Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 2388/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3140/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Juni 2011 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens einen Elektro-Rollstuhl B 500 der Firma O. B. zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Denn der Antragsteller hat im Wege einer Regelungsanordnung Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl B 500 der Firma O. B ...
Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen nötig erscheint (sog Regelungsanordnung). Die Voraussetzungen sind gemäß § 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung glaubhaft zu machen. Mit der Regelungsanordnung kann eine Rechtsposition vorläufig begründet oder erweitert werden. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also des materiellen Anspruchs, der grundsätzlich die summarische Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache verlangt, und eines Anordnungsgrundes, der Eilbedürftigkeit, voraus. Der Anordnungsgrund ist gegeben, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten. Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein; dh es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert.
Im Rahmen des Anordnungsanspruchs ist die Sach- und Rechtslage wegen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 Grundgesetz) nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breith 2005, 803, und vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236, mwN). Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, NZS 2009, 674). Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums oder um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung geht. Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 2. November 2010, L 11 KR 4896/10 ER-B, juris).
Vorliegend kann die Versagung von Eilrechtsschutz für den Antragsteller unter dem Gesichtspunkt eines menschenwürdigen Daseins einen schweren Nachteil bedeuten (vgl BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09 (Spezialrollstuhl)), weshalb zugleich der Anordnungsgrund zu bejahen ist. Anders als vom SG angenommen, hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass die Versagung der begehrten Hilfsmittelversorgung bereits aktuell zu unzumutbaren Nachteilen führt und die Gefahr irreversibler Schäden in sich birgt. Die erforderliche eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt des Weiteren, dass ein Anspruch des Antragstellers auf Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl B 500 der Firma O. B. gegenüber der Antragsgegnerin besteht.
Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Beim Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung ist ein Hilfsmittel daher nur "erforderlich" iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ua das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege und das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG, Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR19/03 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 7). Dabei ist auch das übergeordnete Ziel der Rehabilitation zu beachten, behinderten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu fördern (vgl §§ 1, 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch). Versicherte, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung die Fähigkeit zum selbständigen Gehen und Stehen verloren haben, können hiernach zur Erhaltung ihrer Mobilität auch Anspruch auf einen Elektrorollstuhl für den Innen- und Außenbereich mit indirekter Lenkung (wie der beantragte B 500 der Firma O. B.) als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben. Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch sind nach dem derzeit bekannten Sachverhalt beim Antragsteller erfüllt.
Der Antragsteller leidet an einem Z. n. Mediainfarkt rechts 07/2008, an absoluter Arrhythmie bei Vorhofflimmern und implantiertem Herzschrittmacher, an arterieller Hypertonie, an Diabetes mellitus Typ II und an einer kompensierten Niereninsuffizienz nach Nierentransplantation 1985 und 1988. Als Folge des Mediainfarkts besteht eine brachiofazial betonte Hemiparese links mit neglect nach links; Funktion und Aktivität werden durch eine Stand-, Gang- und Transferunfähigkeit sowie durch eine Spastik des linken Beines eingeschränkt. Aus den Unterlagen, insbesondere dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zur Evaluation der durchgeführten Hilfsmittelversorgung vom 21. Dezember 2010 und der zur Begründung der Beschwerde vorgelegten Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Physikalische Medizin Dr. H.-T. vom 17. Juli 2011, der seitens der Antragsgegnerin nicht widersprochen worden ist, ergibt sich folgendes Bild des Antragstellers: Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen und kann wegen der Halbseitenlähmung nur die rechte obere und die rechte untere Extremität verwenden. Die aus der Hemiparese links resultierende Funktionseinschränkung wird durch die linksseitige Spastik, die ausweislich der ärztlichen Stellungnahme von Dr. H.-T. vom 17. Juli 2011 nicht nur das linke Bein sondern auch den linken Arm betrifft, weiter verstärkt. Durch Kontrakturen (schmerzhafte Muskelverspannungen) ziehen sich obere und unter Extremität jeweils in schmerzhafter Beugestellung zusammen und werden bei Nichtbeübung oder falscher Körperhaltung in dieser Stellung fixiert, was zu teilweise grotesken Verrenkungen führt. Angesichts dieser Gegebenheiten stellt der begehrte Elektrorollstuhl für den Innen- und Außenbereich mit indirekter Lenkung eine geeignete und erforderliche Hilfsmittelversorgung dar, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern, drohenden weiteren Behinderungen bzw. einer Verschlechterung vorzubeugen und die bereits vorliegenden Behinderung auszugleichen.
Die von der Antragsgegnerin bereits durchgeführte Heilmittelversorgung mit einem manuellen Leichtgewichtsrollstuhl (für den Innenbereich) und einem Elektro-Rollstuhl für den Innen- und Außenbereich mit direkter elektromechanischer Lenkung ist, anders als im Gutachten des MDK vom 21. Dezember 2010 ausgeführt, nicht geeignet, diese Anforderungen zu erfüllen. Durch Vorlage der Stellungnahme von Dr. H.-T. vom 17. Juli 2011 hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass in seinem Fall die Versorgung mit einem manuellen Rollstuhl kontraindiziert ist. Der Antragsteller hat lediglich die Möglichkeit, mit dem rechten Arm die Räder des Rollstuhls zu bedienen und mit dem gesunden (rechten) Fuß die Richtung zu korrigieren. Dies führt nicht nur zu einer schädigenden und schmerzhaften Körperhaltung, sondern bringt auch die Gefahr eines Sturzes mit sich. Die bei der Benutzung eines manuellen Rollstuhls vom Antragsteller zwingend einzunehmende schädigende Sitzhaltung führt zu dauerhaften, nicht mehr zu korrigierenden Haltungsschäden. Bedingt durch die Rollstuhlfehlversorgung besteht beim Antragsteller zudem eine Dekubitusgefahr im Steißbeinbereich, an der Brustwirbelsäule und am linken Arm, weil der Antragsteller in dem (für seine Größe auch zu kleinen) manuellen Rollstuhl bewusst und unbewusst ständig nach einer ausbalancierten Sitzposition suchen muss und sich deshalb ständig im Rollstuhl bewegt. Letztlich führt die Benutzung eines manuellen Rollstuhls im Fall des Antragstellers zu einer Gefährdung des Behandlungserfolgs im Hinblick auf die durchgeführte Physio- und Ergotherapie. Wie Dr. H.-T. in ihrer Stellungnahme vom 17. Juli 2011 schlüssig erläutert hat, werden die auftretenden schmerzhaften Kontrakturen der der Muskel der linken Extremitäten im Rahmen der Therapie herausgedehnt und gelöst. Wird der Antragsteller nach der Therapie wieder in seinen manuellen Rollstuhl gesetzt, ist er sofort wieder zu notwendigem Ausbalancieren gezwungen und damit in die schmerzhafte Spastik zurückgedrängt.
Nachdem der vorhandene Elektro-Rollstuhl, was auch von der Antragsgegnerin nicht bestritten wird, für eine Benutzung im Innenbereich wegen seiner Größe und Unbeweglichkeit nur sehr eingeschränkt benutzt werden kann, ist die gewährte Hilfsmittelversorgung auch insoweit nicht geeignet, die bestehende Behinderung auszugleichen. Dies folgt aus dem Umstand, dass der vorhandene Elektro-Rollstuhl zu groß ist um den im Haus des Antragstellers vorhandenen Aufzug zu benutzen. Der Antragsteller hat ferner nachvollziehbar und für den Senat glaubhaft dargelegt, dass auch ein Besuch von Arztpraxen mit dem Elektro-Rollstuhl nicht möglich ist, er also auch insoweit auf die Benutzung des für ihn ungeeigneten manuellen Rollstuhls angewiesen ist.
Letztlich kann sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg darauf berufen, der begehrte Elektro-Rollstuhl B 500 der Firma O. B. könne bei Steigungen und Gefällstrecken nicht sicher betrieben werden und sei deshalb, auch unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse am Wohnort des Antragstellers im Außenbereich nur eingeschränkt einsetzbar. Durch die Vorlage der Bescheinigung der Firma O. B. vom 26. Juli 2011 hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass der begehrte Rollstuhl, ermittelt durch den TÜV Süd, eine maximale Steigfähigkeit von 18 Prozent aufweist, mithin auch auf alpinen Wegen und Straßen gefahrlos verwendet werden kann.
Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen ist, sind abschließend ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Denn der Antragsteller hat im Wege einer Regelungsanordnung Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl B 500 der Firma O. B ...
Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen nötig erscheint (sog Regelungsanordnung). Die Voraussetzungen sind gemäß § 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung glaubhaft zu machen. Mit der Regelungsanordnung kann eine Rechtsposition vorläufig begründet oder erweitert werden. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also des materiellen Anspruchs, der grundsätzlich die summarische Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache verlangt, und eines Anordnungsgrundes, der Eilbedürftigkeit, voraus. Der Anordnungsgrund ist gegeben, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten. Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein; dh es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert.
Im Rahmen des Anordnungsanspruchs ist die Sach- und Rechtslage wegen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 Grundgesetz) nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breith 2005, 803, und vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236, mwN). Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, NZS 2009, 674). Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums oder um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung geht. Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 2. November 2010, L 11 KR 4896/10 ER-B, juris).
Vorliegend kann die Versagung von Eilrechtsschutz für den Antragsteller unter dem Gesichtspunkt eines menschenwürdigen Daseins einen schweren Nachteil bedeuten (vgl BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09 (Spezialrollstuhl)), weshalb zugleich der Anordnungsgrund zu bejahen ist. Anders als vom SG angenommen, hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass die Versagung der begehrten Hilfsmittelversorgung bereits aktuell zu unzumutbaren Nachteilen führt und die Gefahr irreversibler Schäden in sich birgt. Die erforderliche eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt des Weiteren, dass ein Anspruch des Antragstellers auf Versorgung mit einem Elektro-Rollstuhl B 500 der Firma O. B. gegenüber der Antragsgegnerin besteht.
Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Beim Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung ist ein Hilfsmittel daher nur "erforderlich" iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ua das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege und das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG, Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR19/03 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 7). Dabei ist auch das übergeordnete Ziel der Rehabilitation zu beachten, behinderten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu fördern (vgl §§ 1, 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch). Versicherte, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung die Fähigkeit zum selbständigen Gehen und Stehen verloren haben, können hiernach zur Erhaltung ihrer Mobilität auch Anspruch auf einen Elektrorollstuhl für den Innen- und Außenbereich mit indirekter Lenkung (wie der beantragte B 500 der Firma O. B.) als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben. Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch sind nach dem derzeit bekannten Sachverhalt beim Antragsteller erfüllt.
Der Antragsteller leidet an einem Z. n. Mediainfarkt rechts 07/2008, an absoluter Arrhythmie bei Vorhofflimmern und implantiertem Herzschrittmacher, an arterieller Hypertonie, an Diabetes mellitus Typ II und an einer kompensierten Niereninsuffizienz nach Nierentransplantation 1985 und 1988. Als Folge des Mediainfarkts besteht eine brachiofazial betonte Hemiparese links mit neglect nach links; Funktion und Aktivität werden durch eine Stand-, Gang- und Transferunfähigkeit sowie durch eine Spastik des linken Beines eingeschränkt. Aus den Unterlagen, insbesondere dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zur Evaluation der durchgeführten Hilfsmittelversorgung vom 21. Dezember 2010 und der zur Begründung der Beschwerde vorgelegten Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Physikalische Medizin Dr. H.-T. vom 17. Juli 2011, der seitens der Antragsgegnerin nicht widersprochen worden ist, ergibt sich folgendes Bild des Antragstellers: Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen und kann wegen der Halbseitenlähmung nur die rechte obere und die rechte untere Extremität verwenden. Die aus der Hemiparese links resultierende Funktionseinschränkung wird durch die linksseitige Spastik, die ausweislich der ärztlichen Stellungnahme von Dr. H.-T. vom 17. Juli 2011 nicht nur das linke Bein sondern auch den linken Arm betrifft, weiter verstärkt. Durch Kontrakturen (schmerzhafte Muskelverspannungen) ziehen sich obere und unter Extremität jeweils in schmerzhafter Beugestellung zusammen und werden bei Nichtbeübung oder falscher Körperhaltung in dieser Stellung fixiert, was zu teilweise grotesken Verrenkungen führt. Angesichts dieser Gegebenheiten stellt der begehrte Elektrorollstuhl für den Innen- und Außenbereich mit indirekter Lenkung eine geeignete und erforderliche Hilfsmittelversorgung dar, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern, drohenden weiteren Behinderungen bzw. einer Verschlechterung vorzubeugen und die bereits vorliegenden Behinderung auszugleichen.
Die von der Antragsgegnerin bereits durchgeführte Heilmittelversorgung mit einem manuellen Leichtgewichtsrollstuhl (für den Innenbereich) und einem Elektro-Rollstuhl für den Innen- und Außenbereich mit direkter elektromechanischer Lenkung ist, anders als im Gutachten des MDK vom 21. Dezember 2010 ausgeführt, nicht geeignet, diese Anforderungen zu erfüllen. Durch Vorlage der Stellungnahme von Dr. H.-T. vom 17. Juli 2011 hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass in seinem Fall die Versorgung mit einem manuellen Rollstuhl kontraindiziert ist. Der Antragsteller hat lediglich die Möglichkeit, mit dem rechten Arm die Räder des Rollstuhls zu bedienen und mit dem gesunden (rechten) Fuß die Richtung zu korrigieren. Dies führt nicht nur zu einer schädigenden und schmerzhaften Körperhaltung, sondern bringt auch die Gefahr eines Sturzes mit sich. Die bei der Benutzung eines manuellen Rollstuhls vom Antragsteller zwingend einzunehmende schädigende Sitzhaltung führt zu dauerhaften, nicht mehr zu korrigierenden Haltungsschäden. Bedingt durch die Rollstuhlfehlversorgung besteht beim Antragsteller zudem eine Dekubitusgefahr im Steißbeinbereich, an der Brustwirbelsäule und am linken Arm, weil der Antragsteller in dem (für seine Größe auch zu kleinen) manuellen Rollstuhl bewusst und unbewusst ständig nach einer ausbalancierten Sitzposition suchen muss und sich deshalb ständig im Rollstuhl bewegt. Letztlich führt die Benutzung eines manuellen Rollstuhls im Fall des Antragstellers zu einer Gefährdung des Behandlungserfolgs im Hinblick auf die durchgeführte Physio- und Ergotherapie. Wie Dr. H.-T. in ihrer Stellungnahme vom 17. Juli 2011 schlüssig erläutert hat, werden die auftretenden schmerzhaften Kontrakturen der der Muskel der linken Extremitäten im Rahmen der Therapie herausgedehnt und gelöst. Wird der Antragsteller nach der Therapie wieder in seinen manuellen Rollstuhl gesetzt, ist er sofort wieder zu notwendigem Ausbalancieren gezwungen und damit in die schmerzhafte Spastik zurückgedrängt.
Nachdem der vorhandene Elektro-Rollstuhl, was auch von der Antragsgegnerin nicht bestritten wird, für eine Benutzung im Innenbereich wegen seiner Größe und Unbeweglichkeit nur sehr eingeschränkt benutzt werden kann, ist die gewährte Hilfsmittelversorgung auch insoweit nicht geeignet, die bestehende Behinderung auszugleichen. Dies folgt aus dem Umstand, dass der vorhandene Elektro-Rollstuhl zu groß ist um den im Haus des Antragstellers vorhandenen Aufzug zu benutzen. Der Antragsteller hat ferner nachvollziehbar und für den Senat glaubhaft dargelegt, dass auch ein Besuch von Arztpraxen mit dem Elektro-Rollstuhl nicht möglich ist, er also auch insoweit auf die Benutzung des für ihn ungeeigneten manuellen Rollstuhls angewiesen ist.
Letztlich kann sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg darauf berufen, der begehrte Elektro-Rollstuhl B 500 der Firma O. B. könne bei Steigungen und Gefällstrecken nicht sicher betrieben werden und sei deshalb, auch unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse am Wohnort des Antragstellers im Außenbereich nur eingeschränkt einsetzbar. Durch die Vorlage der Bescheinigung der Firma O. B. vom 26. Juli 2011 hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass der begehrte Rollstuhl, ermittelt durch den TÜV Süd, eine maximale Steigfähigkeit von 18 Prozent aufweist, mithin auch auf alpinen Wegen und Straßen gefahrlos verwendet werden kann.
Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen ist, sind abschließend ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden.
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