L 6 U 2408/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 4311/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2408/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. März 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Verletztenrente.

Die 1966 geborene linkshändige Klägerin verletzte sich am 27.12.2006 im Rahmen ihrer bei der Beklagten versicherten selbstständigen Tätigkeit als Betreiberin eines Bistros durch eine zerbrochene Kaffeetasse an ihrem rechten Arm. Noch am Unfalltag wurden von Dr. G., Direktor der K. für Plastische und Handchirurgie des Sch.-B. K. in St. G., eine Schnittverletzung des rechten Handgelenks mit Durchtrennung des Nervus ulnaris und der Arteria ulnaris diagnostiziert (Durchgangsarztbericht vom 27.12.2006) und operativ ein Debridement, eine mikrochirurgische Naht des Nervus ulnaris, der Arteria ulnaris und des Flexor carpi ulnaris sowie ein Wundverschluss durchgeführt (Operationsbericht vom 27.12.2006). Die stationäre Behandlung erfolgte bis zum 05.01.2007 (Befundbericht vom 18.01.2007). Die ambulante Weiterbehandlung erfolgte ab 28.02.2007 beim Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Dr. A. (Befundbericht vom 01.03.2007) sowie ab 15.03.2007 beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Dipl.-Psych. R. (Befundbericht vom 20.04.2007, Gesprächsnotiz vom 23.04.2007).

Die Klägerin, die Krankengymnastik und Elektrotherapie durchführte, war ab 16.04.2007 wieder arbeitsfähig und arbeitete weiter im Familienbetrieb, zunächst im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben 6 Stunden täglich, dann an Wochen- und Samstagen von 7:00 Uhr bis 20:00 Uhr. Im August 2008 gab sie aufgrund finanzieller Schwierigkeiten das Geschäft auf.

Dr. N., Oberarzt der Plastischen Chirurgie der Berufsgenossenschaftlichen UnfallK. T., beschrieb in seiner Stellungnahme vom 16.03.2007 als Unfallfolgen eine 5 cm L.e quer verlaufene reizlose Narbe auf der Handgelenksbeugeseite rechts sowie typische Zeichen der noch relativ frischen Durchtrennung des Nervus ulnaris mit Krallenstellung des rechten Ring- und Kleinfingers, verminderter An- und Abspreizfähigkeit der L.finger rechts und dadurch bedingter verminderter Handspanne rechts, ausgeprägter Atrophie der gesamten Handbinnenmuskulatur mit Umfangsverminderung der Mittelhand, Sensibilitätsverlust des Kleinfingers auf der Beugeseite sowie Sensibilitätsminderung der Ellenseite des Ringfingers und führte aus, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (v. H.) bleibe zumindest vorübergehend bestehen. Alles spreche für eine gute Nervenregeneration, diese sei erfahrungsgemäß nach 2 Jahren abgeschlossen.

Dr. L., Facharzt für Chirurgie und Handchirurgie an der Berufsgenossenschaftlichen UnfallK. T., beschrieb in seinem Zwischenbericht vom 10.04.2007 und in seinem Gutachten vom 10.07.2007 als Unfallfolgen eine Minderung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand durch eine aufgehobene Sensibilität im Versorgungsbereich des Nervus ulnaris, eine motorische Ulnarisparese mit erheblichen Muskelatrophien der ulnarisversorgten Muskulatur, eine Kraftminderung und eine leichte Bewegungseinschränkung, radiologische Veränderungen, glaubhafte Beschwerden sowie reizlose Narbenverhältnisse und schätzte die MdE ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ab 16.04.2007 mit 20 v. H. ein. Der Zustand könne sich noch bessern.

Am 02.08.2007 beschrieb Dr. A., die früher bekannte positive Ausstrahlung der Klägerin sei nicht mehr vorhanden. Es erscheine eine psychisch zusammengebrochene, um Jahre vorgealterte Frau. Er diagnostizierte eine depressive Episode.

Mit Bescheid vom 20.08.2007 stellte die Beklagte eine Minderung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand durch eine aufgehobene Sensibilität im Versorgungsbereich des Nervus ulnaris, eine motorische Ulnarisparese mit erheblichen Muskelatrophien der ulnarisversorgten Muskulatur, eine Kraftminderung und eine leichte Bewegungseinschränkung, radiologische Veränderungen sowie reizlose Narbenverhältnisse als Unfallfolgen fest und bewilligte die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. vom 16.04.2007 bis auf Weiteres als vorläufige Entschädigung.

