L 12 AL 4647/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AL 1467/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 4647/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. August 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Überbrückungsgeld streitig.

Der 1982 geborene Kläger bezog in der Zeit vom 01. September bis zum 04. September 2005 Arbeitslosengeld, nachdem er zuvor in der Zeit vom 15. Juli 2003 bis zum 01. Oktober 2004 bei der Firma D. und vom 03. Oktober 2004 bis zum 31. August 2005 bei der Firma B. als Maschinenbaumechaniker versicherungspflichtig beschäftigt war. Am 01. September 2005 meldete der Kläger beim Amt für öffentliche Ordnung der Stadt P. ein Gewerbe mit den Tätigkeiten Qualitätskontrolle, Sortier- und Nacharbeit, 3-D Messtechnik zum 05. September 2005 an und beantragte bei der Beklagten die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme dieser Tätigkeit nach § 57 SGB III. In dem Antrag gab er an, dass er nicht in eine persönliche Abhängigkeit eines Auftraggebers, insbesondere durch örtliche, zeitliche, inhaltliche oder fachliche Weisung, und in die Organisation eines Auftraggebers eingebunden sei. Er trage eigenes Unternehmerrisiko, trete selbst am Markt auf. Chancen und Risiken (z. B. eine örtliche, zeitliche oder inhaltliche unternehmerische Freiheit, eigener Kundenstamm, freie Preisgestaltung) seien derzeit noch nicht angemessen verteilt. Für seine selbstständige Tätigkeit werde er künftig ca. 40 Wochenstunden aufwenden.

Der Kläger legte eine fachkundige Stellungnahme des Diplom-Betriebswirts H. vom 07. September 2005 sowie dessen Beratungsbericht vom gleichen Tag vor. Danach beabsichtige der Kläger sich zum 05. September 2005 im Bereich Qualitätskontrolle, Sortier- und Nacharbeiten, 3-D Messtechnik selbstständig zu machen. Sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter würden nicht beschäftigt. Es fielen keine Personalkosten an. Die Einnahmen seien auftragsabhängig. Kontakt bestehe bisher zu der Firma r.-c ... Ein Kontaktaufbau zu weiteren Firmen sei in Planung. Als Betriebsmittel würden flüssige Mittel zur Finanzierung der laufenden Kosten für zwei bis drei Monate benötigt.

Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten vom 21. September 2005 über ein Telefongespräch mit dem Kläger teilte dieser mit, dass er derzeit nur einen Geschäftspartner (r.-c.) habe. Er bekomme von dieser Firma Arbeitseinsätze zugeteilt und gehe dann in die Kundenfirmen (z. B. D.), um dort vor Ort fehlerhafte Produktionsreihen zu sortieren und nachzuarbeiten.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Überbrückungsgeld mit Bescheid vom 04. Oktober 2005 ab, weil der Kläger nicht selbstständig, sondern faktisch abhängig beschäftigt sei. Dagegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, dass er seine Dienstleistung nicht nur einem Auftraggeber anbiete, sondern verschiedenen Firmen (Schreiben vom 19. Oktober 2005). Er stehe im Kontakt mit weiteren Metallbearbeitungsbetrieben sowie Qualitätsprüfungsunternehmen. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte der Kläger vier Rechnungen vor und zwar: Rechnungen an die Firma M. vom 20. Januar und 27. Januar 2006, Rechnung an S. R. vom 26. Oktober 2005 (Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen) und Rechnung an Firma I. vom 21. Januar 2006. Dazu vermerkte die Beklagte am 14. März 2006, dass sich Herr R. mit Fördermitteln in der gleichen Branche verselbstständigt habe, nicht jedoch mit dem Verkauf von Versicherungen. Zu den Rechnungen der Firma M. und I. habe der Kläger auf telefonische Nachfrage angegeben, dass dieser Aufträge über die Firma r.-c. vermittelt worden seien.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 17. März 2006). Der Kläger sei faktisch abhängig beschäftigt. Er sei derzeit nur an einen Geschäftspartner, nämlich die Firma r.-c., gebunden. Von dieser Firma erhalte er seine Arbeitseinsätze.

Dagegen hat der Kläger am 20. April 2006 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Er habe keinen Arbeitgeber und zahle seine Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung selber. Er erhalte Aufträge von der Firma r.-c. und erledige diese Aufträge bei verschiedenen Firmen, z. B. B. GmbH, D. C. AG, F. Automotive System GmbH. Im Jahr 2005 habe er sich auch für die Branche Vermittlungen von Versicherungen und Bausparverträgen interessiert und ein entsprechendes Gewerbe am 14. November 2005 angemeldet.

Das SG hat den Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung am 04. Juni 2007 persönlich angehört; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung des SG vom 04. Juni 2007 Bezug genommen (Bl. 24-26 der SG-Akten).

Auf Anforderung des SG legte der Kläger eine Aufstellung seiner Aufträge für die Jahre 2005 bis 2007 vor (Bl. 33-36 der SG-Akten). Weiter hat das SG H. M. von der Firma M. schriftlich als Zeugen einvernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 46 der SG-Akten verwiesen.

Auf Anfrage des SG legte die Deutsche Rentenversicherung Bund, Abteilung Prüfdienst Prüfbezirk T. - S. mit Schreiben vom 25. September 2008 eine gutachterliche Stellungnahme zum sozialversicherungsrechtlichen Status der Auftragnehmer der Firma H. M. GmbH, Qualitätskontrolle in Reutlingen vor und teilte mit, dass die Tätigkeit des Klägers nicht Gegenstand des Gutachtens sei. Die vorliegenden Nachweise für andere Auftragnehmer hätten jedoch zu dem Schluss geführt, dass eine abhängige Beschäftigung verschleiert werden solle, um damit die notwendige Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu sparen.

Weiter hat der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, vorgetragen, dass keinerlei Weisungsrecht einer Firma M. oder eines Dritten gegenüber dem Kläger bestehe. Vielmehr entscheide er im jeweiligen Einzelfall selbst, ob und wann er eine entsprechende Tätigkeit übernehme. Für diesen Fall setze er sich mit den entsprechenden Auftragsgeberfirmen in Verbindung. Die Firma M. stelle dem Kläger keine Räumlichkeiten zur Verfügung. Ebenso verhalte es sich mit Arbeitsmaterialien, Geschäftswagen, Hilfsmitteln oder ähnlichem. Sämtliche Utensilien müsse der Kläger sich im Rahmen seiner Selbstständigkeit selbst beschaffen, organisieren und bezahlen. Auch existiere kein Arbeitsvertrag oder eine sonstige Vereinbarung. Der Kläger habe sich ein eigenständiges Büro eingerichtet, von dem aus er Aufträge von Dritten, teilweise von der Firma M. empfange. Nach Auftragserhalt nehme der Kläger unmittelbar Kontakt mit den jeweiligen Firmen auf. Nach Abschluss des jeweiligen Einzelauftrags würden die Rechnungen zwar größtenteils gegenüber der Firma M. gestellt, diese würden jedoch direkt an die jeweilige Firma weitergeleitet. Der Kläger arbeite für eine Vielzahl von Unternehmen, die er eigenverantwortlich aussuche, und erfülle die jeweils vertraglich geschuldete Leistung. Der Kläger erhalte keinen Erholungsurlaub. Es bestehe keinerlei vertragliche oder sonstige Verpflichtung, Aufträge anzunehmen. Er erhalte im Falle einer Erkrankung auch keine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Weiterhin bestünden keine festen Arbeitszeiten. Ferner erhalte der Kläger völlig verschiedene Stundenvergütungen, je nach Vereinbarung zwischen 14,- und 18,- EUR pro Arbeitsstunde.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2009 H. M. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der öffentlichen Sitzung des SG vom 24. August 2009 Bezug genommen (Bl. 99-102 der SG-Akten).

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 24. August 2009 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Überbrückungsgeld. Dieser Anspruch beurteile sich nach § 57 SGB III in der bis zum 30. Dezember 2005 geltenden Fassung. Danach hätten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Streitig sei vorliegend allein, ob es sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine selbstständige Tätigkeit handele. Eine selbstständige Tätigkeit sei vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Eine Beschäftigung in nichtselbstständiger Arbeit setze hingegen voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sei, hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgeblich sei dabei stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Wichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, gäben letztere den Ausschlag. Der ermittelte Sachverhalt stelle sich für die Kammer so dar, dass im Verhältnis des Klägers zu den Firmen M. bzw. r.-c. Kriterien vorlägen, die sowohl für als auch gegen eine selbstständige Tätigkeit sprächen. Die Kammer sei aufgrund einer Würdigung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis gelangt, dass keine Selbstständigkeit des Klägers vorliege. Die Kammer verkenne nicht, dass durchaus Indizien vorhanden seien, die gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Letztendlich könnte diesen jedoch in der konkreten Fallgestaltung kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden. Zwar könne die Vereinbarung über die Gewährung von Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall grundsätzlich als Indiz zur Beurteilung einer abhängigen Beschäftigung herangezogen werden, jedoch sei zu beachten, dass die gegenteilige Indizwirkung jedenfalls dann entfallen müsse, wenn die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen gerade darauf abziele, die Folgen, die ein Arbeitsverhältnis mit sich bringe, zu vermeiden. Dies sei zur Überzeugung der Kammer vorliegend der Fall gewesen. Die gezielte Umgehung von Arbeitnehmerrechten (wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Erholungsurlaub) könne nicht als Kriterium für eine Selbstständigkeit herangezogen werden. Auch dem fehlenden sachlichen und zeitlichen Weisungsrecht der Fa. M. oder der Firma r.-c. dem Kläger gegenüber könne in der vorliegenden Konstellation kein maßgebliches Gewicht zugemessen werden. Hierbei sei zu beachten, dass der Kläger keine Arbeiten direkt in den Firmen M. oder r.-c. verrichtet habe, sondern von diesen lediglich Arbeitsaufträge in Drittfirmen erhalten habe. Allein in diesen Drittfirmen sei sodann eine (zeitweise) Eingliederung in den Betriebsablauf erfolgt. Das gesamte Geschäftsmodell der Firma r.-c. sei daher zur Überzeugung der Kammer mit einer Zeitarbeitsfirma vergleichbar. Hier wie dort würden Mitarbeiterengpässe bei Drittfirmen durch die Entsendung von geeignetem Personal überwunden. Ebenso wie bei der Arbeitnehmerüberlassung bestehe auch vorliegend ein spezifisches Dreiecksverhältnis, das durch das Verhältnis zwischen Zeitarbeitsunternehmen (die Firmen r.-c. und die regional beauftragte Firma M.), den Entleihern/Kundenunternehmen und dem Kläger, als letztlich die Arbeit erbringenden, geprägt war. Die Beziehung zwischen den an diesem Dreiecksverhältnis Beteiligten sei dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger - ebenso wie der typische Leiharbeitnehmer - allein seine Arbeitskraft einzusetzen gehabt habe, jedoch in keiner Form Kapital habe aufwenden müssen und damit auch kein unternehmerisches Risiko getragen habe. Der Einsatz der persönlichen Arbeitskraft als alleiniges "Kapital" sei jedoch gerade für abhängige Beschäftigungen prägend. Demgegenüber sei der vorliegend nicht ersichtliche tatsächliche Einsatz von eigenem Kapital gerade für eine selbstständige Tätigkeit typisch. Ein maßgebliches Unternehmerrisiko sei daher für die Kammer nicht ersichtlich. Auffällig sei zudem, dass auch der vom Kläger berichtete Stundenlohn zwischen 14,- und 18,- EUR nicht für eine selbstständige Tätigkeit spreche, sondern dem Stundenlohn eines abhängig Beschäftigten entspreche. Gegen eine Selbstständigkeit des Klägers spreche weiterhin, dass er in seiner Tätigkeit als Qualitätskontrolleur über keinen relevanten Kundenstamm verfüge, sondern von den als Verleiher agierenden Firmen r.-c./M. abhängig sei. Allein diese seien gegenüber den Kunden in Erscheinung getreten. Dies ergebe sich nachdrücklich aus den vom Kläger vorgelegten Auftragsdokumentationen, nach denen im Jahr 2005 sämtliche 13 Aufträge von der Firma M. und im Jahr 2006 von den insgesamt 50 Aufträgen 49 von der Firma M. und ein Auftrag von der Firma I. stammten. Im Jahr 2007 seien 25 Aufträge der Firma M. dokumentiert und fünf Aufträge der Firma Deifel. Damit sei für den gesamten genannten Zeitraum eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Firma M. dokumentiert. Der Anteil der beiden anderen Auftraggeber erweise sich als verschwindend gering und könne nicht als prägend für die Tätigkeit des Klägers angesehen werden. Da das Überbrückungsgeld gemäß § 57 Abs. 3 SGB III für die Dauer von sechs Monaten gewährt werde, komme es ausschließlich auf die Selbstständigkeit des Klägers in der Zeit von September 2005 bis Februar 2006 an. Abzustellen sei daher ausschließlich auf die im Auftrag der Firma r.-c. erfolgte Tätigkeit bei der Firma M ... Dort sei der Kläger nur einer von mehreren Mitarbeitern, die auf entsprechende Anfrage der Firma r.-c. dann von der Firma M. für einen Einsatz ausgewählt worden seien. Ein maßgeblicher Unterschied zwischen den bei der Firma M. angestellten Beschäftigten und den so bezeichneten "freien Mitarbeitern" sei für die Kammer nicht ersichtlich. Soweit der Zeuge M. angegeben habe, die freien Mitarbeiter durften zur Arbeit und die Angestellten mussten zur Arbeit, korrespondiere dies stimmig mit der weiteren Aussage, dass der Kläger berechtigt gewesen sei, einzelne Aufträge abzulehnen. Dem könne für die Bestimmung einer selbstständigen Tätigkeit jedoch deshalb kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden, da hierin gerade die Konzeption der sogenannten "freien Mitarbeiter" bei den Firmen r.-c. und M. bestanden habe. Die Ausgestaltung als sogenannte "freie Mitarbeit" ermögliche es, den deutlichen Schwankungen an benötigtem Personal kostengünstig zu begegnen und schaffe eine breite "Verfügungsmasse" an zu verleihenden Arbeitskräften, ohne diese entsprechend sozialversicherungspflichtig absichern zu müssen. Allein hierin habe der Unterschied zwischen Angestellten und freien Mitarbeitern bestanden. In der bei den sogenannten freien Mitarbeitern im Gegensatz zu den Angestellten nach Angaben des Zeugen M. unterbeliebenden Nachfrage nach den genauen Einsatzbedingungen sei kein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu sehen. In den Fällen der Arbeitnehmerüberlassung werde das Weisungsrecht ohnehin dem Entleiherunternehmer übertragen und dieser trage auch die Mitverantwortung für den Arbeitsschutz. Die Bestrebung, bei einem Teil der Belegschaft bei ansonsten gleichen Voraussetzungen und Aufgabengebieten kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis entstehen zu lassen, um hierdurch unter anderem Sozialversicherungsbeiträge und weitere Kosten zu sparen, mache diese Beschäftigten nicht zu Selbstständigen.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 09. September 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 09. Oktober 2009 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er weiterhin die Gewährung von Überbrückungsgeld geltend macht. Entgegen der Auffassung des SG liege eine selbstständige Tätigkeit vor. Das Verhältnis des Klägers zu seinen jeweiligen Auftraggebern sei bewusst frei und ohne die sich aus einem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten für beide Seiten ausgestaltet worden. Auch der Vergleich des Klägers mit der Position eines Leiharbeitnehmers sei nicht gerechtfertigt. Es fehle bereits an einem Leiharbeitsverhältnis zu der Firma M ... Von dieser habe der Kläger lediglich Ort und Zeitpunkt des Auftrages erhalten. Ein Weisungsrecht oder eine arbeitsvertragliche Pflicht zur Auftragsübernahme habe nicht bestanden. Im Vergleich zu einem Leiharbeitnehmer trage der Kläger ein unternehmerisches Risiko. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Kläger keine Entgeltfortzahlung erhalten habe. Der Kläger habe auch Kapital aufgewandt, um seine selbstständige Tätigkeit auszuüben. Hierzu habe er sich ein eigenes Büro mit den notwendigen Arbeitsmitteln beschafft, um seine Aufträge koordinieren zu können. Auch der Umstand, dass der Kläger über keinen relevanten Kundenstamm verfügt habe, spreche nicht gegen eine selbstständige Tätigkeit. Für den Aufbau eines entsprechenden Kundenstamms benötigten selbst größere Firmen oftmals mehrere Jahre. Hätte der Kläger bereits bei seiner Entscheidung zur Selbstständigkeit über einen entsprechenden Kundenstamm verfügt, wäre er kaum auf das streitgegenständliche Überbrückungsgeld angewiesen gewesen. Auch die Tatsache, dass bereits im Jahr 2006 Auftragseingänge der Firma I. festzustellen seien, spreche gegen eine abhängige Beschäftigung.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. August 2009 aufzuheben, 2. den Bescheid der Beklagten vom 04. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheids vom 17. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 05. September 2005 dem Grunde nach Überbrückungsgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte führt zur Begründung aus, das SG habe zutreffend festgestellt, dass dem Kläger mangels selbstständiger Tätigkeit kein Anspruch auf Überbrückungsgeld zustehe. Der Kläger habe auf Stundenlohnbasis mit Herr M. abgerechnet, d.h. ohne entsprechendes Unternehmerrisiko bzw. die Chance auf unternehmerischen Gewinn. Der Kläger habe keine eigenen Mitarbeiter beschäftigt und keinen Nachweis über ein unternehmerisches Auftreten am Markt zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorgelegt. Weder die vorgelegten Rechnungen noch die Kontenlisten seien dafür geeignet. Nach der Darstellung des Zeugen M. vor dem SG sei auch ein direkter Kontakt zwischen dem Kläger und den eigentlichen Auftraggebern nicht vorgesehen. Einsatzort und Einsatztag bzw. Zeit habe die Firma M. durch ihren Anruf bei dem Kläger bestimmt, der daraufhin zum benannten Einsatzort gefahren sei. Nach Auffassung des Klägers wäre zwar theoretisch eine Auftragsablehnung möglich gewesen, tatsächlich habe der Kläger keine Aufträge verlieren wollen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (§ 143 SGG) und zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Überbrückungsgeld für die Dauer von sechs Monaten hinsichtlich seiner am 05. September 2005 aufgenommenen Tätigkeit im Bereich Qualitätskontrolle, Sortier- und Nacharbeit, 3-D Messtechnik.

