Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1482/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3139/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Juni 2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2011 angeordnet wird.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
Die nach § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beim Sozialgericht Konstanz (SG) form- und fristeingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Denn der Beschwerdewert übersteigt EUR 750.-. Das SG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Absenkungsbescheid vom 20. Mai 2011 angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, die aufgrund dieses Bescheides einbehaltenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorläufig auszuzahlen. Mit dem Bescheid vom 20. Mai 2011 hatte der Antragsgegner den vollständigen Wegfall des dem Antragsteller zustehenden Arbeitslosengeldes II ((Alg II); Lebensunterhalt und Kosten der Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2011) verfügt. In Ausführung des angefochtenen Beschlusses hat er nunmehr für Juli und August Leistungen i.H.v. jeweils EUR 342,27 monatlich zur Auszahlung gebracht. Für Juni 2011 war zuletzt durch Änderungsbescheid vom 12. April 2011 Alg II i.H.v. EUR 479,89 bewilligt worden. Dieser Betrag berücksichtigte bereits eine früher mit Bescheid vom 3. März 2011 verfügte Absenkung des Alg II um 60 vom Hundert (v.H.) der maßgeblichen Regelleistung (hier EUR 218,40). Die durch den Bescheid vom 20. Mai 2011 vorgenommene Minderung des Alg II um 100 v.H. für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2011 beläuft sich daher auch bei Beachtung der bereits durch Bescheid vom 3. März 2011 verfügten Absenkung auf mehr als EUR 750.-.
Die Beschwerde ist jedoch in der Sache nicht begründet. Da allein der Antragsgegner den Beschluss des SG angefochten hat, ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur die Rechtmäßigkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen die vollständige Minderung des Alg II-Anspruches eingelegten Rechtsbehelfs und die damit verbundene Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Auszahlung der "aufgrund des Absenkungsbescheides vom 20. Mai 2011 einbehaltenen Leistungen".
Da nach § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Absenkungsbescheid keine aufschiebende Wirkung haben, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes statthaft der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 1328), der sich allerdings nach Auffassung des Senats nach Klageerhebung - wie hier - nicht mehr auf den Widerspruch, sondern auf die Klage bezieht (vgl. Senatsbeschluss vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - (juris)). Gegen den den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Mai 2011 zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2011 hat der Antragsteller am 6. Juli 2011 fristgerecht Klage beim SG erhoben (S 4 AS 1784/11). § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG gibt selbst keinen Maßstab vor, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen. Das Gericht nimmt also eine eigenständige Abwägung der Beteiligteninteressen vor. Es wägt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug und das private Aufschubinteresse ab. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache grundsätzlich zu berücksichtigen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen keine Positionen eingeräumt werden, die im Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs die Anordnung hingegen abzulehnen. Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, in denen wie hier der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten. In analoger Anwendung des § 86a Abs. 3 S. 2 SGG sind Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zugunsten des Antragstellers nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, der Erfolg in der Hauptsache also überwiegend wahrscheinlich ist (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006 - L 13 AS 1709/06 ER-B - (juris)).
Verfassungsrechtliche Vorgaben zwingen gegebenenfalls jedoch diesen grundsätzlichen Entscheidungsmaßstab zu revidieren. Der einstweilige Rechtsschutz ist Ausfluss der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) enthaltenen Garantie effektiven Rechtsschutzes. Aus dieser folgt das Gebot, soweit als möglich zu verhindern, dass durch hoheitliche Maßnahmen oder Entscheidungen der Verwaltungsbehörde Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn diese sich nach richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweisen, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Auch neben Art. 19 Abs. 4 GG enthält das Verfassungsrecht Vorgaben für Maßstab und Prüfungsumfang gerichtlicher Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz. Die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende Wertentscheidung muss beachtet werden. Es ist Aufgabe des Staates und damit auch der Gerichte, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen. Diese beiden verfassungsrechtlichen Zielsetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes haben Auswirkungen auf den Entscheidungsmaßstab der Fachgerichte. Dieser verschärft sich, wenn nicht nur die prozessrechtliche Dimension des Art. 19 Abs. 4 GG betroffen ist, sondern dem materiellen Anspruch grundrechtliches Gewicht zukommt. Entscheidend ist, welche Rechtsverletzungen bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes drohen. Drohen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Güter kann die gerichtliche Entscheidung nicht auf die nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht. Es genügt dabei bereits eine nur mögliche oder zeitweilig andauernde Verletzung. Der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist dann, insbesondere wenn eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht möglich ist, eine umfassende Güter- und Folgenabwägung zugrunde zu legen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NZS 2003, 253 und NVwZ 2005, 927).
