L 6 U 4465/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 2811/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4465/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. September 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2106 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der 1953 geborene Kläger stammt aus der ehemaligen DDR, wo er ab 1970 zunächst den Beruf eines Baufacharbeiters erlernte und anschließend auch ausübte. 1974 schloss sich eine Lehre als Zimmermann an. Nach Abschluss dieser Ausbildung 1975 war er nahezu durchgängig bis 1986 im Wesentlichen als Zimmerer mit Abbundarbeiten (Bearbeiten der aus der Sägerei kommenden Balken nach vorliegenden Plänen des Architekten/Statikers) tätig. Von 1987 an war er in verschiedenen Baufirmen nach eigenen Angaben vornehmlich mit Zimmerarbeiten beschäftigt (vgl. Übersicht der Beschäftigungsverhältnisse Bl. 119 V-Akte). Im Juli 1998 gab er die Tätigkeit wegen zunehmender Kraftlosigkeit in den Oberschenkeln vor dem Hintergrund einer hypokaliämischen periodischen Paralyse (Lähmungserscheinungen durch Erniedrigung des Serum-Kalium) sowie wegen Magen-, Darm- und Blasenstörungen auf. Anschließend war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig. Wegen der Paralyse, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einem Wirbelgleiten und einem Bluthochdruck wurde er zum 1. Dezember 2000 als Schwerbehinderter anerkannt. Sein Grad der Behinderung beträgt mittlerweile 70, das Merkzeichen G wurde festgestellt, der Höherstufungsantrag blieb erfolglos (zuletzt Urteil vom 24. September 2010, L 8 SB 3313/09). Seit dem 4. Januar 2001 bezieht er aufgrund der im Vordergrund stehenden neurologischen Systemerkrankung Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Auf seinen Antrag vom 28. Januar 2002, seine Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit anzuerkennen, zog die Beklagte medizinische Unterlagen, u. a. den Entlassungsbericht der St.-R.-K. Bad Sch. vom 29. Januar 2001, den Entlassungsbericht der Waldklinik D. vom 1. Dezember 1999, Berichte der Universitätsklinik U. aus dem Jahr 2000 und ein im parallelen Rentenverfahren erstattetes neurologisches Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. bei. Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. (anlagebedingtes Wirbelgleiten zwischen dem fünften Lendenwirbelkörper und dem Kreuzbein sowie degenerative Veränderungen an der HWS, nicht aber primäre Bandscheibenschäden) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2003 die Anerkennung einer BK mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2109 seien nicht erfüllt, wohl hingegen die für die BK Nr. 2108. Spondylolisthesis sei jedoch ein anlagebedingtes Leiden. Darüber hinaus liege ein belastungskonformes Sch.ensbild nicht vor. Ein BandscheibenSch.en sei nicht nachgewiesen. Die dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage blieb nach Einholung eines Gutachtens bei Dr. von St. (monosegmentale Bandscheibendegeneration HWS und LWS als schicksalsbedingte degenerative Veränderung bzw. Spondylosistehese) ebenso erfolglos (Gerichtsbescheid vom 18. März 2005 - S 3 U 41/04) wie die Berufung (Urteil vom 17. Juli 2008 - L 10 U 1411/05) unter Berücksichtigung eines Zusatzgutachtens Dr. von St. (kein schädigungskonformes Bild der Verschleißerscheinungen). Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unzulässig verworfen (B 2 U 234/05).

Nachdem bei dem Kläger zusätzlich eine vakuoläre Myopathie festgestellt wurde (Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. vom 9. Dezember 2002: sensomotorische Polyneuropathie vom distalen Manifestationstyp unklarer Ursache), beantragte er am 17. Februar 2003 die Anerkennung einer BK. Zur Begründung führte er aus, die Polyneuropathie sei vermutlich auf Giftstoffe während des jahrelangen Kontakts mit stark giftigen Holzschutzmitteln zurückzuführen. Er sei während seiner Tätigkeit bei der Firma Sch. Holzbau GmbH von April 1993 bis Januar 1998 Holzschutzmitteln ausgesetzt gewesen. Die Beklagte zog auch hierauf ergänzend ärztliche Berichte bei. Der Neurologe Dr. Sch. hatte eine nicht klar abgrenzbare geringe Vibrationsminderung an den Füßen diagnostiziert und zur Vorgeschichte vermerkt, dass "seit einiger Zeit" Taubheitsgefühle am linken Arm und eine zunehmende Schwäche der Beine bestünden. Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. F., wonach in Kenntnis der im Übrigen vorhandenen Erkrankungen des Klägers keine abgrenzbare toxische Neuropathie vorliege, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2003 die Anerkennung einer BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV ab. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2004 (S 3 U 43/04) vom SG abgewiesen.