Hiergegen erhob die Klägerin am 10.09.2007 Widerspruch, mit dem sie auf die aus ihrer Sicht erheblichen Funktionseinschränkungen der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand hinwies.

Dr. H. teilte ergänzend am 04.10.2007 mit, derzeit führe die Klägerin keine psychosomatische Therapie durch. Sie werde mit Psychopharmaka behandelt. Dr. Dipl.-Psych. R. bestätigte dies vor dem Hintergrund erheblicher Depressionen auf Grund der Handverletzung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2007 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, das eingeholte ärztliche Gutachten habe schlüssig und widerspruchsfrei die MdE nach den geltenden Beurteilungskriterien bewertet.

Hiergegen erhob die Klägerin am 09.11.2007 Klage beim Sozialgericht Reutlingen, mit der sie auch auf die bisL. nicht berücksichtigte psychische Komponente hinwies.

Das Sozialgericht hörte zunächst den Psychologischen Psychotherapeuten Dr. A., Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des UniversitätsK. F., am 17.03.2008, den Arzt für Innere Medizin Dr. H. am 19.03.2008 sowie Dr. Dipl.-Psych. R. am 13.05.2008 und am 27.05.2008 schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. A. bewertete unter Vorlage seines Befundberichts vom 28.12.2007 aufgrund einer am 19.12.2007 durchgeführten Untersuchung die psychiatrischen Beschwerden als eine ausgeprägte psychische Anpassungsstörung auf die Handverletzung im Sinne einer psychoreaktiven Störung und führte aus, die Schwere der depressiven und ängstlichen Symptomatik erreiche im Längsschnittverlauf - zumindest passager - auch das Niveau einer mittelschweren depressiven Episode. Dr. H. führte unter Vorlage der Arztbriefe des Dr. G. vom 05.01.2007 und 18.01.2007 aus, neben des Verlustes der vollwertigen Greiffähigkeit der rechten Hand liege eine reaktive Depression vor. Dr. Dipl.-Psych. R. führte aus, die Klägerin habe sich zunehmend als depressiv gestimmt und ängstlich-verschämt resigniert gezeigt. Es sei von einer depressiv-narzisstischen Entwicklung auszugehen. Mittlerweile sei eine mittelgradige Depression eingetreten. Die Klägerin habe zwar schon vor dem Arbeitsunfall länger andauernde Lebensbelastungen gehabt, allerdings habe sie diese mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht depressiv verarbeitet. Durch den Arbeitsunfall sei - angesichts der existenziell gefährdenden Folgen - die zunehmende depressive Verstimmung ausgelöst worden. Die Gesamt-MdE betrage daher mindestens 30 v. H.

Die Beklagte holte im Rahmen des auf die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit gerichteten Verwaltungsverfahrens das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 30.04.2008 ein. Ihm gegenüber gab die Klägerin an, nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit im Mai 2007 habe sie in ihrem Bistro, da sie sich zur Verrichtung der Küchenarbeiten nicht mehr in der Lage gefühlt habe, die Tätigkeit im Service an Wochen- und Samstagen von 7:00 Uhr bis 20:00 Uhr aufgenommen. Inzwischen gestalte sich die Geschäftslage wegen des eingeführten Rauchverbots als schwierig, so dass sie das Bistro zum Verkauf angeboten habe. Mittlerweile leide sie unter Perspektivlosigkeit und mache sich Sorgen. Die Beziehung zu ihrem Ehegatten, der auch den Haushalt für sie mache, sei gut. Der Gutachter beschrieb als Unfallfolgen eine im Abklingen begriffene Anpassungsstörung mit Sorgen, Depression, Anpassung und Schlafstörungen sowie eine Teillähmung des unteren Nervus ulnaris rechts. Die MdE betrage auf neurologischem Fachgebiet ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit 20 v. H. sowie zum Begutachtungszeitpunkt, da nicht mehr von einer kompletten Lähmung des unteren Nervus ulnaris rechts auszugehen sei, 15 v. H. und auf psychiatrischem Fachgebiet nach erfolgreicher Wiedereingliederung bis zum Untersuchungszeitpunkt 10 v. H. sowie ab Untersuchungszeitpunkt unter 10 v. H.

