L 8 U 1000/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2383/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1000/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufungsverfahren L 8 U 1000/10, L 8 U 1001/10 und L 8 U 1002/10 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen L 8 U 1000/10 geführt.

Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 01.12.2009 in den erstinstanzlichen Verfahren S 6 U 2383/04, S 6 U 1136/09 und S 6 U 3662/09 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in den Berufungsverfahren auch nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin aufgrund einer Polyneuropathie, Enzephalopathie oder eines Krankheitsbildes einer Multiplen Chemikalien Sensitivität (MCS) eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und/oder Quasi-Berufskrankheiten festzustellen sind.

Die 1951 geborene Klägerin war seit 1973 bei verschiedenen Arbeitgebern mit verschiedenen Tätigkeiten, wie z.B. Zuschnitt von Kupferplatten, als Elektrohelferin, Zuschnitt von Textilien, Umgang mit Magnetbändern in Computern in der Datenverarbeitung einschließlich kaufmännischen Arbeiten und Computerarbeiten, beschäftigt (Angaben der Klägerin unter dem 03.01.1999 im Vordruck der Beklagten).

Am 06.11.1998 zeigte die AOK - die Gesundheitskasse für den Kreis B. bei der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im folgenden Beklagte), den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an. Beigefügt waren u. a. Gutachten von Dr. F. des MDK Baden-Württemberg vom Mai und Juni 1998, in denen als Diagnosen eine geringe spastische Bronchitis bei bronchialer Überempfindlichkeit und ein geäußerter Verdacht auf MCS, differenzialdiagnostisch psychosomatisches Beschwerdebild, enthalten waren. Die Beklagte trat in ein Feststellungsverfahren ein und stellte über ihre Präventionsabteilung Ermittlungen zu den Arbeitsplatzverhältnissen an (Bericht der Präventionsabteilung von von 09.08.1999).

Die Beklagte holte das lungenfachärztliche Gutachten von Dr. V. vom 31.01.2000 ein. Danach sei eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht zu objektivieren gewesen. Auch eine sonstige Erkrankung, wie eine multiple Chemikalienüberempfindlichkeit habe sich nicht nachweisen lassen.

Mit Schreiben vom 16.07.2000 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass nach ihren Ermittlungen eine Berufskrankheit nicht vorliege. Die diagnostizierte Erkrankung einer MCS sei keine Erkrankung i.S. des Berufskrankheitenrechts. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung könne nicht hergestellt werden, was aber für die Feststellung einer Berufskrankheit erforderlich sei.

Die Klägerin legte hiergegen am 09.08.2000 Widerspruch ein und beantragte die MCS nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) als Berufskrankheit anzuerkennen. Vorgelegt wurde u.a. das Arztschreiben von Dr. M. vom 27.10.1999. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2001 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.07.2000 zurückgewiesen.

Am 15.11.1999 ging die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit des Dermatologen und Umweltmediziners Dr. M. bei der Beklagten unter Hinweis auf die Diagnose einer toxischen Enzephalopathie mit Perfusionsminderung des Gehirns und auf eine Polyneuropathie ein. Im Rahmen des von der Beklagten auch insoweit aufgenommenen Feststellungsverfahrens legte die Klägerin den Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. Ma. vom 31.01.2003 vor, der als Diagnose eine Kombination einer schweren Enzephalopathie mit schwerster Polyneuropathie als Folge einer MCS gestellt hatte. In dem von ihm erhobenen EEG seien pathologische Allgemeinveränderungen zu registrieren, das Elektromyogramm habe Zeichen einer schwersten generalisierten distal- und beinbetonten Denervierung entsprechend einer schwersten Polyneuropathie ergeben. Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme vom 18.05.2003 der Ärztin für Arbeitsmedizin Dr. We. , die die aktenkundigen Arztunterlagen einschließlich der Berichte von Dr. M. und Dr. Ma. auswertete, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.08.2003 die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 1317 (Polyneuropathie und Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) ab.

Auf den hiergegen eingelegte Widerspruch, in dessen Verlauf die Klägerin wegen ihrer Befürchtung, in den Praxisräumen des untersuchenden Arztes gesundheitsschädigenden Substanzen im Hinblick auf ihre MCS ausgesetzt zu sein, sich nicht den von der Beklagten vorgeschlagenen Ärzten zur Untersuchung vorstellte, sondern ihrerseits eine Untersuchung bei Prof. Dr. H. (Internist - Nephrologe - Umweltmediziner) vorschlug, wurde die ergänzende Stellungnahme von Dr. We. vom 22.05.2004 eingeholt. Mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 24.10.2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Sicherung der Diagnose einer Enzephalopathie oder Polyneuropathie sei nicht möglich gewesen.

