L 10 U 1835/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 383/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1835/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.03.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Polyneuropathie, Vaskulitis und/oder einer Enzephalopathie als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - nachfolgend BK Nr. 1302: Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) bzw. die Feststellung dieser oder einer dieser Erkrankungen wie eine BK (nachfolgend Wie-BK, inzwischen BK Nr. 1317: Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische).

Der am 1939 geborene Kläger arbeitete ab dem Jahr 1953 zunächst als Schreinerlehrling, nachfolgend als Schreinergeselle und übernahm im Zusammenhang mit Absolvierung der Meisterprüfung den bis dahin verpachteten väterlichen Betrieb, in dem hauptsächlich Möbel hergestellt wurden. Im November 1995 trat dauerhaft Arbeitsunfähigkeit ein (Vorbringen des Klägers Bl. 57 SG-Akte S 14 RJ 325/98). Zwischenzeitlich fand eine Betriebsübergabe an den Sohn des Klägers statt (Bl. 121 LSG-Akte L 1 U 3296/99). Die damalige Landesversicherungsanstalt Baden bewilligte dem Kläger ab dem 01.02.1998 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bl. 53 SG-Akte S 14 RJ 325/98).

Im März 1986 erstattete der Praktische Arzt J. wegen Parästhesien beider Beine bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige über eine BK. Die Beklagte zog zunächst medizinische Unterlagen bei. Der behandelnde Facharzt für Innere Krankheiten Dr. P. konnte abgesehen von einer chronischen Gastritis keine gravierende organische Erkrankung finden und ging hinsichtlich der vom Kläger geschilderten Beschwerden an den Beinen von einem überwiegend psychosomatisch bedingten Beschwerdebild aus. Soweit der Kläger selbst dieses auf eine langjährige Lack- und Lösungsmittelexposition zurückführte, sah Dr. P. , da der Kläger das Auftreten von Sensationen in den Beinen bereits beim Öffnen einer Pattex-Dose geschildert habe, eine psychische Fixierung (Arztbriefe Bl. 130, 135 VA). Im Jahr 1988 wurde von den behandelnden Ärzten im Universitätsklinikum T. (UKT) die Verdachtsdiagnose einer Polyneuropathie gestellt (Bl. 139 VA). Eine zumindest teilweise Erklärung der vom Kläger vorgetragenen Beschwerden sahen sie in der bei ihm bestehenden chronisch-venösen Insuffizienz (Diagnose Bl. 139 VA: Varikosis beidseits), die keine BK ist (bestandskräftiger Bescheid der Beklagten vom 28.01.1998, Bl. 370 SG-Akte S 8 U 2110/92).

Daraufhin holte die Beklagte im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren mehrere Gutachten ein. Prof. Dr. V. (Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität E.-N. ) bestätigte gutachtlich (Bl. 96 ff. VA) anhand der von ihm im Juli 1988 erhobenen Befunde das Vorliegen einer massiven Varikosis beider Beine mit Zeichen einer chronischen venösen Insuffizienz und erklärte damit die an den Varixknoten vom Kläger geklagten Sensibilitätsstörungen. Für eine Polyneuropathie wesentliche klinische Zeichen, wie ein pathologischer Eigenreflex und Paresen, konnte er beim Kläger - auch unter Berücksichtigung der zuvor im UKT erhobenen Befunde - nicht finden (Bl. 115 VA). Nachdem PD Dr. R. (Chefarzt der Neurologischen Klinik der Krankenanstalten des Landkreises L. ) im Januar/Februar 1990 in seinem neurologischen Gutachten wegen in erster Linie bestehender Reizerscheinungen, aber auch Ausfallerscheinungen mit Beeinträchtigung der Nervenleitgeschwindigkeit sowie sensibler und vegetativer Symptome doch eine Polyneuropathie diagnostiziert hatte (Bl. 205 VA), stellte der weitere Gutachter Prof. Dr. B. (Leiter des Instituts Arbeitsmedizin der Universität des S. ) im September 1991 diese Diagnose wieder in Frage und verwies differentialdiagnostisch erneut auf einen Folgezustand der chronisch venösen Insuffizienz (Bl. 293 VA). Konzentrationsstörungen und depressive Verstimmungszustände ordnete er einem neurologisch-psychiatrisch unklaren Symptomkomplex zu. OA Dr. M. fand in dem in diesem Zusammenhang erstellten elektromyographischen Zusatzgutachten allenfalls "diskrete Hinweise" auf eine axonale Neuropathie (Bl. 309 VA) und empfahl im elektroencephalographischen Zusatzgutachten wegen Unregelmäßigkeiten eine weitere Abklärung (Bl. 304 VA). Prof. Dr. H. (Leitender OA der Nerven- und Poliklinik der Universitätskliniken des S. ) konnte dagegen in seinem neurologischen Zusatzgutachten auf Grund der von ihm und vom Dipl.-Psych. K. im September und Oktober 1991 erhobenen Befunde weder das Vorliegen einer Polyneuropathie noch einer hirnorganischen Leistungsminderung im Sinne einer toxischen Enzephalopathie sichern und hielt die vom Kläger geschilderten Beinbeschwerden für Folgeerscheinungen des Krampfaderleidens (Bl. 361 VA). Auch Prof. Dr. K. (Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der J. G.-Universität M. ) ging in dem im Juni 1992 nach Aktenlage erstellten Gutachten von keinem beruflichen Zusammenhang aus. Die ihm vorgelegten neurophysiologischen Messwerte hielt er lediglich einmal für auffällig und stufte vorausgegangene bzw. folgende Messungen als im Normbereich liegend bzw., bei einem zudem fehlenden eindeutigen Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik, allenfalls als grenzwertig ein (Bl. 412 VA).

Im Januar 1987 veranlasste die Beklagte eine Betriebsbesichtigung durch den Technischen Aussichtsdienst (TAD). Der TAD-Mitarbeiter H. berichtete, nach den Angaben des Klägers werde ca. drei Tage im Monat in einem nicht vorschriftsmäßigen Lackierraum, der über eine Trocken-Absauganlage von sehr geringem Wirkungsgrad verfüge, lackiert (Bl. 52 VA). Im März 1988 nahm der TAD Gefahrstoffmessungen vor (Bl. 67, 83 VA); die verwendeten organischen Lösemittel lagen dabei deutlich unterhalb der gültigen maximalen Arbeitsplatzkonzentration (zusammenfassend Prof. Dr. V. , Bl. 117 VA). Zum selben Ergebnis gelangte der TAD-Mitarbeiter Dr. Sch. während des ersten Klageverfahrens auf der Grundlage von Angaben des Klägers über den Lack- und Lösemittelverbrauch in den Jahren 1953 bis 1996 im Rahmen einer "Worst-Case-Betrachtung" (Bl. 292 SG-Akte S 8 U 2110/92).

Mit Bescheid vom 12.10.1988 (Bl. 146 VA) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.1992 (Bl. 418 VA) lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab, da weder eine der in der Anlage 1 der BKV genannten Erkrankungen noch eine wie eine BK zu entschädigende Krankheit vorliege. Die Beklagte führte zur Begründung aus, durch die Untersuchungen sei weder das Vorliegen einer toxischen Polyneuropathie noch einer toxischen hirnorganischen Schädigung nachgewiesen worden. Hierbei werde grundsätzlich unterstellt, dass der Kläger geringfügig bis mäßiggradig einer Reihe von flüchtigen chemischen Schadstoffen, die grundsätzlich neurotoxisch wirken könnten, ausgesetzt war.

Im nachfolgenden Klageverfahren (S 8 U 2110/92 - auf diese Akte beziehen sich die nachfolgenden Fundstellen) berief sich der Kläger u.a. auf den Arztbrief des Neurologen Dr. D. vom Juni 1994 (Bl. 61, Diagnose: "am ehesten axonale Polyneuropathie"), ferner auf den Arztbrief des Nervenarztes Dr. B. (Bl. 197 ff., Diagnose: Polyneuropathie, Myopathie, extrapyramidale Schäden, schwere Leistungs- und Wesensänderung durch lebenslange Arbeit mit toxischen Arbeitsstoffen) und auf das Attest des Dermatologen und Umweltmediziners Dr. M. (Bl. 360 f.), der u.a. vom Vorliegen einer toxischen Enzephalopathie und einer Polyneuropathie ausging. Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) befragte die behandelnden Ärzte des Kläger als sachverständige Zeugen und beauftragte den Ärztlichen Direktor an der Neurologischen Klinik des UKT Prof. Dr. D. mit der Erstellung eines neurologischen Gutachtens sowie den Direktor der Hautklinik im Klinikum M. - Universitätsklinikum - Prof. Dr. J. mit der Erstellung eines dermatologischen Gutachtens. Prof. Dr. D. hielt die von ihm im April 1997 erhobenen Befunde mit der teilweise vermuteten diskreten axonalen Polyneuropathie zwar für vereinbar, konnte eine solche bei der elektrophysiologischen Kontrolluntersuchung jedoch nicht zweifelsfrei bestätigen. Auf dem neurologischen Fachgebiet sah er keine wesentlichen erwerbsmindernden Erkrankungen (Bl. 331, 333 SG-Akte). Prof. Dr. J. beschrieb u.a. eine Varikosis und Stauungszeichen in der Knöchelregion, fand jedoch auch nach einer Medline-Recherche keinen Zusammenhang mit einer Lösemittelexposition. In der von Dr. B. zur Verfügung gestellten Literatur sei lediglich eine Vaskulitis, ausgelöst durch Lösemittelexposition, aufgeführt. Beim Kläger liege jedoch, wie durch eine Probeexzision aus der Knöchelregion zu schließen sei, keine Vaskulitis vor (Bl. 406, 409 SG-Akte).

Mit Urteil vom 11.11.1998 wies das SG die Klage ab. Im anschließenden Berufungsverfahren (L 1 U 3296/99) vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) wurde auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Leitende Arzt am Fachkrankenhaus N. (Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik, Abhängigkeitserkrankungen, Umweltmedizin und Rehabilitation) Dr. Sch. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt. Dieser diagnostizierte beim Kläger unter Einbeziehung einer neuropsychologischen Untersuchung durch den Dipl.-Psych. St. u.a. eine Enzephalopathie Schweregrad IIa und eine beginnende Small-Fibre-Polyneuropathie, die er - neben weiteren diagnostizierten Störungen - mit Wahrscheinlichkeit auf die jahrelange berufliche Exposition mit verschiedenen Lösemitteln sowie Pestiziden zurückführte.

Die Beklagte reichte die beratungsfachärztliche Stellungnahme des Dipl.-Psych. und Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. M. ein. Dieser sah eine hirnorganische Schädigung und Leistungsminderung - und damit eine Enzephalopathie - durch die von Dipl.-Psych. St. durchgeführten mitarbeitsabhängigen Tests nicht als belegt an. Ferner fehle eine ausgeprägte dauerhafte Wesensänderung. Auch eine Small-Fibre-Polyneuropathie hielt er für nicht belegt (Bl. 163 ff. LSG-Akte).

Mit rechtskräftigem Urteil vom 17.10.2003 wies das LSG die Berufung zurück, da schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BKen 1302, 1303, 1306, 1310, 1314 und 1315 sowie für die Feststellung einer Wie-BK nicht erfüllt seien. Ergänzend wies der Senat darauf hin, eine Polyneuropathie sei nach Dr. Sch. in Übereinstimmung mit dem Gutachten von Prof. Dr. V. und PD Dr. R. schon vor dem 31.12.1992 anzunehmen und damit nach der nicht streitgegenständlichen BK Nr. 1317 nicht zu entschädigen, da der Versicherungsfall nicht nach dem 31.12.1992 eingetreten wäre. Das Vorliegen einer Enzephalopathie sei ungewiss und ggf. unter Berücksichtigung des Expositionsendes 1995 nicht mehr relevant.

Mit Schreiben vom 30.05.2006 beantragte der Kläger unter Hinweis auf aus seiner Sicht das Vorliegen einer axonalen Neuropathie sowie Polyneuropathie bestätigende Untersuchungen, neuere medizinische Erkenntnisse sowie unter Hinweis auf das neu erstellte Merkblatt zur BK Nr. 1317 eine erneute Prüfung (Bl. 1114 VA). Im späteren Widerspruchsverfahren verwies er zudem auf die Folgen des Zusammenwirkens verschiedener Stoffe sowie auf Arztbriefe des Radiologen Dr. H. (Durchführung einer Positronen-Emissions-Tomographie des ZNS zum Nachweis einer Glukose-Utilisationsstörung, Bl. 1135 VA), ein Attest des Urologen Dr. F. (Diagnose u.a. Polyneuropathie, Bl. 1139 VA) und einen Arztbrief des Neurologen Dr. J. (das Vorliegen einer lösungsmittelinduzierten Polyneuropathie sei durchaus möglich, Bl. 1140 VA).

Mit Bescheid vom 12.06.2006 (Bl. 1116 VA) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2006 (Bl. 1146 VA) lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 12.10.1988 ab. Die Begründung erfolgte allein unter dem Blickwinkel einer Exposition gemäß der BK Nr. 1317. Zwar sei das Merkblatt zur BK Nr. 1317 im Jahr 2005 aktualisiert worden. Neu sei im Wesentlichen die Aussage, dass es bei den Krankheiten des zentralen und peripheren Nervensystems nicht nur Besserungen, sondern auch ein Persistieren des Krankheitszustandes oder sogar Verschlechterungen nach Beendigung der Lösungsmittelexposition möglich seien. Nachdem jedoch beim Kläger, wie vom Landessozialgericht entschieden, schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorlägen, seien diese neuen Erkenntnisse ohne Bedeutung. Es fehle auch an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Wechselwirkungen der verschiedenen Arbeitsstoffe.

Deswegen hat der Kläger am 22.01.2007 beim SG Klage erhoben. Er hat u.a. ein Attest des Facharztes für Pharmakologie und Toxikologie am Diagnostik- und Therapiezentrum für umweltmedizinische Erkrankungen Prof. Dr. B. (Diagnosen: Verdacht auf toxisch bedingte Enzephalopathie, Verdacht auf toxische Polyneuropathie, Bl. 16 SG-Akte) vorgelegt.

Mit Urteil vom 18.03.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 12.10.1988 sei nicht rechtswidrig gewesen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit hätte vorausgesetzt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Erkrankung im Sinne einer Polyneuropathie und/oder Enzephalopathie nachgewiesen sei, was jedoch nicht der Fall sei. Daher könne ungeprüft bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen die geltend gemachten Erkrankungen als Wie-BK anzuerkennen und ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien.

Gegen das ihm am 09.04.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.04.2008 Berufung eingelegt. Der Kläger geht vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen aus und verlangt im Zweifel Beweiserhebungen zu der Frage, welchen Arbeitsstoffen er in seinem Betrieb ausgesetzt war. Die Gutachten, in denen eine toxische Polyneuropathie oder Enzephalopathie nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurden, hält er für "gezinkt" (Bl. 19 LSG-Akte). Er hat weitere medizinische Unterlagen vorgelegt. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie im Medizinischen Versorgungszentrum P. Dr. G. hat im Arztbrief vom August 2006 als Diagnose einen "klinisch distal symmetrischen Verdacht auf axonale Polyneuropathie der Beine, Fallneigung nach rechts" angegeben (Bl. 57 LSG-Akte). Der Leiter der Humantoxikologischen Recherche der Initiative kritischer Umweltgeschädigter e.V. R. ist nach einer "humantoxikologischen Evaluierung" der Akte des Klägers von einem schulmedizinischen korrekten Nachweis einer Polyneuropathie und einer Enzephalopathie, die, da eine alternative Ursache nicht habe ermittelt werden können, auf die berufsbedingte Lösungsmittelexposition zurückzuführen seien, ausgegangen (Bl. 70 ff. LSG-Akte). Prof. Dr. S. (Chefarzt der Medizinischen Klinik I Gastroenterologie, Endokrinologie und Diabetologie der St. V. K. ) hat in einem Arztbrief vom Mai 2010 im Zusammenhang mit der Abklärung einer Schilddrüsenerkrankung eine als sonstige Vorerkrankungen bekannte subcortikale arteriosklerotische Enzephalopathie erwähnt (Bl. 118 LSG-Akte). Oberarzt Dr. K. (Klinik für Urologie im Klinikum P. ) hat in einem im Zusammenhang mit einer Nierentumorerkrankung erstellten Arztbrief vom Juli 2010 als Diagnose eine Polyneuropathie aufgeführt (Bl.121 LSG-Akte).

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.03.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2006 zu verurteilen, die bei ihm vorliegenden Erkrankungen einer Polyneuropathie, einer Vaskulitis und einer Enzephalopathie - gegebenenfalls unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 12.10.1988 - als Berufskrankheit nach BK Nr. 1302 bzw. 1317 (§ 551 Abs. 1 RVO) und einer Wie-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen, hilfsweise weitere Ermittlungen zu den arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen zu den BKen 1302 und 1317 vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte sieht auch durch die Ausführungen von Dr. G. und Herrn R. das Vorliegen einer Polyneuropathie bzw. Enzephalopathie als nicht belegt an.

In den Jahren 2010/2011 sind beim Kläger ein Nierentumor, nachfolgend ein Darmtumor festgestellt worden, für die gesonderte BK-Verfahren geführt werden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten der vorangegangenen Verfahren (S 8 U 2110/92, L 1 U 3296/99, S 14 RJ 325/98) verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Alleiniger Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2006. Dieser Bescheid erging auf Grund des vom Kläger im Hinblick auf den Bescheid vom 12.10.1988 (Widerspruchsbescheid vom 24.08.1992) gestellten Überprüfungsantrag, den er mit dem Hinweis auf neuere medizinische Erkenntnisse und das neu erstellte Merkblatt zur BK Nr. 1317 unter ausschließlicher und ausdrücklicher Bezugnahme auf die aus seiner Sicht vorliegenden Krankheitsbilder einer axonalen Neuropathie und Polyneuropathie begründete. Entsprechend entschied die Beklagte im Bescheid vom 12.06.2006, wie sich auch aus dessen Begründung ergibt, inhaltlich allein zu den Voraussetzungen der BK Nr. 1317. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Entscheidung unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) der im Bescheid vom 12.10.1988 bezogen auf diese Krankheitsbilder erfolgten Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK gemäß § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) oder als originäre Entscheidung über die Anerkennung der nach Erlass des Bescheids vom 12.10.1988 erfolgten Einführung der BK Nr. 1317 zu sehen ist (im ersteren Fall als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage vgl. Urteil des Senats vom 15.10.2009, L 10 U 171/09; im zweiten Fall als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage). Denn in beiden Fällen ist für eine dem Kläger günstige Entscheidung der Nachweis des Vorliegens einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie Voraussetzung, der hier zur Überzeugung des Senats nicht geführt ist.

Kein zulässiger Streitgegenstand sind die BK Nr. 1302 und das Krankheitsbild einer Vaskulitis. Hierzu wurde das mit dem Überprüfungsantrag des Klägers eingeleitete Verwaltungsverfahren nicht geführt, die streitgegenständlichen Bescheide enthalten hierzu keine gerichtlich überprüfbaren Regelungen. Soweit sich die Anträge des Klägers auf diese BK und diese Erkrankung beziehen ist die Berufung gegen das abweisende Urteil des Sozialgerichts schon deswegen unbegründet, weil die Klage bereits unzulässig ist. Denn die Inanspruchnahme der Gerichte setzt voraus, dass über das streitige Begehren zunächst eine Verwaltungsentscheidung herbeigeführt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006, B 2 U 77/06 B in SozR 4-1500 § 55 Nr. 4).

Die Gewährung einer Verletztenrente - über die im angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht entschieden wurde - hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht. Die Karzinomerkrankungen des Klägers sind - auch nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten - ebenfalls nicht Gegenstand des hier vorliegenden Verfahrens.

Der Kläger erfüllt weder die Voraussetzungen der BK 1317 noch die Voraussetzungen für die Annahme einer entsprechenden Wie-BK für den Zeitraum, der vor dem Anwendungsbereich der BK 1317 liegt.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) bzw. § 551 Abs. 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII (§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO) begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII, § 551 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz RVO). Hierzu zählen nach der im Oktober 1997 mit Rückwirkung für ab dem 31.12.1992 eingetretene Versicherungsfälle (§ 6 Abs. 3 BKV) eingefügten BK Nr. 1317 die Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

Soweit hier - wie dargestellt - im Hinblick auf einen in Betracht kommenden Eintritt des Versicherungsfalls vor dem 31.12.1992 ein Anspruch auf Anerkennung einer Erkrankung wie eine BK (Wie-BK) in Betracht zu ziehen ist, ist Gegenstand der Prüfung - wie ausgeführt - ein Anspruch nach § 44 SGB X auf (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 12.10.1988, soweit dieser die Anerkennung dieser Wie-BK ablehnte. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich die Prüfung des Anspruchs des Klägers auf eine Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ablehnung nach § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB X zu richten hat. Voraussetzung wäre in beiden Fällen, dass die Beklagte von einem unrichtigen Sachverhalt ausging. Das ist hier nicht der Fall. Maßgebend sind insoweit die bis zum 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der als entschädigungspflichtig geltend gemachte Versicherungsfall vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 01.01.1997 eintrat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG), § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der nach den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherten Tätigkeit als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen (sog. gruppentypische Risikoerhöhung). Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer Generalklausel erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 20/01 R m.w.N.). Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten.

Voraussetzung für die Anerkennung und ggf. Entschädigung einer Erkrankung als (Wie-)BK durch einen Listenstoff (hier: organische Lösungsmittel oder deren Gemische) ist zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht.

Unter Beachtung dieser Kriterien scheitert das Begehren des Klägers sowohl unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung des Vorliegens einer Wie-BK (s.o.) als auch unter dem Gesichtspunkt der originären Feststellung der BK Nr. 1317 daran, dass - wie schon vom SG zutreffend dargestellt - das Vorliegen einer Polyneuropathie und/oder einer Enzephalopathie nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist.

Schon Prof. Dr. V. wies - für den Senat nachvollziehbar - darauf hin, dass die vom Kläger geschilderten Beschwerden beim Fehlen von für eine Polyneuropathie wesentlicher klinischer Zeichen durch die massive Varikosis (s. auch die vom Kläger eingereichten Bilder Bl. 63 SG-Akte S 2 U 2110/92) erklärbar sind und diagnostizierte daher in konsequenter Weise keine Polyneuropathie (s. Bl. 113 VA, unrichtig insoweit das Urteil des 1. Senats vom 17.10.2003, S. 8). Soweit PD Dr. R. eine distal betonte symmetrische Polyneuropathie diagnostizierte, konnte dies anlässlich der nachfolgenden gutachterlichen Untersuchungen durch Prof. Dr. B. , Prof. Dr. H. und Prof. Dr. D. gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestätigt werden. Prof. Dr. B. hielt das Vorliegen einer Polyneuropathie für fraglich und verwies als Differenzialdiagnose ebenfalls auf einen Folgezustand nach chronisch venöser Insuffizienz. Prof. Dr. H. vertrat wie schon Prof. Dr. V. die Ansicht, dass wesentliche Zeichen einer Polyneuropathie fehlen und sich die Beschwerden durch die Varikosis erklären lassen. Prof. Dr. D. sah zwar Hinweise auf eine "allenfalls diskrete sensible axonale Polyneuropathie". Die von ihm erhobenen Befunde hielt er mit einer solchen Erkrankung auch für vereinbar, wies jedoch klar darauf hin, dass sich diese Erkrankung bei der Kontrolluntersuchung elektrophysiologisch nicht zweifelsfrei bestätigen ließ. Für die von ihm gemessenen, erniedrigten Stimulationspotenziale des Nervus Soralis sah er eine mögliche alleinige Ursache in den zum Untersuchungszeitpunkt ödematösen Beinen. Auch Prof. Dr. K. gelangte auf der Grundlage der vorhandenen medizinischen Unterlagen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Diagnose einer Polyneuropathie nicht gesichert ist. In der Gesamtschau hatten damit Leitende Verantwortliche von drei Instituten für Arbeits- und/oder Sozialmedizin verschiedener Universitäten (E.-N. , S. , M. ) genauso wie Leitende Ärzte an zwei Universitätskliniken (S. , T. ) Zweifel am Vorliegen einer Polyneuropathie, die für den Senat durch die abweichenden Auffassungen des Chefarztes an den Krankenanstalten des Landkreises L. PD Dr. R. und des Leitenden Arztes am Fachkrankenhaus N. Dr. Sch. nicht ausgeräumt werden. Hinsichtlich der gutachtlichen Auffassung von PD Dr. R. ist bereits darauf hingewiesen, dass die von ihm gestellte Diagnose einer Polyneuropathie in den nachfolgend eingeholten Gutachten, insbesondere durch Prof. Dr. D. nicht sicher bestätigt werden konnte. Zum Gutachten von Dr. Sch. ist anzumerken, dass er zwar bei den Diagnosen eine "beginnende Small-Fibre-Polyneuropathie" aufführte und insoweit sowohl seine klinische als auch seine elektrophysiologische Befunderhebung zu Grunde legte. Allerdings sah er seine Befunde, wie er selbst ausführte, im Wesentlichen übereinstimmend mit den Vorgutachtern und ausdrücklicher Nennung von Prof. Dr. D. nur als Hinweise für eine beginnende sogenannte Small-Fibre-Neuropathie (Bl.139 LSG-Akte). Ein Hinweis auf eine Erkrankung ersetzt jedoch keine sichere Diagnose. Insoweit ist für den Senat der beratungsärztliche Einwand von Prof. Dr. Meyer (Bl. 169 LSG-Akte), dass die von Dr. Sch. mitgeteilten klinisch-neurologisch und apparativ-neurophysiologischen Befunde für die Feststellung einer Small-Fibre-Neuropathie nicht ausreichen, überzeugend.

Im Übrigen teilt der Senat in keiner Weise die Auffassung des Klägers, dass hier mehrere Leitende Ärzte bzw. Institutsleiter deutscher Universitäten zu seinem Nachteil Gutachten "gezinkt" haben. Hierfür liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.

Die vom Senat vor allem angesichts der Varikosiserkrankung des Klägers als nicht ausgeräumt angesehenen Zweifel am Vorliegen einer Polyneuropathie tauchen wiederholt auch in den Berichten der behandelnden Ärzte des Klägers auf. Schon im Jahr 1988 stellten die damals noch als solche in Anspruch genommenen behandelnden Ärzte im UKT nur die Verdachtsdiagnose einer Polyneuropathie und verwiesen auf eine teilweise Erklärung der vom Kläger vorgetragenen Beschwerden durch die chronisch-venöse Insuffizienz. Dr. D. stellte im Juni 1994 ebenfalls keine eindeutige Diagnose, sondern ging "am ehesten" von einer axonalen Polyneuropathie aus. Der Neurologe Dr. J. hielt im September 2006 das Vorliegen einer lösungsmittelinduzierten Polyneuropathie ebenfalls nur für "durchaus möglich" (Bl. 1141 VA). Schließlich lässt sich auch dem Arztbrief von Dr. G. vom August 2008 (Bl. 57 LSG-Akte) nur entnehmen, dass er zusammenfassend nur einen Verdacht auf das Vorliegen einer axonalen Polyneuropathie hatte. Dies, obwohl er diese Diagnose anhand der gemessenen Nervenleitgeschwindigkeiten - freilich, wie sich aus dem neurologischen Befund ergibt, bei Bestehen leichter Ödeme beider Unterschenkel (vgl. hierzu das Gutachten von Prof. Dr. D. , der auf einen Einfluss von Ödemen auf Messwerte hinwies, Bl. 332 SG-Akte S 2 U 2110/98) - bestätigt sah.

Soweit sich der Kläger auf Äußerungen von ihm hinzugezogener Experten beruft, kann sich der Senat auch auf Grund dieser Äußerungen nicht vom Vorliegen einer Polyneuropathie überzeugen. Prof. Dr. B. stellte im Dezember 2006 nach Durchsicht der ihm überlassenen Unterlagen lediglich Verdachtsdiagnosen (Bl. 16 SG-Akte). Herrn R. fehlt es als Nichtmediziner an der fachlichen Kompetenz zur Diagnostizierung von Erkrankungen. Letztlich hat er auch nicht selbst eine Diagnose gestellt, sondern ist - wie sich aus den bisherigen umfassenden Ausführungen ergibt - zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Polyneuropathie (zur Enzephalopathie s.u.) schulmedizinisch korrekt nachgewiesen sei. Die Ausführungen von Dr. B. überzeugen ebenfalls nicht. In seinem Arztbrief vom September 1995 (Bl. 197 SG-Akte S 2 U 2110/92) diagnostizierte er eine Polyneuropathie, ohne sich auch nur im Ansatz mit der dargestellten Abgrenzungsproblematik zu den Beschwerden auf Grund der Varikosis auseinanderzusetzen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass Dr. B. die Diagnose, beispielsweise durch elektrophysiologische Untersuchungen, hinreichend sicherte. Seinem neurologischen Befund ist vielmehr zu entnehmen, dass er allein auf Grund der Schilderung einer handschuh- und sockenförmigen Hypästhesie und Hyperpathie auf das Vorliegen einer Polyneuropathie schloss.

Soweit in Arztbriefen der behandelnden Urologen Dr. F. (Bl. 1139 VA) und Dr. K. (Bl. 121 LSG-Akte) die Diagnose Polyneuropathie aufgeführt ist, geht der Senat angesichts der von diesen Ärzten fachfremd gestellten Diagnose davon aus, dass es sich lediglich um die Wiedergabe anamnestischer Angaben des Klägers handelt.

In der Zusammenschau ist damit eine Polyneuropathie nicht nachgewiesen.

Gleiches gilt für die Enzephalopathie. Für das Vorliegen hirnorganisch bedingter Leistungsminderungen und somit einer Enzephalopathie fand Prof. Dr. H. unter Einbeziehung der psychologischen Zusatzbegutachtung durch den Dipl.-Psych. K. keine Hinweise (Bl. 355 VA). Prof. Dr. D. sah die subjektiv wahrgenommenen Konzentrationsstörungen als ungeklärt, wies jedoch darauf hin, dass bei einer Vielzahl von Voruntersuchungen auch diesbezüglich keine signifikanten Auffälligkeiten festgestellt wurden und auch seine allgemein-ärztliche Untersuchung unauffällig geblieben ist (Bl 331 SG-Akte). Soweit Dr. Sch. unter Einbeziehung der Befunde, die vom Dipl.-Psych. St. erhoben wurden, von einer belegten hirnorganischen Schädigung ausging, überzeugt dies den Senat nicht. Beratungsärztlich wies Prof. Dr. M. (Bl. 166 LSG-Akte) nachvollziehbar darauf hin, dass die vom Dipl.-Psych. St. erhobenen Testergebnisse wenig besagen, da er nicht versuchte, auch das Befinden, das Erleben und Verhalten zur Abgrenzung leistungsmindernder psychoreaktiver Faktoren und/oder zweckgerichteter Tendenzen zu erfassen. Zudem beinhaltet - so Prof. Dr. M. - die Diagnose einer toxischen Enzephalopathie Schweregrad IIa (wie von Dr. Sch. diagnostiziert) eine ausgeprägte und dauerhafte Persönlichkeitsveränderung mit erheblicher Merk- und Konzentrationsschwäche sowie Antriebs- und Affektstörungen. Solche Störungen wurden aber von Dr. Sch. bzw. vom Dipl.-Psych. St. - so wiederum Prof. Dr. M. - weder beschrieben, noch sind sie nach den mitgeteilten Ergebnissen sonst anzunehmen. Hinsichtlich dieses Arguments ist ohne Bedeutung, dass Prof. Dr. M. nachfolgend entgegen der neueren Erkenntnisse zur Entwicklung toxischer Enzephalopathien noch annahm, dass diese nach Expositionskarenz nicht fortschreitend verlaufen können. Zudem sind, wie Prof. Dr. H. überzeugend bemerkte, Testergebnisse - wie sie Dipl.-Psych. St. im Wesentlichen erhob - kritisch zu hinterfragen. Dipl.-Psych. K. wies im Rahmen seiner Befunderhebung auf ein deutliches Nachlassen der Motivation des Klägers, eine Rigidität im Denken und eine Fixierung auf seine Beschwerden und eine nicht stets vorhandene Kooperationsbereitschaft sowie Anhaltspunkte für eine querulatorische Entwicklung hin. Entsprechend überzeugt den Senat auch die von Dr. M. im vorgelegten Attest vom Januar 1998 (Bl. 360 SG-Akte) gestellte Diagnose einer toxischen Enzephalopathie nicht. Insbesondere fehlt in diesem Attest, in dem u.a. das Ergebnis einer SPECT-Hirnstamm-Rezeptor-Szinthigraphie wiedergegeben ist, die Wiedergabe eines die Diagnose stützenden psychopathologischen Befunds (siehe Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung, M 1317, S. 5). Soweit der Neurologe Dr. J. (Bl. 1141 VA) anhand testpsychologischer Befunde im September 2006 eine leichte kognitive Einschränkung diagnostizierte, hat er dies, wie vom SG zutreffend bemerkt, nicht weiter zugeordnet und im Übrigen auf eine Verlaufskontrolle verwiesen. Insoweit wurden im zeitlich nachfolgenden Attest vom August 2008 vom Neurologen Dr. G. kognitive Einschränkungen aber gerade nicht mehr dargestellt (Bl. 57 ff. LSG-Akte). Prof. Dr. B. erwähnte eine Enzephalopathie, wie schon die Polyneuropathie (s.o.) nur als Verdachtsdiagnose. Soweit Prof. Dr. S. im Mai 2010 fachfremd eine Enzephalopathie als Vorerkrankung aufgelistet hat, geht der Senat auch hier davon aus, dass dies nicht auf eigenen Befunderhebungen, sondern auf der Wiedergabe anamnestischer Angaben beruht hat.

Die hier bestehenden Zweifel am Vorliegen einer Polyneuropathie und/oder Enzephalopathie sieht der Senat im Einklang mit der schon in den Jahren 1986 und 1987 vom damaligen behandelnden Arzt Dr. P. vertretenen Auffassung, dass der Kläger an einem überwiegend psychosomatisch bedingten Beschwerdebild mit einer psychischen Fixierung auf die Verursachung durch eine Lack- und Lösungsmittelexposition leidet.

Da die Krankheitsbilder einer Polyneuropathie und/oder Enzephalopathie nicht nachgewiesen sind, kommt es - wie vom SG zutreffend ausgeführt - nicht darauf an, wann die vom Kläger in diesem Zusammenhang geltend gemachten Beschwerden erstmalig auftraten und ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind.

Weitere Ermittlungen sind, nachdem umfassend Gutachten erstellt und medizinische Unterlagen beigezogen wurden, nicht erforderlich gewesen. Den diesbezüglichen Antrag des Klägers lehnt der Senat ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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