Das Sozialgericht holte das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. St. vom 10.12.2008 ein. Ihm gegenüber gab die Klägerin an, sie lebe mittlerweile von ihrem bereits seit dem Jahr 1999 an Morbus Bechterew erkrankten Ehegatten getrennt und sei inzwischen arbeitslos. Der Sachverständige beschrieb als Unfallfolgen eine Minderung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand durch eine aufgehobene Sensibilität im Versorgungsbereich des Nervus ulnaris, eine motorische Ulnaris-Parese der rechten Hand mit Kraftminderung und Störungen der feinmotorischen Beweglichkeit sowie seelische Störungen mit mittelgradiger Depression, Ängsten, Störungen von Antrieb, Stimmung und Emotionalität sowie Sozialverhalten. Er führte zur Begründung aus, es habe sich nach dem Arbeitsunfall zunächst eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion entwickelt. Infolge der Wechselwirkungen zwischen körperlicher Einschränkung und den seelischen Störungen hätten sich als mittelbare Unfallfolgen eine mittelgradige depressive Episode sowie die Agoraphobie mit Panikstörung entwickelt. Die Klägerin lebe seit Dezember 2007 allein, sie könne ihren Haushalt selbst versorgen und an Hobbies habe sie unter anderem Stricken genannt, was jetzt aber schlechter gehe. Sie habe eine gute Freundin, einen weiteren Freundeskreis und erhalte tägliche Verwandtenbesuche. Der Sachverständige bewertete die MdE auf neurologischem Fachgebiet wegen der von der Klägerin geschilderten Temperaturunterschiede im Bereich der rechten Hand ebenso hoch wie bei einem kompletten Ausfall des Nervus ulnaris und mithin mit 20. v. H. und die MdE auf psychiatrischem Fachgebiet vom 16.04.2006 bis Dezember 2007 mit 20 v. H. und daher die Gesamt-MdE mit 30 v. H., von Dezember 2007 bis zum Untersuchungszeitpunkt mit 30 v. H und daher die Gesamt-MdE mit 40 v. H. und ab Untersuchungszeitpunkt wegen der erst jetzt festgestellten zusätzlichen Angststörung mit 40 v. H. und daher die Gesamt-MdE mit 50 v. H.