Auf Antrag des früheren Bevollmächtigten der Klägerin vom 19.12.2007, gem. § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO)/§ 9 Abs. 2 SGB VII eine hirnorganische Schädigung/ toxische Enzephalopathie/toxische Polyneuropathie festzustellen, da die Klägerin bereits vor dem 01.01.1993, worauf die streitige Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 1317 zeitlich lediglich zurückreiche, beruflich geschädigt gewesen sei. Mit Bescheid vom 12.08.2008 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Quasi-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII für die geltend gemachte Polyneuropathie oder Enzephalopathie ab. Mit Bescheid vom 11.11.2008 lehnte die Beklagte auch die Feststellung einer Quasi-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO ab.

Die hiergegen eingelegten Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 23.01.2009 und vom 06.05.2009 zurück.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 16.07.2000/Widerspruchsbescheid vom 25.01.2001 erhob die Klägerin am 20.02.2001 vor dem Sozialgericht Stuttgart Klage (S 6 U 846/01). Mit Beschluss vom 18.05.2001 wurde auf beiderseitigen Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet, um der Beklagten Ermittlungen und Entscheidung über den Antrag nach Feststellung der Berufskrankheit Nr. 1317 zu ermöglichen. Am 01.04.2004 wurde das Verfahren wieder angerufen und unter dem Aktenzeichen S 6 U 2383/04 fortgeführt. Das Sozialgericht holte die Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 04.11.2005 ein. Das Ministerium teilte mit, der Verordnungsgeber habe sich bisher mit der Thematik des MCS-Syndroms nicht befasst. Es sei davon auszugehen, dass diese Fragestellung den Verordnungsgeber auch künftig nicht beschäftigen werde. Vor dem Hintergrund eines kaum eingrenzbaren Krankheitsbildes wie MCS als mögliche Folge einer fast beliebig ausweitbaren (Schad-)Stoffexposition sei wegen der besonderen Bedingungen des Berufskrankheitsrechts die Anerkennung als Berufskrankheit nicht möglich. Eine überhäufige Erkrankung bestimmter Personengruppen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung sei derzeit kaum medizinisch-wissenschaftlich zu belegen.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2003/Widerspruchsbescheid vom 24.10.2006 (Ablehnung einer Berufskrankheit nach Nr. 1317) erhob die Klägerin am 20.11.2006 ebenfalls Klage vor dem Sozialgericht (S 6 U 8811/06), die mit Beschluss vom 28.11.2006 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem Verfahren S 6 U 2383/04 unter dem älteren Aktenzeichen verbunden wurde.

Die Klägerin verwies in den verbundenen Verfahren auf die vorgelegten Sicherheitsdatenblätter von Stoffen, mit denen sie bei ihrer Tätigkeit bei der Firma H. P. Umgang gehabt habe. Sie verwies außerdem auf die Fachkompetenz von Dr. M. , der in der vorgelegten Stellungnahme vom 05.07.2005 die weltweit anerkannte Definition der MCS und die objektiv wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Pathogenese und Pathophysiologie der MCS beschreibe.

Die Beklagte legte das Schreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 20.01.2006 vor, aus dem sich ergebe, dass die vom Umweltbundesamt geförderte Studie des Robert-Koch-Instituts zu den Ursachen des MCS-Syndroms keine klaren Studienergebnisse zur Ätiologie der MCS ergeben habe. Es werde ein weiterer Forschungsbedarf gesehen. Die Anerkennung eines MCS-Syndroms als Quasi-Berufskrankheit könne weiterhin nicht empfohlen werden.

Mit dem am 01.12.2009 verkündeten Urteil auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2009 wies das Sozialgericht die Klagen ab.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 11.11.2008/Widerspruchsbescheid vom 23.01.2009 (Ablehnung einer Quasi-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO im Hinblick auf Enzephalopathie/Polyneuropathie) erhob die Klägerin am 18.02.2009 Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart, das unter dem Aktenzeichen S 6 U 1136/09 geführt wurde.