Wegen des grundrechtlichen Gewichts der Leistungen nach dem SGB II, die die Menschenwürde des Empfängers sichern sollen, muss gegebenenfalls im Rahmen der Abwägungsentscheidung die gesetzgeberische Wertung für die sofortige Vollziehbarkeit im Einzelfall zurücktreten, auch wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Dabei kommt es darauf an, ob die Leistung vollständig oder zu einem erheblichen Teil entzogen wird oder nur geringfügige Einschränkungen vorgenommen werden (Senatsbeschluss vom 16. April 2008 a.a.O.). Der Senat geht dabei davon, dass eine auf drei Monate beschränkte Absenkung der Regelleistung nach § 31 SGB II um 30 v.H. zwar einen erheblichen Nachteil darstellt, grundsätzlich jedoch keine schwere und unzumutbare Beeinträchtigung im genannten Sinne (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2008 - L 7 AS 1161/08 ER-B -). Trotz des grundrechtlichen Gewichts der Grundsicherungsleistung an sich, stellt somit nicht jede Minderung einen so gravierenden Eingriff dar, dass eine summarische Prüfung ausgeschlossen wäre. Der Bescheid vom 20. Mai 2011 betrifft jedoch eine Absenkung nicht nur um 30 v.H., sondern um 100 v.H ... Der Senat geht daher davon aus, dass eine nur summarische Prüfung im Hinblick auf den Umfang des Eingriffes in die Grundsicherungsleistung bzgl. der Absenkung ausscheidet. Allerdings sind dabei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht völlig unberücksichtigt zu lassen. Denn eine Grundrechtsbeeinträchtigung kann von vornherein nicht vorliegen, wenn das Recht oder der Anspruch überhaupt nicht in Betracht kommt. Eine bestimmte Mindestwahrscheinlichkeit (z.B. überwiegend) ist aber nicht zu fordern (Krodel NZS 2006, 637; Hk-SGG, 3. Aufl., § 86b Rdnr. 5; vgl. a. Senatsbeschluss vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B - (juris) zur einstweiligen Anordnung).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Absenkung der Regelleistung vor, da die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 20. Mai 2011 nicht sicher ausgeschlossen werden kann.
Rechtsgrundlage für die vom Antragsgegner verfügte Minderung des Alg II-Anspruches um 100 v.H. ist gem. § 77 Abs. 12 SGB II § 31 SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung, da die in Rede stehende Pflichtverletzung vor dem 1. April 2011 begangen wurde. Der Absenkungsbescheid vom 20. Mai 2011 knüpft daran an, dass sich der Antragsteller auf das Stellenangebot des Antragsgegners vom 7. März 2011 nicht, wie in der Eingliederungsvereinbarung vom 23. November 2010 vorgesehen, spätestens am dritten Tag nach dessen Erhalt, also spätestens am 11. März 2011, beworben habe.
Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB II wird bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach dessen Absatz 1 das Arbeitslosengeld II um 60 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung gemindert. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1 wird das Arbeitslosengeld II um 100 v.H. gemindert (Satz 2). Eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II liegt u.a. vor, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, eine mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II geförderte Arbeit, ein zumutbares Angebot nach § 15a SGB II oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II). Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist (Abs. 1 Satz 2).
Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann nicht mit der nach obigen Maßstäben notwendigen Sicherheit festgestellt werden, dass die am 7. März 2011 angebotene Arbeit dem Antragsteller tatsächlich zumutbar war. Welche Arbeiten einem Hilfebedürftigen zumutbar sind, bestimmt sich allein nach § 10 SGB II. Nach dessen Abs. 1 ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass 1. er zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist, 2. die Ausübung der Arbeit ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Arbeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt, 3. die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist; die zuständigen kommunalen Träger sollen darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird, 4. die Ausübung der Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann, 5. der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.
Der Vermittlungsvorschlag vom 7. März 2011 bezog sich auf eine Tätigkeit als Restaurantfachmann in Teilzeit (30%-Stelle) an zwei bis drei Tagen pro Woche, zwei Wochenenden im Monat. Gearbeitet werden sollte im 2-Schichtbetrieb (11.00-16.00 Uhr, bzw. 16.00-21.00 Uhr) mit täglichem Schichtwechsel. Der Dienstplan werde einen Monat im Voraus erstellt. Der Beginn der Beschäftigung sollte sofort erfolgen. Für die Unzumutbarkeitsgründe des § 10 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II ergeben sich danach anhand der Aktenlage und dem Vorbringen der Beteiligten keinerlei Anhaltspunkte. In Betracht kommt daher nur ein sonstiger wichtiger Grund i.S.d. Nr. 5.
Dieser Auffangtatbestand der Nr. 5 ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1516 S. 53) restriktiv anzuwenden: Dem individuellen Grund des Hilfebedürftigen muss im Verhältnis zu den Interessen der Allgemeinheit, die die Grundsicherungsleistungen finanziert, besonderes Gewicht haben. Persönliche Gründe haben grundsätzlich zurückzustehen, wie sich aus den gesetzlich ausgeschlossenen Unzumutbarkeitsgründen des § 10 Abs. 2 SGB II ergibt (vgl. a. Brühl in Hk-SGB II, 3. Aufl., § 10 Rdnr. 29). Aus der Systematik ergibt sich des Weiteren, dass als "sonstiger wichtiger Grund" nur Gründe in Betracht kommen, die den in § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II ausdrücklich genannten wertungsmäßig zumindest vergleichbar sind. Die Auslegung des Begriffes muss im Wertungskontext des SGB II erfolgen (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 10 Rdnr. 12 f.). Aus der Grundsicherungsfunktion des Alg II und der Selbsthilfeobliegenheit des Hilfebedürftigen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 2 SGB II ergibt sich zunächst eine umfassende Arbeitsobliegenheit von Leistungsempfängern, also ohne Rücksicht auf das bisherige Einkommens- oder Qualifikationsniveau; dies entspricht dem Standard der vor Einführung des SGB II gewährten Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz ((BSHG); vgl. Brühl, a.a.O., Rdnr. 32). Abweichend vom BSHG betont das SGB II aber neben dem Grundsatz des Forderns vom Leistungsempfänger nach § 2 SGB II stärker den Grundsatz des Förderns des Hilfebedürftigen (§§ 1 und 14 SGB II). Selbst unter Geltung des BSHG war jedoch bereits anerkannt, dass ein "sonstiger wichtiger Grund" als Ausdruck des Selbsthilfestrebens unter bestimmten Voraussetzungen in der Teilnahme an einer qualifizierten Schul- oder Berufsausbildung bestehen kann (vgl. Brühl, a.a.O., Rdnr. 32; Rixen, a.a.O., Rdnr. 129, jeweils m.w.N.).
Der Antragsteller hat vorliegend geltend gemacht, die Aufnahme der angebotenen Beschäftigung sei zeitlich mit dem Besuch der Abendrealschule in Ravensburg, an der er seit September 2010 teilnimmt, nicht vereinbar. Ob der Besuch der Abendrealschule, etwa unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung beruflicher Eingliederungschancen, tatsächlich als sonstiger wichtiger Grund anzusehen ist, kann nach derzeitigem Stand nicht endgültig beurteilt werden. Diese Klärung ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Gänzlich ausgeschlossen erscheint es indes nicht. Den vorliegenden Verwaltungsakten ist insoweit nur zu entnehmen, dass der Antragsteller bislang lediglich über einen "mäßigen" Hauptschulabschluss aus dem Jahr 2003, aber über keine weiteren "verwertbaren" Qualifikationen oder Berufserfahrungen verfüge. Allerdings kann hier nicht unbeachtet bleiben, dass auch der Antragsgegner selbst den Nutzen der weiteren schulischen Ausbildung akzeptiert hat. Denn in der auch für den Zeitraum März 2011 geltenden Eingliederungsvereinbarung vom 23. November 2010 wird als Ziel die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, "wegen Besuchs der Abendrealschule zumindest in Teilzeit" formuliert. Daher spricht einiges dafür, dass die Aufnahme einer Beschäftigung im konkreten Fall des Antragstellers dann unzumutbar sein könnte, wenn die fragliche Tätigkeit zeitlich nicht mit der Abendrealschule vereinbar ist.
Ob dies bei der am 7. März 2011 angebotenen Tätigkeit tatsächlich der Fall war, ist nach dem bisherigen Sachstand nicht ausreichend geklärt; dies hat gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu erfolgen. Dem Vermittlungsvorschlag ist zwar zu entnehmen, dass es sich um eine Teilzeitstelle lediglich im Umfange von 30% handelte. Allerdings lag bei vorgesehenem 2-Schichtbetrieb zumindest eine der Schichten in den Abendstunden (16.00 bis 21.00 Uhr), wobei außerdem ein täglicher Schichtwechsel vorgesehen war. Derzeit ist nicht geklärt, an wie vielen und welchen Wochentagen der Antragsteller tatsächlich die Abendrealschule besucht, ob dies zu Kollisionen mit der Beschäftigung geführt hätte und inwieweit sich diese gegebenenfalls - wie vom Antragsgegner behauptet und vom Antragsteller bestritten - durch Einflussnahme auf den Dienstplan hätten ausräumen lassen. Nach dem Vortrag des Antragstellers im Beschwerdeverfahren habe er sich auch "im Vorhinein" nach den entsprechenden Bedingungen hinsichtlich des Schichtbetriebes erkundigt.
Die Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit kann somit im vorliegenden Verfahren nicht ausreichend sicher festgestellt werden. Soweit der Antragsgegner die Auffassung vertritt, darauf komme es nicht mehr an, da der Antragsteller von Anfang an erklärt habe, ausschließlich die Abendrealschule besuchen zu wollen und sich auf Vermittlungsvorschläge nicht zu bewerben, kann dem nicht gefolgt werden. Eine solche Erklärung ist erst für den 6. Mai 2011 vermerkt worden (Bl. 433/5 der Verwaltungsakte), also nach dem hier in Rede stehenden Pflichtenverstoß. Diese Erklärung schlösse daher lediglich eine Begrenzung der Minderung nach § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB II aus. Für die Frage der Zumutbarkeit eines Arbeitsangebots und damit eines Tatbestandsmerkmals der Sanktionsvorschrift ist dies nicht relevant. Die Ablehnung eines unzumutbaren Arbeitsangebotes löst unabhängig von den subjektiven Gründen, aus denen sie erfolgt, keine Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II aus. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache können daher nicht sicher ausgeschlossen werden.
Bei der unter Außerachtlassung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmenden Güter- und Folgenabwägung müssen die von der Antragsgegnerin vertretenen Interessen hier zurücktreten. Bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und deren späterer Abweisung im Hauptsacheverfahren ist der Antragsteller zur Rückzahlung der ihm durch die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zugesprochenen Leistungen verpflichtet; eine Rückabwicklung der Folgen ist somit grundsätzlich möglich. Im umgekehrten Falle hätte der Antragsteller über einen nicht unbedeutenden Zeitraum gravierende Einschränkungen in den Leistungen hinzunehmen, die sein Existenzminimum und seine Menschenwürde wahren sollen. Eine tatsächliche Beeinträchtigung in einem Zeitraum lässt sich durch spätere Nachzahlung nicht mehr vollständig ausgleichen. Der Senat verkennt nicht, dass die Antragsgegnerin durch die Gewährung von Wertgutscheinen sichergestellt hat, dass der Antragsteller das zum Lebensunterhalt Unerlässliche erhält. Dieser Leistungsumfang erscheint dem Senat jedoch nur bei geklärtem Sachverhalt als zumutbar.
Die unbegründete Beschwerde des Antragsgegners war daher zurückzuweisen. Dabei war wegen der mittlerweile erfolgten Klageerhebung klarzustellen, dass sich die gerichtliche Anordnung nunmehr auf die aufschiebende Wirkung der Klage erstreckt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
Die nach § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beim Sozialgericht Konstanz (SG) form- und fristeingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Denn der Beschwerdewert übersteigt EUR 750.-. Das SG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Absenkungsbescheid vom 20. Mai 2011 angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, die aufgrund dieses Bescheides einbehaltenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorläufig auszuzahlen. Mit dem Bescheid vom 20. Mai 2011 hatte der Antragsgegner den vollständigen Wegfall des dem Antragsteller zustehenden Arbeitslosengeldes II ((Alg II); Lebensunterhalt und Kosten der Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2011) verfügt. In Ausführung des angefochtenen Beschlusses hat er nunmehr für Juli und August Leistungen i.H.v. jeweils EUR 342,27 monatlich zur Auszahlung gebracht. Für Juni 2011 war zuletzt durch Änderungsbescheid vom 12. April 2011 Alg II i.H.v. EUR 479,89 bewilligt worden. Dieser Betrag berücksichtigte bereits eine früher mit Bescheid vom 3. März 2011 verfügte Absenkung des Alg II um 60 vom Hundert (v.H.) der maßgeblichen Regelleistung (hier EUR 218,40). Die durch den Bescheid vom 20. Mai 2011 vorgenommene Minderung des Alg II um 100 v.H. für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2011 beläuft sich daher auch bei Beachtung der bereits durch Bescheid vom 3. März 2011 verfügten Absenkung auf mehr als EUR 750.-.
Die Beschwerde ist jedoch in der Sache nicht begründet. Da allein der Antragsgegner den Beschluss des SG angefochten hat, ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur die Rechtmäßigkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen die vollständige Minderung des Alg II-Anspruches eingelegten Rechtsbehelfs und die damit verbundene Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Auszahlung der "aufgrund des Absenkungsbescheides vom 20. Mai 2011 einbehaltenen Leistungen".
Da nach § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Absenkungsbescheid keine aufschiebende Wirkung haben, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes statthaft der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 1328), der sich allerdings nach Auffassung des Senats nach Klageerhebung - wie hier - nicht mehr auf den Widerspruch, sondern auf die Klage bezieht (vgl. Senatsbeschluss vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - (juris)). Gegen den den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Mai 2011 zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2011 hat der Antragsteller am 6. Juli 2011 fristgerecht Klage beim SG erhoben (S 4 AS 1784/11). § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG gibt selbst keinen Maßstab vor, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen. Das Gericht nimmt also eine eigenständige Abwägung der Beteiligteninteressen vor. Es wägt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug und das private Aufschubinteresse ab. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache grundsätzlich zu berücksichtigen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen keine Positionen eingeräumt werden, die im Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs die Anordnung hingegen abzulehnen. Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, in denen wie hier der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten. In analoger Anwendung des § 86a Abs. 3 S. 2 SGG sind Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zugunsten des Antragstellers nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, der Erfolg in der Hauptsache also überwiegend wahrscheinlich ist (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006 - L 13 AS 1709/06 ER-B - (juris)).
Verfassungsrechtliche Vorgaben zwingen gegebenenfalls jedoch diesen grundsätzlichen Entscheidungsmaßstab zu revidieren. Der einstweilige Rechtsschutz ist Ausfluss der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) enthaltenen Garantie effektiven Rechtsschutzes. Aus dieser folgt das Gebot, soweit als möglich zu verhindern, dass durch hoheitliche Maßnahmen oder Entscheidungen der Verwaltungsbehörde Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn diese sich nach richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweisen, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Auch neben Art. 19 Abs. 4 GG enthält das Verfassungsrecht Vorgaben für Maßstab und Prüfungsumfang gerichtlicher Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz. Die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende Wertentscheidung muss beachtet werden. Es ist Aufgabe des Staates und damit auch der Gerichte, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen. Diese beiden verfassungsrechtlichen Zielsetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes haben Auswirkungen auf den Entscheidungsmaßstab der Fachgerichte. Dieser verschärft sich, wenn nicht nur die prozessrechtliche Dimension des Art. 19 Abs. 4 GG betroffen ist, sondern dem materiellen Anspruch grundrechtliches Gewicht zukommt. Entscheidend ist, welche Rechtsverletzungen bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes drohen. Drohen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Güter kann die gerichtliche Entscheidung nicht auf die nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht. Es genügt dabei bereits eine nur mögliche oder zeitweilig andauernde Verletzung. Der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist dann, insbesondere wenn eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht möglich ist, eine umfassende Güter- und Folgenabwägung zugrunde zu legen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NZS 2003, 253 und NVwZ 2005, 927).
Wegen des grundrechtlichen Gewichts der Leistungen nach dem SGB II, die die Menschenwürde des Empfängers sichern sollen, muss gegebenenfalls im Rahmen der Abwägungsentscheidung die gesetzgeberische Wertung für die sofortige Vollziehbarkeit im Einzelfall zurücktreten, auch wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Dabei kommt es darauf an, ob die Leistung vollständig oder zu einem erheblichen Teil entzogen wird oder nur geringfügige Einschränkungen vorgenommen werden (Senatsbeschluss vom 16. April 2008 a.a.O.). Der Senat geht dabei davon, dass eine auf drei Monate beschränkte Absenkung der Regelleistung nach § 31 SGB II um 30 v.H. zwar einen erheblichen Nachteil darstellt, grundsätzlich jedoch keine schwere und unzumutbare Beeinträchtigung im genannten Sinne (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2008 - L 7 AS 1161/08 ER-B -). Trotz des grundrechtlichen Gewichts der Grundsicherungsleistung an sich, stellt somit nicht jede Minderung einen so gravierenden Eingriff dar, dass eine summarische Prüfung ausgeschlossen wäre. Der Bescheid vom 20. Mai 2011 betrifft jedoch eine Absenkung nicht nur um 30 v.H., sondern um 100 v.H ... Der Senat geht daher davon aus, dass eine nur summarische Prüfung im Hinblick auf den Umfang des Eingriffes in die Grundsicherungsleistung bzgl. der Absenkung ausscheidet. Allerdings sind dabei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht völlig unberücksichtigt zu lassen. Denn eine Grundrechtsbeeinträchtigung kann von vornherein nicht vorliegen, wenn das Recht oder der Anspruch überhaupt nicht in Betracht kommt. Eine bestimmte Mindestwahrscheinlichkeit (z.B. überwiegend) ist aber nicht zu fordern (Krodel NZS 2006, 637; Hk-SGG, 3. Aufl., § 86b Rdnr. 5; vgl. a. Senatsbeschluss vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B - (juris) zur einstweiligen Anordnung).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Absenkung der Regelleistung vor, da die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 20. Mai 2011 nicht sicher ausgeschlossen werden kann.
Rechtsgrundlage für die vom Antragsgegner verfügte Minderung des Alg II-Anspruches um 100 v.H. ist gem. § 77 Abs. 12 SGB II § 31 SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung, da die in Rede stehende Pflichtverletzung vor dem 1. April 2011 begangen wurde. Der Absenkungsbescheid vom 20. Mai 2011 knüpft daran an, dass sich der Antragsteller auf das Stellenangebot des Antragsgegners vom 7. März 2011 nicht, wie in der Eingliederungsvereinbarung vom 23. November 2010 vorgesehen, spätestens am dritten Tag nach dessen Erhalt, also spätestens am 11. März 2011, beworben habe.
Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB II wird bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach dessen Absatz 1 das Arbeitslosengeld II um 60 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung gemindert. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1 wird das Arbeitslosengeld II um 100 v.H. gemindert (Satz 2). Eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II liegt u.a. vor, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, eine mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II geförderte Arbeit, ein zumutbares Angebot nach § 15a SGB II oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II). Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist (Abs. 1 Satz 2).
Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann nicht mit der nach obigen Maßstäben notwendigen Sicherheit festgestellt werden, dass die am 7. März 2011 angebotene Arbeit dem Antragsteller tatsächlich zumutbar war. Welche Arbeiten einem Hilfebedürftigen zumutbar sind, bestimmt sich allein nach § 10 SGB II. Nach dessen Abs. 1 ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass 1. er zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist, 2. die Ausübung der Arbeit ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Arbeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt, 3. die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist; die zuständigen kommunalen Träger sollen darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird, 4. die Ausübung der Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann, 5. der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.
Der Vermittlungsvorschlag vom 7. März 2011 bezog sich auf eine Tätigkeit als Restaurantfachmann in Teilzeit (30%-Stelle) an zwei bis drei Tagen pro Woche, zwei Wochenenden im Monat. Gearbeitet werden sollte im 2-Schichtbetrieb (11.00-16.00 Uhr, bzw. 16.00-21.00 Uhr) mit täglichem Schichtwechsel. Der Dienstplan werde einen Monat im Voraus erstellt. Der Beginn der Beschäftigung sollte sofort erfolgen. Für die Unzumutbarkeitsgründe des § 10 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II ergeben sich danach anhand der Aktenlage und dem Vorbringen der Beteiligten keinerlei Anhaltspunkte. In Betracht kommt daher nur ein sonstiger wichtiger Grund i.S.d. Nr. 5.
Dieser Auffangtatbestand der Nr. 5 ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1516 S. 53) restriktiv anzuwenden: Dem individuellen Grund des Hilfebedürftigen muss im Verhältnis zu den Interessen der Allgemeinheit, die die Grundsicherungsleistungen finanziert, besonderes Gewicht haben. Persönliche Gründe haben grundsätzlich zurückzustehen, wie sich aus den gesetzlich ausgeschlossenen Unzumutbarkeitsgründen des § 10 Abs. 2 SGB II ergibt (vgl. a. Brühl in Hk-SGB II, 3. Aufl., § 10 Rdnr. 29). Aus der Systematik ergibt sich des Weiteren, dass als "sonstiger wichtiger Grund" nur Gründe in Betracht kommen, die den in § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II ausdrücklich genannten wertungsmäßig zumindest vergleichbar sind. Die Auslegung des Begriffes muss im Wertungskontext des SGB II erfolgen (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 10 Rdnr. 12 f.). Aus der Grundsicherungsfunktion des Alg II und der Selbsthilfeobliegenheit des Hilfebedürftigen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 2 SGB II ergibt sich zunächst eine umfassende Arbeitsobliegenheit von Leistungsempfängern, also ohne Rücksicht auf das bisherige Einkommens- oder Qualifikationsniveau; dies entspricht dem Standard der vor Einführung des SGB II gewährten Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz ((BSHG); vgl. Brühl, a.a.O., Rdnr. 32). Abweichend vom BSHG betont das SGB II aber neben dem Grundsatz des Forderns vom Leistungsempfänger nach § 2 SGB II stärker den Grundsatz des Förderns des Hilfebedürftigen (§§ 1 und 14 SGB II). Selbst unter Geltung des BSHG war jedoch bereits anerkannt, dass ein "sonstiger wichtiger Grund" als Ausdruck des Selbsthilfestrebens unter bestimmten Voraussetzungen in der Teilnahme an einer qualifizierten Schul- oder Berufsausbildung bestehen kann (vgl. Brühl, a.a.O., Rdnr. 32; Rixen, a.a.O., Rdnr. 129, jeweils m.w.N.).
Der Antragsteller hat vorliegend geltend gemacht, die Aufnahme der angebotenen Beschäftigung sei zeitlich mit dem Besuch der Abendrealschule in Ravensburg, an der er seit September 2010 teilnimmt, nicht vereinbar. Ob der Besuch der Abendrealschule, etwa unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung beruflicher Eingliederungschancen, tatsächlich als sonstiger wichtiger Grund anzusehen ist, kann nach derzeitigem Stand nicht endgültig beurteilt werden. Diese Klärung ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Gänzlich ausgeschlossen erscheint es indes nicht. Den vorliegenden Verwaltungsakten ist insoweit nur zu entnehmen, dass der Antragsteller bislang lediglich über einen "mäßigen" Hauptschulabschluss aus dem Jahr 2003, aber über keine weiteren "verwertbaren" Qualifikationen oder Berufserfahrungen verfüge. Allerdings kann hier nicht unbeachtet bleiben, dass auch der Antragsgegner selbst den Nutzen der weiteren schulischen Ausbildung akzeptiert hat. Denn in der auch für den Zeitraum März 2011 geltenden Eingliederungsvereinbarung vom 23. November 2010 wird als Ziel die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, "wegen Besuchs der Abendrealschule zumindest in Teilzeit" formuliert. Daher spricht einiges dafür, dass die Aufnahme einer Beschäftigung im konkreten Fall des Antragstellers dann unzumutbar sein könnte, wenn die fragliche Tätigkeit zeitlich nicht mit der Abendrealschule vereinbar ist.
Ob dies bei der am 7. März 2011 angebotenen Tätigkeit tatsächlich der Fall war, ist nach dem bisherigen Sachstand nicht ausreichend geklärt; dies hat gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu erfolgen. Dem Vermittlungsvorschlag ist zwar zu entnehmen, dass es sich um eine Teilzeitstelle lediglich im Umfange von 30% handelte. Allerdings lag bei vorgesehenem 2-Schichtbetrieb zumindest eine der Schichten in den Abendstunden (16.00 bis 21.00 Uhr), wobei außerdem ein täglicher Schichtwechsel vorgesehen war. Derzeit ist nicht geklärt, an wie vielen und welchen Wochentagen der Antragsteller tatsächlich die Abendrealschule besucht, ob dies zu Kollisionen mit der Beschäftigung geführt hätte und inwieweit sich diese gegebenenfalls - wie vom Antragsgegner behauptet und vom Antragsteller bestritten - durch Einflussnahme auf den Dienstplan hätten ausräumen lassen. Nach dem Vortrag des Antragstellers im Beschwerdeverfahren habe er sich auch "im Vorhinein" nach den entsprechenden Bedingungen hinsichtlich des Schichtbetriebes erkundigt.
Die Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit kann somit im vorliegenden Verfahren nicht ausreichend sicher festgestellt werden. Soweit der Antragsgegner die Auffassung vertritt, darauf komme es nicht mehr an, da der Antragsteller von Anfang an erklärt habe, ausschließlich die Abendrealschule besuchen zu wollen und sich auf Vermittlungsvorschläge nicht zu bewerben, kann dem nicht gefolgt werden. Eine solche Erklärung ist erst für den 6. Mai 2011 vermerkt worden (Bl. 433/5 der Verwaltungsakte), also nach dem hier in Rede stehenden Pflichtenverstoß. Diese Erklärung schlösse daher lediglich eine Begrenzung der Minderung nach § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB II aus. Für die Frage der Zumutbarkeit eines Arbeitsangebots und damit eines Tatbestandsmerkmals der Sanktionsvorschrift ist dies nicht relevant. Die Ablehnung eines unzumutbaren Arbeitsangebotes löst unabhängig von den subjektiven Gründen, aus denen sie erfolgt, keine Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II aus. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache können daher nicht sicher ausgeschlossen werden.
Bei der unter Außerachtlassung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmenden Güter- und Folgenabwägung müssen die von der Antragsgegnerin vertretenen Interessen hier zurücktreten. Bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und deren späterer Abweisung im Hauptsacheverfahren ist der Antragsteller zur Rückzahlung der ihm durch die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zugesprochenen Leistungen verpflichtet; eine Rückabwicklung der Folgen ist somit grundsätzlich möglich. Im umgekehrten Falle hätte der Antragsteller über einen nicht unbedeutenden Zeitraum gravierende Einschränkungen in den Leistungen hinzunehmen, die sein Existenzminimum und seine Menschenwürde wahren sollen. Eine tatsächliche Beeinträchtigung in einem Zeitraum lässt sich durch spätere Nachzahlung nicht mehr vollständig ausgleichen. Der Senat verkennt nicht, dass die Antragsgegnerin durch die Gewährung von Wertgutscheinen sichergestellt hat, dass der Antragsteller das zum Lebensunterhalt Unerlässliche erhält. Dieser Leistungsumfang erscheint dem Senat jedoch nur bei geklärtem Sachverhalt als zumutbar.
Die unbegründete Beschwerde des Antragsgegners war daher zurückzuweisen. Dabei war wegen der mittlerweile erfolgten Klageerhebung klarzustellen, dass sich die gerichtliche Anordnung nunmehr auf die aufschiebende Wirkung der Klage erstreckt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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