Die Beklagte legte die gutachterliche Stellungnahme des Dr. L. vom 24.03.2009 vor. Er führte aus, die Einschätzung des Dr. St., die Teilschädigung des Nervus ulnaris sei wegen des bei der Begutachtung spürbaren Temperaturunterschiedes der rechten Hand bei Anstrengung mit 20 v. H. zu bewerten, überzeuge nicht, da die Vorstellung, dass das veränderte Temperaturempfinden auf eine Minderung der arteriellen Durchblutung zurückzuführen sei, eine reine Vermutung sei, die durch objektive Befunde ebensowenig gestützt sei wie die Annahme eines Temperaturunterschiedes der Hand. Ein Messwert im Seitenvergleich sei im neurologischen Untersuchungsbefund des Gutachtens nicht mitgeteilt worden. In psychiatrischer Hinsicht führte Dr. L. aus, dass sich eine positive Entwicklung bei der Klägerin spätestens ab Jahresende 2007 abgezeichnet habe. Nach beruflicher Wiedereingliederung im Mai 2007 habe sie von morgens bis abends, auch samstags, im Bistro den Service übernommen, während eine andere Person die Küchenarbeit übernommen habe. Dieser Verlauf stehe nicht im Einklang mit der Annahme, dass sich in diesem Zeitraum eine zunehmende psychische Problematik entwickelt habe. Ferner seien als konkurrierende Ursachen die von ihrem Ehegatten erfolgte Trennung im März 2008 und der Rückgang der Geschäftstätigkeit beispielsweise wegen Einführung des Rauchverbotes oder Überschuldung möglich. Der zeitliche Ablauf des Geschehens lege eine Entkoppelung vom zunächst unsicheren, aber im Verlauf dann günstigen Heilverlauf nahe. Die Geschäftsaufgabe sei etwa ein Jahr nach beruflicher Wiedereingliederung erfolgt. Eine Kausalität zwischen depressiver Anpassungsstörung und verändertem Verhalten den Gästen gegenüber möge zwar plausibel klingen. Gegen diese Annahme spreche aber, dass es sich offenbar um einen Familienbetrieb gehandelt habe, in dem Ehegatte, Schwager, Sohn und eine Angestellte mitgearbeitet hätten und somit nicht ohne Weiteres der Geschäftserfolg ausschließlich auf der Aktivität einer Person beruht habe, die im Übrigen etwa ein Jahr L. zehn Stunden im Betrieb, wenn auch nicht mit der vollen Leistungsfähigkeit, tätig gewesen sei. Die fehlende Berücksichtigung konkurrierender, insbesondere wirtschaftlicher Faktoren, ließen die Unfallverursachung dieses Gliedes der Kausalkette nicht als überzeugend erscheinen. Schließlich sei die Behauptung, dass die depressive Anpassungsstörung zur Trennung vom Ehegatten geführt habe, vollends beliebig. Ferner sei die Annahme eines mittelschweren Ausprägungsgrades der Depression lediglich eine Interpretation des Verlaufs aufgrund der Angaben der Klägerin, nicht jedoch Resultat eines aktuell erhobenen objektiven Untersuchungsbefundes. Ein durchgängig mittelschwerer depressiver Patient könne nach den einschlägigen Kriterien seine beruflichen, häuslichen und sozialen Pflichten nur unter erheblichen Schwierigkeiten bewältigen. Tatsächlich habe die Klägerin seit Mai 2007 von morgens bis abends, auch samstags, in ihrem Bistro den Service übernommen. Dieses Maß an beruflicher Aktivität sei mit einer länger bestehenden mittelschweren depressiven Episode nicht vereinbar. Die mittelschwere depressive Episode in Verbindung mit einer Agoraphobie spreche für eine Crescendo-Symptomatik mit zeitlicher Entkoppelung vom Unfallereignis, das hinsichtlich seiner körperlichen Auswirkungen weitgehend überwunden erscheine und spreche für das Überwiegen unfallunabhängiger Kausalfaktoren wie beispielsweise persönlichkeitsimmanenter depressiver Grundkonflikt, Bewältigung von Selbstwertzweifeln durch besondere Betonung von Leistungsfähigkeit, Fleiß und Aktivität, psychosoziale Belastungen durch Erkrankung des Ehegatten sowie Trennungskonflikt, Zukunftssorgen und Abhängigkeit von Transferleistungen. Auch die MdE-Einschätzung des Dr. St. überzeuge nicht. Er habe die Agoraphobie mit Panikstörung neben der depressiven Symptomatik mit einer weiteren MdE um 10 v. H. bewertet, ohne hier Funktions- und Teilhabestörungen zu benennen. Er habe sodann die beiden Teil-MdE-Werte zu einer psychiatrischen MdE um 40 v. H. addiert und sich in diesem Zusammenhang auf die Vermeidung zwischenmenschlicher Kontakte und des Aufsuchens von Ansammlungen von Menschen, auch in Geschäften und Supermärkten, bezogen. Dies sei doch recht willkürlich, zumal die Klägerin angegeben habe, abends oft spazieren zu gehen, seit es früh dunkel werde. Denn gerade das abendliche Spazierengehen im Dunkeln sei nun nicht gerade typisch für eine Angststörung und die Vermeidung von sozialem Kontakt.

Die Klägerin legte den ärztlichen Entlassungsbericht der Dr. M., Psychiaterin an der S. Bad B., vom 31.03.2009 über die Rehabilitationsmaßnahme vom 12.02.2009 bis zum 26.03.2009 vor. Darin wurden eine posttraumatische Belastungsstörung (Vermeidungsverhalten, was die Küche betreffe), eine anankastische Persönlichkeitsakzentuierung, eine Agoraphobie mit Panikstörung und eine Ulnarisläsion mit deutlichen Funktionseinschränkungen diagnostiziert.