Gegen den Bescheid vom 12.08.2008/Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 (Ablehnung einer Quasi-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII) erhob die Klägerin am 27.05.2009 Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart, die unter dem Aktenzeichen S 6 U 3662/09 geführt wurde.

Auch in diesen Verfahren wurden mit am 01.12.2009 verkündeten Urteilen auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung am 12.11.2009 die Klagen abgewiesen.

Gegen die drei dem früheren Klägerbevollmächtigten jeweils mit Empfangsbekenntnis am 01.02.2010 zugestellten Urteile in den o.g. Verfahren hat die Klägerin am 22.02.2010 beim Sozialgericht jeweils Berufung eingelegt.

Im Berufungsverfahren in L 8 U 1000/10 wendet sich die Klägerin gegen das Urteil im sozialgerichtlichen Verfahren S 6 U 2383/04, im Berufungsverfahren L 8 U 1001/10 gegen das Urteil im sozialgerichtlichen Verfahren S 6 U 1136/09 und im Berufungsverfahren L 8 U 1002/10 gegen das Urteil im sozialgerichtlichen Verfahren S 6 U 3662/09.

Die Klägerin hat in dem Berufungsverfahren im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen vertieft. Sie hat außerdem gerügt, das Sozialgericht sei verpflichtet gewesen, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt von Amts wegen durch ein Sachverständigengutachten aufzuklären. Ihr vor dem Sozialgericht gestellter Antrag nach § 109 SGG, ein Gutachten von Prof. Dr. H. einzuholen, sei übergangen worden. Professor Dr. H. besitze als Internist, Umweltmediziner und Nephrologe auch die erforderliche Kompetenz, denn gegebenenfalls sei durch eine Zusatzbegutachtung auch die neurologisch-psychiatrische Diagnose einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie zu klären gewesen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 01.12.2010 in den Verfahren S 6 U 2383/04, S 6 U 1136/09 und S 6 U 3662/09 sowie die Bescheide der Beklagten vom 16.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2001 bzw. vom 05.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2006, vom 11.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2009 und vom 12.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihr eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV sowie weiterhin das Krankheitsbild einer Multiple Chemikalien Sensitivität (MCS) als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII, hilfsweise nach § 551 Abs. 2 RVO festzustellen, bei ihr nach § 551 Abs. 2 RVO und nach § 9 Abs. 2 SGB VII jeweils im Hinblick auf die Erkrankung einer Polyneuropathie bzw. Enzephalopathie eine Quasi-Berufskrankheit festzustellen und ihr Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt in allen Berufungsverfahren,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend führt sie aus, selbst wenn zu Gunsten der Klägerin von einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie auszugehen wäre, sei der Nachweis einer Ursächlichkeit beruflicher Expositionen nicht zu führen. Ein einschlägiges Krankheitsbild sei erst Jahre nach Ende der in Betracht kommenden beruflichen Belastung von Dr. M. diagnostiziert worden. Hinsichtlich der geltend gemachten MCS lägen neue medizinische Erkenntnisse nicht vor.

Den Beteiligten ist mit richterlicher Aufklärungsverfügung vom 29.10.2010 ein rechtlicher Hinweis zur Geltendmachung einer Quasi-Berufskrankheit im Hinblick auf ein Polyneuropathie und Enzephalopathie erteilt worden. Der Senat hat darüber hinaus Beweis erhoben und Prof. Dr. Dr. W. zum Sachverständigen bestimmt. In seinem Gutachten vom 24.05.2011 hat er ausgeführt, das am 09.05.2011 durchgeführte Kernspintomogramm habe unauffällige Hirnstrukturen ergeben. Im EEG fänden sich keine Zeichen einer Allgemeinveränderung, kein Herdbefund und keine krampfspezifischen Potenziale. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet einschließlich der durchgeführten neuroradiologischen-neuropsychologischen Untersuchungen hätten sich keinerlei Hinweise auf das Vorliegen einer substantiellen Hirnerkrankung (Enzephalopathie) und/oder eine belangvolle Polyneuropathie gefunden, die über eine altersgemäße, bei einer knapp sechzigjährigen Person zu erwartende Neuropathie hinausginge. Ob eine solche Schädigung in der Vergangenheit vorgelegen habe, sei den aktenkundigen Unterlagen nicht sicher zu entnehmen. Ein neurologisch-psychiatrischer Bericht aus dem Jahre 2003 (von Dr. Ma.) enthalte verschiedene Ungereimtheiten und die Befunde des EEG seien nicht detailliert angegeben. Die erwähnten SPECT-Befunde führten nicht weiter, da es sich bei der dortigen Zusammenhangsdiskussion mit toxischen Stoffen um einzelne Meinungen handele, die nicht den aktuellen wissenschaftlichen Konsens widerspiegelten. Eine Berufskrankheit nach Nummer 1317 der Anlage 1 zur BKV liege nicht vor.

Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zur Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Eine Äußerung in der Sache ist von den Beteiligten hierzu nicht eingegangen.

Mit richterlicher Verfügung vom 13.07.2011 sind sie in allen 3 Berufungsverfahren auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

Nach Anzeige der Mandatsübernahme durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten ist die bis 05.08.2011 gesetzte Äußerungsfrist bis 31.08.2011 in den genannten Berufungsverfahren verlängert worden (richterliche Verfügung vom 11.08.2011). Der Klägerbevollmächtigte hat mit Fax vom 01.09.2011 beantragt, die Äußerungsfrist bis 30.09.2011 zu verlängern.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen die vor dem Senat angefallenen Berufungsakten wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

II

Die form und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegten Berufungen der Klägerin sind statthaft und insgesamt zulässig.

Gem. § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufungen unbegründet sind und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen mit richterlichen Verfügungen vom 13.07.2011 hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Eine weitere Äußerungsfrist nach Ablauf der bis 31.08.2011 verlängerten Frist war der Klägerin auf ihren Antrag vom 01.09.2011 nicht einzuräumen, was der Senat mit richterlicher Verfügung vom 02.09.2011 per Fax der Klägerin mitgeteilt hat. In Anbetracht der bisherigen langen Verfahrensdauer, der teilweise von der Klägerin zu vertretenden Verzögerungen durch Wechsel der Bevollmächtigten (in den Berufungsverfahren ist der dritte Bevollmächtigte tätig) und eines annähernd dreimonatigen Zeitraums mit Gelegenheit zur Stellungnahme zum eingeholten Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. war eine weitere Frist von einem Monat (bis 30.09.2011), wie von der Klägerin beantragt, rechtlich nicht geboten. Zum Zeitpunkt der Mandatsübernahme war die Ankündigung einer möglichen Entscheidung durch Beschluss und die Fristsetzung zum 05.08.2011 bekannt, weshalb auch trotz des Aktenumfangs in den drei Berufungsverfahren nicht mit einer wie jetzt begehrten mehr als sechswöchigen Fristverlängerung zu rechnen war. Der am 08.09.2011 eingegangene Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten gab dem Senat keinen Anlass, von der angekündigten Verfahrensweise Abstand zu nehmen.

Die Berufungen der Klägerin sind unbegründet. Ein Anspruch auf Feststellung der geltend gemachten Erkrankungen als Berufskrankheit oder als Quasi-Berufskrankheit besteht nicht.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. Im Anhang 1 zur BKV sind die vom Verordnungsgeber als Berufskrankheiten anerkannten Erkrankungen abschließend aufgelistet.

Liegt eine Listenkrankheit nicht vor, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit aus. Auch die Anerkennung von Erkrankungen, die noch nicht in der Anlage 1 erfasst sind (Quasi-Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit), nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) setzt voraus, dass die übrigen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Abs. 1 der Vorschrift vorliegen (Berufskrankheitenreife). Nach § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. § 551 Abs. 2 RVO sollen die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Berufskrankheiten-Liste enthalten ist, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII bzw. § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Hierzu gehören der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der versicherten Tätigkeit und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist (ständige Rspr. BSG, Urteile vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - und 04.06.2002 - B 2 U 16/01 R - , juris, SGb 2002, 496). Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSG, Urt. vom 04.06.2002, a.a.O., m. w. N.). Nicht ausreichend ist, dass überhaupt neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, sondern es muss sich hinsichtlich der neuen Erkenntnisse eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet bereits gebildet haben (BSG a. a. O.). Neu in diesem Sinne sind die Erkenntnisse, wenn sie in der letzten Änderung der Verordnung noch nicht berücksichtigt sind. Das ist der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach dem Erlass der letzten Änderung der Verordnung gewonnen wurden oder zu diesem Zeitpunkt im Ansatz vorhanden waren, sich aber erst danach zur Berufskrankheitenreife verdichtet haben bzw. wenn die Erkenntnisse dem Verordnungsgeber entgangen sind und er deshalb eine Änderung der BKVO/BKV überhaupt nicht erwogen hat oder hatte. Hat der Verordnungsgeber auf der Grundlage medizinischer Erkenntnisse bereits eine Berufskrankheit in die Liste aufgenommen oder die Bezeichnung einer Erkrankung richtiggestellt oder erweitert oder gar ausdrücklich die Erweiterung des listenmäßigen Versicherungsschutzes abgelehnt, sind diese Erkenntnisse nicht mehr neu i. S. der Vorschrift (BSG, Urt. vom 21.01.1997 2 RU 7/96 = SGb 1997, 111).

