L 1 U 1921/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 U 4050/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1921/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung von Kniebeschwerden des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der Kläger ist 1963 geboren. Nach seiner Ausbildung zum Werkzeugmacher arbeitete er von 1978 bis 1985 als CNC-Facharbeiter bei der Fa. M ... Zunächst war er als Einsteller für CNC-Bearbeitungszentren tätig, teilweise im Akkord und Zweischichtbetrieb. Dabei hatte er Aluminiumgussteile an einem Bearbeitungszentrum und an der Fräsmaschine zu bearbeiten, später Graugussteile. Hebevorrichtungen waren nicht vorhanden. Seit 1985 arbeitet er als CNC-Dreher bei der Fa. V. in Vorarbeiterfunktion, hatte zeitweise zwei Bearbeitungszentren zu bedienen und mit Gussteilen zu bestücken. Diese wogen zwischen 9,35 kg und 42 kg und konnten teilweise nur mit einer Hebevorrichtung auf eine Maschine gespannt werden. Diese Maschine war über Treppenstufen auf Arbeitshöhe erreichbar, eine andere Maschine konnte nur mit einer 90Grad-Drehung aus dem Oberkörper heraus bestückt werden.

Mit Schreiben vom 26. April 2007 teilte die Krankenkasse des Klägers der Beklagten mit, es bestehe der Verdacht auf eine BK; beigefügt war der vom Kläger ausgefüllte Fragebogen. Danach habe er seit Jahren Schmerzen nach der Arbeit, teilweise auch schon nach 4-5 Stunden verrichteter Tätigkeit. Im Januar 2007 habe er über 3 Tage starke Schmerzen verspürt und sei deshalb zum Arzt gegangen. Beigefügt war das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers.

Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen auf und zog neben Auskünften der behandelnden Ärzte auch eine Auskunft des Arbeitgebers über das Tätigkeitsprofil des Klägers bei. Aktenkundig ist ein Arztbrief des Dr. H. vom 7. Mai 2001, wonach beim Kläger eine retropatellare Chondropathie beidseits bei Patelladysplasie Wiberg III rechts, Wiberg II links sowie ein Beckenschiefstand rechts vorlägen. Unter "Vorgeschichte" ist bemerkt, dass der Kläger seit langer Zeit über belastungsabhängige Schmerzen an beiden Kniegelenken klage. Weitere Unterlagen übersandte der Orthopäde Dr. K. und der Orthopäde Dr. P ...

Der um Stellungnahme gebetene Präventionsdienst der Beklagten führte unter dem 29. August 2007 aus, aufgrund der Tätigkeit als CNC-Dreher komme es nicht zu einer die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeit. Auch unterlägen Schleimbeutel im Knie, im Bereich der Ellenbogen oder der Schultergelenke keinem ständigen Druck. Es liege daher keine relevante Exposition für eine BK nach Nr. 2102 oder 2105 der Anlage 1 zur BKV vor. Die staatliche Gewerbeärztin schlug in ihrer Stellungnahme vom 27. September 2007 ebenfalls nicht die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers als BK vor, da die haftungsbegründende Wahrscheinlichkeit nicht habe wahrscheinlich gemacht werden können.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2007 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der Kniegelenkserkrankung als BK ab, ebenso deren Anerkennung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und lies durch seinen Bevollmächtigten vorbringen, das Berufsbild des Klägers sei nur unzureichend ermittelt worden. Insbesondere in der Zeit von 1978 - 1985 habe der Kläger im Akkord 10 - 20mal täglich bis zu 10 kg schleppen müssen, teilweise habe die Wegstrecke bis zu 15 m betragen. Danach habe er unterschiedliche Tätigkeiten ausgeübt, die allerdings alle schwere Hebe- und Tragearbeiten verlangt hätten, zudem eine gewisse Zeit verbunden auch mit Drehbewegungen um 90 Grad nach links mit dem Oberkörper. Diese Tätigkeiten seien kausal für die eingetretenen Schäden. Auch sei der Rückenschaden ausschließlich berufsbedingt, ebenso eine zwischenzeitlich neu hinzugekommene Immunkrankheit ("Lupus").

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Auch unter Beachtung der Angaben des Klägers seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der BK 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht erfüllt. Es fehle an Belastungen durch Hocken und Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung oder durch häufig wiederkehrende erhebliche Bewegungsbeanspruchung, insbesondere beim Laufen oder Springen, mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage oder vergleichbaren Belastungen. Auch die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII seien nicht erfüllt. Die Frage, ob die Rücken- und Lupuserkrankung Berufskrankheiten darstellten, seien nicht Gegenstand des Verfahrens.

Dagegen hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 9. Juni 2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, mit der er seinen bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft hat. Im Übrigen habe die Beklagte mittlerweile (durch ablehnende Bescheide) über die übrigen Berufskrankheiten entschieden, so dass sie in das Verfahren einbezogen werden müssten. Der Kläger hat zahlreiche Arztbriefe (ab 1997) sowie eine ausführliche Beschreibung seiner Tätigkeiten sowie der zu bewegenden Lastgewichte dem SG zur Kenntnis übersandt. Auf seinen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Dr. P., Arzt für Orthopädie, unter dem 29. März 2010 ein Gutachten erstellt. Danach leide der Kläger unter einer Kniegelenkarthralgie beidseits bei Zustand nach Innenmeniskusteilresektion beidseits, einem beginnenden tibio-femuralen und retropatellaren Knorpelschaden beider Kniegelenke sowie Lupus erydermatodes. Ob ein ursächlicher Zusammenhang bestehe, müsse zunächst einer erneuten Belastungsbewertung durch die Berufsgenossenschaft unterzogen werden.

Mit Urteil vom 11. April 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Gericht habe entsprechend des im Termin zur mündlichen Verhandlung beschränkten Antrags nur über das Bestehen einer BK nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu entscheiden. Allerdings bestehe der Anspruch auf Anerkennung der klägerischen Kniebeschwerden als BK nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht. Es könne dabei offen bleiben, ob der Kläger unter einer primären oder sekundären Meniskopathie leide. Denn jedenfalls fehle es an der rechtlich wesentlichen Verursachung durch die berufliche Tätigkeit. Denn der Kläger sei nicht mehrjährig kniebelastend tätig gewesen.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 26. April 2011 zugestellten Urteil hat dieser für den Kläger am 10. Mai 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, der Kläger habe wie Fliesenleger, Arbeiter im Bergbau oder Andere Tätigkeiten in Dauerzwangshaltungen bzw. unter häufig wiederkehrenden Bewegungsbeanspruchungen durchgeführt. Insbesondere die vom Kläger zu verrichtenden Drehbewegungen erfüllten alle Anforderungen an eine kniebelastende Tätigkeit.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. April 2011 sowie den Bescheid vom 18. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Mai 2008 aufzuheben und festzustellen, dass eine BK nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung (Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) seiner Knieerkrankung als BK nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV. Weder über die Frage, ob die Knieerkrankung wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen ist oder ob Rückenbeschwerden und eine Erkrankung des Immunsystems als BK anzuerkennen sind, hatte der Senat zu entscheiden, da der Kläger vor dem SG die Klage auf die Feststellung einer BK nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV beschränkt hat. Soweit also in den angefochtenen Bescheiden auch über das Bestehen einer sog. Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII entschieden worden ist, sind diese Bescheide teilweise bestandskräftig geworden.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VII).

In Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV sind als Krankheit erfasst Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten.

Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, kann vorliegend offen bleiben, ob beim Kläger eine primäre oder sekundäre Meniskopathie, also ein Krankheitsbild im Sinne der BK-Ziffer 2102 der Anlage 1 zur BKV überhaupt vorliegt. Denn jedenfalls ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass eine Meniskopathie - ihr Vorliegen insoweit unterstellt - auf der beruflichen Tätigkeit des Klägers wesentlich ursächlich beruht. Der Kläger hat keine kniebelastenden Tätigkeiten im Sinne dieser BK ausgeübt. Dafür genügt nicht jede Tätigkeit, die zu einer Belastung der Knie führen kann. Vielmehr sind nur solche Belastungen geeignet, wesentlich ursächlich zu einer Meniskopathie zu führen, die neben einer extremen Gelenkstellung mit einer dynamischen Belastung der Menisken durch einen unphysiologischen Bewegungsablauf einher gehen (vgl. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, M 2102 Rn. 3). Diese einschränkende Auslegung des BK-Tatbestands ist durch die historische Entwicklung bedingt, die auf einer Arbeit unter Tage beruht und für die Arbeit und Fortbewegung unter räumlich eng begrenzten Verhältnissen typisch ist. Mit einer Dauerzwangshaltung in physiologisch ungünstiger Position trifft eine "aktive Gelenkarbeit" zusammen, so dass entweder Druckkräfte entstehen, die zu einer Quetschung des Knorpelgewebes führen, Zugkräfte, die das Gewebe beanspruchen oder Scherkräfte, die eine gegenseitige Verschiebung der Gewebsschichten untereinander zur Folge haben (umfassend dazu auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010 S. 634 ff). Als im Sinne dieser BK belastend sind daher anzusehen Tätigkeiten mit statischer Belastung (Dauerzwangshaltung, insbesondere Fersensitz, Hocken und Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung) oder dynamische Belastung bei ungünstiger Gelenkstellung (vielfach wiederkehrende erhebliche Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage).

Keine der vom Kläger verrichteten und von ihm ausführlich dargestellten Tätigkeiten erfüllt diese Kriterien. Der Kläger war bzw. ist zwar durchaus kniebelastend, war bzw. ist aber jedenfalls nicht meniskusbelastend tätig.

Dies gilt für die beschriebenen Tätigkeiten bei der Fa. M. (1978 - 1985), wo der Kläger nur über 2-3 Treppenstufen die von ihm bedienten Maschinen erreichte bzw. er mit dem Oberkörper 90 Grad-Drehbewegungen durchführen musste. Keine dieser Tätigkeiten geht mit Zwangsbelastungen oder mit solchen verbundenen dynamischen Belastungen einher. Entsprechendes gilt für die Tätigkeiten, die der Kläger bei der Fa. V. zu verrichten hatte. Auch unter Beachtung der von ihm bewegten Lastgewichte ist nicht von einer Druckbelastung im og. Sinne auszugehen, wie der Kläger offenbar annimmt. Denn es kommt für die BK Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht auf einen Druck auf den Körper an sich, sondern allein darauf an, dass die Menisken in einer physiologisch ungünstigen, da "eingeklemmten" Stellung einem (weiteren) Druck ausgesetzt werden und sich daher nicht dem auf sie wirkenden Pressdruck entgegen setzen können. Auch die vom Kläger beschriebenen Drehbewegungen übte dieser nicht aus den Kniegelenken heraus aus, sondern, wie auch vom Bevollmächtigten ausgeführt, aus dem Oberkörper heraus. Inwiefern sich diese Drehbewegung auf den Menisken auswirken sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Auch die zwischen den zu bedienenden Maschinen zurückzulegenden Wegstrecken von 3-4 Metern mögen zwar auf einen ganzen Arbeitstag bezogen körperlich anstrengend gewesen sein. Es ist aber nicht ersichtlich, dass diesbezüglich unphysiologische Bewegungsabläufe erforderlich sind oder gar diese Bewegungen - vergleichbar einer Tätigkeit unter Tage oder im Fersensitz - in einer Zwangshaltung hätten ausgeführt werden müssen, die meniskusbelastend sind. Entsprechendes gilt für die Ablage von Werkstücken ("Bücken ohne Ausfallschritt"), weil ein Bezug zur Belastung des Meniskus nicht erkennbar ist und für die beschriebenen Tätigkeiten am "Bearbeitungsplatz Heller BEA 2" oder "Hitachi". Soweit der Kläger zum Arbeitsplatz "Heller BEA 2" weitere Ausführungen zum Stand des Krans vorbringt, ist ein Zusammenhang dieser Schilderungen mit der Frage der Meniskusbelastung in den Knien ebenfalls nicht ersichtlich.

Weitere Ermittlungen zu den Arbeitsbelastungen waren deshalb schon mangels Relevanz für die Frage der Meniskusbelastung nicht angezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved