L 10 U 1099/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 1812/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1099/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.01.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger weitere Unfallfolgen festzustellen sind und der Kläger deshalb Anspruch auf höhere Verletztenrente hat.

Der am 1956 geborene Kläger erlitt am 15.09.2005 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Elektromeister einen Arbeitsunfall, als eine Gesteinsplatte auf ihn fiel und er im Bereich des linken Schulterblattes, der Rippen und der Wirbelsäule verletzt wurde. Der Kläger wurde im Diakonie-Krankenhaus Sch. H. aufgenommen und bis 18.09.2005 stationär behandelt. Im Durchgangsarztbericht des Chefarztes der Abteilung für Unfallchirurgie, Prof. Dr. S. , sind als Diagnosen eine Commotio cerebri, eine Scapulafraktur links sowie multiple Prellungen und Schürfwunden aufgeführt. Im Entlassungsbericht ist u.a. ausgeführt, die röntgenologische Untersuchung im Bereich des Achsenskeletts habe keine knöcherne Verletzung gezeigt; neurologische Ausfälle seien nicht aufgetreten. Im Hinblick auf die bestehende Schmerzsymptomatik wurde der Kläger am 19.09.2005 im Kreiskrankenhaus E. aufgenommen und schmerztherapeutisch bis 22.09.2005 behandelt. Röntgenologisch wurde wiederum kein Anhalt für knöcherne Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule gesehen. Die Fachärztin für Neurologie Dr. O.-O. , die den Kläger am 19.09.2005 untersuchte, ging diagnostisch von einem Zustand nach Commotio cerebri ohne Anhalt für einen cerebralen, spinalen oder radikulären Prozess aus. Wegen Zunahme der Rückenbeschwerden wurde beim Kläger am 14.10.2005 eine MRT der Lendenwirbelsäule durchgeführt, bei der nicht mehr ganz frische Kompressionsfrakturen der Lendenwirbelkörper (LWK) 1, 3 und 5 objektiviert wurden. Für eine Läsion der langen sensiblen Bahnen ergab sich kein Anhalt. Nach intensiver ambulanter Physiotherapie wurde der Kläger am 08.11.2005 stationär in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen aufgenommen und bis 13.12.2005 mit intensiver Physiotherapie, balneologischer Therapie und physikalischen Maßnahmen behandelt. Am 19.12.2005 nahm der Kläger seine Tätigkeit wieder auf. Wegen weiterbestehender Schmerzen war er auf betriebsunübliche Pausen angewiesen. Die bereits eingeleitete Schmerztherapie wurde fortgesetzt. Anlässlich der wegen persistierender Schmerzen in der Neurologischen Universitätsklinik U. am 12.04.2006 durchgeführten Untersuchung fand Prof. Dr. O. ausweislich seines Befundberichts vom 21.04.2006 Sensibilitätsstörungen im Bereich des N. peronaeus-Innervationsgebietes am rechten Fuß, jedoch keine radikulären Ausfälle.

Zur Feststellung der Unfallfolgen erstattete Dr. T. , Chefarzt der Chirurgischen Abteilung im Krankenhaus E. , das Erste Rentengutachten aufgrund Untersuchung des Klägers vom 15.09.2005. Er beschrieb als Unfallfolgen ein anhaltendes Schmerzsyndrom bei Zustand nach konsolidierten Kompressionsfrakturen der LWK 1, 3 und 5 mit diskreter Keilwirbelbildung der LWK 1 und 3, eine eingeschränkte Beweglichkeit im Wirbelsäulenbereich, eine konsolidierte Scapulafraktur links eine konsolidierte Fraktur der neunten Rippe links sowie einen Zustand nach Commotio cerebri. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er vom 19.12.2005 bis 31.12.2006 auf 30 vom Hundert (v.H.) und hiernach auf voraussichtlich 20 v.H. Der sodann mit einer neurochirurgischen Zusatzbegutachtung beauftragte Neurochirurg Dr. J. beschrieb als Folge des Unfalls eine diskrete Sensibilitätsstörung am rechten Fußaußenrand sowie eine Lumboischialgie und schätzte die MdE auf seinem Fachgebiet mit 0 v.H. ein. In seinem auf Veranlassung der Beklagten sodann erstatteten chirurgischen Gutachten zur Zusammenhangsfrage aufgrund Untersuchung des Klägers vom 17.01.2007 beschrieb Prof. Dr. B. , Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M. , als Unfallfolgen einen in anatomischer Stellung verheilten Bruch des linken Schulterblattes sowie der neunten Rippe links, knöchern verheilte Kompressionsbrüche des 1., 3. und 5. Lendenwirbels mit ventraler Höhenminderung des 1., 3. und 5. Lendenwirbelkörpers und eine eingeschränkte Beweglichkeit der LWS. Die MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet schätzte er mit 20 v.H. ein.

Mit Bescheid vom 08.11.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 19.12.2005 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch (Schreiben vom 25.01.2008) machte der Kläger geltend, mit einer MdE um 20 v.H. seien die Folgen des Unfalls nicht angemessen bewertet. Er habe weiterhin massive Schmerzen, wobei sich das Beschwerdebild der LWS nicht gebessert habe. Aus Scham habe er zudem bisher verschwiegen, dass er das Wasser nicht mehr so wie vor dem Unfall halten könne und er geringfügig immer wieder Tröpfchen in der Unterhose habe. Viel schlimmer sei jedoch, dass er seit dem Unfall nicht mehr in der Lage sei, in gewohnter Weise den Geschlechtsverkehr auszuüben. Dies habe massiv mit den Schmerzen zu tun, die durch die damit verbundenen Bewegungen entstünden.

Zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit veranlasste die Beklagte das Zweite Rentengutachten des Prof. Dr. B. , der aufgrund Untersuchung des Klägers vom 16.05.2008 als Unfallfolgen eine stark schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der LWS nach knöchern vollständig verheilten Kompressionsfrakturen des 1., 3. und 5. LWK mit deutlicher ventraler Höhenminderung, insbesondere des 1. LWK, mit der Notwendigkeit einer regelmäßigen Schmerzmitteleinnahme und schmerztherapeutischer Behandlung, eine Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenkes nach knöchern verheilter Scapulafraktur links und einen folgenlos verheilten Bruch der 9. Rippe links beschrieb und die MdE auf 30 v.H. einschätzte. In dem weiteren von Dr. J. erstatteten neurochirurgischen Gutachten aufgrund Untersuchung des Klägers vom 15.05.2008 beschrieb dieser wiederum die bereits zuvor von ihm dokumentierten Unfallfolgen, die er weiterhin mit einer MdE um 0 v.H. bewertete. Dr. L.-E. , Leitender Arzt der Urologischen Abteilung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. , der den Kläger am 18.07.2008 von urologischer Seite untersuchte, beschrieb von urologischer Seite als Unfallfolge eine neurogene Blasenfunktionsstörung und eine deutliche Einschränkung der Sexualfunktion durch eine neurogene Erektionsstörung sowie Schmerzen in der LWS und bewertete die MdE mit 20 v.H. Bei seiner Beurteilung ging er davon aus, dass sich der Kläger am 15.09.2005 einen Bruch des 1., 2., 3. und 5. LWK mit nachfolgender inkompletter Querschnittlähmung zugezogen hatte. Der von der Beklagten zur Beurteilung der Gesamt-MdE nochmals eingeschaltete Prof. Dr. B. führte aus, von unfallchirurgischer Seite sei es im Vergleich zum Vorgutachten zu einer Verschlechterung gekommen, weshalb die MdE hierzu abweichend mit 30 v.H. bewertet worden sei. Eine höhere Gesamt-MdE rechtfertige sich unter Berücksichtigung des urologischen Zusatzgutachtens nicht, da die von Dr. L.-E. angegebene Querschnittläsion niemals vorgelegen habe. Sämtliche neurologischen Untersuchungen hätten keinerlei radikuläre Ausfälle ergeben; vielmehr seien lediglich geringgradige Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus Perenäus rechts dokumentiert. Bei den vorliegenden Frakturen handelte es sich im Übrigen um stabile Kompressionsfrakturen ohne Hinterkantenbeteiligung, sodass auch keine Affektion des Spinalkanals habe vorliegen können. Die von urologischer Seite beschriebene neurogene Störung sei daher nicht unfallbedingt.