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts im Verfahren S 6 U 2383/04 (verbunden mit dem Verfahren S 6 U 8811/06) nicht begründet, denn der Bescheid vom 16.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2001 (siehe unten A), mit dem die Feststellung einer MCS als Berufskrankheit abgelehnt wurde, und der Bescheid vom 05.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2006 (siehe unten B), mit dem die Berufskrankheit nach Nr. 1317 abgelehnt wurde, sind rechtmäßig.

A. 1. Die mit der Berufung verfolgte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid vom 16.07.2000 scheitert nicht daran, dass bereits die Anfechtungsklage mangels Verwaltungsaktqualität des angefochtenen Schreibens vom 16.07.2000 unzulässig wäre. Nach § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt eine Entscheidung einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen. Zwar führt die Beklagte in dem keine Rechtsbehelfsbelehrung enthaltenden Schreiben vom 16.07.2000 aus, sie möchte die Klägerin informieren, was gegen eine Entscheidung mit Regelungsgehalt sprechen könnte; doch lässt das Schreiben nach dem weiteren Wortlaut und seinem Zusammenhang erkennen, dass über eine bloße Auskunftserteilung hinausgehend eine "Anerkennung" des geltend gemachten MCS-Syndroms als Berufskrankheit abgelehnt wird, womit eine regelnde Entscheidung getroffen wird. Schließlich führt die Beklagte selbst aus, "diese Entscheidung" schließe eine spätere Überprüfung nicht aus. Somit hatte die Beklagte nach eigenem Verständnis einen Verwaltungsakt erlassen. Dies hatte auch die Klägerin so verstanden, die gegen das Schreiben Widerspruch einlegte. Die Fachabteilung der Beklagten hat den Widerspruch ohne Hinweis an die Klägerin oder Erläuterung für die Widerspruchsstelle, dass noch keine Entscheidung getroffen worden sei, der Widerspruchsstelle zur Sachentscheidung zugeleitet, weshalb auch die äußeren Umstände für den Erlass eines Verwaltungsakts sprechen. Zur Überzeugung des Senats ist daher der Tatbestand des § 31 SGB X erfüllt, weil auch die übrigen genannten Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Dies wird von den Beteiligten nicht bezweifelt. Soweit das Schreiben seiner äußeren Form nach nicht alle Merkmale eines Verwaltungsakts enthält, u.a. fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung, ist dies für die rechtliche Zuordnung daher vorliegend unerheblich.

Mit dem Bescheid vom 16.07.2000 wurde die Anerkennung der von der Klägerin geltend gemachten MCS ausdrücklich als Erkrankung im Sinne des Berufskrankheitenrechts abgelehnt. Damit ist von der Beklagten darüber entschieden worden, dass weder eine Listen-Berufskrankheit noch eine Quasi-Berufskrankheit vorliegt. In der Begründung werden ohne konkrete Bezeichnung der gesetzlichen Anspruchsgrundlage in § 9 SGB VII unter Bezugnahme auf das Berufskrankheitenrecht, was demnach sowohl Abs. 1 wie auch Abs. 2 der Vorschrift beinhaltet, Ausführungen darüber gemacht, dass die Erkrankung derzeit nicht in der Berufskrankheiten-Liste enthalten ist - angesprochen wird eine Prüfung im Falle der Aufnahme in die Berufskrankheiten-Liste zu einem späteren Zeitpunkt - und eine Kausalität zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung nicht hergestellt werden könne. Zutreffend hat die Beklagte im Berufungsverfahren darauf verwiesen, dass eine Berufskrankheit nicht nur nach § 9 Abs. 1 SGB VII als Listenerkrankung abgelehnt worden ist, denn wäre nur hierüber entschieden worden, hätte es einer Auseinandersetzung mit dem ursächlichen Zusammenhang von Einwirkung und Erkrankung nicht bedurft. Unter Würdigung all dieser Tatsachen ist daher zur Überzeugung des Senats festzustellen, dass der Bescheid vom 16.07.2000 auch darauf gerichtet ist, eine Quasi-Berufskrankheit abzulehnen. Trotz des diesbezüglichen ausdrücklichen Antrags der Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung gegen den Bescheid vom 16.07.2000 ist im Widerspruchsbescheid vom 25.01.2001 nicht erstmals durch den dann funktionell nicht zuständigen Widerspruchsausschuss (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 20.07.2010 - B2 EU 19/09 R) entschieden worden, denn darüber war bereits im angefochtenen Ausgangsbescheid der Beklagten eine Entscheidung getroffen worden.

2. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist auch materiell-rechtlich rechtmäßig. Das Krankheitsbild und/oder die geltend gemachten Einwirkungen, die zur Diagnose einer MCS führen, sind in der Anlage 1 zur BKV nicht enthalten. Ein MCS-Syndrom ist als Listenerkrankung nicht erfasst. Die Feststellung einer Berufskrankheit ist daher rechtmäßig abgelehnt worden.

Die Voraussetzungen einer Quasi-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) liegen ebenso wenig vor. Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Krankheitsbilder MCS liegen nicht vor. Es ist nicht ersichtlich dass die "Berufskrankheitenreife" nach der letzten Änderung der BKV eingetreten ist bzw. neue wissenschaftliche, der herrschenden wissenschaftlichen Meinung entsprechende Erkenntnisse bei der letzten BKV-Änderung dem Verordnungsgeber entgangen sind. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist vom ermächtigten Verordnungsgeber, dem zuständigen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung unter dem 04.11.2005 mitgeteilt worden, dass diese Fragestellung den Verordnungsgeber auch künftig nicht beschäftigen werde. Vor dem Hintergrund eines kaum eingrenzbaren Krankheitsbildes wie MCS als mögliche Folge einer fast beliebig ausweitbaren Stoffexposition sei wegen der besonderen Bedingungen des Berufskrankheitsrechts die Anerkennung als Berufskrankheit nicht möglich. Eine überhäufige Erkrankung bestimmter Personengruppen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung sei derzeit kaum medizinisch-wissenschaftlich zu belegen. Dies wurde für den Senat überzeugend durch das Schreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 20.01.2006 bestätigt. Danach hatten sich aus der vom Umweltbundesamt geförderten Studie des Robert-Koch-Instituts zu den Ursachen des MCS-Syndroms keine klaren Studienergebnisse zur Ätiologie der MCS ergeben. Es bestand weiterer Forschungsbedarf. Dies ist auch der noch gegenwärtige Erkenntnisstand, wie sich in einem vergleichbaren Fall dem Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.02.2011, Aktenzeichen: S 1 U 3054/10 (veröff. in Juris, www.Sozialgerichtsbarkeit.de) entnehmen lässt, das auf eine Auskunft des Ministeriums vom Januar 2011 gestützt ist. Danach liegen dem Verordnungsgeber derzeit valide Erkenntnisse über einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen einer MCS und der Exposition gegenüber bestimmten Einwirkungen im Sinne des § 9 SGB VII - immer noch - nicht vor. Abweichendes hat die Klägerin bislang auch nicht vorgetragen. Der Hinweis auf die Erfassung im diagnostischen Manual ICD-10 als Kodierung unter T 78.4 (MC Allergie, nicht näher bezeichnet; T66-T78 sonstige und nicht näher bezeichneten Schäden durch äußere Ursachen) führt nicht weiter, da außer der Krankheitsbeschreibung keine spezifischen krankheitsursächlichen Einwirkungen oder eine spezifisch betroffene Berufsgruppe i.S. des Berufskrankheitenrecht sich hieraus ergibt.

