L 4 KR 4221/11 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 74/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4221/11 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird endgültig auf EUR 313,24 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten stritten im beim Sozialgericht Konstanz (SG) zuletzt unter dem Aktenzeichen S 2 KR 74/11 anhängig gewesenen Verfahren um einen Vergütungsanspruch des Klägers für physiotherapeutische Behandlungen in Höhe von insgesamt EUR 313,24 zuzüglich Zinsen.

Der Kläger ist als nach § 124 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassener Physiotherapeut in W. tätig. Er ist Mitglied in einem Berufsverband, der u.a. mit der AOK Baden-Württemberg am 16. Juli 2002 den am 01. Dezember 2002 in Kraft getretenen und mit Wirkung zum 31. Dezember 2006 wieder gekündigten "Rahmenvertrag nach § 125 SGB V" (im Folgenden RV) geschlossen hat.

Mit den am 01. Oktober und 29. November 2007 ausgestellten Heilmittelverordnungen verordnete Ärztin für Allgemeinmedizin S. für den bei der Beklagten versicherten P. H. jeweils zehn Heilmittel "KGA" mit einer Anzahl von zwei pro Woche wegen Ruhedyspnoe bei COPD (Indikationsschlüssel AT2a). Die Verordnungen wurden als Folgeverordnungen gekennzeichnet. Das Kästchen "Verordnung außerhalb des Regelfalls" wurden nicht angekreuzt. In der Rubrik "Medizinische Begründung bei Verordnung außerhalb des Regelfalls" befand sich jeweils der Eintrag: "deutliche Besserung der Ruhedyspnoe trotzdem weitere Behandlung nötig zur Verbesserung der Beweglichkeit und Selbstständigkeit". Mit der am 13. Februar 2008 ausgestellten Heilmittelverordnung verordnete Dr. L., Facharzt für Allgemeinmedizin, für die bei der Beklagten versicherte M. B. zehn Heilmittel "KG" mit einer Anzahl von drei pro Woche wegen eines Zustands nach Amputation rechtes Bein, AVK mit trockenem Gangrän C1 links (Indikationsschlüssel CSA). Die Vorordnung wurde als Folgeverordnung gekennzeichnet. Das Kästchen "Verordnung außerhalb des Regelfalls" wurde auch hier nicht angekreuzt. In der Rubrik "Medizinische Begründung bei Verordnung außerhalb des Regelfalls" befindet sich der Eintrag: "Schwere der Erkrankung".

Nach Erbringung der Leistungen für den Versicherten P. H. zwischen dem 09. Oktober und 26. November 2007 sowie 30. November 2007 und 14. Januar 2008 und für die Versicherte M. B. zwischen dem 21. Februar und 17. März 2008, deren Erhalt jeweils unterschriftlich durch die Versicherten bestätigt wurde, reichte der Kläger über das Abrechnungszentrum Optica bei der Beklagten am 04. Januar 2008, 31. Januar 2008 sowie 02. Juni 2008 u.a. diese Heilmittelverordnungen mit einem Bruttobetrag von jeweils EUR 245,50 ein. Die Beklagte setzte von diesen Rechnungen mit Schreiben vom 21. Januar 2008, 27. Februar 2008 und 16. Juni 2008 jeweils EUR 98,20 ab mit der Begründung, die Anzahl der Behandlungen je Verordnung sei überschritten, es erfolge eine Teilabsetzung der zu viel verordneten Behandlungen. Bezüglich der Verordnungen vom 01. Oktober 2007 und 13. Februar 2008 gab die Beklagte zusätzlich an, dass auf der Verordnung grundlegende Angaben fehlten, ohne die eine Behandlung nicht hätte begonnen werden dürfen. Außerdem setzte die Beklagte von der Rechnung vom 31. Januar 2008 mit Schreiben vom 27. Februar 2008 einen Betrag in Höhe von EUR 18,64 für die für die Versicherte G. W.-D. erbrachten Leistungen ab, weil der Eigenanteil falsch berechnet worden sei.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Er machte mit der am 17. März 2008 eingereichten Klageschrift zunächst einen Anspruch auf Zahlung von weiteren EUR 98,20 nebst Zinsen geltend (EUR 98,20 für P. H.), mit Schriftsätzen vom 02. April 2008 und 15. September 2008 erweiterte er die Klage um den abgesetzten Betrag von EUR 116,84 (EUR 98,20 für P. H. und EUR 18,64 für G. W.-D.) und um den weiter abgesetzten Betrag von EUR 98,20 (M. B.) jeweils nebst Zinsen. Er machte jeweils geltend, dass er nicht verpflichtet sei, die Indikationen für die Erstellung von ärztlichen Rezepten und die Berechtigung der Rezeptausstellung inhaltlich zu überprüfen. Zu prüfen habe er nur die Rezeptformalien, die vorliegend in Ordnung seien.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die vorliegenden streitgegenständlichen Verordnungen hätten die formellen Voraussetzungen, die an eine vertragsärztliche Verordnung zu stellen seien, nicht erfüllt. In den Verordnungen seien zehn Behandlungen für therapeutische Leistungen verordnet worden. Die maximale Verordnungsmenge bei Erst- und Folgeverordnungen betrage jedoch bis zum Erreichen der Gesamtverordnungsmenge jedes Regelfalls nur bis zu sechs Einheiten. Damit entsprächen die Verordnungen, nach denen zehn Einheiten hätten abgegeben werden sollen, ohne dass die davor vorgesehene Bezeichnung, dass es sich vorliegend um Verordnungen außerhalb des Regelfalls handele, nicht den Voraussetzungen des Heilmittelkatalogs und seien ungültig. Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinie) sei auch für den Kläger als Leistungserbringer verbindlich. Da es der Kläger versäumt hätte, sich mit dem verordnenden Vertragsarzt in Verbindung zu setzen um eine die Anforderungen des Teils VI Ziffer 22 der Heilmittel-Richtlinien erfüllende Verordnung herbeizuführen, liege kein Behandlungsvertrag vor, aus dem sich ein Vergütungsanspruch ableiten lasse. Die Prüfpflicht habe das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 27. November (richtig Oktober) 2009 (B 1 KR 4/09 R = SozR 4-2500 § 125 Nr. 5) bestätigt.

Das SG wies mit Urteil vom 31. Mai 2011 die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger als Leistungserbringer habe die Verordnung des Vertragsarztes auf aus seiner professionellen Sicht erkennbare Fehler und Vollständigkeit zu überprüfen. In den hier zugrunde liegenden ärztlichen Verordnungen sei die nach der Heilmittel-Richtlinie zulässige maximale Verordnungsmenge von sechs Einheiten je Verordnung bei einer Gesamtverordnungsmenge bis zu 18 Einheiten um je vier Einheiten überschritten worden. Dies sei für den Kläger im Rahmen der ihm obliegenden Prüfverpflichtungen erkennbar gewesen. Die Verordnungen seien, obwohl nicht dem Regelfall entsprechend, auch nicht als "Verordnung außerhalb des Regelfalls" gekennzeichnet worden. Da sich in allen drei Verordnungen gleichzeitig Eintragungen des Arztes in der Rubrik "Medizinische Begründung bei Verordnung außerhalb des Regelfalls" fänden, seien die Verordnungen hier - erkennbar - so widersprüchlich, dass es vor Ausführung einer Klärung bedurft hätte, um zu einem die Beklagte bindenden Behandlungsvertrag zu kommen. Dem Kläger stünden die geltend gemachten Zahlungsansprüche deshalb nicht zu. Das Urteil wurde mit der Rechtsmittelbelehrung versehen, dass es mit der Berufung angefochten werden könne. Ausdrücklich zugelassen wurde die Berufung jedoch nicht. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 10. August 2011 zugestellt.