1. Nach § 57 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31. Juli 2006 gültig gewesenen Fassung, die auf den vorliegenden Sachverhalt Anwendung findet, haben Arbeitnehmer, die durch die Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Das Überbrückungsgeld wird für die Dauer von sechs Monaten geleistet (§ 57 Abs. 3 Satz 1 SGB III a. F.). Mithin setzt die Gewährung von Überbrückungsgeld zunächst die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch den Arbeitnehmer voraus, wobei hinsichtlich der hier streitigen Abgrenzung zwischen einer abhängigen Beschäftigung und einer selbstständigen Tätigkeit auf die zu der Regelung des § 7 Abs. 1 SGB IV entwickelte Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann (vgl. nur Stratmann in Niesel/Brand, 5. Auflage 2010, § 57 Rdnr. 5). Danach ist die Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (beispielsweise BSG, Urteile vom 11. März 2009 - B 12 KR 21/07 R -; vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R -; vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R -). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben.

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze weist das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Firma M. sowohl Merkmale der Selbstständigkeit als auch der abhängigen Beschäftigung auf. Unter Gesamtwürdigung aller Umstände spricht hier - wie bereits das SG in dem angefochtenen Urteil überzeugend ausgeführt hat - mehr gegen eine selbstständige Tätigkeit als dafür. Insofern nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen des SG in dem Urteil vom 24. August 2009 Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu den Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren weist der Senat ergänzend darauf hin, dass der Kläger in den ersten sechs Monaten seiner am 05. September 2005 aufgenommenen Tätigkeit - mit Ausnahme der mit Rechnung vom 21. Januar 2006 gegenüber der Firma I. abgerechneten Dienstleistungen - ausschließlich im Auftrag der Firma M. tätig war und in deren Auftrag bei Dritten typische Arbeitsleistungen eines Arbeitsnehmers erbracht hat. Der Kläger hatte keine wechselnden Auftraggeber. Vielmehr bestanden Vertragsbeziehungen ausschließlich zwischen ihm und der Firma M ... Dies ergibt sich für den Senat aus der anschaulichen Schilderung des Klägers im Erörterungstermin vor dem SG am 04. Juni 2007, wonach er einen Auftrag von der Firma M. bekomme, an den entsprechenden Einsatzort fahre und die beauftragte Tätigkeit erledige und anschließend seine Tätigkeit gegenüber der Firma M. abrechne. In Übereinstimmung damit führte der Zeuge M. im Rahmen der schriftlichen Zeugeneinvernahme vor dem SG (Schreiben vom 31. August 2007) aus, dass die Firma M. den Kläger den Auftrag erteile und dieser, wenn er den Auftrag annimmt, zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort den Auftrag beginnen müsse. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 24. August 2008 hat der Zeuge M. bekundet, wobei der Senat die Zeugenaussage im Wege des Urkundenbeweises verwertet, dass beispielsweise die Firma D. bei Auftreten eines Fehlers am Band bei der Firma r.-c. anrufe, diese die Firma M. als Regionalbeauftragte einschalte und die Firma M. ihre Angestellten oder freien Mitarbeiter zum Einsatz schicke. Die Firma r.-c. habe mit dem jeweiligen Auftraggeber abgerechnet, die Firma M. mit der Firma r.-c. und die freien Mitarbeiter mit der Firma M ... Weiter hat der Zeuge bekundet, dass im Fall einer Schlechtleistung ebenfalls dieser Weg eingehalten worden sei. Danach steht für den Senat fest, dass anlässlich der Arbeitseinsätze des Klägers ausschließlich Vertragsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Firma M. bestanden, nicht jedoch zwischen dem Kläger und den Einsatzunternehmen. Insofern hat das SG zutreffend einen Vergleich mit einem Leiharbeitnehmer angestellt, der auf Weisung seines Arbeitgebers im Betrieb des Entleihers tätig wird. Bei der Ausführung der Aufträge war der Kläger bezüglich Ort, Zeit, Art und Ausführung der Arbeit den Weisungen der Firma M. bzw. des Einsatzunternehmens unterworfen. So hat der Kläger selbst eingestanden, dass er entsprechend dem jeweiligen Auftrag der Firma M. zu dem Einsatzort hinfahre und dort die Tätigkeiten erledige. Auch der Zeuge M. hat bekundet, dass Beginn und Ort der beauftragten Tätigkeit von der Firma M. und der Ablauf vor Ort durch den Einsatzbetrieb vorgegeben werde. Damit unterlag der Kläger im Rahmen der jeweiligen Einsätze dem Weisungsrecht der Firma M. und war in den Betrieb der Einsatzunternehmen eingliedert. Der Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Firma M., die Kontroll-, Prüf- und Sortierarbeiten in den Betrieben ihrer Auftraggeber ausführen ließ, steht nicht entgegen, dass der Kläger - wie von ihm und dem Zeugen M. behauptet - das Recht hatte, einzelne Arbeitsangebote abzulehnen. Zwar mögen die einzelnen Arbeitsangebote der Firma M. im Voraus beschränkt gewesen sein und damit eine unständige Beschäftigung i.S. § 27 Ab. 3 Nr. 3 SGB III vorgelegen haben, jedoch ändert dies nichts am Bestehen des Weisungsrechts der Firma M. und der Eingliederung in den Betrieb der Einsatzunternehmen im Rahmen der einzelnen Beschäftigungen. Möglichweise waren die Beschäftigungen versicherungsfrei im Bereich der Arbeitslosenversicherung, jedoch handelte es sich um keine selbstständigen Tätigkeiten.

