L 8 SB 3137/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 6086/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3137/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Dem Kläger werden Verschuldenskosten in Höhe von 225 EUR auferlegt.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.

Bei dem 1946 geborenen Kläger stellte das Landratsamt B. - Versorgungsamt in S. - (VA) zuletzt mit Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt - vom 22.05.2006 entsprechend gutachtlicher Stellungnahmen seines ärztlichen Dienstes wegen einer Enddarmerkrankung in Heilungsbewährung, Stuhlinkontinenz (Teil-GdB 90), einer Gebrauchseinschränkung beider Beine, Polyneuropathie, chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 50) sowie eine Entleerungsstörung der Harnblase, erektile Dysfunktion (Teil-GdB 20) den Gesamt-GdB mit 100 sowie eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G") jeweils seit dem 04.01.2006 fest. Grundlage dieser Entscheidungen waren (u.a.) Arztbriefe des S. Krankenhauses S. vom 18.08.2005, 31.08.2005, 29.09.2005, 25.10.2005, 25.11.2005 und 09.12.2005, des Universitätsklinikums T. vom 18.07.2005 und 26.07.2005 sowie des Prof. Dr. He. vom 27.03.2006. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 06.03.2006, mit dem der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geltend machte, blieb ohne Erfolg.

Wegen der Nichtzuerkennung des Merkzeichens "aG" erhob der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage (S 18 SB 4113/06). Das SG hörte die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie E. (Stellungnahme vom 11.07.2006), den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. J. (Stellungnahme vom 18.07.2006 unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen und vom 28.11.2006), den Chirurgen Dr. Kö. (Stellungnahme vom 21.08.2006), den Internisten Dr. St. (Stellungnahme vom 22.10.2006 unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen) sowie den Chirurgen Prof. Dr. He. (Stellungnahme vom 15.12.2006) schriftlich als sachverständige Zeugen an, die, mit Ausnahme des Dr. J. , beim Kläger das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht bestätigten. Mit Urteil vom 26.04.2007 wurde die Klage des Klägers vom SG abgewiesen.

Hiergegen legte der Kläger beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung ein (L 6 SB 3276/07). Er machte geltend, sein Gehvermögen sei insbesondere aufgrund einer Polyneuropathie mit Kompartmentsyndrom verstärkt durch seine Darmerkrankung mit Stuhl- und Harninkontinenz außergewöhnlich eingeschränkt und berief sich auf eine hochgradige Verschlimmerung eines Hüftgelenksleidens, wozu er den Bericht des Klinikums S.-B. vom 07.08.2007 vorlegte (Diagnose u.a. akute Osteomyelitis linkes Sakroiliakalgelenk). Mit rechtskräftigem Urteil vom 13.03.2008 wurde die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, durch die sich auf das Gehvermögen auswirkende Polyneuropathie werde der Kläger in seiner Gehfähigkeit nicht praktisch vom ersten Schritt an erheblich beeinträchtigt. Der abweichenden Einschätzung von Dr. J. könne nicht gefolgt werden. Die ferner bestehende Harn- und Stuhlinkontinenz führe ebenfalls nicht dazu, dass die Gehfähigkeit des Klägers außergewöhnlich eingeschränkt wäre. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien auch nicht aufgrund der operativ behandelnden Osteomyelitis des linken Sakroiliakalgelenks gegeben. Durch die Osteomyelitis sei eine anhaltende Funktionseinschränkung über sechs Monate hinaus nicht anzunehmen.

Am 08.12.2008 beantragte der Kläger beim VA erneut die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Das VA nahm medizinische Befundunterlagen zu den Akten (Berichte des Klinikums S.-B. vom 25.02.2008 und ohne Datum, Dr. W. vom 12.08.2008 und 26.08.2008, Dr. K. vom 14.08.2008 sowie Dr. B. vom 20.10.2008). Nach versorgungsärztlicher Auswertung (gutachtliche Stellungnahme Dr. L. vom 28.12.2008) entsprach das VA mit Bescheid vom 22.01.2009 dem Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "aG" nicht.

Gegen den Bescheid vom 22.01.2009 legte der Kläger am 23.02.2009 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, das VA verkenne die Schwere seiner vielfältigen Funktionseinschränkungen durch den Zustand nach Rectum-Karzinom, chronische Stuhlinkontinenz, schwere Polyneuropathie beider Beine u.a.m. Er berief sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Das VA holte die ärztlichen Befundscheine von Dr. J. vom 27.05.2009, der beim Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen zur Erteilung der Merkzeichen "G", "aG", "B", "H" und "RF" bejahte und ärztliche Berichte von Dr. B. vom 13.01.2009, Dr. S. vom 12.01.2009 und Dr. P. vom 06.04.2009 beifügte sowie von Dr. B. vom 13.07.2009 ein, der unter Vorlage von Arztbriefen (vom 08.06.2009, 13.01.2009 und 20.10.2008) eine freie Gehstrecke des Klägers mit unter 1000 Metern mit Gangunsicherheit bei Augenschluss angab. Nach Einholung der gutachtlichen Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes (Dr. Kr. vom 05.08.2009) wurde der Widerspruch des Klägers vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2009 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 08.09.2009 Klage beim SG. Er wiederholte zur Begründung im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trug er vor, der GdB von 100 sei ein Indiz dafür, dass sein Gehvermögen wesentlich eingeschränkt sei. Durch die vorhandene Polyneuropathie sei seine Gehfähigkeit praktisch vom ersten Schritt an wesentlich beeinträchtigt, zumal sich die Krankheit erheblich verschlimmert habe. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt sei weiter aufzuklären.

Der Beklagte trat der Klage unter Bezug auf die Verfahren S 18 SB 4113/06 und L 6 SB 3276/07 entgegen. Die mit einem GdB von 50 bewertete Polyneuropathie habe bereits bei Durchführung der genannten Verfahren vorgelegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2010 wies das SG die Klage ab. Es bezog sich zur Begründung auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.03.2008 (L 6 SB 3276/07). Den danach ab dem Jahr 2008 aktenkundig gewordenen Unterlagen ließen sich Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht entnehmen. Zu weiteren Ermittlungen habe keine Veranlassung bestanden. Die vom Kläger geltend gemachte Verschlechterung beruhe allein auf subjektiven Angaben, die durch die medizinischen Unterlagen nicht bestätigt würden. Auf die Frage, ob es den seit 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen hinsichtlich der Regelungen zum Merkzeichen "aG" an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage mangele, brauche nicht näher eingegangen zu werden.

Gegen den dem Kläger am 18.06.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 07.07.2010 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, weil das SG verpflichtet gewesen wäre, vor Erlass des Gerichtsbescheids den Sachverhalt weiter zu ermitteln. Weiter habe das SG nicht offen lassen dürfen, ob es den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage mangele, was zu bejahen sei. Die dadurch bestehende Lücke sei durch Richterrecht zu schließen. Dies heiße im Ergebnis, ihm sei das Merkzeichen "aG" zuzubilligen, das ihm aufgrund seiner schweren dauerhaften Funktionseinschränkungen zweifelsfrei zustehe. Das SG habe verkannt, dass sein Gehvermögen insbesondere aufgrund seiner Polyneuropathie bei Kompartmentsyndrom vollends verstärkt durch den Zustand einer Darmerkrankung mit chronischer Stuhl- und Harninkontinenz in außergewöhnlich hohem Maße dauerhaft eingeschränkt sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Juni 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. August 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "aG" seit 8. Dezember 2008 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Eine Gesetzeslücke bestehe entgegen der Ansicht des Klägers nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei für den Fall einer nicht ausreichenden Ermächtigungsgrundlage auf die insoweit weiter bestehenden Anhaltspunkte zurückzugreifen. Das Gehvermögen des Klägers müsse praktisch vom ersten Schritt an außerhalb des Kraftfahrzeuges auf das schwerste eingeschränkt sein. Diese Voraussetzungen seien beim Kläger nicht erfüllt.

Der Senat hat Dr. J. und Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen zum Gesundheitszustand des Klägers seit März 2008 angehört. Dr. J. hat in seiner Stellungnahme vom 29.10.2010 unter Vorlage medizinischer Befund- und OP-Berichte mitgeteilt, im Juli 2010 habe beim Kläger eine arthroskopische Entfernung freier Gelenkkörper und eine Innenmeniskusteilresektion durchgeführt werden müssen. Bei persistierender sensibler Polyneuropathie und neuropathischen Schmerzen habe die Erkrankung des Kniegelenks die Bewegungseinschränkung und Mobilität des Klägers weiter erschwert. Der Kläger sei beim Gehen auf fremde Hilfe angewiesen und könne sich nur unter starken Schmerzen und mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen. Dr. B. hat in seiner Stellungnahme vom 25.10.2010 mitgeteilt, seit März 2008 sei es zu keiner sicheren Verschlechterung der vorbekannten Diagnosen mit sensibler Polyneuropathie und neuropathischem Schmerzsyndrom gekommen. Die freie Gehstrecke werde schmerzbedingt mit 50 bis 100 Metern angegeben. Neue Befunde/Diagnosen seien nicht bekannt. Es bestünden dauernde Einschränkungen ohne wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes.

Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 18.02.2011 weiter entgegen getreten.

Der Senat hat anschließend den Orthopäden Dr. M. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dr. M. hat in seiner Stellungnahme vom 30.03.2011 die Kniegelenksbefunde mitgeteilt (belastungsabhängige Schmerzen linkes Knie, Bewegungseinschränkung auf 0-10-110°), die sich durch die Arthroskopie nicht gebessert hätten.

Der Rechtsstreit ist mit den Beteiligten durch den Berichterstatter in nichtöffentlicher Sitzung am 17.06.2011 erörtert worden. Auf die Niederschrift vom 17.06.2011 wird hierzu Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die im vorliegenden Verfahren angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten des SG S 18 SB 4113/06 und des Landessozialgerichts L 6 SB 3276/07 sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG -) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft und insgesamt zulässig.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG".

Nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742), ist auf Antrag des behinderten Menschen der Nachteilsausgleich "aG" in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist. Ein solcher Vermerk ist Grundlage für die Inanspruchnahme von Parkerleichterungen, die von den Straßenverkehrsbehörden für bestimmte Ausnahmefälle vorgesehen sind.

Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 17.07.2009 (BAnz Nr. 110a S.1). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlichen Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.

Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an -erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).

Dem Kläger ist allerdings einzuräumen, dass sich der Beklagte auf die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) rechtlich nicht beachtlich berufen kann. Die Regelungen der VG zum Merkzeichen "aG" sind mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig und unwirksam. Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht in SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Der Senat geht insoweit von einer Teilnichtigkeit der VersMedV aus, da der Teil der VG - als Anhang zu § 2 Teil der Verordnung - durch die Unwirksamkeit der genannten Regelungen nicht berührt wird und auch im übrigen die Regelungen der VersMedV nicht betroffen sind. Wegen der Teilnichtigkeit der VersMedV lässt sich jedoch ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht schon ableiten. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats vielmehr allein die genannten gesetzlichen Regelungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.

Der Kläger, der unstreitig nicht zum ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gehört, ist diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat bereits mit rechtskräftigem Urteil vom 13.03.2008 - L 6 SB 3276/07 - entschieden, dass beim Kläger die Voraussetzungen für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Nachteilsausgleich "aG") nicht gegeben sind, da der Kläger durch die sich auf das Gehvermögen auswirkende Polyneuropathie in seiner Gehfähigkeit nicht vom ersten Schritt an erheblich beeinträchtigt wird, die ferner bestehende Harn- und Stuhlinkontinenz ebenfalls nicht dazu führt, dass die Gehfähigkeit des Klägers außergewöhnlich eingeschränkt wäre und die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" auch nicht aufgrund der operativ behandelnden Osteomyelitis des linken Sakroiliakalgelenks gegeben sind. Dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit dem Ergehen dieses Urteils rechtlich relevant verschlimmert hat, ist nach den im vorliegenden Verfahren zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen und den vom Senat durchgeführten Ermittlungen nicht der Fall. Beim Kläger kann zur Überzeugung des Senats vielmehr weiterhin nicht davon ausgegangen werden, dass seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann.

Dr. B. hat in der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 25.10.2010 eine Verschlechterung der vorbekannten Diagnosen mit sensibler Polyneuropathie und neuropathischem Schmerzsyndrom sowie eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers seit März 2008 verneint. Dem entsprechen auch die Befundberichte von Dr. B. vom 13.01.2009 und 08.06.2009, in denen er beim Kläger auf neurologischem Gebiet einen konstanten Befund bestätigt. Soweit Dr. B. weiter die freie Gehstrecke (schmerzbedingt) mit 50 bis 100 Metern angegeben hat, stützt sich dies ersichtlich auf die Angaben des Klägers. Eigene Befunde, die eine solche Limitierung des Gehvermögens des Klägers plausibel machen, hat Dr. B. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage nicht mitgeteilt. Eine solche Einschränkung der Gehfähigkeit des Klägers ist auch nach den objektivierbaren Befunden, wie sie sich aus den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen ergeben, nicht nachvollziehbar. So werden im Befundbericht von Dr. B. vom 20.10.2008 neben Gefühlstörungen an den Beinen distal keine Paresen beschrieben, der Einbeinstand war regelgerecht, das Stufen steigen unauffällig, Zehenspitzen- und Hackengang beidseits durchführbar. Hierauf hat Dr. G. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.02.2011 überzeugend hingewiesen, dem sich der Senat anschließt. Dr. P. hat in seinem Befundbericht vom 06.04.2009 eine Verschlusskrankheit der Arterien und Arteriolen ausgeschlossen. Im Befundschein vom 13.07.2009 hat Dr. B. die Gehstrecke des Klägers noch mit 1000 Metern mit Gangunsicherheit beim Augenschluss - sowie Rückenbeschwerden und ein neuropathisches Schmerzsyndrom - angegeben.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkung des linken Kniegelenkes des Klägers. Nach der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. M. vom 30.03.2011 bestehen beim Kläger im linken Knie belastungsabhängige Schmerzen. Die Bewegungsfähigkeit beträgt (nach der Neutral-Null-Methode) 0-10-110° bei sehr ausgeprägtem retropatellarem Verschiebeschmerz und Gelenkerguss links, wie Dr. M. weiter mitgeteilt hat. Bei diesen Befunden ist auch unter Berücksichtigung der sensiblen Polyneuropathie und dem neuropathischen Schmerzsyndrom das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht plausibel. Eine von Dr. M. prognostisch erwartete Verschlechterung reicht für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht aus.

Entsprechendes gilt hinsichtlich der im Juni/August 2007 behandelten akuten Osteomyelitis linkes Sakroiliakalgelenk. Dass durch diese Gesundheitsstörung - entgegen der Prognose des Landessozialgerichts im Urteil vom 13.03.2008 - eine anhaltende Funktionseinschränkung beim Kläger besteht, lässt sich den im vorliegenden Verfahren zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nicht entnehmen und wird im Übrigen vom Kläger auch nicht substantiiert geltend gemacht.

Dass beim Kläger eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht besteht, wird auch durch das vom Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung vom 17.06.2011 gezeigte Gangbild bestätigt. Danach war der Kläger beim Gehen auf fremde Hilfe nicht angewiesen. Er betrat den Sitzungssaal zwar etwas schwerfällig mit zwei Gehstützen, jedoch ohne sichtbare Anstrengung.

Der - nach wie vor - abweichenden Ansicht von Dr. J. kann nicht gefolgt werden. Dr. J. teilt keine neuen objektive Befunde mit, die abweichend von dem oben Ausgeführten seine Ansicht nachvollziehbar machen. Hierauf hat Dr. G. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.02.2011 überzeugend hingewiesen, dem sich der Senat auch insoweit anschließt.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Der Senat hat dem Kläger gemäß § 192 Abs. 1 SGG Kosten in Höhe von 225 Euro wegen missbräuchlicher Prozessführung auferlegt. Nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz (§ 192 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGG).

Abzustellen ist dabei auf die (objektivierte) Einsichtsfähigkeit eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten und damit auf den "Einsichtigen" im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu stellvertretend BVerfG, Beschluss vom 11.10.2001, Az. 2 BvR 1271/01 m.w.N.). Es kommt nicht auf die konkrete subjektive Sicht des betroffenen Beteiligten an. Anders als beim Begriff des "Mutwillens", der bereits nach dem Wortlaut ein subjektives Element enthält, ist der Fassung des § 192 SGG zufolge, die er mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetztes vom 17.08.2001 erhalten hat, für den Missbrauch nicht mehr erforderlich, dass der Beteiligte subjektiv weiß, die Rechtsverfolgung sei aussichtslos und er führe nun entgegen besserer Einsicht den Prozess weiter. Dies ergibt sich aus der Intention des Gesetzgebers, wie sie im Gesetzgebungsverfahren zu dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes zum Ausdruck gekommen ist (BT-Drs. 14/5943, S. 28), der den § 192 SGG nach dem Vorbild des § 34 Abs. 2 BVerfGG gestalten wollte und für dessen Anwendung trotz seiner Überschrift im Fall des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kein Verschulden des Betroffenen erforderlich ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteile des Senats vom 20.11.2009 - L 8 SB 1648/08 und vom 28.11.2008 - L 8 AL 1799/07- unveröffentlicht).

Der Kläger ist im Termin am 17.06.2011 vom Berichterstatter auf die Möglichkeit der Verhängung von Verschuldenskosten nach § 192 SGG hingewiesen worden. Auch hat der Kläger ein besonders hohes Maß an Uneinsichtigkeit bewiesen. Im Termin sind dem Kläger vom Berichterstatter die Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" erläutert und er im Hinblick auf das gezeigte Gangbild sowie die vorliegenden medizinischen Unterlagen darauf hingewiesen worden, dass diese Voraussetzungen auch nach dem Ergehen des Urteils des Landessozialgerichts vom 13.03.2008 weiterhin nicht erfüllt sind. Trotz dieser Erläuterungen hat der Kläger an seiner für ihn erkennbaren unzutreffenden Ansicht beharrt. Der Senat hat deshalb dem Kläger in Ausübung seines Ermessens Missbrauchskosten in der Mindesthöhe von 225 Euro auferlegt.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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