Das Sozialgericht holte die gutachterliche Stellungnahme des Dr. St. vom 30.05.2009 ein. Er führte aus, die Temperaturstörungen der rechten Hand habe er in seinem Gutachten im Rahmen der allgemein-körperlichen Befunderhebung angeführt und aufgrund dessen die MdE auf neurologischem Fachgebiet mit 20 v. H. bewertet. Eine objektive Messung der Hauttemperatur könne im Rahmen einer kurzen handchirurgischen Untersuchung erfolgen. Hinsichtlich der Einschätzung der depressiven Symptomatik sei man letztendlich auf die Darstellung der Klägerin bezüglich der von ihr tatsächlich noch ausgeübten Tätigkeiten angewiesen. Die entscheidende Frage sei letztlich, ob die mittlerweile feststellbare seelische Verschlechterung als unmittelbare Folge des Arbeitsunfalls anzusehen sei. Man könne sicher von einer gewissen persönlichkeitsbedingten Schadensanlage ausgehen. Die festgestellten Störungen seien dennoch als Folgen des Arbeitsunfalls zu werten. Auch bei Berücksichtigung der weiteren Mitursachen wie beispielsweise Partnerschaftsprobleme, Probleme bei der Bewältigung des betrieblichen Alltages und zunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten des Betriebes auch infolge unfallunabhängiger Faktoren wie Rauchverbot sei der Arbeitsunfall bei der bis dahin psychisch unauffälligen Klägerin für die Entstehung der jetzigen psychischen Störungen eine nicht nur unwesentliche Teilursache. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Verschlechterung der seelischen Situation beim langsamen Erleben, dass es zu keiner vollständigen Wiederherstellung der verletzten rechten Hand kommen würde, erst in Fortsetzung der anfänglichen Anpassungsstörung mit einer zeitlichen Verzögerung zum Unfallereignis zu erwarten sei. Die MdE-Bewertung ergebe sich daraus, das infolge der Angststörung, die sich häufig als Störung aus dem affektiven Formenkreis parallel mit Depressionen entwickle und ausbilde und die keiner eigenständigen Begründung bedürfe, weitere Bereiche des Erwerbslebens beeinflusst seien als durch die Depression alleine, so dass sich eine Teil-MdE für die gesamten psychischen Störungen ergebe, die höher liege als die Teil-MdE für eine reine Depression.

Die Beklagte legte die Stellungnahme des Dr. L. vom 08.07.2009 vor. Er führte aus, das Nachholen einer Temperaturmessung der rechten Hand sei überflüssig, da die funktionelle Bedeutung einer gestörten Temperaturwahrnehmung im gesamten Schädigungsbild keine besondere Rolle spiele und in den Erfahrungswerten zur Bildung einer MdE bereits mitberücksichtigt sei. Relevant seien die motorischen und sensiblen Funktionen, die mit einer MdE um 15 v. H. angemessen berücksichtigt seien. Die von Dr. St. vorgenommene Interpretation des Crescendo-Verlaufs stehe mit den objektiven Tatsachen nicht in Übereinstimmung. Tatsächlich sei der Heilungsverlauf zunächst negativ, unsicher, dann günstig und sogar überraschend günstig gewesen, während der Verlauf der psychischen Störung aber für eine Zunahme der psychischen Beeinträchtigungen spreche. Ferner habe Dr. St. die annähernde Gleichwertigkeit des Arbeitsunfalls in Bezug auf die psychischen Erkrankungen lediglich behauptet. Er bleibe daher bei der Bewertung, dass es wahrscheinlich durch den Arbeitsunfall zu einer vorübergehenden psychischen Störung im Sinne einer Anpassungsstörung gekommen sei. Der weitere Verlauf habe dann aber offenbar zu einer komplexen psychischen Störung geführt, bei dem ein Bündel unfallunabhängiger Faktoren so dominiert habe, dass dem Unfallereignis selbst keine Wesentlichkeit mehr zukomme.

Die Klägerin legte den Arztbrief des Prof. Dr. Dipl.-Psych. H., Chefarzt an der M.-B.-K. in K., vom 11.12.2009 über die stationäre Maßnahme vom 09.09.2009 bis zum 02.12.2009 vor. Darin wurden eine posttraumatische Belastungsstörung (Zerstörung der beruflichen und wirtschaftlichen Existenz durch den Unfall), eine schwergradige depressive Episode ohne psychotische Symptome, eine Cervikobrachialgie, eine Epicondylitis radialis rechts, eine motorische Ulnarisparese der rechten Hand und eine Adipositas Grad I diagnostiziert. Hierzu führte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. in der von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 18.03.2010 aus, es sei schon aus formal-psychiatrischen Gründen die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu stellen, da es an einem potentiell lebensbedrohlichen Ereignis fehle und ein zeitnahes nach dem Arbeitsunfall auftretendes Beschwerdebild wie Entsetzen, Panik oder intensive Furcht nicht vorgelegen hätten.

