Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 2406/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3938/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Leistungsausschluss von bulgarischen Staatsangehörigen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, die nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche haben. Steht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, weil bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht über die Vereinbarkeit der Norm mit Europarecht abschließend entschieden werden kann, ist als Grundlage der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine Folgenabwägung vorzunehmen.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 26. August 2011 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass Leistungen vorläufig bis 31. Januar 2012, längstens bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2011 zu gewähren sind.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1975 geborene Antragsteller Ziff. 1, bulgarischer Staatsangehöriger, hält sich seit dem 27. Oktober 2009 dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Seine 1976 geborene Ehefrau (Antragstellerin Ziff. 2) sowie die 1994 und 1996 geborenen Kinder (Antragsteller Ziff. 3 und 4), ebenfalls bulgarische Staatsangehörige, leben seit September 2010 in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Antragsteller Ziff. 1 war in der Zeit vom 1. März 2010 bis 25. Januar 2011 als Eisenflechter beschäftigt, wofür ihm eine Arbeitserlaubnis-EU nur bei dem Betrieb Y. E. in L. erteilt worden war. Das Arbeitsverhältnis endete zunächst durch arbeitgeberseitige saisonbedingte Kündigung zum 30. November 2010, wurde dann jedoch fortgesetzt und endete mit Kündigung zum 25. Januar 2011 endgültig. Im zweiten Kündigungsschreiben berief sich der Arbeitgeber darauf, dass der Antragsteller Ziff. 1 wiederholt unentschuldigt gefehlt habe und im Übrigen telefonisch um die Kündigung gebeten habe. Die Antragsteller Ziff. 2 bis 4 üben bislang keine Beschäftigung im Bundesgebiet aus, die Antragstellerin Ziff. 4 besucht eine allgemeinbildende Schule. Die Antragsteller erhalten seit September 2010 Kindergeld in Höhe von monatlich 368 EUR.
Auf Antrag vom 27. Januar 2011 bewilligte die Antragsgegnerin vorläufig mit Bescheid vom 7. Februar Leistungen vom 27. Januar bis 31. Mai 2011 in Höhe von 852 EUR monatlich. Auf den Folgeantrag vom 18. April 2011 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19. April 2011 die Gewährung weiterer Leistungen ab.
Mit ihrem Widerspruch legten die Antragsteller die Freizügigkeitsbescheinigung des Antragsteller Ziff. 1 gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) vor. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch zurück und berief sich auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Der Antragsteller Ziff. 1 sei nicht aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weshalb der Ausschluss anwendbar bleibe. Er sei ab dem 25. Januar 2011 nicht unfreiwillig arbeitslos geworden.
Am 21. Juli 2011 haben die Antragsteller zum Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben (S 14 AS 2407/11) und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie seien derzeit ohne Einkommen und dringend auf die Leistungen nach dem SGB II angewiesen. Den Lebensunterhalt bestreite die Familie durch Bargeld, das sie sich bei Verwandten und Bekannten leihe und zurückzahlen müsse.
Mit Beschluss vom 26. August 2011 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragstellern ab 21. Juli 2011 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die begehrte einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) fordere das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs. Ein Anordnungsanspruch sei wahrscheinlich gegeben. Die Antragsteller seien erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II, hilfebedürftig und hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 19 Satz 1, 7 Abs. 1 SGB II). Die geliehenen Beträge von Freunden und Verwandten reichten, selbst wenn man sie als Einkommen sehen wollte, nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus. Der Leistungsberechtigung stehe auch § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II treffe nicht zu, denn alle Personen der Bedarfsgemeinschaft befänden sich schon länger als drei Monate in Deutschland. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe und ihre Angehörigen ebenfalls vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien, führe ebenfalls nicht zum Ausschluss der Antragsteller von den Leistungen. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers Ziff. 1 könne sich allenfalls aus einer Freizügigkeitsberechtigung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU ergeben, wonach die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 1 der Vorschrift bei Personen, die weniger als ein Jahr durchgehend beschäftigt gewesen seien, für sechs Monate nach dem Arbeitsende fortwirke. Dies könne hier längstens bis 25. Juli 2011 gelten, wobei entscheidend sei, ob der Antragsteller Ziff. 1 sein Arbeitsverhältnis freiwillig beendet habe. Letztlich könne dies dahin stehen, denn der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II stehe dem Anspruch im einstweiligen Rechtsschutz ohnehin nicht entgegen. Die Kammer halte für zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Vorschrift auf Unionsbürger Anwendung finden könne. Es bestünden erhebliche Bedenken, ob die Norm mit dem europarechtlich ausgestalteten Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 4 i.V.m. 70 VO (EG) 883/2004 sowie Art. 21, 45 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vereinbar sei. Die vorbezeichneten Normen seien auf die Antragsteller, die als Staatsbürger Bulgariens Unionsbürger seien, anwendbar. Angesichts der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtsfrage müsse die Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Könne eine Rechtsfrage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden. Aufgrund der Existenzsicherungsfunktion der streitgegenständlichen Leistungen überwögen die Interessen der Antragsteller, die ihren Bedarf derzeit nicht anders decken könnten. Demgegenüber stünden die rein finanziellen Interessen der Antragsgegnerin. Selbst wenn eine Rückzahlung nicht möglich sein sollte, müsse dies hinter der Existenzsicherung und der Erhaltung eines menschenwürdigen Daseins zurückstehen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 12. September 2011 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Sei eine in der Hauptsache erhobene Klage mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet, sei wegen fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Vorliegend stehe der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dem Anspruch entgegen. Danach seien Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe und ihre Angehörigen vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller Ziff. 1 um eine Kündigung gebeten habe, könne nicht von einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit und damit einer Freizügigkeitsberechtigung bis 25. Juli 2011 ausgegangen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere wäre auch in der Hauptsache die Berufung zulässig (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet, das SG hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege einer Folgenabwägung zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet. Da das SG indes in seinen Tenor nur den Beginn, nicht aber einen Endzeitpunkt der ausgesprochenen Verpflichtung aufgenommen hat, hat der Senat die Beschwerde insoweit mit einer entsprechenden Maßgabe zurückgewiesen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange des Antragstellers. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 - FEVS 57, 72 und 164).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind den Antragstellern im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Gewährleistung des Existenzminimums zuzusprechen, denn im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes kann das Bestehen der geltend gemachten Ansprüche nicht abschließend geklärt werden. Die Antragsteller haben im hier streitigen Zeitraum sämtlich die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Sie haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a noch nicht erreicht, sie sind erwerbsfähig, hilfebedürftig und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Zweifelhaft ist insoweit lediglich, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II den geltend gemachten Ansprüchen entgegen steht. Nach dieser Vorschrift sind von der Leistungsberechtigung ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.
Der Antragsteller Ziff. 1 hat jedenfalls ab dem 25. Juli 2010 nur noch ein Aufenthaltsrecht, das sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. FreizügG/EU), so dass der Anwendungsbereich der Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eröffnet ist. Die Antragsteller Ziff. 2 bis 4 haben zu keinem Zeitpunkt eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, so dass sie ebenfalls kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer haben. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wird im vorliegenden Fall auch nicht durch Art. 1 Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) verdrängt (vgl. BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 21), denn Bulgarien gehört nicht zu den Signatarstaaten des EFA. Ob für den Antragsteller Ziff. 1 bis zum 25. Juli 2010 die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU noch fortwirkt - was entsprechend für ein hiervon nach § 3 FreizügG/EU abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige für die Antragsteller Ziff. 2 bis 4 gelten würde - kann dahin stehen, denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist zu berücksichtigen, dass zweifelhaft ist, ob der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Leistungsausschluss für Unionsbürger (noch) europarechtskonform ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind in letzter Zeit in vergleichbaren Fällen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ganz überwiegend Leistungen im Rahmen einer Folgenabwägung zugesprochen worden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2010 - L 7 AS 134/10 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B -; Bayer. LSG, Beschluss vom 22. Dezember 2010 - L 16 AS 767/10 B-ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 11. März 2011 - L 13 AS 51/11 B ER und vom 11. August 2011 - L 15 AS 188/11 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Juni 2011 - L 25 AS 535/11 B ER -; Hess. LSG, Beschluss vom 14. Juli 2011 - L 7 AS 107/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14. September 2011 - L 3 AS 155/11 B ER - (alle juris)).
Der Senat hat die in Rechtsprechung und Literatur geäußerten Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Norm mit europäischem Gemeinschaftsrecht im Beschluss vom 11. Dezember 2009 (- L 12 AS 5297/09 ER-B - (juris)) nicht geteilt. Eine höchstrichterliche Klärung der hiermit verbundenen komplexen und schwierigen Rechtsfragen ist bislang noch nicht erfolgt. Die bislang vom Senat vertretene Auffassung wird durch die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die nach ihrem Art. 91 am Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung und damit am 1. Mai 2010 (vgl. Art. 97 VO (EG) 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) 883/2004) Gültigkeit erlangt hat und an die Stelle der VO (EWG) 1408/71 getreten ist, allerdings in Frage gestellt. Nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Nach Art. 3 Abs. 3 gilt diese Verordnung auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70, wozu nach Anhang X (i.d.F. der VO (EG) 988/2009 v. 16. September 2009 zur Änderung der VO (EG) 883/2004 und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge) auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehören. Nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 gilt diese für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten oder gelten sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Die insoweit im Raum stehenden Fragen hinsichtlich der Europarechtskonformität der Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für arbeitsuchende Unionsbürger können im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden, so dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden muss. Die folglich anhand einer Folgenabwägung zu treffende Entscheidung führt dazu, dass im Hinblick auf die zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Leistungen das Interesse der Antragsteller an einer vorläufigen Leistungsgewährung höher zu bewerten ist. Das rein fiskalische Interesse der Antragsgegnerin muss insoweit zurückstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1975 geborene Antragsteller Ziff. 1, bulgarischer Staatsangehöriger, hält sich seit dem 27. Oktober 2009 dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Seine 1976 geborene Ehefrau (Antragstellerin Ziff. 2) sowie die 1994 und 1996 geborenen Kinder (Antragsteller Ziff. 3 und 4), ebenfalls bulgarische Staatsangehörige, leben seit September 2010 in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Antragsteller Ziff. 1 war in der Zeit vom 1. März 2010 bis 25. Januar 2011 als Eisenflechter beschäftigt, wofür ihm eine Arbeitserlaubnis-EU nur bei dem Betrieb Y. E. in L. erteilt worden war. Das Arbeitsverhältnis endete zunächst durch arbeitgeberseitige saisonbedingte Kündigung zum 30. November 2010, wurde dann jedoch fortgesetzt und endete mit Kündigung zum 25. Januar 2011 endgültig. Im zweiten Kündigungsschreiben berief sich der Arbeitgeber darauf, dass der Antragsteller Ziff. 1 wiederholt unentschuldigt gefehlt habe und im Übrigen telefonisch um die Kündigung gebeten habe. Die Antragsteller Ziff. 2 bis 4 üben bislang keine Beschäftigung im Bundesgebiet aus, die Antragstellerin Ziff. 4 besucht eine allgemeinbildende Schule. Die Antragsteller erhalten seit September 2010 Kindergeld in Höhe von monatlich 368 EUR.
Auf Antrag vom 27. Januar 2011 bewilligte die Antragsgegnerin vorläufig mit Bescheid vom 7. Februar Leistungen vom 27. Januar bis 31. Mai 2011 in Höhe von 852 EUR monatlich. Auf den Folgeantrag vom 18. April 2011 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19. April 2011 die Gewährung weiterer Leistungen ab.
Mit ihrem Widerspruch legten die Antragsteller die Freizügigkeitsbescheinigung des Antragsteller Ziff. 1 gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) vor. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch zurück und berief sich auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Der Antragsteller Ziff. 1 sei nicht aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weshalb der Ausschluss anwendbar bleibe. Er sei ab dem 25. Januar 2011 nicht unfreiwillig arbeitslos geworden.
Am 21. Juli 2011 haben die Antragsteller zum Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben (S 14 AS 2407/11) und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie seien derzeit ohne Einkommen und dringend auf die Leistungen nach dem SGB II angewiesen. Den Lebensunterhalt bestreite die Familie durch Bargeld, das sie sich bei Verwandten und Bekannten leihe und zurückzahlen müsse.
Mit Beschluss vom 26. August 2011 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragstellern ab 21. Juli 2011 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die begehrte einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) fordere das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs. Ein Anordnungsanspruch sei wahrscheinlich gegeben. Die Antragsteller seien erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II, hilfebedürftig und hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 19 Satz 1, 7 Abs. 1 SGB II). Die geliehenen Beträge von Freunden und Verwandten reichten, selbst wenn man sie als Einkommen sehen wollte, nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus. Der Leistungsberechtigung stehe auch § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II treffe nicht zu, denn alle Personen der Bedarfsgemeinschaft befänden sich schon länger als drei Monate in Deutschland. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe und ihre Angehörigen ebenfalls vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien, führe ebenfalls nicht zum Ausschluss der Antragsteller von den Leistungen. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers Ziff. 1 könne sich allenfalls aus einer Freizügigkeitsberechtigung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU ergeben, wonach die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 1 der Vorschrift bei Personen, die weniger als ein Jahr durchgehend beschäftigt gewesen seien, für sechs Monate nach dem Arbeitsende fortwirke. Dies könne hier längstens bis 25. Juli 2011 gelten, wobei entscheidend sei, ob der Antragsteller Ziff. 1 sein Arbeitsverhältnis freiwillig beendet habe. Letztlich könne dies dahin stehen, denn der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II stehe dem Anspruch im einstweiligen Rechtsschutz ohnehin nicht entgegen. Die Kammer halte für zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Vorschrift auf Unionsbürger Anwendung finden könne. Es bestünden erhebliche Bedenken, ob die Norm mit dem europarechtlich ausgestalteten Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 4 i.V.m. 70 VO (EG) 883/2004 sowie Art. 21, 45 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vereinbar sei. Die vorbezeichneten Normen seien auf die Antragsteller, die als Staatsbürger Bulgariens Unionsbürger seien, anwendbar. Angesichts der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtsfrage müsse die Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Könne eine Rechtsfrage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden. Aufgrund der Existenzsicherungsfunktion der streitgegenständlichen Leistungen überwögen die Interessen der Antragsteller, die ihren Bedarf derzeit nicht anders decken könnten. Demgegenüber stünden die rein finanziellen Interessen der Antragsgegnerin. Selbst wenn eine Rückzahlung nicht möglich sein sollte, müsse dies hinter der Existenzsicherung und der Erhaltung eines menschenwürdigen Daseins zurückstehen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 12. September 2011 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Sei eine in der Hauptsache erhobene Klage mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet, sei wegen fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Vorliegend stehe der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dem Anspruch entgegen. Danach seien Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe und ihre Angehörigen vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller Ziff. 1 um eine Kündigung gebeten habe, könne nicht von einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit und damit einer Freizügigkeitsberechtigung bis 25. Juli 2011 ausgegangen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere wäre auch in der Hauptsache die Berufung zulässig (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet, das SG hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege einer Folgenabwägung zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet. Da das SG indes in seinen Tenor nur den Beginn, nicht aber einen Endzeitpunkt der ausgesprochenen Verpflichtung aufgenommen hat, hat der Senat die Beschwerde insoweit mit einer entsprechenden Maßgabe zurückgewiesen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange des Antragstellers. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 - FEVS 57, 72 und 164).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind den Antragstellern im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Gewährleistung des Existenzminimums zuzusprechen, denn im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes kann das Bestehen der geltend gemachten Ansprüche nicht abschließend geklärt werden. Die Antragsteller haben im hier streitigen Zeitraum sämtlich die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Sie haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a noch nicht erreicht, sie sind erwerbsfähig, hilfebedürftig und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Zweifelhaft ist insoweit lediglich, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II den geltend gemachten Ansprüchen entgegen steht. Nach dieser Vorschrift sind von der Leistungsberechtigung ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.
Der Antragsteller Ziff. 1 hat jedenfalls ab dem 25. Juli 2010 nur noch ein Aufenthaltsrecht, das sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. FreizügG/EU), so dass der Anwendungsbereich der Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eröffnet ist. Die Antragsteller Ziff. 2 bis 4 haben zu keinem Zeitpunkt eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, so dass sie ebenfalls kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer haben. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wird im vorliegenden Fall auch nicht durch Art. 1 Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) verdrängt (vgl. BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 21), denn Bulgarien gehört nicht zu den Signatarstaaten des EFA. Ob für den Antragsteller Ziff. 1 bis zum 25. Juli 2010 die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU noch fortwirkt - was entsprechend für ein hiervon nach § 3 FreizügG/EU abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige für die Antragsteller Ziff. 2 bis 4 gelten würde - kann dahin stehen, denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist zu berücksichtigen, dass zweifelhaft ist, ob der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Leistungsausschluss für Unionsbürger (noch) europarechtskonform ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind in letzter Zeit in vergleichbaren Fällen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ganz überwiegend Leistungen im Rahmen einer Folgenabwägung zugesprochen worden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2010 - L 7 AS 134/10 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. August 2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B -; Bayer. LSG, Beschluss vom 22. Dezember 2010 - L 16 AS 767/10 B-ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 11. März 2011 - L 13 AS 51/11 B ER und vom 11. August 2011 - L 15 AS 188/11 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Juni 2011 - L 25 AS 535/11 B ER -; Hess. LSG, Beschluss vom 14. Juli 2011 - L 7 AS 107/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14. September 2011 - L 3 AS 155/11 B ER - (alle juris)).
Der Senat hat die in Rechtsprechung und Literatur geäußerten Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Norm mit europäischem Gemeinschaftsrecht im Beschluss vom 11. Dezember 2009 (- L 12 AS 5297/09 ER-B - (juris)) nicht geteilt. Eine höchstrichterliche Klärung der hiermit verbundenen komplexen und schwierigen Rechtsfragen ist bislang noch nicht erfolgt. Die bislang vom Senat vertretene Auffassung wird durch die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die nach ihrem Art. 91 am Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung und damit am 1. Mai 2010 (vgl. Art. 97 VO (EG) 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) 883/2004) Gültigkeit erlangt hat und an die Stelle der VO (EWG) 1408/71 getreten ist, allerdings in Frage gestellt. Nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Nach Art. 3 Abs. 3 gilt diese Verordnung auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70, wozu nach Anhang X (i.d.F. der VO (EG) 988/2009 v. 16. September 2009 zur Änderung der VO (EG) 883/2004 und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge) auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehören. Nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 gilt diese für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten oder gelten sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Die insoweit im Raum stehenden Fragen hinsichtlich der Europarechtskonformität der Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für arbeitsuchende Unionsbürger können im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden, so dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden muss. Die folglich anhand einer Folgenabwägung zu treffende Entscheidung führt dazu, dass im Hinblick auf die zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Leistungen das Interesse der Antragsteller an einer vorläufigen Leistungsgewährung höher zu bewerten ist. Das rein fiskalische Interesse der Antragsgegnerin muss insoweit zurückstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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