge lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2010 unter Hinweis auf die auch für Strafgefangene insoweit bestehende Versicherungspflicht ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 15.06.2010 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht vom 20.07.2010 wendet sich die Klägerin gegen die Ablehnung der Beitragserstattung, da nach ihrer Auffassung die Beitragseinziehung unverhältnismäßig gewesen sei. Der Eintritt von Arbeitslosigkeit wäre bei ihr wegen der für Strafgefangene bestehenden Arbeitspflicht ausgeschlossen und nach ihrer Entlassung eine Rückkehr nach Deutschland ausgeschlossen. Somit hätten der Beitragspflicht niemals Leistungsansprüche gegenüber gestanden.

Sie beantragt daher, den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.07.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die einbezahlten Beträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt am 06.08.2010 unter Berufung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid, die Klage wird abgewiesen.

Im weiteren Verfahren weist die Beklagte zudem auf den ebenfalls vor dem Sozialgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen S 1 AL 605/09 geführten Rechtsstreit hin, mit welchem die Klägerin die Ausstellung der von ihr am 07.08.2009 beantragten Bescheinigung E 301 über die in Deutschland zurückgelegten Versicherungs- und Beschäftigungszeiten eingeklagt hatte.

Am 26.08.2010 behauptete die Klägerin gegenüber dem Gericht die Verfassungswidrigkeit der der Einziehung der Versicherungsbeiträge zugrunde liegenden Norm des § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III in ihrem Fall bzw. stellte insoweit eine Regelungslücke fest und beruft sich auf einen nach ihrer Auffassung im Sozialversicherungsrecht bestehenden Grundsatz, wonach einer Beitragspflicht zumindest theoretisch auch eine mögliche Gegenleistung des Staates entsprechen muss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Verfahren S 1 AL 605/09 sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, da die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Den Beteiligten war zuvor gem. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.

Die form- und fristgerecht gem. §§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum sachlich und örtlich nach § 51 Abs. 1 Nr. 4, § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist zulässig.

In der Sache erweist sich die Klage jedoch als unbegründet, denn der Bescheid vom 07.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2010 ist nicht zu beanstanden und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 54 Abs. 2 SGG.

Nach § 26 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten. Abweichend hierzu regelt § 351 Abs. 1 SGB III für die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, dass sich der zu erstattende Betrag um den Betrag der Leistung mindert, der in irrtümlicher Annahme der Versicherungspflicht gezahlt worden ist.

Die Beklagte hat jedoch zutreffend eine Erstattung der für die Klägerin während ihrer Inhaftierung in Deutschland entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgelehnt, da diese nicht zu Unrecht erbracht worden waren.

Die Versicherungspflicht der Klägerin folgt nicht aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung i.S.v. § 25 Abs. 1 SGB III. Denn ihre Tätigkeit beruht nicht auf einem freiwillig abgeschlossenen Arbeitsvertrag, sondern auf gesetzlichem Zwang, § 41 Abs. 1 StVollzG (s.a. BSGE 27, 197; BSG SozR 3-4100 § 104 Nr. 4; s.a. Brand in Niesel, SGB III, § 26 Rn. 16).

Die Pflicht, sich gegen Arbeitslosigkeit zu versichern, ergibt sich für sie vielmehr aus § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III. Mit dieser Regelung soll - entsprechend dem Vollzugskonzept des StVollzG - die Resozialisierung inhaftierter Personen gefördert werden (s.a. Scheidt in NK-SGB III, 4. Auflage, § 26 Rn. 22). Versicherungspflichtig sind nach § 26 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 SGB III auch Gefangene, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 - 45, 176 und 177 des Strafvollzugsgesetzes - StVollzG -) erhalten oder eine Ausbildungsbeihilfe nur wegen des Vorrangs von Leistungen zur Förderung der Berufsausbildung nach dem SGB III nicht erhalten. Als Gefangene gelten dabei Personen, die im Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung oder einstweilig nach §126a Abs. 1 StPO untergebracht sind, § 26 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 SGB III.

Während ihrer Inhaftierung in der JVA A. war die Klägerin "Gefangene" im Sinne dieser Vorschrift. Sie erhielt für die ihr nach § 43 Abs. 1 StVollzG zugewiesene Tätigkeit in der Gefängnisschneiderei in der Zeit vom 16.02.2005 bis 08.05.2009 Arbeitsentgelt nach § 43 Abs. 2 StVollzG. Damit gehörte die Klägerin zum Kreis der "aus sonstigen Gründen" Versicherungspflichtigen i.S.v. § 24 Abs. 1 Alt. 2 SGB III, mit deren Beiträgen die Leistungen der Arbeitsförderung und die sonstigen Ausgaben der Bundesagentur finanziert werden, § 340 SGB III. Die auf Grundlage ihrer beitragspflichtigen Einnahmen, § 345 Nr. 3 SGB III, berechneten Beiträge wurden daher von dem für die Vollzugsanstalt A. zuständigen Freistaat Bayern an die Bundesagentur für Arbeit zu Recht abgeführt, §§ 347 Nr. 3, 349 Abs. 2 SGB III.

Der Auffassung der Klägerin, die Einziehung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung während der Strafhaft sei, jedenfalls in ihrer konkreten Situation, unverhältnismäßig und verfassungswidrig, vermag das Gericht hingegen nicht zu folgen. So verkennt sie bei diesem Vorbringen insbesondere, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung kein Beitrag oder keine Steuer im Sinne der Abgabenordnung ist. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits am 16.10.1962 - 2 BvL 27/60 (s. NJW 1963, 199) zutreffend festgestellt, dass die Abgabenordnung unter einem Beitrag die Beteiligung der Interessenten an den Kosten einer öffentlichen Einrichtung versteht. Wesentlich für den Begriff ist daher der Gesichtspunkt der Gegenleistung. Wenn das Gemeinwesen in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eine besondere Einrichtung zur Verfügung stellt, so soll derjenige, der daraus besonderen wirtschaftlichen Nutzen zieht, zu den Kosten ihrer Einrichtung und Unterhaltung beitragen. Der Ausgleich von Vorteilen und Lasten ist der den Beitrag im abgabenrechtlichen Sinn legitimierende Gesichtspunkt (s.a. BVerfGE 9, 291). Eine entsprechende synallagmatische Beziehung mag eventuell auch für geleistete Beiträge und damit erlangten Versicherungsschutz im Rahmen von Privatversicherungen gelten. Bei den für die Klägerin geleisteten Zahlungen zur Arbeitslosenversicherung handelt es sich jedoch um Beiträge im Sinne des Sozialversicherungsrechts. In der Sozialversicherung leisten Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge, um die Aufwendungen der Sozialversicherungsträger ganz oder teilweise zu decken. Bei dieser Beitragserhebung stehen im Sozialversicherungsrecht der Risikoausgleich unter den verschiedenen Arbeitnehmern und die allgemeine Fürsorge der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer im Vordergrund. Die Sozialversicherung soll einen sozialen Ausgleich innerhalb des Kreises der Versicherten, aber auch zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern herbeiführen. Die Leistungen der Versicherungsträger stehen daher durchaus nicht immer in einem entsprechenden Verhältnis zu den Leistungen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer erbringen (s. BVerfG v. 16.10.1992, a.a.O. mit entspr. Beispielen).

Dies verkennt die Klägerin, wenn sie sich darauf beruft, dass auch im Sozialversicherungsrecht einer Beitragspflicht zumindest theoretisch eine mögliche Gegenleistung des Staates entsprechen muss. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht der Geltung eines entsprechenden Grundsatzes im Bereich der sozialen Sicherung ausdrücklich widersprochen (s. BVerfG v. 30.04.1993 - 2 BvR 969/92 in SozVers 1993, 249 und schon in BVerfGE 11, 105 sowie in der oben zit. Entscheidung v. 16.10.1962 ; s.a. Scheidt in NK-SGB III, 4. Auflage, § 26 Rn. 26). Deshalb kommt auch dem Umstand, dass die Klägerin unmittelbar nach ihrer Haftentlassung von Deutschland aus in die Ukraine abgeschoben wurde, keine Bedeutung zu und ist daher nicht geeignet, unter diesem Aspekt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III zu begründen (s. BVerfG v. 30.04.1993, a.a.O, das ergänzend darauf hinweist, dass bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie besonders im Bereich der Sozialversicherung auftreten, generalisierende und typisierende Regelungen allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG als verfassungsrechtlich unbedenklich behandelt worden sind. Daraus folge, dass Härten im Einzelfall unvermeidlich und hinzunehmen sind).

Im Ergebnis war die Klage daher vollumfänglich abzuweisen, ohne dass auf die seitens der Beklagten aufgeworfene Frage, weshalb die Klägerin trotz der von ihr vorgetragenen Nutzlosigkeit der Beitragszahlung die Bestätigung hierüber gleichwohl eingeklagt hatte, weiter eingegangen werden musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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