Mit Teilabhilfebescheid vom 03.03.2009 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 08.11.2007 teilweise zurück und gewährte dem Kläger anstelle der vorläufigen Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. ab dem 01.06.2008 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H. Soweit der Kläger höhere Verletztenrente sowie die Anerkennung weiterer Unfallfolgen von urologischer Seite begehrte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2009 zurück.

Am 25.05.2009 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben und die Gewährung höherer Verletztenrente unter Anerkennung einer neurogenen Blasenfunktionsstörung und einer deutlichen Einschränkung der Sexualfunktion als weitere Unfallfolgen geltend gemacht. Es sei nicht verständlich, weshalb die Beklagte die im urologischen Gutachten des Dr. L.-E. ermittelte MdE um 20 v.H. nicht anerkenne und berücksichtige. Er habe von urologischer Seite vor dem Arbeitsunfall keinerlei gesundheitliche Störungen gehabt, während die nun aufgetretenen Störungen für ihn und seine Ehefrau sehr beeinträchtigend und belastend seien.

Das SG hat das Gutachten des Prof. Dr. S. , Leitender Arzt der Urologischen Abteilung im Bundeswehrkrankenhaus U., aufgrund Untersuchungen des Klägers am 17.08. und 08.09.2009 eingeholt. Der Sachverständige hat als Unfallfolgen einerseits eine erektile Dysfunktion und einen Libidoverlust beschrieben und andererseits eine Drangsymptomatik und Dranginkontinenz. Die hierdurch bedingte MdE hat er jeweils mit 10 v.H. und insgesamt mit 20 v.H. bewertet. Die Erektionsstörung hat er als multifaktoriell bezeichnet. Im Hinblick auf die Blasenentleerungsstörung hat er ausgeführt, es liege nahe, dass es im Rahmen des Unfalls zu einer spinalen Kontusion und einer daraus resultierenden neurogenen Blasenentleerungsstörung gekommen sei, wobei sich insbesondere keine andere Krankheitsursache als Erklärung für diese Störung finde.

Mit Urteil vom 28.01.2010 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, den urologischen Gutachten des Dr. L.-E. und des Prof. Dr. S. lasse sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang zwischen den beim Kläger aufgetretenen urologischen Störungen und dem in Rede stehenden Unfall entnehmen. Dr. L.-E. habe seiner Beurteilung einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt, indem er davon ausgegangen sei, dass eine inkomplette Querschnittslähmung diagnostiziert worden sei. Prof. Dr. S. habe die neurogene Blasenfunktionsstörung auf eine spinale Kontusion zurückgeführt, ohne zu beachten, dass neurogene Schädigungen gerade nicht nachgewiesen worden seien.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 05.02.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.03.2010 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und sein Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass das SG dem eindeutigen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. nicht gefolgt ist. Unzutreffend seien auch die Überlegungen des Gerichts, wonach die urologischen Beschwerden erstmals mehr als zwei Jahre nach dem Unfallereignis geltend gemacht worden seien. Demgegenüber könne dem Entlassungsbericht der vom 06.09. bis 04.10.2006 in der A. T. durchgeführten Anschlussheilbehandlung entnommen werden, dass seit dem Unfall kein Gefühl des Harndrangs mehr bestehe. Zudem sei den Akten zu entnehmen, dass die Erstversorgung nach dem Unfall in der Nachbetrachtung katastrophal gewesen sei, nachdem die knöcherne Verletzung der Wirbelkörper erst Wochen nach dem Unfall erkannt worden sei. Deshalb sei auch die Dokumentation - wie dem Bericht der erstversorgenden Klinik deutlich zu entnehmen sei - so lückenhaft.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Ulm vom 28.01.2010 und Abänderung der Bescheide vom 08.07.2007 und 03.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2009 eine neurogene Blasenfunktionsstörung und deutliche Einschränkung der Sexualfunktion als weitere Unfallfolge festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 08.07.2007 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 03.03.2009, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2009 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen von urologischer Seite nicht als Unfallfolgen anerkannt und ihm deshalb Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 30 v.H. gewährt hat. Denn es ist nicht festzustellen, dass die in Rede stehenden Gesundheitsstörungen Folge des vom Kläger am 15.09.2005 erlittenen Arbeitsunfalls sind.

