L 5 R 5615/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2702/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 5615/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 29.11.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1964 geborene Klägerin (GdB 20) absolvierte eine Ausbildung zur Polster- und Dekorationsnäherin. In diesem Beruf war sie bis 1999 (teils geringfügig) beschäftigt und (nach Erziehungsurlaub wegen der Geburt ihrer Kinder) zuletzt im August 2004 tätig.

Vom 13.1. bis 9.2.2003 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der Klinik im H., Bad W ... Im Entlassungsbericht vom 10.2.2003 sind die Diagnosen Z. n. nach ventraler und dorsaler Spondylodese am 27.11./4.12.2002 bei instabiler LWK-2-Fraktur mit Hinterkantenbeteiligung Typ A3.3 vom 12.11.2002 und Tuberculum majus-Impressionsfraktur rechts vom 12.11.2002 angegeben.

Am 16.10.2008 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Sie halte sich u.a. wegen Osteochondrose L5/S1, einem Zustand nach Unfall mit Wirbelsäulenfraktur, Versteifung der WS und Ersatz eines Wirbels, Bewegungs- und Belastungseinschränkungen, einem Kreuzbandriss am linken Knie und Asthma für erwerbsgemindert.

Die Beklagte erhob das Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. R. vom 3.12.2008. Dieser diagnostizierte ein Lumbalsyndrom bei Zustand nach WS-OP mit Fixateur intern und Synex Spacer Interposition L1/3 (nach Unfall im Haushalt im November 2002), ein Cervicalsyndrom mit nur geringer Einschränkung der HWS sowie eine geringe Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks bei Zustand nach Knie-OP links. Die Klägerin könne leichte Arbeiten überwiegend im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen (unter qualitativen Einschränkungen) sechs Stunden täglich und mehr verrichten und in gleichem Umfang auch als Polster- und Dekorationsnäherin arbeiten.

Mit Bescheid vom 11.12.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, sie könne auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr sechs Stunden täglich verrichten. Auch viele Tätigkeiten im Haushalt seien wegen der herabgesetzten Belastbarkeit der Wirbelsäule sowie der Beschwerden im Bereich des Kniegelenks nicht mehr möglich. Ergänzend legte die Klägerin Atteste/Arztbriefe des Allgemeinarztes Dr. M. (vom 2.3.2009: Ganztagsarbeit nicht möglich, möglichst liegende Ruhepausen alle zwei Stunden notwendig) und der unfallchirurgischen Klinik G. (u.a. vom 2.10.2008: Klägerin weitgehend zufrieden, kann ihre Familie – ohne schwere Arbeiten - versorgen , bei stärkerer Alltagsbelastung oft abends Schmerzen, nach eigenen Angaben alle zwei bis drei Stunden Arbeitspausen) vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.7.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück, worauf diese am 29.7.2009 Klage beim Sozialgericht Ulm erhob. Sie trug vor, sie könne maximal eine halbe Stunde am Stück sitzen oder stehen, danach sei ein Positionswechsel zwingend angezeigt. Nach maximal zwei Stunden Tätigkeit sei eine Ruhepause im Liegen notwendig. Außerdem müsse sie dreimal wöchentlich zur Krankengymnastik und könne deswegen unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nicht arbeiten. Man habe ihr mittlerweile stärkere Schmerzmittel verordnet, die nach dem Beipackzettel dazu führten, dass sie weder Auto noch andere Fahrzeuge fahren oder Maschinen bedienen dürfe. Außerdem leide sie wegen des Schmerzmittels unter Konzentrationsstörungen und Müdigkeit.

Vom 2. bis 23.11.2009 absolvierte die Klägerin eine ambulante Rehabilitationsbehandlung bei R.-M., G ... Im Entlassungsbericht vom 23.11.2009 sind die Diagnosen Lumbalgie nach Wirbelbruch und Spondylodese L1/L3 27.11/4.12.2002, Cervikalsyndrom mit geringen Einschränkungen, Gonalgie links nach Kreuzbandverletzung sowie Lumbalgie mit lumbosacraler Instabilität bei Bandscheibenschaden L5/S1 festgehalten. Leichtere Arbeiten als Polster- und Dekorationsnäherin könne die Klägerin drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten, da der lumbale Reizzustand ausgelöst durch den Bandscheibenschaden L5/S1 eine längere Tätigkeit ohne zwischenzeitliche Pausen nicht mehr möglich erscheinen lasse; die Klägerin müsse sich nach eigenen Angaben wegen der Rückenschmerzen häufig hinlegen. Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Wechselrhythmus seien unter qualitativen Einschränkungen (kein häufiges Bücken, keine Arbeit in Zwangshaltung, Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg) aber sechs Stunden täglich und mehr möglich.

Das Sozialgericht erhob das Gutachten des Orthopäden Dr. E. vom 20.5.2010 sowie auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Orthopäden D. vom 20.9.2010.

Dr. E. erhob den Befund (u.a. bei Aufruf unauffällige Aufstehbewegung, regelrechtes Gangbild ohne Schonhinken, unauffälliges Bewegungsmuster im Untersuchungszimmer, keine Abstützbewegungen oder Verzögerungen beim Aufstehen und Hinsetzen, ruhiges Sitzverhalten ohne Einnahme einer Schonhaltung bezüglich der Wirbelsäule, kein Zwang zum Wechsel der Körperhaltung) mit Bewegungsausmaßen, wertete die Röntgenbilder aus und diagnostizierte ein lumbales Facettensyndrom bei Bandscheibendegeneration und leichter Segmentinstabilität in Höhe L5/S1 mit lokaler und pseudoradikulärer Schmerzsymptomatik ohne Nervenwurzelreizungen oder Nervenwurzelstörungen, geringe Segmentinstabilität und Bandscheibendegeneration L4/L5 ohne klinische Symptomatik, Spondylodese der Lendenwirbelsäule in Höhe L1 bis L3 in regelrechtem Folgezustand mit resultierender Steife des oberen Lumbalabschnitts, Gonarthrose links mit leichtem Kapselreizzustand und geringer Einschränkung der Beugefähigkeit und Hinweisen auf Innenmeniskusdegeneration mit verbliebener geringer vorderer Kreuzbandinsuffizienz einschließlich Belastungsbeschwerden sowie eine geringe Einschränkung der Seitwärts- und Vorwärtshebung des linken Schultergelenks nach Anbruch am Oberarmkopf ohne Relevanz für die Globalfunktion der linken Schulter. Hinweise auf neurologische Auffälligkeiten bezüglich der Lendenwirbelsäule gebe es nicht. Wurzelreizerscheinungen seien ebenfalls nicht feststellbar. Ein kernspintomographisch festgestellter Vorfall L5/S1 führe zu keinen Auffälligkeiten bzw. Kompressionszeichen an den aus der Lendenwirbelsäule austretenden Nervenwurzeln. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Wechselrhythmus mit einer Lastgrenze von durchschnittlich 7/8 kg (unter qualitativen Einschränkungen: u.a. keine Wirbelsäulenzwangshaltung, kein gehäuftes Bücken) sechs Stunden täglich und mehr verrichten. Vermehrte, betriebsunübliche Arbeitspausen seien wegen der orthopädischen Gesundheitsstörungen nicht notwendig. Die Klägerin sei auch wegefähig.

Der Gutachter D. diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom mit Chronifizierung Grad II nach Gerbershagen, reaktive Depression, Zustand nach LWK2-Fraktur konsekutiv versorgt mit Fixateur externe und Spacers im Bereich der Wirbelsäule, mit noch bestehenden Sensibilitätsstörungen im Segment L2 und an beiden Oberschenkeln, Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik mit Verschmälerung der Muskulatur des linken Beines sowie Cervicalsyndrom mit pseudoradikulärer Wurzelreizung und HWK4-Blockierung mit Ausstrahlung und verminderter Beweglichkeit in der linken Schulter (Schulterteilsteife). Die Klägerin gehe regelmäßig in den Sportpark zum Training, was ihr helfe, aber den ganzen Tagesablauf durcheinanderbringe. Den Haushalt könne sie führen, da ihr Mann und ihr ältester Sohn Hilfe leisteten. Wie andere Menschen zur Arbeit gingen, müsse sie nach eigenen Angaben an ihrer Gesundheit und ihrem Zustand arbeiten. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei deutlich vermindert. Im Vordergrund stehe ein chronisches Schmerzsyndrom bzw. der seelische Befund. Es liege eine reaktive Depression vor. Die Klägerin sei weinerlich und stoße mit ihren körperlichen Möglichkeiten oftmals an ihre Grenzen, was sie sich nicht eingestehen wolle; das führe zurzeit auch zu der labilen Stimmungslage. Die medikamentöse Einstellung sei noch nicht ausgereizt. Die Einnahme der Medikamente bei Bedarf bzw. nach Gutdünken sei nach schulmedizinischer Meinung kontraproduktiv und fördere eher die Chronifizierung des Schmerzbildes. Als Näherin könne die Klägerin nur unter drei Stunden täglich arbeiten. Wenn sich das chronische Schmerzsyndrom und der psychische Zustand jedoch besserten, sei durchaus eine mindestens sechsstündige Tätigkeit möglich. Auch leichte Tätigkeiten könne die Klägerin im jetzigen Zustand nur unter drei Stunden täglich leisten. Die Gehfähigkeit sei wegen der Rückenschmerzen endgradig eingeschränkt. Zur Beweisfrage 2c (Erforderlichkeit betriebsunüblicher Arbeitsbedingungen wie vermehrter Arbeitspausen oder einer besonderen Arbeitsplatzgestaltung) teilte der Gutachter mit, eine besondere Gestaltung des Arbeitsplatzes sei nicht erforderlich. Mit einer Besserung sei zu rechnen, wenn das chronische Schmerzsyndrom medikamentös neu eingestellt und ggf. eine psychotherapeutische, auch medikamentöse, Behandlung der Depression aufgenommen würde. Dafür müsse man eher von einem Zeitraum von drei Jahren ausgehen. Man möge ein nervenärztliches Gutachten erheben.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts teilte die Klägerin unter dem 13.10.2010 mit, eine psychiatrische Behandlung habe bislang nicht stattgefunden und finde auch derzeit nicht statt.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.11.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Klägerin stehe Erwerbsminderungsrente (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI) nicht zu. Sie könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein und sei deshalb nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das gehe aus dem Gutachten von Dr. E. überzeugend hervor. Der Gutachter habe sich ein eigenes Bild von den Gesundheitsstörungen der Klägerin gemacht und die vorliegenden medizinischen Befunde ausgewertet. Die Notwendigkeit von Ruhepausen alle zwei Stunden habe er nicht bestätigt. Auch der gem. § 109 SGG beauftragte Gutachter D. habe eine besondere Gestaltung des Arbeitsplatzes nicht für erforderlich erachtet. Dieser habe seine Leistungseinschätzung maßgeblich auf die fachfremden Diagnosen eines chronischen Schmerzsyndroms und einer reaktiven Depression gestützt. Die Klägerin sei deswegen aber nicht psychiatrisch behandelt worden; auch derzeit finde eine entsprechende Behandlung nicht statt. In den vorliegenden medizinischen Unterlagen fänden sich keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung. Eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung sei daher nicht veranlasst. Den weiter geltend gemachten Atembeschwerden bzw. einem Asthma könne durch qualitative Leistungseinschränkungen Rechnung getragen werden. Die Klägerin sei auch wegefähig, wie Dr. E. ebenfalls überzeugend festgestellt habe.

