L 4 KR 912/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 982/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 912/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von EUR 6.240,00, die ihr durch die Behandlung bei der nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Psychotherapeutin und Heilpraktikerin F. entstanden sind.

Die 1977 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie leidet an einem IgA-Defekt. Sie ist als Flugbegleiterin bei einer Fluggesellschaft beschäftigt und war ab April 2007 arbeitsunfähig. Sie klagte insbesondere über chronische Schmerzen, Fieberschübe und Unterbauchbeschwerden. Prof. Dr. H., Universitätsklinikum H., ging in seinem Bericht vom 19. Oktober 2007 von einer im Vordergrund stehende Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und histrionischen Zügen aus und nannte in diesem Bericht sowie in seinem weiteren Bericht vom 22. Oktober 2007 als Diagnose u.a. eine Anorexia nervosa (Body-Mass-Index 17,4 kg/m2 und 16,6 kg/m2). Wegen ärztlicher Behandlungen im Zusammenhang mit dem IgA-Defekt und Fahrkosten kam es zwischen den Beteiligten am 14. Juli 2009 zu einer Mediationsvereinbarung, die jedoch eine psychotherapeutische Behandlung nicht umfasste.

Die Beklagte genehmigte am 14. April 2008 eine Langzeittherapie mit 50 Sitzungen, die die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Psychologische Psychotherapeutin S. durchführte. Die Klägerin brach diese Behandlung am 6. April 2009 nach der 34. Sitzung ab. Sie begehrte gegenüber der Beklagten den Wechsel zu der Psychotherapeutin und Heilpraktikerin F., die nicht als Psychologische Psychotherapeutin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Psychotherapeutin F. behandelte die Klägerin ab 4. März 2009 psychotherapeutisch und bat die Beklagte mit Schreiben vom 21. Juli 2009, die Kosten einer psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin zu übernehmen. Die Klägerin komme wöchentlich zu mindestens einer Doppelsitzung und habe bislang dafür EUR 1.680,00 aufgewandt. Die chronifizierte Angststörung und das in den letzten Jahren deutlich verstärkte Vermeidungsverhalten der Klägerin habe zu einer immer stärkeren Verengung ihrer Möglichkeiten, beruflich tätig zu sein und ein befriedigendes privates Beziehungs- und Freizeitleben aufrechtzuerhalten, geführt. Die Behandlung ziele auf die Entwicklung eines realitätsbezogenen Selbstkonzepts mit stabiler Selbstschätzung und Selbstregulation, Entwicklung von Selbstverantwortung und Risikobereitschaft sowie einer Bewältigung und schrittweisen Annäherung an gemiedene Situationen statt Kultivierung von Phobien und Symptomfixierung. Es gebe bisher keinen Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung. Trotz der Schwere der Symptomatik sei die Prognose als günstig anzusehen. Lernziel sei, nicht von Panikgefühlen überschwemmt zu werden, sondern eine generelle "Entängstigung" und allmählich wieder beruflich Fuß zu fassen und eigene Hobbys zu entwickeln. Zur Anwendung kämen auch Atemnottechnik, Stressbewältigungs- und Entspannungsübungen, die bislang sehr positiv aufgenommen worden seien und zuhause auch als Mittel der Selbsthilfe dienten.

In der auf Veranlassung der Beklagten erstellten sozialmedizinischen Fallberatung vom 10. August 2009 konnte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg - MDK - (Verfasser der Fallberatung nicht erkennbar) eine Qualifikation der Psychotherapeutin F. entsprechend den Anforderungen der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie) nicht nachvollziehen. Nachdem die Beklagte der Klägerin diese Stellungnahme übersandt hatte, reichte Psychotherapeutin F. weitere ihre Qualifikation betreffende Unterlagen ein. In der weiteren sozialmedizinischen Fallberatung vom 29. September 2009 kam Dr. L., MDK, zum Ergebnis, durch die vorgelegten Unterlagen würden die Anforderungen der Psychotherapie-Richtlinie nicht erfüllt. Qualifikationen für ein in der Psychotherapie-Richtlinie zugelassenes Verfahren sowie eine Approbation nach dem Psychotherapeutengesetz (PsychThG) lägen nicht vor. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf eine psychotherapeutische Behandlung bei der Psychotherapeutin F. ab, da es sich um eine so genannte Nichtvertrags-behandlerin handle.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie sei in Absprache mit der Psychologischen Psychotherapeutin S., die die Psychotherapie u.a. wegen der Essstörungen durchgeführt habe, zu der Psychotherapeutin F. gewechselt. Deren psychotherapeutische Behandlung in Verbindung mit der Körpertherapie zeige Erfolge. Die genehmigten restlichen Stunden der Psychotherapie seien auf die Psychotherapeutin F. zu übertragen. Die Beklagte benannte der Klägerin zwei behandlungsbereite und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Psychologische Psychotherapeuten. Die Klägerin war auch nach Gesprächen mit Mitarbeitern der Beklagten nicht bereit, diese zu konsultieren. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2010 zurück. Die Versicherten dürften nur unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Therapeuten frei wählen. Andere Leistungserbringer dürften nur im Notfall oder ausnahmsweise dann, wenn die Krankenkasse vorher zugestimmt habe, in Anspruch genommen werden. Ein Notfall liege nicht vor. Die von der Klägerin gewählte Psychotherapeutin F. sei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und könne deshalb Patienten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln. Entsprechend den Ausführungen des MDK rechtfertigten auch besondere medizinische oder soziale Gründe nicht die Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Therapeuten. Deshalb könne auch keine Genehmigung erfolgen, die Kosten für die Behandlung der Psychotherapeutin F. zu übernehmen. Die Klägerin habe weiterhin die Möglichkeit, einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt oder Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen.