Rechtsgrundlage für die gerichtliche Feststellung von Unfallfolgen ist § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Danach kann ein Versicherter die gerichtliche Feststellung verlangen, ob eine Gesundheitsstörung Folge des Arbeitsunfalls ist.

Neben der vorliegend im Streit stehenden Feststellung weiterer Unfallfolgen macht der Kläger die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 30 v.H. geltend. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 08.11.2007 ab 19.12.2005 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. und mit Teilabhilfebescheid vom 03.03.2009 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H. ab 01.06.2008. Da der Kläger sein Begehren im Klageverfahren darauf beschränkt hat, ihm Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 30 v.H. zu gewähren, wendet er sich der Sache nach ausschließlich gegen die Höhe der ab 01.06.2008 gewährten Verletztenrente auf unbestimmte Zeit. Denn eine Rente nach einer höhere MdE als 20 v.H. hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht. Der Senat hat daher nur darüber zu befinden, ob dem Kläger ab 01.06.2008 Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 30 v.H. zusteht. Da der Kläger sein Begehren ausschließlich damit begründet, dass die Beklagte die urologischen Unfallfolgen bei der Bemessung der MdE zu Unrecht nicht berücksichtigt habe, hat der Senat in erster Linie darüber zu befinden, ob von urologischer Seite weitere Unfallfolgen festzustellen sind und - falls ja -, ob diese aufgrund der aus ihr resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere MdE als 30 v.H. rechtfertigen.

Dies ist indes schon deshalb nicht der Fall, weil von urologischer Seite Unfallfolgen nicht festzustellen sind.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Kann dagegen das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele (conditio sine qua non), ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsprüfung hat somit nach dieser zweistufigen Prüfung zu erfolgen. Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O. auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist nicht festzustellen, dass die von Dr. L.-E. anlässlich seiner Untersuchung des Klägers am 18.07.2008 erstmals diagnostizierten urologischen Funktionsstörungen (neurogene Blasenfunktionsstörung, neurogene Erektionsstörung mit deutlicher Einschränkung der Sexualfunktion) hinreichend wahrscheinlich Folge des vom Kläger am 15.09.2005 erlittenen Arbeitsunfalls sind. Der Senat verneint bereits den naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und diesen Störungen. Denn es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Unfall naturwissenschaftliche Ursache der genannten Störungen ist.

In der angefochtenen Entscheidung hat bereits das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass den Ausführungen des von der Beklagten hinzugezogenen Gutachters Dr. L.-E. zum ursächlichen Zusammenhang der in Rede stehenden Störungen mit dem Unfall allein schon deshalb nicht gefolgt werden kann, weil der Gutachter seiner Zusammenhangsbeurteilung eine falsche Tatsache zugrunde legte. Seine Einschätzung beruht nämlich auf der Annahme, dass der Kläger bei dem in Rede stehenden Arbeitsunfall eine inkomplette Querschnittläsion erlitt, mithin eine Nervenschädigung, die zu den in Rede stehenden Störungen führte. Eine solche Schädigung hat jedoch keiner der mit den Unfallverletzungen des Klägers befassten Ärzte beschrieben. Prof. Dr. B. hat in seiner mit Schreiben vom 22.09.2008 gegenüber der Beklagten abgegebenen Stellungnahme daher zutreffend dargelegt, dass dem Gutachten des Dr. L.-E. insoweit nicht gefolgt werden kann, weil beim Kläger keine inkomplette Querschnittsläsion vorgelegen hat. Er hat dies in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend damit begründet, dass sämtliche Untersuchungen keinerlei radikulären Ausfälle ergeben haben, sondern lediglich geringgradige Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus Peronaeus rechts. Seine Auffassung hat er überzeugend weiter damit begründet, dass die vom Kläger erlittenen LWK-Kompressionsfrakturen zudem mit lediglich leichter Höhenminderung und kyphotischer Knickbildung der LWK 1 und 3 knöchern verheilt sind und es sich um stabile Kompressionsfrakturen handelt, bei denen keine Hinterkantenbeteiligung vorgelegen hat, sodass auch keine Affektion des Spinalkanals hat vorliegen können. Dass sich der Kläger vor diesem Hintergrund gleichwohl auf das Gutachten des Dr. L.-E. beruft und seine Auffassung dadurch gestützt sieht, ist für den Senat nicht verständlich.