Nachdem die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 11. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2006 die Anerkennung einer BK nach Nr. 1103 der Anlage zur BKV (Erkrankung durch Chrom oder seine Verbindungen) abgelehnt hatte (Begründung: für bakterielle Gastritis, Verschluss des Mageneingangs sowie Verdacht auf Reizcolon sei ein beruflicher Hintergrund bzw. eine arbeitsstoffliche Ursache ausgeschlossen), erhob der Kläger auch hiergegen Klage beim SG. Er beantragte erstmals die Anerkennung einer Druckschädigung der Nerven als BK nach der Nr. 2106 der Anlage zur BKV. Mit Gerichtsbescheid vom 25. Oktober 2006 (S 2 U 3680/06) wies das SG die Klage als unzulässig zurück. Im anschließenden Berufungsverfahren L 10 U 5642/06 nahm der Kläger die Berufung in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2008 zurück.

Am 12. Januar 2009 beantragte der Kläger die Anerkennung seiner Beschwerden im Sinne der BK nach der Nr. 2106 der Anlage zur BKV. Zur Begründung führte er aus, durch berufsbedingte Zwangshaltungen (Tragen von schweren Lasten auf der Schulter, Überkopfarbeiten mit schweren Lasten sowie Arbeiten in Rumpf-Beugehaltung) seien Druckschädigungen der Nerven im zervikalen-brachialen- und lumbosakralen Bereich entstanden. Es sei zu einer Schädigung des Halsrückenmarks, des Plexus cervicalis, des Plexus brachialis und des Plexus lumbosakralis gekommen, die wiederum Beschwerden in der linken Schulter und sensomotorische Störungen an Armen und Beinen verursachten.

Dr. F. führte in Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 23. Januar 2009 (Bl. 6 V-Akte) aus, dass die umschriebenen Nervenschäden auf Grund der zahlreichen neurologischen Vorbefunde nicht gesichert seien. Vielmehr sei bei dem Kläger davon auszugehen, dass im Rahmen der seit vielen Jahren bestehenden Grunderkrankung einer periodischen hypokaliämischen Lähmung degenerative Schäden der Muskel- und Nervenstrukturen mit allgemeiner Schwächung der Bewegungsfunktion eingetreten seien. Ein umschriebener Nervenschaden auf Grundlage einer biomechanisch plausiblen peripheren Nervenschädigung liege hingegen nicht vor. Ein Krankheitsbild im Sinne der BK 2106 finde sich daher nicht.

Die Gewerbeärztin Dr. E. bestätigte am 16. Februar 2009 (Bl. 301 V-Akte), dass eine haftungsausfüllende Kausalität nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Denn räumlich begrenzte Nervenschäden, welche durch Druck verursacht werden könnten, seien nicht nachweisbar. Das Leiden des Klägers sei vielmehr berufsunabhängig.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2009 die Anerkennung einer BK nach der Nr. 2106 der Anlage zur BKV ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Druckschädigung der Nerven sei in Auswertung aller medizinischen Unterlagen nicht nachweisbar. Auf der in Papierform vom Kläger übersandten Kernspintomographie vom 23. Februar 2004 sei ein Nervenschaden nicht nachweisbar. Es finde sich lediglich eine Enge des Halsmarkes in Höhe des sechsten Halswirbelkörpers ohne weitere Schäden. Radiologisch sei der Befund einer Streckfehlhaltung der HWS erhoben worden. Im Tibialis-SEP-Zusatzgutachten vom 12. Dezember 2002 fänden sich keinerlei Hinweise auf eine Druckschädigung der Nerven. Der von Prof. Dr. Dr. D. erhobene Befund einer leichten demineralisiertem Polyneuropathie stelle nach dessen Einschätzung eine familiäre, anlagebedingte Erkrankung dar.