Die Klägerin erhob am 15. März 2010 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) und begehrte, Kosten in Höhe von ca. EUR 2.900,00 zu erstatten sowie die künftigen weiteren anfallenden Kosten für Psychotherapie und Ernährungstherapie zu übernehmen. Sie sei seit Juni 2009 auf Veranlassung der Psychologischen Psychotherapeutin S. in Behandlung bei Psychotherapeutin F ... Die bisherige Psychotherapie und Ernährungstherapie bei Psychotherapeutin F. habe erfolgreich angeschlagen und sie (die Klägerin) habe an Gewicht zugenommen. Es bestehe sogar die Aussicht, dass sie ihren Beruf als Flugbegleiterin wieder ausüben könne. Der Wechsel der behandelnden Therapeutin sei aufgrund einer dringenden Notlage wegen lebensbedrohlichen Untergewichts erfolgt.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Der Antrag der Klägerin, auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich des mit der Klage verfolgten Begehrens blieb erfolglos (Beschluss des SG vom 23. April 2010 - S 7 KR 983/10 ER -; Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 28. September 2010 - L 5 KR 2396/10 ER-B -). Zur Begründung führte das LSG aus, ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe nicht. Abgesehen davon, dass die Klägerin den vorgesehenen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe, weil sie die Behandlung bei Psychotherapeutin F. im März 2009 aufgenommen und die Beklagte damit erst im Juli 2009 befasst habe sowie ersichtlich von vornherein auf eine Behandlung durch Psychotherapeutin F. festgelegt gewesen sei, reiche ein Anspruch auf Kostenerstattung nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Die Beklagte müsse die begehrte Behandlung (Körpertherapie) bei Psychotherapeutin F. nicht als Sachleistung gewähren. Psychotherapeutin F. sei weder als Ärztin noch als Psychologische Psychotherapeutin approbiert noch zähle sie zu dem Kreis der zur vertragsärztlichen oder vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer. Außerdem sei die von Psychotherapeutin F. praktizierte Körpertherapie nach Maßgabe der Psychotherapie-Richtlinie nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Demgemäß habe die Klägerin auch keinen Anspruch, dass künftig für die (Weiter-)Behandlung durch Psychotherapeutin F. entstehende Kosten übernommen würden oder eine Therapie bei Psychotherapeutin F. als Sachleistung gewährt werde. Die Leistungen der Psychotherapeutin F. seien nicht unaufschiebbar gewesen.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2011 ab und verwies zur Begründung auf den Beschluss des LSG vom 28. September 2010.

Gegen den ihr am 24. Januar 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21. Februar 2011 beim SG Berufung eingelegt. Sie sei Anfang 2009 mit einem Gewicht von 41 kg bei einer Körpergröße von 1,74 m in einem lebensbedrohlichen Zustand gewesen. Für ihre speziellen Probleme habe die Beklagte ihr keinen Therapeuten benennen können. Die Beklagte habe ihr die geschuldete notwendige Behandlung nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung stellen können. Durch die auf sie abgestimmte Therapie der Psychotherapeutin F. könne sie seit 1. September 2010 ihre Tätigkeit als Flugbegleiterin wieder vollschichtig ausüben. Sie hat die Bescheinigung der Psychotherapeutin F. vom 18. Mai 2011, wonach sie (die Klägerin) vom 4. März 2009 bis 25. März 2011 für 52 gesprächstherapeutische Sitzungen insgesamt EUR 6.240,00 entrichtet habe, sowie die von Psychotherapeutin F. gestellten Rechnungen (pro Sitzung EUR 120,00) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Januar 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr (der Klägerin) EUR 6.240,00 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Für die Behandlung psychischer Erkrankungen biete das Vertragssystem ausreichend Möglichkeiten.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Senatsakten L 4 KR 2181/09 und L 4 KR 912/11, die Akten des SG S 9 KR 1426/08, S 7 KR 982/10 und S 7 KR 983/10 ER sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, weil der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von EUR 750,00 zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung am 24. Januar 2011 überschritten wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 49 der insgesamt 52 gesprächstherapeutischen Sitzungen bei Psychotherapeutin F. durchgeführt. Bei einem Betrag pro Sitzung von EUR 120,00 ergibt sich ein Betrag von EUR 5.880,00.

2. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren auch die Kosten für die drei weiteren nach Einlegung der Berufung durchgeführten Sitzungen geltend macht, handelt es sich nicht um eine Klageänderung, weil insoweit die Klägerin nur den ursprünglichen bereits beim SG geltend gemachten Klageantrag in der Hauptsache erweiterte (§ 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG).

3. Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr durch die Behandlung bei Psychotherapeutin F. entstanden sind, weil die Beklagte es zu Recht abgelehnt hat, diese Behandlung zu bewilligen.

Da die Klägerin nicht nach § 13 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hatte, kommt als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten in Höhe von EUR 6.240,00, die der Klägerin durch die Behandlung bei der Psychotherapeutin F. in der Zeit vom 4. März 2009 bis 25. März 2011 entstanden sind, nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistungen nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Alternative 2) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) reicht dieser Anspruch jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen haben (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 - = SozR 3 2500 § 13 Nr. 11; Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12; Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - = SozR 4-2500 § 27 Nr. 10 m.w.N.). Eine Behandlung durch die Psychotherapeutin F. musste die Beklagte nicht als Sachleistung gewähren, weil diese nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen war (a), die von Psychotherapeutin F. durchgeführte Gesprächstherapie kein anerkanntes Behandlungsverfahren in der gesetzlichen Krankenversicherung ist (b), kein Notfall vorlag (c), diese Behandlung auch nicht unaufschiebbar war (d), kein so genanntes Systemversagen vorlag (e) sowie der Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Ablehnung und der Kostenlast fehlt (f).

a) Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Satz 1). Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (Satz 2 Nr. 1). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) - im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil es sich um keine Leistung zur Teilhabe im Sinne des § 15 SGB IX handelt - nichts Abweichendes vorsehen. Die Klägerin hatte damit grundsätzlich bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung. Eine solche Behandlung konnte aber nur bei einem zur vertragsärztlichen oder vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Arzt oder psychologischen Psychotherapeuten erfolgen. Denn nach § 76 Abs. 1 SGB V, der nach § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V u.a. für die Psychologischen Psychotherapeuten entsprechend gilt, können die Versicherten unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b SGB V an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den nach § 72a Abs. 3 SGB V vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 SGB V frei wählen (Satz 1). Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden (Satz 2). Psychotherapeutin F. war im Zeitraum der Behandlung vom 4. März 2009 bis 25. März 2011 nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen.

b) Die Beklagte war nicht verpflichtet war, die von Psychotherapeutin F. durchgeführten Gesprächstherapien als Sachleistungen zu erbringen. Dass Psychotherapeutin F. Gesprächstherapien durchführte, ergibt sich aus ihren Rechnungen. Gesprächstherapie ist kein anerkanntes Behandlungsverfahren in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 6 KA 11/09 R - = SozR 4-2500 § 92 Nr. 8).

c) Ein Notfall, bei dem ausnahmsweise nicht zugelassene Ärzte oder Psychologische Psychotherapeuten in Anspruch genommen werden können, ist nicht gegeben. Ein Notfall liegt nur dann vor, wenn ein unvermittelt auftretender Behandlungsbedarf aus medizinischen Gründen sofort befriedigt werden muss und ein fachlich zuständiger Vertragsarzt nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 1. Februar 1995 - 6 RKa 9/94 - = SozR 3-2500 § 76 Nr. 2 und vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12). Die Notwendigkeit der weiteren ambulanten psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin trat nicht unvermittelt auf. Im Übrigen hätte, wenn ein Notfall vorgelegen hätte, Psychotherapeutin F. unmittelbar mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg abrechnen müssen und hätte der Klägerin selbst keine Rechnungen über durchgeführte Notfallbehandlungen stellen dürfen.

d) Der Fall einer unaufschiebbaren Leistung (§ 13 Abs. 3 Satz 1, Alternative 1 SGB V) lag nicht vor. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zu einer Entscheidung des Leistungsträgers mehr besteht. Die Fähigkeit der Krankenkasse, auch unaufschiebbare Leistungen rechtzeitig zu erbringen, bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung des Leistungsträgers vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, darf die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden (BSG, Urteil vom 25. September 2000 B 1 KR 5/99 R - = SozR 3-2500 § 13 Nr. 22; Urteil vom 02. November 2007 - B 1 KR 14/07 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 15). Der Senat vermag nicht festzustellen, dass es für die Klägerin unzumutbar war, bereits vor Beginn der Behandlung bei Psychotherapeutin F. die Beklagte hierzu einzuschalten. Die Behauptung der Klägerin, zum Zeitpunkt des Wechsels zu der nicht zugelassenen Psychotherapeutin F. habe eine akute lebensbedrohliche Erkrankung wegen des Untergewichts vorgelegen, schloss das Einschalten der Beklagten wegen der Änderung der von der Beklagten genehmigten psychotherapeutischen Behandlung nicht aus. Wenn diese Behauptung zutreffen sollte, hätte es vielmehr nahe gelegen, entsprechende vertragsärztliche Behandlung in die Wege zu leiten. Im Übrigen ist auch die behauptete akute lebensbedrohliche Erkrankung wegen des Untergewichts gerade Anfang 2009 nicht zu erkennen. Aus dem Bericht des Prof. Dr. H. vom 19. Oktober 2007, der dem SG in dem anderen von der Klägerin gegen die Beklagte geführten Rechtsstreit S 9 KR 1426/08 zugegangen ist, ergibt sich, dass auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Anorexia nervosa (Magersucht) mit einem BMI von 17,4 kg/m2 bestand.

e) Auch den Ausnahmefall eines so genannten Systemversagens, dass nämlich eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 20. Mai 2003 - B 1 KR 9/03 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 und vom 27. Juni 2007 - B 6 KA 38/06 R -), vermag der Senat nicht festzustellen. Ein Versicherter, der nicht zugelassene Leistungserbringer in Anspruch nehmen will, ist gehalten, vor Beginn der Behandlung sich mit der Krankenkasse nach den in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen des vertragsärztlichen Systems zu erkundigen, um so der Krankenkasse Gelegenheit zu geben, ihm Behandlungsalternativen aufzuzeigen (BSG, Urteile vom 20. Mai 2003 - B 1 KR 9/03 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 und vom 27. Juni 2007 - B 6 KA 38/06 R -). Dies tat die Klägerin erst im Juli 2009, mithin nach dem Wechsel zur Psychotherapeutin F ...

f) Zudem gewährt § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V einen Erstattungsanspruch nur für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 15/07 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 16). Dieses Verfahren ist selbst dann zu fordern, wenn von vornherein feststand, dass eine von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden würde und sich der Versicherte dadurch gezwungen gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen (vgl. eingehend BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12). Es ist weder unzumutbar noch bloßer Formalismus, wenn eine Kostenerstattung in der Art eines zwingenden Verfahrenserfordernisses davon abhängig gemacht wird, dass die Krankenkasse zuvor Gelegenheit hatte, über die Berechtigung der außervertraglichen Behandlung zu befinden (BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 - B 1 KR 9/03 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 1). Nur bei einer Vorabprüfung können die Krankenkassen ihre Beratungsaufgaben erfüllen, die Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender Leistungen zu schützen und gegebenenfalls aufzuzeigen, welche Leistungen anstatt der begehrten in Betracht kommen. Der Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung und der Selbstbeschaffung fehlt auch, wenn der Versicherte sich - unabhängig davon, wie eine Entscheidung der Krankenkasse ausfällt - von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung festgelegt hat (z.B. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 2/08 R - = SozR 4-2500 § 13 Nr. 20; Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2).

Jedenfalls für die vom 4. März 2009 (Beginn der Behandlung bei Psychotherapeutin F.) bis 1. Oktober 2009 (Datum des Ablehnungsbescheids) erfolgten Behandlungen fehlt es schon an der Voraussetzung, dass der Klägerin dadurch Kosten entstanden sind, dass die Beklagte die Leistung abgelehnt hat. Die Beklagte ist mit der Behandlung bei der Psychotherapeutin F. erstmals im Juli 2009 aufgrund deren Schreibens vom 21. Juli 2009 befasst worden, nachdem die Behandlung bereits begonnen worden war. Wie dargelegt war es der Klägerin zumutbar, eine Entscheidung der Beklagten zu der Behandlung bei Psychotherapeutin F. abzuwarten. Daraus ergibt sich für den Senat dann auch, dass die Klägerin von vornherein auf die Behandlung bei Psychotherapeutin F. festgelegt war. Bekräftigt wird dies auch dadurch, dass die Klägerin nicht bereit war, sich in die Behandlung eines der zur vertragspsychologischen Versorgung zugelassenen psychologischen Psychotherapeuten zu begeben, die die Beklagte ihr ausdrücklich benannt hatte und die bereit waren, die für eine Therapie notwendigen Vorgesprächen zu führen. Dies ergibt sich aus der Aktennotiz der Beklagten vom 13. Januar 2010 (Bl. 26 der Verwaltungsakte der Beklagten).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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