Auch Prof. Dr. S. hat der Kausalitätsbeurteilung in seinem vom SG eingeholten Gutachten zu Unrecht eine Nervenschädigung zugrunde gelegt, obwohl eine solche nicht nachgewiesen ist. In Bezug auf die Blasenentleerungsstörung hat er insoweit ausgeführt, dass das spinale Reflexzentrum für den Blasenmuskel im sakralen Rückenmark auf Höhe der LWK 1/2 liege, wo reflektorisch die Entleerung der Blase eingeleitet werde, wenn es zu einer Füllung der Blase gekommen sei. Beeinflusst werde das sakrale Miktionszentrum durch hemmende Bahnen aus dem Zentralnervensystem, die die Blasenkontraktion so lange unterdrücke, bis es sozial und willentlich gewünscht und passend sei. Komme es zu Verletzungen am Rückenmark oberhalb des sakralen Miktionszentrums, könne es je nach der Anzahl der betroffenen Nervenbahnen zu mehr oder weniger ausgeprägten Formen der unwillkürlichen Blasenmuskelkontraktion kommen. Angesichts dessen liege nahe, dass es sich vorliegend um eine im Rahmen des Unfalls stattgehabte spinale Kontusion mit daraus resultierender neurogener Blasenentleerungsstörung handele. Dies sei insbesondere deshalb der Fall, weil sich keine andere Krankheitsursache als Erklärung für die vorliegende Störung finde. Diese Darlegungen machen deutlich, dass der Sachverständige einem Zirkelschluss unterlegen ist. Er hat nämlich aus dem von ihm objektivierten Schaden - unzulässigerweise - auf eine Ursache geschlossen hat, die er dann wiederum im Rahmen der Kausalitätsbeurteilung seiner Bewertung zugrunde gelegt hat. Im Gegensatz dazu ist der Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Unfallfolgen positiv festzustellen. Dies erfordert jedoch die Feststellung eines Primärschadens; die Möglichkeit eines solche Schadens reicht demgegenüber nicht aus. Auch gibt es keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache der ursächliche Zusammenhang zu bejahen wäre. Denn dies würde bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn lässt sich insbesondere auch nicht rein zeitlich begründen, er muss vielmehr sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Dementsprechend kann im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch nicht im Sinne eines Anscheinsbeweises aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung auf die berufliche Verursachung der Erkrankung geschlossen werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 34/03 R).

Ohnehin wäre auch bereits höchst zweifelhaft, ob die als Unfallfolge geltend gemachten urologischen Beschwerden überhaupt in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall des Klägers vom 15.09.2005 aufgetreten sind. So sind in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall schon keinerlei vom Kläger beklagte Beschwerden dokumentiert, die auf eine für seine Störungen relevante Nervenschädigung hindeuten würden. Darüber hinaus hat der Kläger gegenüber der Beklagten auch erstmals mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 25.01.2008, also weit mehr als zwei Jahre nach dem Unfall, eine Blasenentleerungsstörung geltend gemacht, indem er vorbrachte, er könne das Wasser nicht mehr so halten wie vor dem Unfall. Offenbar hat er deshalb eine fachärztliche Behandlung aber nicht für erforderlich erachtet, da er nicht vorgebracht hat, sich bei einem Urologen vorgestellt zu haben.

Soweit der Kläger sich im Berufungsverfahren auf den Entlassungsbericht der A. -Klinik bezogen hat, wo er nach Diagnose eines papilären Schilddrüsenkarzinoms vom 06.09. bis 04.10.2006 im Rahmen einer Anschlussheilbehandlung stationär behandelt worden war und anamnestisch angegeben hatte, dass er seit dem Unfall kein Gefühl des Harndrangs mehr habe, ein Nachtröpfeln bestehe, jedoch keine Dranginkontinenz, deuten diese Angaben zwar auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Auftreten der Beschwerden hin. Allerdings bleibt, falls diese Beschwerden tatsächlich bereits seit dem Unfall bestanden haben sollten, unverständlich, weshalb der Kläger diese anlässlich seiner zahlreichen ärztlichen Konsultationen nie erwähnte und anlässlich der gutachtlichen Untersuchungen in der Neurologischen Universitätsklinik am 12.04.2006 durch Prof. Dr. O. , also knapp ein Jahr nach dem Unfall, sogar noch angab, mit der Miktion keine Probleme zu haben, wenn die später geschilderten Beschwerden tatsächlich bereits seit einem Jahr vorgelegen haben.

Für das Auftreten der von Dr. L.-E. und Prof. Dr. S. von urologischer Seite darüber hinaus beschriebenen erektilen Dysfunktion in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall, ergeben sich gleichermaßen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Auch hinsichtlich dieser Beeinträchtigung hat der Kläger offenbar keine fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen, so dass diese Funktionsstörung nach Aktenlage erstmals durch den von der Beklagten mit einer urologischen Begutachtung beauftragten Dr. L.-E. aufgrund seiner Untersuchung vom 18.07.2008, also mehr als drei Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis, diagnostiziert wurde. Nachdem der Kläger ausweislich des bereits erwähnten Schreiben seines Bevollmächtigten vom 25.01.2008 seinerzeit noch ausschließlich über Schmerzen beim Geschlechtsverkehr wegen der damit verbundenen Bewegungen klagte, gab er gegenüber Dr. L.-E. zwar eine mangelnde Gliedsteife an, die seit dem Unfallereignis bestehe, den Beginn dieser Beeinträchtigung bezog der Kläger gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. , der ihn im August und September 2009 untersuchte, dann allerdings auf den Zeitpunkt der Operation, wobei es sich hierbei offenbar um die Operation des Schilddrüsenkarzinoms Mitte des Jahres 2006 handelte. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang weiter, dass die Erektionsstörung - wie Prof. Dr. S. in seinem Gutachten dargelegt hat - multifaktorielle Ursachen hat und beim Kläger als Risikofaktoren eine Erhöhung der Blutfette, eine Adipositas, die Einnahme von Bisoprolol, eine arterielle Hypertonie sowie ein relativer Testosteronmangel vorliegen, vermag der Senat auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Sachverständige die Erektionsfähigkeit auch durch die chronische Schmerzsymptomatik und die psychische Belastung durch das aktuelle Verfahren gemindert sieht, nicht festzustellen, dass die erstmals drei Jahre nach dem Unfall diagnostizierte erektile Dysfunktion, deren Beginn der Kläger gegenüber Prof. Dr. S. sogar selbst auf die Schilddrüsenoperation bezogen hat, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen ist.

Liegen somit keine Unfallfolgen auf urologischem Fachgebiet vor, kann der Kläger wegen seiner Gesundheitsstörungen auf diesem Fachgebiet auch keine Verletztenrente nach einer höheren MdE beanspruchen. Die auf chirurgischem und neurologisch/neurochirurgischem Fachgebiet bestehenden Unfallfolgen wurden von der Beklagten auf der Grundlage der von ihr eingeholten Gutachten von Prof. Dr. B. und Dr. J. zutreffend mit einer MdE um 30 v.H. bewertet. Auch der Kläger zieht dies nicht in Zweifel. Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf höhere Verletztenrente.

Da die Berufung des Klägers nach alledem keinen Erfolg hat, ist diese zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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