Am 19. August 2011 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil eingelegt. Das Berufungsverfahren ist beim erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen L 4 KR 3543/11 anhängig. Auf den Hinweis des Senats, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, nachdem der Wert des Beschwerdegegenstands sich auf unter EUR 750,00 belaufe und die Berufung im Urteil des SG nicht zugelassen worden sei, hat der Kläger außerdem am 28. September 2011 Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung eingelegt. Er führt aus, die Rechtsbehelfsbelehrung über die zulassungsfreie Berufung im Urteil des SG vom 31. Mai 2011, wonach eine Rechtsbehelfsbelehrung über die zulassungsfreie Berufung beigefügt worden sei, sei rechtsfehlerhaft. Die Nichtzulassungsbeschwerde könne deshalb binnen Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt werden. In der Sache beruft er sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob die Heilmittelerbringer über die materiell-rechtliche Prüfung gemäß der Heilmittelverordnung hinaus auch eine formellrechtliche Prüfungspflicht hätten, um wirksam einen eigenen Anspruch erlangen zu können, ob sie also den gesamten Aussagegehalt der Heilmittelverordnung berücksichtigen dürften, oder ob sie streng formalistisch jeden einzelnen Formfehler berücksichtigen müssten. In jeder der drei Heilmittelverordnungen sei nicht angekreuzt gewesen, dass eine Verordnung außerhalb des Regelfalls vorliege, es sei in jeder Heilmittelverordnung aber eine nachvollziehbare Begründung enthalten gewesen, weshalb eine Behandlung außerhalb des Regelfalls erforderlich sei. Es sei lediglich eine Formalie nicht eingehalten worden, indem nicht ausdrücklich das "X" in dem Feld gesetzt worden sei, in welchem eine Verordnung über den Regelfall hinaus, also der Ausnahmefall, ausdrücklich angeordnet werde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 31. Mai 2011 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihre Berufungserwiderung vom 08. September 2011 im Verfahren L 4 KR 3543/11, wonach dem Kläger für die erbrachten Leistungen kein Vergütungsanspruch zustehe, und verweist ergänzend auf das Urteil des BSG vom 13.September 2011 (B 1 KR 23/10 R), in dem über die gleiche Fallkonstellation zu ihren Gunsten entschieden worden sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die formgerechte Beschwerde des Klägers ist fristgerecht eingelegt worden und damit zulässig. Zwar wurde die Beschwerde nicht gemäß § 145 Abs.1 Satz 2 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten eingelegt, doch ist die Einlegung des Rechtsbehelfs hier gemäß § 66 Abs. 2 SGG innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig, da die Belehrung im Urteil des SG unrichtig erteilt wurde, indem diesem eine Rechtsbehelfsbelehrung über die zulassungsfreie Berufung beigefügt war. Diese Jahresfrist ist gewahrt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10. August 2011 zugestellt, die Beschwerde ging am 28. September 2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg ein.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 oder 2. bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden EUR 10.000,00 nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2). Die Berufung gegen das Urteil des SG vom 31. Mai 2011 bedarf der Zulassung, denn der Beschwerdewert von mehr als EUR 750,00 ist hier nicht erreicht. Der Kläger begehrt eine zusätzliche Vergütung in Höhe von EUR 313,24 zusätzlich Zinsen. Es geht auch nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Die Therapien wurden jeweils innerhalb von maximal sieben Wochen erbracht. Das SG hat die Berufung im Urteil auch nicht zugelassen. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Tenor des Urteils. Die Beifügung der Rechtsmittelbelehrung, wonach das Urteil mit der Berufung angefochten werden könne, stellt keine Zulassung der Berufung dar (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BSGE 5, 92, 95).

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Keiner dieser Gründe ist hier gegeben.

Der Kläger hat sich weder darauf berufen, die Entscheidung des SG weiche von einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts ab noch darauf, dass dem SG Verfahrensfehler unterlaufen seien. Dies ist auch für den Senat jeweils nicht ersichtlich. Weitere Ausführungen bezüglich dieser Zulassungsgesichtspunkte (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG) erübrigen sich daher.

Es liegt auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor. Eine grundsätzliche Bedeutung ist dann anzunehmen, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch eine höherinstanzliche Entscheidung zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit; vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60; SozR 3-1500 § 160a Nr. 16). Die vom Kläger als grundsätzliche Rechtsfrage bezeichnete Frage im Hinblick auf die formellrechtliche Prüfungspflicht der Heilmittelverordnung durch den Leistungserbringer ist in der Rechtsprechung mittlerweile geklärt. Das BSG hat mit Urteil vom 13. September 2011 (B 1 KR 23/10 R) entschieden, dass Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch des Leistungserbringers eine zulässige vertragsärztliche Verordnung ist und dass ein Vergütungsanspruch weiter voraussetzt, dass der Leistungserbringer aus seiner professionellen Sicht die Anspruchsvoraussetzungen für die Versorgung des Versicherten mit dem verordneten Heilmittel überprüft und bejaht. Dies ergibt sich aus dem vom BSG veröffentlichten offiziellen Terminbericht Nr. 46/11. Hieraus folgt eine umfassende Prüfpflicht des Heilmittelerbringers, die nicht nur für Regelfallverordnungen, sondern auch für Verordnungen außerhalb des Regelfalls und für aufgrund der in der Verordnung enthaltenen Angaben widersprüchliche Verordnungen gilt. Eine Begrenzung der Prüfpflicht auf Regelfallverordnungen nimmt das BSG nicht vor. Die vom Kläger aufgeworfene Frage ist damit geklärt.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird endgültig auf EUR 313,24 festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 und 3, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz. Der festgesetzte Streitwert ist die Vergütung, die der Kläger begehrt hat.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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