Auf den ihr am 30.11.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 8.12.2010 Berufung eingelegt. Sie bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, eine längere Tätigkeit ohne Pausen erscheine – so der Bericht der R. M. vom 23.11.2009 - nicht möglich. Zudem solle sie unbedingt ein regelmäßiges Trainingsprogramm absolvieren und könne deswegen unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nicht mehr arbeiten. Das dreimal wöchentliche und therapeutisch notwendige (auch ggf. am Urlaubsort durchzuführende) Training im Sportpark und die krankengymnastischen Übungen brächten den ganzen Tagesablauf durcheinander; danach sei sie für den Rest des Tages nicht einsatzfähig. Ein Training am Abend sei nicht möglich, weil sie dann nachts nicht zur Ruhe komme. Bei vollschichtiger Arbeit könne sie das ihr empfohlene Trainingsprogramm nicht durchführen. Sie könne im Haushalt ca. zwei Stunden arbeiten, danach benötige sie eine Pause. Der Gutachter D. habe erkannt, dass wegen der Schmerzen auch ihre Psyche und das soziale Umfeld betroffen seien. Schließlich müsse sie Schmerzmittel einnehmen. Dem Beipackzettel des Arzneimittels Tilidin sei zu entnehmen, dass die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen beeinträchtigt sein könnten. Außerdem komme es zu Konzentrationsstörungen und Müdigkeit. Auch das stehe einer vollschichtigen Arbeit entgegen, da sie wegen der Nebenwirkungen weder Maschinen bedienen noch Autofahren könne. Das Sozialgericht habe zudem weitere Kernspindiagnosen nicht ausreichend gewürdigt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 29.11.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.7.2009 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Am 30.3.2011 hat eine nicht öffentliche Erörterungsverhandlung stattgefunden. Die Klägerin hat angegeben, eine psychotherapeutische, psychopharmakologische oder psychiatrische Behandlung finde (nach wie vor) nicht statt. Sie praktiziere Rückengymnastik im Sportpark und habe sich Ende vergangenen Jahres mit Akupunktur am Knie behandeln lassen. Einen vom Gericht angeregten (und von der Beklagten angebotenen) Vergleich (Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsbehandlung und daran anschließend außerdem von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) hat die Klägerin abgelehnt.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. J. vom 7.7.2011 (zum Gutachten des Orthopäden D.) vorgelegt. Darin ist ausgeführt, für die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens stünden die Leiden auf orthopädisch-chirurgischem Gebiet im Vordergrund, insbesondere das chronische lumbale Schmerzsyndrom bei Bandscheibendegeneration L5/S1 und L4/5 mit leichter Segmentinstabilität und Zustand nach Spondylodese L1 bis L3 im Jahre 2002 wegen LWK 2 — Fraktur. Der Orthopäde D. habe im auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobenen Gutachten vom 20.9.2010 auf orthopädischem Gebiet nichts wesentliches Neues beschrieben, was nicht auch im Vorgutachten des Orthopäden Dr. E. berücksichtigt worden wäre. Eine funktionelle Verschlechterung im LWS-Bereich sei nicht erkennbar. Die Beweglichkeit des linken Schultergelenkes sei etwas stärker eingeschränkt angegeben als bei der Vorbegutachtung, was aber nur das Leistungsvermögen für Überkopfarbeiten einschränke; zudem erwarte der Arzt D. hier eine Besserung unter entsprechender Therapie. Die Beweglichkeit des linken Kniegelenks nach Kreuzbandverletzung sei frei gewesen. Der Arzt D. begründe seine Leistungseinschätzung (unter dreistündiges Leistungsvermögen auch nicht mit den orthopädischen Befunden, sondern mit dem seelischen Zustand der Klägerin und dem chronischen Schmerzsyndrom. Diese Beurteilung falle aber nicht in die Kompetenz des orthopädischen Fachgebietes und sei auch nicht nachvollziehbar, da der Gutachter weder einen psychischen Befund noch beobachtbare Einschränkungen infolge des chronischen Schmerzsyndroms beschreibe. Eine psychiatrisch-psychotherapeutische oder schmerztherapeutische Behandlung habe die Klägerin bisher offensichtlich nicht in Anspruch genommen, was eher gegen einen starken Leidensdruck spreche. Eine quantitative Leistungseinschränkung könne somit nicht als belegt angesehen werden. Die Klägerin könne eine geeignete leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Erwerbsminderungsrente zu gewähren; sie hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 43 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weswegen ihr Rente danach nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:

Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann; die Klägerin ist daher nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Auf orthopädischem Fachgebiet liegen rentenberechtigende (quantitative) Leistungseinschränkungen nicht vor. Das hat die Begutachtung der Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ergeben.

Der Chirurg und Sozialmediziner Dr. R. erachtete die Klägerin schon im Verwaltungsgutachten vom 3.12.2008 für fähig, leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) sechs Stunden täglich und mehr zu verrichten, was die Rentengewährung ausschließt. Diese Leistungseinschätzung bestätigte sich im sozialgerichtlichen Verfahren. So wurde die Klägerin aus der während des Gerichtsverfahrens durchgeführten (ambulanten) Rehabilitationsbehandlung mit dem im Kern gleichen Leistungsvermögen (für leichte Tätigkeiten) entlassen (Bericht vom 23.11.2009: Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Wechselrhythmus unter qualitativen Einschränkungen - kein häufiges Bücken, keine Arbeit in Zwangshaltung, Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg - sechs Stunden täglich und mehr möglich). Der Orthopäde Dr. E. konnte bei der eingehenden Untersuchung der Klägerin rentenberechtigende Leistungseinschränkungen ebenfalls nicht finden. Seine sozialmedizinische Leistungseinschätzung ist aus den erhobenen Befunden schlüssig und nachvollziehbar begründet und insgesamt überzeugend.

Der abweichenden Auffassung des auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG mit der Begutachtung beauftragten Orthopäden D. kann der Senat demgegenüber nicht folgen. Der Gutachter erhob auf seinem Fachgebiet weder neue Befunde noch konnte er im Vergleich zum Gutachten des Dr. E. wesentlich Neues oder Abweichendes beschreiben. Das geht aus der beratungsärztlichen Stellungnahme der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. J. vom 7.7.2011 schlüssig hervor. Namentlich war eine funktionelle Verschlechterung im LWS-Bereich nicht erkennbar. Der Gutachter stützte sich für seine Leistungseinschätzung (unter dreistündiges Leistungsvermögen) auch nicht auf orthopädische Befunde, sondern im Wesentlichen auf eine von ihm angenommene Erkrankung des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets. Eine höhergradige Depressions- oder Schmerzerkrankung, die zu rentenrechtlich beachtlichen Leistungseinschränkungen führen könnte, liegt indessen nicht vor.

Die Klägerin begründet ihr Rentenbegehren im Kern mit den Folgen von Schmerzzuständen bzw. einer – von dem Arzt D. letztendlich erstmals postulierten - Depressionserkrankung. Rentenberechtigende Leistungseinschränkungen liegen insoweit aber nicht vor. Der Arzt D. erhob in seinem – orthopädischen – Gutachten keinen psychopathologischen Befund, der auf eine höhergradige Depressionserkrankung hindeuten könnte. Solche Befunde finden sich auch in den übrigen Gutachten und Arztberichten nicht. Der Tagesablauf der Klägerin, die u.a. ihren Haushalt unter Mithilfe von Familienmitgliedern führen und ihr Trainings- bzw. Gymnastikprogramm (offenbar auch bei Urlaubsaufenthalten) absolvieren kann, zeigt vielmehr, dass es insoweit beachtliche Einschränkungen durch psychiatrische Erkrankungen (etwa hinsichtlich der Tagesstrukturierung oder des Antriebs bzw. Durchhaltevermögens) nicht gibt. Demzufolge fand und findet (wie die Klägerin in der Erörterungsverhandlung vom 30.3.2011 bestätigt hat) ersichtlich mangels Notwendigkeit weder eine psychotherapeutische noch eine psychiatrische oder psychopharmakologische Behandlung statt. Das Fehlen einer solchen adäquaten Therapie indiziert aber das Fehlen eines entsprechenden Leidensdrucks und damit auch das Fehlen einer zu höhergradigen (zeitlichen) Einschränkungen führenden Erkrankung des depressiven Formenkreises.

Entsprechendes gilt für eine etwaige Schmerzerkrankung. Auch insoweit fehlt es an einer adäquaten (regelmäßig multimodalen) Schmerztherapie, die bei hinreichend gewichtigen, zur Berentung führenden Schmerzerkrankungen zu erwarten ist. Hierauf hat Dr. J. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 7.7.2011 zu Recht hingewiesen. Auch der Gutachter D. stellte im Übrigen fest, dass die medikamentöse Einstellung noch nicht ausgereizt bzw. optimiert, die derzeitige Schmerzmittelanwendung sogar eher kontraproduktiv ist. Unterstrichen wird dies durch die von Dr. E. bei der Begutachtung der Klägerin erhobenen Befunde (u.a. bei Aufruf im Wartezimmer unauffällige Aufstehbewegung, regelrechtes Gangbild ohne Schonhinken, unauffälliges Bewegungsmuster im Untersuchungszimmer, keine Abstützbewegungen oder Verzögerungen beim Aufstehen und Hinsetzen, ruhiges Sitzverhalten ohne Einnahme einer Schonhaltung bezüglich der Wirbelsäule, kein Zwang zum Wechsel der Körperhaltung), aus denen der Eindruck eines sozialmedizinisch (rentenrechtlich) relevanten Schmerzgeschehens nicht zu ersehen ist.

Die therapeutischen Bemühungen der Klägerin durch Training in einem Sportpark und krankengymnastische Übungen können das Fehlen einer adäquaten ärztlichen bzw. schmerztherapeutischen (Mit-)Behandlung nicht ersetzen. Damit sind angesichts der schlüssigen Erkenntnisse der Rentengutachter zur Berentung führende Leistungseinschränkungen nicht darzutun. Das gilt auch für die von der Klägerin (allgemein an Hand des Beipackzettels) angeführten Nebenwirkungen eines von ihr eingenommenen Schmerzmittels (wie kein Autofahren bzw. Bedienen von Maschinen). Abgesehen davon, dass die Medikation auch nach Auffassung des Gutachters D. den therapeutischen Erfordernissen nicht entspricht und ggf. entsprechend geändert werden müsste, könnten daraus – sofern solche Wirkungen auch bei der Klägerin festzustellen wären – allenfalls qualitative, aber keine rentenberechtigenden (quantitativen) Leistungseinschränkungen folgen.

Die Klägerin kann die ihr noch möglichen leichten Tätigkeiten auch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten. Insbesondere sind vermehrte Arbeitspausen nicht notwendig. Das geht ebenfalls überzeugend aus dem Gutachten des Dr. E. hervor. Auch der Gutachter D. hat anderes letztendlich nicht angenommen. Die vor allem von behandelnden Ärzten (etwa Dr. M., Attest vom 2.3.2009, auch Bericht der R. M. vom 23.11.2009) postulierte Notwendigkeit von (über die üblichen Pausen oder Verteilzeiten hinausgehenden) Arbeitsunterbrechungen beruht wesentlich auf subjektiven Angaben der Klägerin und ist durch entsprechende Befunde nicht gestützt. Der Terminplan der Klägerin zur Absolvierung ihres Trainings im Sportpark oder ihrer gymnastischen Übungen kann das Ausüben einer Erwerbstätigkeit mit der Folge der Berentung nicht ausschließen. Schließlich ist auch für eine sozialmedizinisch beachtliche Einschränkung der Wegefähigkeit, wie Dr. E. an Hand der erhobenen Befunde (vor allem regelrechtes Gangbild ohne Schonhinken) überzeugend festgestellt hat - nichts ersichtlich. Dass – so der Gutachter D. - wegen der Rückenschmerzen eine endgradige Einschränkung der Gehfähigkeit vorliegen soll, ist hierfür nicht von Belang.

Die von der Klägerin angeführten Kernspindiagnosen sind in der sozialmedizinischen Begutachtung vor allem durch Dr. E. gewürdigt worden. Für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente sind im Übrigen nicht Diagnosen, sondern (rentenrechtlich beachtliche) Leistungseinschränkungen maßgeblich.

Angesichts der vorliegenden Gutachten und Arztberichte drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen, nicht auf. Das gilt auch für die Erhebung eines Gutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Hierfür besteht nach dem Gesagten schon mangels einschlägiger Befunde keine Veranlassung.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben kann. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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