Mit seiner dagegen am 30. Juni 2009 beim SG erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, in dem MRT vom 23. Februar 2004 sei eindeutig eine Kompression der hinteren Rückenmarkshäute mit Druckkontakt in Höhe C6 an den Nervenbahnen zu erkennen. Das Rückenmark im Bereich C4 bis C7 sei durch Überstreckung der HWS bei berufsbedingter Zwangshaltung mit zum Teil schweren Lasten komprimiert und geschädigt worden. Damit sei der von Prof. Dr. Dr. D. erhobene Befund einer leichten demyralisierten Polyneuropathie vereinbar.

Nach vorangegangener Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. September 2009 mit der Begründung abgewiesen, kennzeichnend für das Vorliegen einer BK nach der Ziffer 2106 sei eine eindeutige Beziehung zwischen der Lokalisation des einwirkenden Drucks und dem anatomisch zuzuordnenden klinisch-neurologischen Befund. Jede Druckschädigung am peripheren Nerven beginne mit einem reversiblen Leitungsblock durch umschriebene funktionelle Veränderungen an den Markscheiben. Die elektrische Erregbarkeit des Nervens bleibe distal der Läsion erhalten. In Auswertung des MRT-Befundes der HWS vom 23. Februar 2004 sei eine solche Druckschädigung eines maßgebenden Nervens nicht nachgewiesen. Die Änderungen in Form von Bandscheibenprotrusionen sowie Veränderungen an den Kopfgelenken seien nicht Druckschädigungen der Nerven, sondern zunächst, wie von dem Kläger selbst ausgeführt, Veränderungen sonstiger degenerativer Art. Im Übrigen sei mehrfach nachgewiesen, dass beim Kläger eine periodisch hypokaliämische Lähmung mit degenerativen Schäden der Muskel- und Nervenstrukturen eingetreten sei. Eine durch berufliche Belastungen konkret verursachte Druckschädigung eines Nervens sei demgegenüber medizinisch nicht belegt. Die von Prof. Dr. Dr. D. beschriebene fehlende Messbarkeit der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus surialis rechts spreche nach dessen Darlegung für eine axonal sensorische Polyneuropathie. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, durch welche beruflichen Belastungen eine lokale Druckschädigung des Nervus surialis rechts, der der sensiblen Versorgung der Wade diene, erfolgt sein solle. Die vom Kläger angeschuldigten Vorgänge ließen dies nicht ansatzweise erkennen.

Mit seiner dagegen am 30. September 2009 eingelegten Berufung macht der Kläger zunächst eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs geltend, da er Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe. Ihm sei keine Gelegenheit gegeben worden, den Sachverhalt ausführlich vor Gericht vorzutragen und eine Stellungnahme zu den beiden Papierprintbildern zu geben. Das Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. sei nicht zur Feststellung einer BK nach der Nr. 2108 (gemeint 2106) der Anlage zur BKV erstellt, sondern im Rahmen eines Rentenverfahrens in Auftrag gegeben worden (S 15 RJ 820/02). Die hypokaliämische periodische Paralyse sei eine Ionenkanalerkrankung der Skelettmuskulatur und nicht für Nervenschäden verantwortlich. Er habe während seiner Tätigkeit als Zimmermann bei der Firma W., der Firma D. und der Firma V. keine Dachdeckarbeiten ausgeführt. Bei der Firma W., der Firma Sch. und der Firma Sch. seien Dachdeckarbeiten nur im geringsten Umfang angefallen. Es treffe auch nicht zu, dass er lediglich zwischen 10 % und 15 % der täglichen Arbeitszeit mit einem Hebe- und Tragegewicht von über 50 kg eingesetzt worden sei. Die Kompressionsschädigung des hinteren Halsrückenmarks sei infolge langjährigen berufsbedingten Zwangshaltungen-Überkopfarbeiten mit schweren Lasten entstanden. Der Kläger hat dem Senat eine Übersichtsarbeit über zervikale Bandscheibenvorfälle und zervikale Myelopathie sowie eine weitere über ein Kompressionssyndrom des Nervus suprascapularis vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. September 2009 sowie den Bescheid vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2009 aufzuheben und festzustellen, dass seine Schädigung des Halsrückenmarks eine Berufskrankheit nach der Nr. 2106 der Anlage zur Berufskrankheiten-verordnung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hat ergänzend ausgeführt, dass Bandscheibenerkrankungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule nicht Gegenstand dieses Verfahrens seien (vgl. dazu L 10 U 1411/05, Urteil vom 17. Juli 2008). Die streitgegenständliche Listen-Nr. 2106 setze eine wiederholte mechanische und durch druckschädigende Einwirkung voraus. Aus den bisherigen Angaben des Klägers sei nicht zu entnehmen, inwieweit er bei der beruflichen Tätigkeit als Baufacharbeiter und Zimmermann konkret einer solchen Belastung ausgesetzt worden sei. Eine Kompressionsschädigung des hinteren Halsrückenmarks (lange Nervenbahn) infolge von "langjährigen berufsbedingten Zwangshaltungen-Überkopfarbeiten mit schweren Lasten" gebe keine Anhaltspunkte für eine wiederholte mechanische Druckbelastung im Sinne der streitgegenständlichen Listen-Nr. 2106. Bei der vom Kläger vorgelegten Übersichtsarbeit handle es sich bei der zervikalen Myelopathie um ein genetisches Syndrom, dem eine Dysfunktion des Rückenmarks zu Grunde liege. Die häufigste Ursache stelle die Kompressionsmyelopathie infolge Spondylosis (gleich degenerative Erkrankung der Wirbelkörper) dar. Hierzu werde nochmals auf das frühere Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen L 10 U 1411/05 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und die beigezogenen Gerichtsakten (L 8 SB 3319/09, L 10 U 1411/05 und L 10 U 5642/06) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§§ 143, 144 SGG) ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2009, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, eine Schädigung des Halsrückenmarks als BK anzuerkennen und dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.

Das Verfahren vor dem Sozialgericht leidet nicht an einem wesentlichen Mangel. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Dies ist hier nicht der Fall. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht unter der vom Kläger geltend gemachten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) und auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art 20 Abs. 3 GG, und Art 6 Abs. 1 Satz 1 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [EMRK]) ergangen. Soweit der Kläger eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs wegen der erfolgten Entscheidung durch Gerichtsbescheid geltend macht, so bedarf es hierfür nicht seines Einverständnis. Nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG sind lediglich die Beteiligten vorher zu hören. Diese Anhörung hat das SG durchgeführt, ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör besteht somit nicht.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch - SGB VII). Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens ist § 9 SGB VII. BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als BKen anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. In der Anlage 1 zur BKV ist die Erkrankung an einer Druckschädigung der Nerven als BK nach Nr. 2106 enthalten.

Zur Feststellung einer Berufskrankheit muss generell die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität ist auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität zu bezeichnen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009, aaO). Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(erst-)Schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 Rdnr. 26.2). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Nach diesen Regeln und Maßstäben liegt bei dem Kläger auch zur Überzeugung des Senats keine BK nach Nr. 2106 BKV vor.

Es ist nicht nachgewiesen, dass bei dem Kläger eine Druckschädigung der Nerven besteht. Je nach Art der ausgeübten Tätigkeit werden bestimmte Nerven besonders betroffen, vorwiegend die oberflächlich verlaufenden motorischen Nerven, die durch ihre Lage einer von außen kommenden anhaltenden Einwirkung gut zugänglich sind. Eine Nervenschädigung kann z.B. eintreten, wenn ein Nerv wiederholten mechanischen Einwirkungen auf Grund einer anatomischen Enge nicht genügend ausweichen kann, z.B. über eine knöcherne Unterlage, innerhalb eines knöchernen oder fibrösen Kanals oder an Sehnenkreuzungen. Sowohl motorische als auch sensomotorische Nerven oder Nervenanteile können geschädigt sein. Für das Vorliegen einer BK kennzeichnend ist eine eindeutige Beziehung zwischen der Lokalisation des einwirkenden Drucks und dem anatomisch zuzuordnenden klinisch-neurologischen Befund. Der elektroneurographische Nachweis einer Veränderung der peripheren Nervenleitfähigkeit ist dabei in der Regel unverzichtbar (so Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 2106 S. 2).

Davon ist bei dem Kläger nicht auszugehen. Der Senat stützt sich insoweit auf die beigezogenen Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. und Dr. von St., die er im Wege des Urkundsbeweises verwertet. Danach liegen bei dem Kläger lediglich degenerative Schäden der Muskel- und Nervenstrukturen im Rahmen der seit vielen Jahren bestehenden Grunderkrankung einer periodischen hypokaliämischen Lähmung mit allgemeiner Schwächung der Bewegungsfunktion vor. Bereits 1999 hat die Neurologische Abteilung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die progrediente, chronische Schwäche der Oberschenkelmuskulatur mit dieser Grunderkrankung vereinbar gesehen. Ein Nervenschaden aufgrund einer biomechanisch peripheren Nervenschädigung wird hingegen nirgendwo beschrieben.

Die diskreten Auffälligkeiten bei der Bestimmung der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus suralis lassen sich mit der ebenfalls diagnostizierten sensorischen Polyneuropathie mit sockenförmiger Hyperalgesie an den unteren Extremitäten vereinbaren, lassen aber keine Rückschlüsse auf eine Druckschädigung von Nerven zu. Dementsprechend konnte bei der Untersuchung im Universitätsklinikum F. vom 18. bis 26. März 2003 ein axonales Schädigungszeichen als Ursache für die Polyneuropathie ausgeschlossen werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger vorgelegten Papierprint der HWS. Die MRT-Untersuchung hat nur eine Enge des Halsmarkes in Höhe des sechsten Halswirbelkörpers ohne weitere Schäden ergeben. Radiologisch ist der Befund einer Streckfehlhaltung der HWS erhoben worden. Das belegt ebenfalls nicht eine Druckschädigung der Nerven.

Im Tibialis-SEP-Zusatzgutachten vom 12. Dezember 2002 finden sich ebenfalls keinerlei Hinweise auf eine Druckschädigung der Nerven. Der erhobene Befund ist in Auswertung von Prof. Dr. Dr. D. mit der diagnostizierten leichten demineralisierten Polyneuropathie vereinbar. Allein diese Diagnose, nicht aber eine Drucknervenschädigung, wurde auch bei der stationären Behandlung vom 11. bis 23.11.2003 in der Neurologischen K. der Universität U. gesichert.

Für die vom Kläger geschilderte zervikale Myelopathie ist nach der von ihm selbst vorgelegten Veröffentlichung der Neurochirurgischen Abteilung des Universitätsklinikums T. eine Einengung des Spinalkanals verantwortlich. Deren Ursache sind keine Druckschädigung von Nerven, sondern degenerative Prozesse durch spondylotische Veränderungen, osteophytäre Rundbauten sowie Bandscheibenprotrusionen und -vorfälle. An eben solchen spondylotischen Veränderungen, nämlich einer Spondylose L 5 mit Spondylolisthesis L5/S1, aber ohne Nachweis eines Bandscheibenvorfalls, leidet allerdings der Kläger nach dem eingeholten Gutachten von Dr. von St., so dass der Kläger an sich geltend macht, die bereits abgelehnten BK Nr. 2108 sind (L 10 U 1411/05).

Die Schulterbeschwerden des Klägers (Schulter-Arm-Syndrom links, Impingement linke Schulter, vgl. Kernspin vom 28.07.1998 von Dr. Wallner und Arztbericht von Dr. Kraemer vom 2.08.2000) beruhen ebenfalls nicht auf Druckschädigungen der Nerven. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. von St. vom 19.11.2004, wonach sich die Muskeleigenreflexe auslösen ließen und auch die Überprüfung der Motorik beidseits normale Kraftgrade ergab. Die vom Kläger behauptete Schädigung des Nervus suprascapularis wird nicht beschrieben. Im Übrigen hat der beratende Ingenieur Dipl.-Ing. St. in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass bei dem rechtshändigen Kläger ein Lastentragen nur auf der rechten Schulter ohne Gegendruck des Kopfes zur Stabilisierung der Balken zu erwarten gewesen ist, womit es für die Schulterbeschwerden links bereits an der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2106 fehlt.

Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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