B. Die Berufung, mit der die Klage gegen den Bescheid vom 05.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2006 weiterverfolgt wird, ist ebenfalls unbegründet. Eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV liegt bei der Klägerin nicht vor. Die Berufskrankheit wird in der Anlage 1 umschrieben als: Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

Nach dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. ist bei der Klägerin weder eine Enzephalopathie noch eine Polyneuropathie zu diagnostizieren. Die Klägerin wurde neurologisch-psychiatrisch einschließlich neuroradiologisch und neuropsychologisch untersucht. Entgegen der im Schriftsatz des Klägervertreters vom 08.09.2011 vertretenen Auffassung ist das Ergebnis der Psychometrie im Gutachten mitgeteilt worden, das die von der als Hilfskraft eingesetzten Dr. K. durchgeführten Tests darstellt und erläutert (Seite 21-23 des Gutachtens). Aus den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich, dass bei den technischen Untersuchungen keine auffälligen Befund für eine Enzephalopathie oder Polyneuropathie erhoben worden sind. Die radiologischen Befunde ergaben ebenfalls keinen Hinweis auf eine cerebrale Auffälligkeit mit langjährig bestehender Hirnschädigung, insbesondere fanden sich im Kernspintomogramm keinerlei Atrophiezeichen. Bei der neuropsychologischen Untersuchung zeigten sich zwar im Bereich der basalen Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit massiv unterdurchschnittliche Werte. Diese waren jedoch nach Einschätzung des Sachverständigen durch die initial verstärkte Ablenkbarkeit der Klägerin getriggert, was sich auch dadurch zeigt, dass die Klägerin bei komplexen Aufmerksamkeitsleistungen normale Werte zeigte und auch in der nachfolgenden Exploration keine Beeinträchtigung von Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit hat erkennen lassen. Hinsichtlich der mitwirkungsbedürftigen Untersuchungsmethoden bei den testpsychologischen Untersuchungen hat der Sachverständige für den Senat überzeugend den erzielten unterdurchschnittlichen Werten keine Bedeutung beigemessen, da Patienten mit Prozentrangwerten unter einem Prozentpunkt in allen Aufmerksamkeitsaspekten kaum zu einer selbstständigen Lebensführung, geschweige denn zum Führen eines Kraftfahrzeugs fähig wären, wozu aber die Klägerin noch in der Lage ist. Auf den Einwand der Klägerin, bei einer Enzephalopathie mit Schweregrad IIa/b könne man noch Pkw fahren, kommt es insoweit nicht an.

Dass die Klägerin zu einem früheren Zeitpunkt unter einer Schädigung eine Enzephalopathie oder Polyneuropathie gelitten hat, ist nach dem Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. nicht überzeugend nachzuweisen. Der einschlägige fachärztliche neurologisch-psychiatrische Befund aus dem Jahr 2003 von Dr. M. bzw. Dr. Ma. enthält von Prof. Dr. Dr. W. dargelegte verschiedene Ungereimtheiten. Danach zitiert Dr. M. einen Befund einer SPECT-Hirnstamm-Rezeptorszintigraphie, aus der sich ein auffälliger Befund an den Rezeptoren in den Basalganglien ergebe, was nicht nachvollziehbar ist, da die Basalganglien nicht im Hirnstamm liegen. Dr. Ma. begründet nach Prof. Dr. Dr. W. seine Diagnosen eine Enzephalopathie und Polyneuropathie mit nicht hinreichend nachvollziehbaren Befunden. Ein Hirnstrombild wird mit pathologischen Allgemeinveränderungen beschrieben, ohne eine detaillierte Darlegung für die hierauf gestützte Diagnose eine Enzephalopathie bei ansonsten nur mitgeteilten Verhaltensbeobachtungen der Klägerin mit Verlangsamung und Antriebsarmut. Für die Diagnose einer schwersten Polyneuropathie, die Prof. Dr. Dr. W. gerade nicht hat erheben können, ist nach dem Sachverständigen überraschend, dass nicht die bei toxischen Polyneuropathie zu erwartende üblicherweise zumindest weitgehende symmetrische Ausprägung sich in der Befunderhebung von Dr. Ma. widerspiegelte. Aus diesen Umständen lässt sich nicht mit der erforderlichen, an Gewissheit grenzenden Überzeugung das Bestehen einer Enzephalopathie und Polyneuropathie der Klägerin weder für die Vergangenheit noch aktuell feststellen. Damit ist das Tatbestandsmerkmal der spezifischen Erkrankung der Berufskrankheit nach Nr. 1317 nicht erfüllt.

Ob die Klägerin an ihren Arbeitsplätzen entsprechenden Einwirkungen organischer Lösungsmittel oder deren Gemische ausgesetzt war, kann deshalb dahinstehen. Weitere Ermittlungen zur Art und zum Umfang der Exposition sind daher entbehrlich gewesen. Ausführungen des Sachverständigen hierzu waren somit entgegen der Rechtsauffassung des Klägervertreters weder zu erwarten noch erforderlich.