Weiter hat der Kläger im wesentlichen kein Unternehmerrisiko getragen. Maßgeblich hierfür ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit ist die Übernahme eines Unternehmerrisikos dann, wenn damit auch tatsächlich Chancen und nicht nur Risiken bei der Einkommenserzielung verbunden sind (vgl. BSG, Urteil vom 11. März 2009 - B 12 KR 21/07 R -). Nach Auffassung des Senats hat der Kläger im wesentlichen das Risiko getragen, für seinen Arbeitseinsatz kein Entgelt zu erzielen. Die Belastung mit Risiken im Zusammenhang mit der Verwertung der Arbeitskraft spricht nur dann für Selbstständigkeit, wenn ihr eine größere Freiheit bei der Gestaltung oder der Bestimmung des Umfangs des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenüber steht. Dagegen vermag die Belastung eines Erwerbstätigen, der im Übrigen nach der Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses als Arbeitnehmer anzusehen ist, mit zusätzlichen Risiken keine Selbstständigkeit zu begründen (BSG, Urteil vom 04. Juni 1998 - B 12 KR 5/97 R -). Der Kläger wurde nach geleisteten Arbeitsstunden zu einem jeweils vereinbarten Stundenlohn vergütet. Danach wurde er, wie für Arbeitnehmer üblich, für die von ihm geleistete Arbeit entlohnt, und zwar ohne Abzüge für etwaige Schlechtleistungen. Selbst wenn eine Haftung für eine fehlerhafte Arbeitsausführung vereinbart gewesen sein sollte, oder die Firma M. eine Haftung gegenüber ihren Auftraggebern tatsächlich durch Kürzung des an den Kläger gezahlten Entgelts auf diesen abgewälzt haben sollte, würde sich allein hieraus kein Unternehmerrisiko des Klägers ergeben. Eine Haftung für schuldhaftes Verhalten trifft, wenn auch in der Regel eingeschränkt, auch Arbeitnehmer. Die Tatsache, dass der Kläger mit dem Gefahr des Verlustes sächliche Mittel eingesetzt hat, ist nicht ersichtlich. Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass er Werkzeuge angeschafft und ein Büro eingerichtet habe, jedoch kann den - dem Beratungsbericht des Diplom-Betriebswirt H. beigelegten - Umsatz- und Kostenkalkulationen entnommen werden, dass Einkaufs- und Personalkosten nicht geplant waren. Der Kläger hat weder vorgetragen noch nachgewiesen, welche Werkzeuge er sich zur Durchführung der von der Firma M. beauftragten Arbeitseinsätze angeschafft hat. Gegen das Vorhandensein eigener Werkzeuge spricht auch, dass der Kläger insofern keine Betriebsstunden gegenüber der Firma M. abgerechnet hat, sondern ausschließlich die von ihm geleisteten Arbeitsstunden nebst Fahrtkosten. Auch der Umstand, dass der Kläger nach seinem Vortrag Kommunikationsmittel zur Entgegennahme und "Bearbeitung" von Arbeitsaufträgen vorgehalten hat, unterscheidet sich nicht wesentlich von der Situation eines Leiharbeitnehmers, der für seinen Arbeitgeber erreichbar sein und seine geleisteten Stunden abrechnen muss. Die angefallenen Fahrtkosten hat der Kläger gegenüber der Firma M. als Spesen abgerechnet. Insofern ist nicht ersichtlich, dass der Kläger eigenes Kapital mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt hat. Der fehlende Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall begründet ebenfalls kein Unternehmerrisiko, weil bei Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung der Kläger Ansprüche auf die gesetzlich geregelte Lohnfortzahlung hätte geltend machen können (vgl. BSG, Urteil vom 11. März 2009 - B 12 KR 21/07 R -).

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Kläger über keine eigene Betriebsstätte verfügt. Denn die seine Tätigkeit prägenden Arbeiten hat er in den Betriebsstätten der Drittunternehmen erbracht und nicht unter Nutzung einer eigenen Betriebsstätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGB) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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