Mit Urteil vom 24.03.2010 änderte das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2007 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 18.10.2007 ab, verurteilte die Beklagte, der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Verletztenrente nach einer MdE um 30 v. H. vom 16.04.2007 bis zum 30.04.2009 und nach einer MdE um 20 v. H. ab 01.05.2009 zu gewähren und wies die Klage im Übrigen ab. Es führte zur Begründung aus, wegen einer vorübergehenden Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion als Folge des Arbeitsunfalls sei die Verletztenrente für zwei Jahre unter Berücksichtigung einer weiteren Teil-MdE um 20 v. H. und deshalb nach einer Gesamt-MdE um 30 v. H. zu gewähren. Abweichend von Dr. L. sei die Anpassungsstörung nicht bereits zum Untersuchungszeitpunkt, sondern erst nach Ablauf von zwei Jahren abgeklungen. Dr. L. habe schlüssig eine Änderung der Wesensgrundlage der psychischen Beeinträchtigung zugrunde gelegt. Hierzu habe er auf die wirtschaftlich ungünstige Entwicklung des Restaurants, auch im Zusammenhang mit den rückläufigen Umsätzen nach der Verfügung des Rauchverbotes verwiesen. Diese wirtschaftliche Sorgen hätten ab Ende des Jahres 2007 zunehmend das Bild bestimmt. Die zunehmenden Sorgen um die berufliche und wirtschaftliche Zukunft und die ausgelöste verstärkte psychische Belastung seien nicht als Unfallfolgen zu werten. Persönlichkeitsbedingte Umstände im Sinne einer Vulnerabilität der Klägerin kämen hinzu. Im Hinblick auf das Unfallereignis mit deutlich verzögertem Heilungsverlauf und die gravierenden Auswirkungen auf die Tätigkeit in der Küche und im Service sei jedoch der Ansatz eines längeren Zeitraums der Anpassungsstörung angemessen. Eine über zwei Jahre hinausgehende Chronifizierung scheide bei einer Anpassungsstörung aber aus. Der Beurteilung des Dr. St., wonach eine mittelgradige Depression mit Ängsten, Störung von Antrieb, Stimmung und Emotionalität sowie Sozialverhalten als Unfallfolge festzustellen sei, sei nicht zu folgen. Denn seit der Begutachtung durch Dr. L. seien zwischenzeitlich einschneidende Veränderungen in den Lebensverhältnissen der Klägerin eingetreten. Das Bistro sei wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten verkauft worden. Weiter sei die Trennung vom Ehegatten erfolgt. Das Scheiteren der Fortführung des Familienbetriebes stehe zwar im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nach dem Arbeitsunfall, sei jedoch nicht durch diesen wesentlich verursacht. Dr. L. habe hierzu nachvollziehbar auf die starke, wohl auch persönlichkeitsbedingte Reaktion der Klägerin auf das Scheitern der Fortführung des Bistros, weiter auf persönlichkeitsimmanente Faktoren mit der besonderen Betonung von Leistungsfähigkeit, Fleiß und Aktivität sowie mit erschwerter Bewältigung von Selbstzweifeln hingewiesen. Auch die spätere Entwicklung der psychiatrischen Erkrankung spreche für eine Entkoppelung der anhaltenden und zunehmenden depressiven Veränderungen vom ursprünglichen Unfallereignis. So ergebe sich aus dem Bericht der M.-B.-K., dass die Beschwerden laufend zugenommen hätten. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei nicht feststellbar, da die erforderlichen Diagnosekriterien nicht hinreichend erfüllt seien.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 17.05.2010 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 20.05.2010 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, sie sei infolge der bei ihr vorliegenden psychischen Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode, einer Agoraphobie mit Panikstörung sowie einer Angsterkrankung in ihrer Erwerbsfähigkeit um mindestens 30 v. H. gemindert. Die depressive Erkrankung sei bereits im März 2007 festgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe das seit 01.08.2007 geltende Rauchverbot noch nicht bestanden, so dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu dieser Zeit noch nicht bestanden hätten.

Die Klägerin hat die Bescheinigung des Dr. Dipl.-Psych. R. vom 14.06.2010 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, dass ihm die Klägerin schon vor dem Arbeitsunfall aus anderen Zusammenhängen bekannt gewesen sei, sie sich aber nach dem Arbeitsunfall deutlich depressiv verändert habe. Ferner müsse eine Anpassungsstörung nicht nach maximal zwei Jahren aufhören, sondern gehe in eine depressive Erkrankung, meist mittelgradig, über.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. März 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2007 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 30 vom Hundert ab 1. Mai 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe zutreffend ausgeführt, dass die bei dem Arbeitsunfall erlittene Durchtrennung des Nervus ulnaris am rechten Handgelenk auf psychiatrischem Fachgebiet zum Auftreten einer Anpassungsstörung geführt habe, die unfallbedingt bis zum 30.04.2009 vorgelegen habe und sich unter integrierender Einbeziehung der auf neurologischem Fachgebiet in Höhe von 20 v. H. bestehenden MdE bis zu diesem Zeitpunkt eine Gesamt-MdE in Höhe von 30 v. H. ergebe. Ab dem 01.05.2009 liege eine MdE nur noch auf neurologischem Fachgebiet, das heißt in Höhe von 20 v. H. vor, da aus fachpsychiatrischer Sicht eine sogenannte Änderung der Wesensgrundlage eingetreten sei und die psychische Störung der Klägerin hier nicht mehr in wesentlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehe.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgericht (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE von mehr als 20 v. H. über den 30.04.2009 hinaus.

Rechtsgrundlage sind die §§ 7, 8 und 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), das heißt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

Aus diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Rechtsprechung (zuletzt in BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R) die folgenden Grundsätze entwickelt:

Für die Feststellung eines Arbeitsunfalls ist erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer beziehungsweise sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem Unfallereignis als einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkendem Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Erforderlich ist für die Gewährung einer Verletztenrente, dass längerandauernde Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität) und eine hierdurch bedingte MdE um mindestens 20 v. H. erreicht wird.

Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Art und das Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten längerandauernden Unfallfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand ist die Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte sei so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat anhand des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes.

Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Wenn es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen gibt, ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere/n Ursache/n keine überragende Bedeutung hat/haben. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur diese Ursache/n "wesentlich" und damit Ursache/n im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Ist die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen, so ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte.

Bei dieser Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, ferner das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, die Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein.

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung gegebenenfalls in einem oder mehreren Schritten zu prüfende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache das angeschuldigte Ereignis eine Ursache ist oder die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellte versicherte Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zur der Auffassung gelangt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 20 v. H. über den 30.04.2009 hinaus hat.

Auf neurologischem Fachgebiet beträgt die MdE nicht mehr als 20 v. H. Denn nach der unfallmedizinischen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Nr. 5.6 [S. 229]) beträgt die MdE nur bei einem vollständigen Ausfall des oberen Nervus ulnaris 25 v. H. beziehungsweise des unteren Nervus ulnaris 20 v. H. und sind Teillähmungen geringer zu bewerten. Da bei der Klägerin nach den Gutachten des Dr. L. vom 30.04.2008 und des Dr. St. vom 10.12.2008 nur eine Teilschädigung des Nervus ulnaris vorliegt, kommt mithin, auch unter Berücksichtigung des von Dr. St. angenommenen Temperaturunterschiedes, eine höhere MdE als 20 v. H. auf neurologischem Fachgebiet nicht in Betracht. Dafür spricht auch, dass die Funktionseinschränkungen der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand nicht so ausgeprägt sind, dass die Klägerin nicht ihren eigenen Haushalt versorgen kann und sie sich mit Stricken beschäftigt.

Das Sozialgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend und umfassend dargestellt, weshalb im vorliegenden Verfahren seit 01.05.2009 auf psychiatrischem Fachgebiet keine MdE mehr vorliegt. Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs. 2 SGG diesen Ausführungen nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen an.

Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Auf psychiatrischem Fachgebiet leidet die Klägerin frühestens seit erstmaligem Aufsuchen des Dr. Dipl.-Psych. R. am 15.03.2007 und spätestens seit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit im Mai 2007 nach dem Gutachten des Dr. L. vom 30.04.2008 an gedrückter Stimmung, Schlafstörungen, Nervosität, Zukunftssorgen sowie Gefühlen von Unzufriedenheit, Enttäuschung und Ärger. Diese Beschwerden haben nach den zutreffenden Ausführungen des Dr. L. seit Ende 2007 im Zusammenhang mit den Sorgen um die berufliche Existenz zugenommen, die dann durch die Schließung des Geschäfts im August 2008 real wurden. Zu Recht hat Dr. L. aus diesem Erkrankungsverlauf geschlossen, dass es sich dabei um eine unfallbedingte Anpassungsstörung gehandelt hat. Der Arbeitsunfall ist aber für das psychische Erkrankungsbild der Klägerin spätestens seit 01.05.2009 nicht mehr von wesentlicher Bedeutung, da Anpassungsstörungen nach der unfallmedizinischen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Nr. 5.1 [S. 143]) selten länger als sechs Monate anhalten und lediglich bis zu einer Zeitdauer von maximal zwei Jahren diagnostiziert werden können. Von überragender Bedeutung für die darüber hinausgehende seelische Beeinträchtigung der Klägerin ist nach den schlüssigen und gut nachvollziehbaren Ausführungen des Dr. L. die von einer besonderen Einsatzfreude, Aktivität und Ehrgeiz geprägte prämorbide Persönlichkeitsstruktur der Klägerin, die Ungewissheit über ihre berufliche Zukunft wegen der infolge der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung wegen des Rauchverbots erfolgten Aufgabe des Bistros und die im Zusammenhang mit der Trennung von ihrem Ehegatten stehende Problematik. Dafür, dass die Unfallfolgen nicht wesentlich ursächlich für die zunehmende psychische Erkrankung sind, spricht nach den schlüssigen Ausführungen des Dr. L. auch, dass sich ab Ende 2007 ein günstiger Heilungsverlauf der neurologischen Unfallfolgen mit Aufnahme einer zehnstündigen täglichen Berufstätigkeit abgezeichnet hat und sich im Untersuchungszeitpunkt am 22.04.2008 keine erhebliche depressive Symptomatik hat feststellen lassen. Die neben der abgelaufenen Anpassungsstörung weiterhin bestehenden psychischen Beeinträchtigungen wie gedrückte Stimmung, Schlafstörungen, Nervosität, Zukunftssorgen sowie Gefühle von Unzufriedenheit, Enttäuschung und Ärger sind mithin entgegen der Einschätzung des Dr. St. in seinem Gutachten vom 10.12.2008 und seiner Stellungnahme vom 30.05.2009 nicht unfallbedingt. Vielmehr ist es, nachdem die Klägerin zunächst sich nach ihrer Trennung vom Ehemann eine neue Existenz aufbauen konnte (selbst versorgte Wohnung, Hobbies, Lesen und Stricken, tägliche Verwandtenbesuche, sportliche Aktivitäten) erst im Verlauf des April 2009 zu der erheblichen und unfallunabhängigen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gekommen. Diese hat in der Diagnostik der B.-K. mit einer schwergradigen depressiven Episode ihren Niederschlag gefunden.

Nach dem tatsächlichen Verlauf des von der Klägerin gezeigten Arbeitseinsatzes - Wiederaufnahme einer zehnstündigen täglichen Berufsfähigkeit ab April 2007 - spricht nichts überwiegend dafür, dass die Geschäftsaufgabe durch die Handverletzung bedingt war. Ursächlich dafür waren, auch nach den eigenen Angaben der Klägerin, wirtschaftliche Gründe. Diese Aufgabe der wirtschaftlichen Existenz, die somit unfallunabhängig ist, ist auch zur Überzeugung des Senats ursächlich für die diagnostizierte Depression. Das hat auch der Sachverständige Dr. St. so festgestellt, allerdings den Ursachenzusammenhang in angesichts des tatsächlichen Ablaufs nicht nachvollziehbarer Weise auf die Handverletzung zurückgeführt. Mithin ist die mittlerweile in starker Ausprägung vorhandene Depression der Klägerin nicht mittelbare Unfallfolge.

Dass die Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht gegeben sind, hat Dr. H. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 18.03.2010 zutreffend ausgeführt, da ein zeitnahes nach dem Arbeitsunfall auftretendes Beschwerdebild wie Entsetzen, Panik oder intensive Furcht nicht vorgelegen haben. Nach alledem liegt auf psychiatrischem Fachgebiet jedenfalls seit 01.05.2009 keine MdE mehr vor.

Mithin beträgt die Gesamt-MdE jedenfalls seit 01.05.2009 nur 20 v. H.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen
Rechtskraft
Aus
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