C. Auch die Berufungen L 8 U 1001/10 und L 8 U 1002/10 der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts im Verfahren S 6 U 1136/09 und S 6 U 3662/09 sind unbegründet, denn der im Verfahren S 6 U 1136/09 streitgegenständliche Bescheid vom Bescheid vom 11.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2009, mit dem die Feststellung einer Quasi-Berufskrankheit im Hinblick auf Enzephalopathie und Polyneuropathie nach § 551 Abs. 2 RVO abgelehnt wurde, und der im sozialgerichtliche Verfahren S U 3662/09 streitgegenständliche Bescheid vom 12.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2009, mit dem die Feststellung einer Quasi-Berufskrankheit im Hinblick auf Enzephalopathie und Polyneuropathie nach § 9 Abs. 2 SGB VII abgelehnt wurde, sind rechtmäßig.

Die Bescheide haben eine Quasi-Berufskrankheit hinsichtlich der geltend gemachten Gesundheitsstörungen einer Hirnleistungschwäche, Enzephalopathie oder Polyneuropathie zutreffend abgelehnt. Die entsprechenden Krankheitsbilder liegen bereits nicht vor. Aus dem überzeugenden Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. ergibt sich kein überzeugender Nachweis für diese Gesundheitsstörungen. Diese Erkrankungen sind nicht mit der für die Überzeugungsbildung des Senats erforderlichen Sicherheit für die Vergangenheit oder aktuell festzustellen.

Darüber hinaus sind die begehrten Feststellungen einer Quasi-Berufskrankheit aber auch aus gegebenen materiell-rechtlichen Ausschlussgründen abzulehnen.

Die den Berufungen L 8 U 1001/10 und L 8 U 1002/10 zu Grunde liegenden streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 11.11.2008/Widerspruchsbescheid vom 23.01.2009 (Ablehnung der Feststellung einer Quasi-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO) und vom 12.08.2008/Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 (Ablehnung einer Quasi-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII) beziehen sich auf die Feststellung einer Polyneuropathie und Enzephalopathie als Berufskrankheit, über die als Listenkrankheit bereits mit Bescheid vom 05.08.2003/Widerspruchsbescheid vom 24.10.2006 entschieden worden ist.

Damit besteht aber materiellrechtlich kein Anspruch auf die beantragte Feststellung als Quasi-BK. Mit der BKV vom 31.10.1997 wurde die Berufskrankheit Nr. 1317 eingeführt und in § 6 Abs. 3 BKV eine Rückwirkungsregelung, die auch Ausschlusswirkung besitzt, getroffen. Leidet danach ein Versicherter am 01.12.1997 an einer Berufskrankheit nach Nr. 1317, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.12.1992 eingetreten ist. Formal unterfällt die Klägerin mit der 2001 erstmals geltend gemachten Berufskrankheit Nr. 1317, die zum Ruhensbeschluss des SG vom 18.05.2001 geführt hatte, dieser Rückwirkungsklausel. Abgesehen davon ist auch ein etwaiges "bestandsgeschütztes" Berufskrankheitsverfahren wegen einer Quasi-Berufskrankheit nicht vor der einschlägigen Rückwirkungsklausel des § 6 Abs. 3 BKV anhängig gewesen. Selbst mit dem nach Aktenlage frühestmöglichen Beginn des Verfahrens durch Anzeige der AOK am 06.11.1998 wegen der Diagnose einer MCS-Erkrankung - eine für die Berufskrankheit Nr. 1317 einschlägige Diagnose einer toxischen Enzephalopathie wurde erst im Widerspruchsverfahren gegen die Ablehnungsentscheidung vom 16.07.2000 (keine Berufskrankheit wegen einer MCS-Erkrankung) durch Vorlage der Bescheinigung von Dr. M. vom 27.10.1999 geltend gemacht - wäre eine solche Voraussetzung nicht zu begründen.

Unabhängig von der Rechtsfrage, ob über Entschädigungsleistungen durch die Beklagte anfechtbar entschieden worden ist, die Berufungen daher bereits mangels unzulässiger (Anfechtungs- und unspezifischer Leistungs-)Klagen unbegründet wären, bestehen daher auch keine Ansprüche auf Entschädigungsleistungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved