L 3 AS 1554/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 2326/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 1554/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. März 2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Konstanz (SG), mit dem die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt worden ist. In der Sache begehrt er noch Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 29.05. bis 03.06.2008 und höhere Leistungen als bewilligt für die Zeit ab dem 04.08.2008.

Der Kläger beantragte am 29.05.2008 erneut Leistungen nach dem SGB II. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er in dem Haus der Zeugin Kr., die der Beklagte als Partnerin des Klägers nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II einstuft. Der Beklagte versagte die beantragten Leistungen mit Bescheid vom 11.11.2008 zunächst - wie schon zuvor bei anderen Anträgen - wegen fehlender Mitwirkung, weil der Kläger keine ausreichende Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Zeugin gemacht habe. Der zurückweisende Widerspruchsbescheid erging am 01.12.2008.

In dem anschließenden Klagverfahren vor dem SG (S 4 AS 3562/08) wies der Kläger - nunmehr über seinen Prozessbevollmächtigten - unter anderem darauf hin, dass er nicht mehr bei der Zeugin Kr., sondern seit dem 04.06.2008 in einer Obdachlosenunterkunft wohne. Diese Unterkunft hatte ihm die Ortspolizeibehörde, die Gemeinde O., zugewiesen, nachdem der zuständige Gerichtsvollzieher mitgeteilt hatte, er werde die Zimmer des Klägers im Haus der Zeugin räumen.

Nach vorheriger Ankündigung bewilligte der Beklagte dem Kläger mit zwei Bescheiden vom 28.04.2009 für die Zeit vom 04.06.2008 bis 30.06.2009 Leistungen nach dem SGB II. Mit Schriftsatz vom 29.04.2008 teilte er unter Übersendung der Bescheide mit, er habe den Kläger nunmehr "klaglos gestellt".

Auch der Prozessbevollmächtige des Klägers übersandte die Bescheide mit Schriftsatz vom 30.04.2009 dem SG und teilte hierbei mit, das Verfahren könne nun erledigt werden; zuvor bitte er aber um Bescheidung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).

Das SG hatte dem Kläger schon am 29.04.2009 PKH bewilligt und seinen Bevollmächtigten beigeordnet. Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten am 04.05.2009 zugestellt.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte mit Schriftsatz vom 04.05.2009, beim SG am folgenden Tage eingegangen, mit, er nehme zahlreiche (mit Aktenzeichen benannte) Anträge des einstweiligen Rechtsschutzes und Untätigkeitsklagen zurück. In dem Schriftsatz war auch das Aktenzeichen S 4 AS 3562/08 genannt.

Das SG trug dieses Klagverfahren am 05.05.2009 als zurückgenommen aus. Mit Schreiben vom 05.05.2009 übersandte es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Liste der nunmehr (angeblich) erledigten Verfahren, auf der auch dieses Verfahren genannt war.

Mit Schriftsatz vom 07.05.2009 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem SG mit, dass in diesem Verfahren die Klage nicht zurückgenommen werden solle; vielmehr "erscheint es sach-dienlich zu sein, das Anerkenntnis des Beklagten anzunehmen und den Rechtsstreit für erledigt zu erklären". Es werde daher beantragt, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Mit weiterem Schriftsatz vom 11.05.2009 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, es solle keine Überprüfung der Rücknahme oder der Erledigungserklärung stattfinden, es werde alleine beantragt, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 18.05.2009, er habe kein Anerkenntnis abgegeben, sondern den Kläger klaglos gestellt. Diese Erklärung sei so zu verstehen, dass er - der Beklagte - seinerseits die Erledigung der Hauptsache erkläre.

Mit Beschluss vom 07.08.2009 (S 4 AS 1354/09 AK-K) ordnete das SG an, dass der Beklagte dem Kläger ein Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten des Verfahrens S 4 AS 3562/08 zu erstatten habe.

In der Folgezeit rechnete der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf Grund der PKH-Bewil¬li-gung seine Gebühren gegenüber der Landeskasse ab.

Erstmals mit Schreiben vom 29.07.2010 bat der Kläger - nunmehr ohne Prozessbevollmächtigten - das SG um Übersendung einer "Klagerücknahmebestätigung".

Daraufhin stellte das SG das Klageverfahren mit Beschluss vom 06.08.2010 nach § 102 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein. Es führte aus, der Prozessbevollmächtige des Klägers habe die Klage mit Schriftsatz vom 04.05.2009 zurückgenommen.

Mit Schriftsatz vom 04.09.2010 hat der Kläger dem SG mitgeteilt, sein damaliger Prozessbevollmächtigter habe die Klage am 04.05.2009 ohne sein Einverständnis zurückgenommen. Er beantragte u. a. "Wiederaufnahme" des Verfahrens.

Das SG hat das Verfahren nunmehr unter dem Aktenzeichen S 10 AS 2326/10 geführt.

Mit Urteil vom 14.03.2011 hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit S 4 AS 3562/08 erledigt ist. Es treffe zwar zu, dass der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage nicht mit dem Schriftsatz vom 04.05.2009 zurückgenommen habe. Jedoch sei in dem Schriftsatz vom 07.05.2009 eine einseitige Erledigungserklärung zu sehen, die zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache geführt habe. Diese Erklärung müsse sich der Kläger zurechnen lassen, da sein Prozessbevollmächtigter wirksam bevollmächtigt war. Sie sei auch nicht unwirksam gewesen oder später - etwa durch eine wirksame Anfechtung - unwirksam geworden. Gründe für eine Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Prozesses lägen nicht vor.

Der Kläger hat 11.04.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er meint, der Schriftsatz vom 07.05.2009 könne nicht als Erledigungserklärung angesehen werden.

Der Berichterstatter des Senats hat den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert und Hinweise zur Auslegung des Schriftsatzes vom 07.05.2009 und zur verfahrensrechtlichen Lage gegeben. Der Kläger hat dort außerdem klargestellt, welche Leistungen in der Sache er noch begehrt. Auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 28.06.2011 wird verwiesen.

Der Kläger hat sodann ein Schreiben seines damaligen Prozessbevollmächtigten an ihn vom 21.07.2011 vorgelegt, in dem jener ausführt, seine damalige Erklärung könne nicht als Erledigungserklärung aufgefasst werden, vielmehr habe es sich um "eine auslegungsfähige Anregung zu einem richterlichen Hinweis in der Sache" gehandelt. Daher habe er auch einen Kostenantrag gestellt, damit eine isolierte Kostenentscheidung habe getroffen werden können. Es sei auch nur ein Teil-Anerkenntnis denkbar gewesen und damit lediglich eine Teil-Erledigung des Rechtsstreits.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. März 2011 aufzuheben und das Verfahren "wegen der begangenen Rechtsfehler" an das Sozialgericht Konstanz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

In dem Erörterungstermin am 28.06.2011 hat der Berichterstatter des Senats die Beteiligten auch darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Beschluss ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter beabsichtigt sei, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.08.2011 gegeben.

II.

Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

1. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig. Hierbei lässt der Senat offen, ob diese Zulassungsschranke auch dann gilt, wenn sich eine Berufung - zunächst - gegen ein Feststellungsurteil des SG wie hier richtet und nur im Nachgang (wieder) Leistungen begehrt werden. Selbst wenn man hier auf die letztlich begehrten Leistungen abstellt, war die Berufung nicht zulassungsbedürftig, und zwar nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG: materiell betraf das Verfahren vor dem SG zumindest den Leistungsanspruch des Klägers für die Zeit vom Tag seiner Antragstellung, dem 29.05.2008 (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F.), bis zum 30.06.2009, dem letzten Tag, für den der Beklagte später die begehrten Leistungen (teilweise) bewilligt hat. Das ist mehr als ein Jahr, sodass es auf die Höhe jener Leistungen nicht ankommt, die der Kläger noch beansprucht.

2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, auch nicht im Sinne einer Aufhebung des angegriffenen Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das SG, wie es der Kläger beantragt hat.

a) Eine solche Aufhebung und Zurückverweisung käme hier zwar nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG in Betracht, weil das SG nicht in der Sache selbst entschieden hat, sondern lediglich festgestellt hat, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Kel-ler/Lei¬therer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 159 Rn. 2b).

b) Dieses Urteil ist jedoch nicht zu beanstanden.

aa) Zunächst war das SG befugt, über diese Frage durch Urteil zu entscheiden. Der vorherige Beschluss vom 06.08.2010 über die Einstellung des Verfahrens hatte nur deklaratorische Wirkung (vgl. Leitherer, a.a.O., § 102 Rn. 9).

bb) Das SG hat auch inhaltlich zutreffend entschieden, dass der ursprüngliche Rechtsstreit S 4 AS 3562/08 in der Hauptsache erledigt ist.

Für die Auslegung von Prozesshandlungen gelten die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend. Nach § 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind empfangsbedürftige Willens¬erklärungen wie eine Klagerücknahme oder eine Erledigungserklärung, die dem Gericht gegenüber zu erklären sind, so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Weitergehend als bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen, bei denen nach § 133 BGB stärker der subjektive Wille des Erklärenden zu erforschen ist, muss hier aus der Sicht eines objektiven, redlichen Erklärungsempfängers ausgelegt werden. Es ist zu entscheiden, wie dieser die Erklärung verstehen durfte. Der subjektive Wille des Erklärenden ist dagegen nicht maßgeblich (vgl. den Gedanken des § 116 Satz 1 BGB).

Hiernach hat zwar der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage nicht mit dem Schriftsatz vom 04.05.2009 zurückgenommen. Es war deutlich zu erkennen, dass sich die Rücknahmeerklärung nur auf die einzeln aufgelisteten Anträge des einstweiligen Rechtsschutzes und Untätigkeitsklagen erstrecken sollte, nicht jedoch auf das vorliegende Verfahren. Das hiesige Aktenzeichen war auch in dem Schriftsatz deutlich abgesetzt von den anderen genannt worden.

Jedoch hat der Prozessbevollmächtigte den Rechtsstreit dann mit dem Schriftsatz vom 07.05.2009 für erledigt erklärt. Nach seinem Inhalt, aber auch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände vor dieser Erklärung, konnte der Schriftsatz nicht anders verstanden werden. Die "Klaglosstellung" des Beklagten durch Erlass der Bewilligungsbescheide vom 28.04.2009 war mindestens ein Teil-Anerkenntnis der Leistungsansprüche des Klägers. Dass der Beklagte dies selbst später anders gesehen hat, ändert an dieser Beurteilung nichts. Eine einseitige Erledigungserklärung durch den Beklagten hat nämlich keine Wirkung auf den Fortgang des Rechtsstreits, weil nur der Kläger darüber disponieren kann. Dieses Teil-Anerkenntnis des Beklagten hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers angenommen und zugleich den Rechtsstreit im Übrigen - nämlich soweit der Beklagte nicht "klaglos gestellt" hatte - für erledigt erklärt. Dass der Prozessbevollmächtigte diese Erklärung vom 07.05.2009 mit "es erscheint sachgerecht" eingeleitet und dann in Form eines Infinitivs ("anzunehmen und für erledigt zu erklären") formuliert hat, ändert an dieser Auslegung nichts. Sein zugleich gestellter Antrag auf eine isolierte Kostengrundentscheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG hätte keinen Sinn ergeben, wenn der Rechtsstreit noch nicht vollständig erledigt gewesen wäre, weil dann im Rahmen der noch ausstehenden Hauptsacheentscheidung über die (gesamten) Kosten hätte entschieden werden müssen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dann auch später vollständig gegenüber der Landeskasse abgerechnet und nicht etwa nur einen Vorschuss auf die PKH-Gebühren beantragt. Zumindest damals scheint auch er gemeint zu haben, der Rechtsstreit sei erledigt. Zu berücksichtigen war auch, dass der Prozessbevollmächtigte bereits mit Schriftsatz vom 30.04.2009 mitgeteilt hatte, er werde den Rechtsstreit für erledigt erklären, sobald über seinen Antrag auf PKH entschieden worden sei. Nachdem das SG bereits am 29.04.2009 PKH bewilligt hatte, war der Schriftsatz vom 07.05.2009 nicht anders zu verstehen denn als die zuvor angekündigte Erledigungserklärung.

Diese Erledigungserklärung, die im (gerichtskostenfreien) sozialgerichtlichen Verfahren einer Kla¬ge¬¬rücknahme gleichsteht (vgl. Leitherer, a.a.O., § 102 Rn. 3), hat nach § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

Die Erledigungserklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers war diesem nach § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen der wirksamen und nach außen unbeschränkten Vollmacht auch zuzurechnen. Ferner war sie nicht wegen Willensmängeln oder dgl. unwirksam und ist später auch nicht unwirksam geworden. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat zur Begründung insoweit auf die Ausführungen des SG (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass Prozesshandlungen wie eine Erledigungserklärung grundsätzlich weder widerrufen noch angefochten werden können (Leitherer, a.a.O., § 102 Rn. 7c).

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved