L 1 AS 2147/11 ZVW

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 1899/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 2147/11 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten mit Ausnahme der Kosten des Revisionsverfahrens, die der Beklagte zu tragen hat.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit vom 01. März 2009 bis 31. August 2009.

Der Kläger ist 1951 geboren und bezieht seit 01. Januar 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit 01. April 2007 erhält er Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, die nicht ausschließlich auf seinem Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruht (sog. Arbeitsmarktrente). Nach den Ausführungen unter anderem im Rentenbescheid vom 03. März 2004 und den aktenkundigen Unterlagen leidet der Kläger an Diabetes mellitus Typ II (mit Insulintherapie), einem Sekundärschaden im Bereich der Augen, an Bluthochdruck, an Adipositas, einer Verschleißerkrankung der Hüftgelenke ohne Bewegungseinschränkung und der Lendenwirbelsäule, an wiederkehrenden Kreuzschmerzen, einer geringen Hochtoninnenschwerhörigkeit rechts, einer mittel- bis hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit links sowie Tinnitus und Durchschlafstörungen. Darüber hinaus steht der Kläger seit vielen Jahren wegen einer Psoriasis vulgaris in ärztlicher Behandlung.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab Leistungsbeginn monatlich einen Zuschlag wegen kostenaufwändiger Ernährung wegen Diabetes.

Mit Bescheid vom 12. Februar 2009 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01. März 2009 bis 31. August 2009 351 EUR monatlich an Grundsicherungsleistung sowie die vollen Kosten der Unterkunft in Höhe von 205,75 EUR (Grundmiete 147,50 EUR; Heizung 6,92 EUR [13,55 EUR / Warmwasserpauschale für 1 Person]; Nebenkosten 43,15 EUR; Treppenhausreinigung 8,18 EUR). Im Bescheid ist ausgeführt, dass nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen bei seiner Erkrankung, für die er bislang einen pauschalen Mehraufwand erhalten habe, ein erhöhter Ernährungsbedarf bestanden habe. Die Kosten für diese aufwändigere Ernährung aufgrund einer Erkrankung seien ihm in Form eines pauschalen Mehrbedarfs zusätzlich zu der Regelleistung bezahlt worden. Nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen sei allerdings nicht mehr von einem erhöhten Ernährungsbedarf auszugehen. Diese Erkenntnisse seien in die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 01. Oktober 2008 eingeflossen. Man orientiere sich an diesen Empfehlungen. Für die Erkrankung, für die er bislang einen ernährungsbedingten Mehrbedarf erhalten habe, könne ihm daher künftig kein Mehrbedarf mehr gewährt werden. Dagegen legte der Kläger am 26. März 2009 Widerspruch ein und brachte vor, die Zulage für erhöhten Ernährungsbedarf sei ihm auch künftig zu gewähren. Er sei insulinpflichtiger Diabetiker und zu 80 % schwerbehindert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe zwar durch hausärztliches Attest nachgewiesen, dass er an Diabetes mellitus (insulinpflichtig) erkrankt sei und eine Diabetesdiät benötige. Allerdings sei nach den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, die den derzeit maßgeblichen wissenschaftlichen Erkenntnisstand darstellten, bei Diabetes mellitus ein Ernährungsmehrbedarf nicht mehr zu bejahen. Vielmehr sei auch bei dieser Erkrankung eine Vollkost angezeigt, die jedoch mit der Regelleistung zu finanzieren sei.

Dagegen hat der Kläger am 30. April 2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat er vorgetragen, dass er versuchen müsse, weniger fettreich und zuckerarm zu essen. Die entsprechenden Produkte seien teurer als normale. Er habe darüber hinaus im Monat 90 bis 93 Zwischenmahlzeiten einzunehmen; dafür würde gerade der derzeit gestoppte Zuschuss reichen.

Mit Urteil vom 10. Juni 2010, das der seit Ende Mai bestellten Bevollmächtigten am 15. Juni 2010 zugestellt worden ist, hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf die Empfehlungen des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom Oktober 2008. Danach sei für Diabetes mellitus Typ IIb eine kostenaufwändigere Ernährung nicht erforderlich. Es genüge, wenn sich der Betroffene mit Vollkost ernähre.

Auf die am 15. Juli 2010 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (L 1 AS 3339/10 NZB) hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 18. August 2010 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2010 nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG- Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs) zugelassen.

Im Berufungsverfahren (Az: L 1 AS 3893/10) hat die Bevollmächtigte des Klägers weiter vorgetragen, dass der Kläger auch an einer akzentuierten Persönlichkeit mit vor allem narzistischem Anteil, reaktiv bedingter depressiver Verstimmung, Somatisierungstendenzen, einer leichtgradig ausgeprägten sensiblen Polyneuropathie ohne signifikante motorische Ausfälle, am ehesten Diabetes bedingt, an einem Zustand nach Prostatakarzinom sowie Hautkarzinom an der linken Schläfe, ohne Hinweis für ein Rezidiv, einer insulinabhängigen Diabetes mellitus, suboptimal eingestellt, und einer diabetischen Retinopathie leide. Des Weiteren liege vor eine posttraumatische Arthrose im oberen und unteren Sprunggelenk links, Hüftgelenksbeschwerden beidseits, Psoriasis vulgaris ohne ausgeprägte Manifestation bzw. Gelenkbeteiligung und Verdacht auf obstruktives Schlafapnoe-Syndrom. Aufgrund dieser Erkrankungen müsse der Kläger fettarm, salzarm und zuckerarm essen und trinken. Außerdem seien drei Zwischenmahlzeiten einzunehmen. Der Mehraufwand betrage nach seiner Berechnung 120 bis 150 EUR monatlich. Die dargestellte zuckerarme Ernährung sei auch erforderlich für die Behandlung der Psoriasis vulgaris. Der Kläger hat das fachärztliche Attest des Facharztes für Dermatologie S. vom 03. März 2010 vorgelegt. Danach sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der Psoriasis sowie eines Karzinoms des Schädels (2006) weiter in fachärztlich dermatologischer Behandlung sein müsse, um eine Progredienz der Erkrankung zu verhindern. Vorgelegt hat er weiter das Attest der Gemeinschaftspraxis Dres. B./W.-T. vom 16. März 2010. Danach befinde sich der Kläger in hausärztlicher Behandlung. Es bestehe seit langen Jahren ein Diabetes mellitus Typ II, welcher seit 2000 insulinpflichtig sei. Es handele sich um eine schwere chronische Erkrankung. Vorgelegt hat er auch die sachverständige Zeugenauskunft der Fachärztin für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. S. vom 14. Mai 2009 für das vor dem SG damals anhängig gewesene Verfahren im Rentenrechtsstreit des Klägers (Az: S 8 R 238/09). Danach leide der Kläger an einer geringgradigen Hochtoninnenohrschwerhörigkeit rechts, einer mittel- bis hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit links sowie an Tinnitus und Durchschlafstörungen. Es bestehe weiter der Verdacht auf schlafbezogene Atmungsstörung und Bestrahlungsfolgen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat im Rahmen der Anhörung wegen des vom Senat damals beabsichtigten Beschlusses nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die beim Bundessozialgericht (BSG) anhängigen Revisionen mit den Aktenzeichen B 4 AS 100/10 R und B 4 AS 138/10 R hingewiesen und angeregt, die Entscheidung des Senats bis zur Entscheidung über die Revisionen zurückzustellen. Der Bevollmächtigten ist mit Verfügung vom 18. November 2010 mitgeteilt worden, dass der Senat beabsichtigt, wie angekündigt zu verfahren. Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

Mit Beschluss vom 25. November 2010 hatte der Senat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger habe die Notwendigkeit eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs auf die Diabetes mellitus Typ IIb gestützt. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sei jedoch bei dieser Erkrankung eine Ernährungsform, die einen finanziellen Mehraufwand bedinge, nicht erforderlich. Auch habe keiner der behandelnden Ärzte einen Mehraufwand bestätigt. Der Umstand, dass sich der Kläger wegen der Psoriasis nach seinem Bekunden zucker-, salz- und fettarm ernähren solle, begründe ebenfalls keinen finanziellen Mehraufwand. Entsprechendes gelte für die behauptete Notwendigkeit von Zwischenmahlzeiten. Soweit vorgetragen worden sei, beim Bundessozialgericht seien Revisionen anhängig, die sich mit der hier streitgegenständlichen Frage beschäftigten, treffe dies nicht zu.

Gegen den der Bevollmächtigten am 30. November 2010 zugestellten Beschluss hat der Kläger durch einen beim BSG zugelassenen Bevollmächtigten am 29. Dezember 2010 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az: B 4 AS 188/10 B), die auf Verfahrensmängel gestützt worden ist, auf denen die Entscheidung des Landessozialgerichts beruhe. Das Gericht habe sich ausschließlich auf die Frage eines Mehrbedarfs wegen Diabetes mellitus gestützt. In einer mündlichen Verhandlung hätte der Kläger jedoch auch darlegen können, dass er an Schuppenflechte leide, die "nach diesseitigem Verständnis" einer besonderen, hier glutenfreien, Ernährung bedürfe. Diese sei jedoch nach dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (2002) mit zusätzlichen Kosten verbunden.

Mit Beschluss vom 6. April 2011 hat das BSG den Beschluss des Landessozialgerichts vom 25. November 2010 aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, das Sozialgericht habe ermessenswidrig am 10. Juni 2010 durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden. Es liege ein Organisationsverschulden des SG vor, wenn das Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 28. Mai 2010 trotz Eingang am 31. Mai 2010 erst am 10. Juni 2010 und nach der Entscheidung am gleichen Tag zu den Akten gelangt sei. Unter Berücksichtigung dieses Verfahrensverstoßes des SG hätte das LSG nicht von dem Grundsatz, dass im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens zumindest eine mündliche Verhandlung durchzuführen sei, abweichen dürfen. Die angefochtene Entscheidung könne auf diesem Verfahrensmangel beruhen.

Der Senat hat daraufhin der Klägerbevollmächtigten aufgegeben, u.a. einen Arzt zu benennen, der die im Nichtzulassungsverfahren vor dem BSG behauptete Erkrankung des Klägers bestätigen könne. Sie hat die Bescheinigung des Facharztes für Dermatologie S. vom 5. Juli 2011 vorgelegt, wonach der Kläger wegen einer Psoriasis vulgaris in seiner fachärztlichen Behandlung stehe. Man habe mit dem Kläger diskutiert, wie er die Erkrankung ggf. mit einer ernährungsspezifischen Umstellung günstig beeinflussen könne. Empfohlen werde nach seiner Erfahrung eine sogenannte Hay´sche Trennkost. Hierbei würden Fett, Eiweiß und Kohlehydrate in verschiedenen Fraktionen eingenommen. Der Senat hat daraufhin den Dermatologen S. als sachverständigen Zeugen auch danach gefragt, ob neben der im ärztlichen Attest vom 5. Juli 2011 angeratenen Ernährungsumstellung eine zusätzliche, kostenaufwändige Ernährung medizinisch angezeigt sei. In seiner Stellungnahme vom 2. August 2011 hat er ausgeführt, dass er seinem im fachärztlichen Attest empfohlenen Vorgehen nichts hinzuzufügen habe.

Die Klägerbevollmächtigte hat auf Hinweis des Gerichts, dass aufgrund dieser Auskünfte die medizinische Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung weder glaubhaft noch nachgewiesen sei, (erneut) die Arztbriefe des Arztes S. vom 2. August 2011, 5. Juli 2011, 3. März 2010 und 9. September 2010, das Attest des Dr. L. vom 27. Mai 1993 und das Deckblatt einer "Informationsbroschüre Ratgeber Lebensmittelallergien und Ratgeber Neurodermitis" des "Reformhauses" vorgelegt. In seinem Arztbrief vom 9. September 2011 hat der Arzt S. ausgeführt, der Kläger klage über eine Vielzahl von Unverträglichkeiten im Lebensmittelbereich, welche seit Einnahme zahlreicher Verordnungen noch schlimmer würden. Er könne aufgrund seiner finanziellen Notlage, laut seinen Angaben, nur Billigstprodukte kaufen. Diese seien oft chemisch konserviert und mit zahlreichen Zusatzstoffen versehen. Er bemühe sich gelegentlich, biologisch hergestellte Lebensmittel zu erwerben, was mit erheblichen Mehrkosten verbunden sei. Man könne bestätigen, dass dies dem Kläger empfohlen sei. Der Arzt Dr. L. hat in seinem ärztlichen Attest Diabetes mellitus, chronisch rezidivierende Lumbago, Präcoxarthrose beidseits, Achillodynie beidseits und Psoriasis vulgaris aufgeführt und mitgeteilt, dass der Kläger "Bodentätigkeiten" deshalb nicht mehr ausüben könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Karlsruhe vom 10. Juni 2010 aufzuheben, den Bescheid vom 12. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen ihm für die Zeit vom 01. März 2009 bis 31. August 2009 monatlich weitere 51,13 EUR nebst Zinsen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist zur Begründung im wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Urteils des SG. Ergänzend trägt sie vor, dass auch nach den weiteren Ermittlungen des Senats die Notwendigkeit einer besonderen, kostenaufwändigen Ernährung nicht gegeben sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143, 144 SGG zugelassene und nach § 151 SGG auch im Übrigen statthafte Berufung ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht dem Kläger ab 01. März 2009 keinen Zuschlag zur Regelleistung wegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs gewährt, da er an keiner Krankheit leidet, die einen Mehrbedarf bedingt.

Streitgegenstand des Verfahrens ist die Höhe der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01. März bis 31. August 2009 in vollem Umfang. Denn das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 02. Juli 2009 - B 14 AS 54/08 R; Urteil vom 03. März 2009 - B 4 AS 50/07 R; zuletzt Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 49/10 R) ausgeführt, dass Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 5 SGB II Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind und keinen von der Regelleistung und den Kosten der Unterkunft trennbaren Streitgegenstand darstellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie hier die Ablehnung des Mehrbedarfs nicht in einem gesonderten Bescheid erfolgte, sondern im Rahmen der Bewilligung der Regelleistung erfolgte (abweichend der Sachverhalt in der Entscheidung des Senats vom 02. März 2010 - L 1 AS 4061/09).

Die Beklagte hat dem Kläger, der erwerbsfähiger Hilfebedürftiger im Sinne der §§ 7 ff SGB II ist, in zutreffender Höhe Regelleistungen (351,- EUR) sowie die Kosten der Unterkunft inkl. Nebenkosten in tatsächlich anfallender Höhe (205,75 EUR) bewilligt. Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar.

Rechtsfehlerfrei hat die Beklagte auch die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs abgelehnt, da ein solcher nicht besteht.

Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten einen Mehrbedarf von angemessener Höhe (§ 21 Abs. 5 SGB II). Voraussetzung ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (BSG vom 24. Februar 2011 a.a.O. m.w.N.).

Der Kläger hat die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs zunächst auf seine Erkrankung an Diabetes mellitus Typ IIb, später (auch) auf die jedenfalls seit 1993 bestehende Psoriasis gegründet. Dies sind nach Auswertung des Akteninhalts sowie der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen auch nach Auffassung des Senats neben der Adipositas und der Hypertonie die wesentliche Erkrankungen des Klägers, die theoretisch einen Mehraufwand begründen könnten. Denn die übrigen Erkrankungen des Klägers, die diesen sicherlich in seiner Lebensgestaltung erheblich beeinträchtigen, insbesondere die orthopädischen Erkrankungen sowie die Erkrankungen des Hörsystems, bedingen keine besondere Ernährungsform.

Allerdings ist nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand bei keiner dieser Erkrankungen eine Ernährungsform, die einen finanziellen Mehraufwand bedeute, erforderlich. Keiner der den Kläger behandelnden Ärzte hat einen dem entsprechenden Mehraufwand bestätigt. Auch die vom Kläger vorgetragene Notwendigkeit, sich zucker-, salz- und fettarm zu ernähren, begründet keinen finanziellen Mehraufwand für die Beschaffung von Lebensmitteln. Entsprechendes gilt für die vom Dermatologen S. empfohlene Trennkost. Diese besondere Ernährungsform unterscheidet sich von der normalen Vollkost nicht durch die Art der zu verzehrenden Lebensmittel, sondern lediglich durch die Zusammenstellung der Bestandteile einer Mahlzeit. Auch auf Rückfrage des Senats hat der Dermatologe für die Psoriasis des Klägers keine andere und schon gar keine kostenaufwändigere Ernährung für angezeigt gehalten. Soweit in der Bescheinigung vom 9. November 2011 aufgeführt ist, der Kläger könne aus finanzieller Not überwiegend nur Fertigprodukte kaufen, die bei ihm zu Unzuträglichkeiten führen würden, ist dies nicht ausreichend, um aus medizinischer Sicht die Notwendigkeit einer besonderen Ernährung zu begründen. Der Kläger, der keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, ist weder aus zeitlichen, noch aus finanziellen Gründen gezwungen, sich überwiegend von Fertigprodukten zu ernähren. Darüber hinaus steht es dem Kläger frei, sich biologisch angebaute bzw. hergestellte Produkte zu kaufen. Allerdings besteht hierfür aus medizinischen Gründen keine Notwendigkeit, so dass damit eventuell einhergehende Mehrkosten auch nicht zu Lasten der Allgemeinheit zu finanzieren sind.

Soweit der Kläger zuletzt (das Deckblatt) der vom Reformhausverband herausgegebenen Empfehlungen bei Neurodermitis vorgelegt hat, kann auch dessen Inhalt, der über das Internet abrufbar ist, keine kostenaufwändige Ernährungsempfehlung entnommen werden. Auf bestimmte - wenige - Produkte sollte der Kläger, so die Empfehlungen, verzichten, da sie die Hauterkrankung fördern, dafür kann er alle anderen Produkte, wie sie in einer ausgewogenen Vollkost vorkommen, verzehren. Dem entsprechend lauten auch die Empfehlungen des behandelnden Dermatologen S., der allenfalls eine Trennkost für angezeigt hält, jedoch keine besonderen Lebensmittel, die in ihrer Beschaffung teurer sind als andere. Soweit der Kläger gegenüber diesem Arzt offenbar über Unverträglichkeiten berichtet hat, die er auf seine Nahrungsaufnahme, verbunden mit der verordneten Medikamenten, zurückführt, kann offen bleiben, ob diese Unverträglichkeiten tatsächlich bestehen. Sollten diese bestehen, so ist allein dadurch noch nicht die Notwendigkeit gegeben, auf teurere Nahrungsmittel umsteigen zu müssen. Vielmehr kann auch insoweit durch Verzicht auf bestimmte Produkte oder eine andere Ernährungsform Abhilfe geschaffen werden. Im Übrigen hat keiner der vom Kläger benannten Ärzte gegenüber dem Gericht entsprechende Unverträglichkeiten und die daraus resultierende Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung mitgeteilt, der Kläger im Übrigen auch nicht gegenüber dem Gericht entsprechendes vorgetragen. Soweit vor dem Bundessozialgericht vorgetragen wurde, aufgrund der Psoriasis sei eine glutenfreie Ernährung angezeigt, findet diese Behauptung in den Auskünften der behandelnden Ärzte keine Grundlage. Ermittlungen ins Blaue hinein sind jedoch durch das Gericht nicht veranlasst, so dass weitere Sachaufklärung diesbezüglich nicht geboten war.

Aufgrund der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Stand 01. Oktober 2008, ist ein ernährungsbedingter Mehrbedarf auch bei Diabetes nicht anzunehmen; der noch in dem Empfehlungen des Vereins Stand 1997 angenommene Standpunkt wurde darin revidiert. Danach (vgl. Ziffer 4 ff. der Empfehlungen) ist unter anderem bei Diabetes mellitus gleich welchen Typs, Hypercholesterinämie (Hyperlipidämie) und arterieller Hypertonie ein krankheitsbedingt erhöhter Mehrbedarf zu verneinen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 (EVS 2003) bemessene Regelsatz den notwendigen Aufwand für eine Vollkost deckt. Ob es sich bei den Empfehlungen des Deutschen Vereins um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handelt (bejahend: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. Dezember 2008, L 8 B 386/08 und Urteil vom 09. März 2009 - L 8 AS 68/08, Juris; LSG Niedersachsen Bremen, Beschluss vom 03. Februar 2009 - L 9 B 339/08 AS, sowie (jeweils zum SGB XII) Hessisches LSG vom 22.12.2008 - L 7 SO 7/08 B ER und LSG Niedersachsen Bremen, Urteil vom 22. Januar 2009 - L 8 SO 32/07 - jeweils Juris; LSG Sachsen, Urteile vom 27. August 2009 - L 3 AS 245/08 und vom 22. Juni 2009 - L 7 AS 250/08; LSG Bayern, Urteil vom 23. April 2009 - L 11 AS 124/08) und ob insoweit eine Abweichung von der Entscheidung des BSG vom 27. Februar 2008 (B 14/7 B AS 64/06 R, Juris) vorliegt, konnte offenbleiben (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. Oktober 2010 - L 19 AS 1140/10). Die Empfehlungen des Deutschen Vereins haben nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG jedenfalls den Charakter einer Orientierungshilfe. Sie können im Regelfall zur Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II herangezogen werden (Urteile des BSG vom 27. Februar 2008 - B 14/7 B AS 64/06 R - sowie B 14/7 B AS 3206 R; Urteil des BSG vom 25.04.2008 - B 14 /11 B AS 3/07 R, Juris, Urteil des erkennenden Senats vom 02. März 2010 - L 1 AS 4061/09). Die Empfehlungen gelten nur dann nicht, wenn im Einzelfall anzustellende Ermittlungen Hinweise auf einen von dem Empfehlungen abweichenden Mehrbedarf ergeben (BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 a.a.O.). Abweichungen von dem Empfehlungen sind auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründungsbedürftig (Beschluss vom 20. Juni 2006 - 1 BvR 2673/05; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. November 2008 - L 19 AS 47/08, Juris).

Entsprechende Abweichungen haben jedoch weder das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren noch die von ihm vorgelegten Arztatteste ergeben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass beim Kläger, wie bei jedem anderen an Diabetes mellitus Erkrankten, eine andere als Vollkost (Def. nach wikipedia: Eine vollwertige Ernährung, die ohne Einschränkung alle Nahrungsbestandteile, also Kohlenhydrate, Lipide, Proteine, Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe in einem ausgewogenen Verhältnis enthalten und den Bedarf an Kalorien vollständig deckt) nicht geboten ist. Keiner der den Kläger behandelnden Ärzte hat eine besondere Kostform für erforderlich gehalten. Weitere Ermittlungen waren deshalb nicht angezeigt.

Der Kläger kann sich fettarm, salzarm und zuckerarm (auch wegen der Psoriasis) ohne finanziellen Mehraufwand ernähren. Denn angesichts der weiteren Darlegungen in den aktuellen Empfehlungen ist der Senat des Weiteren der Überzeugung, dass bei einer preisbewussten Einkaufsweise, die frische, insbesondere saisonale Produkte nicht ausschließt, eine vollwertige Ernährung mit ca. 4,- EUR täglich zu finanzieren ist und den Mindestaufwand für Vollkost abdeckt (Grundlage: "Wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zum Thema Lebensmittelkosten für vollwertige Ernährung, April 2008"). Der Ernährung im Wege der Vollkost steht die Nahrungsaufnahme via Trennkost nicht entgegen.

Die vom Kläger vorgetragene Notwendigkeit, mehrere Zwischenmahlzeiten einzunehmen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Auch wenn der Kläger seine Mahlzeiten über den Tag verteilt in mehreren Portionen zu sich nehmen soll (also neben den Hauptmahlzeiten auch Zwischenmahlzeiten essen soll) bedeutet dies nicht, dass der Kläger im Ergebnis mehr als eine Person ohne Diabetes mellitus essen muss, sondern lediglich, dass der Kläger die angemessene Kalorien- und Nährstoffzufuhr pro Tag auf mehrere Mahlzeiten verteilen sollte, um die Verarbeitung im Körper (aufgrund der Diabeteserkrankung) zu erleichtern. Ein finanzieller Mehrbedarf kann daraus nicht abgeleitet werden. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass auch die Zwischenmahlzeiten in Gestalt der Vollkosternährung erfolgen können und sollen und deshalb ebenso wenig wie die Hauptmahlzeiten einen finanziellen Mehrbedarf bedingen.

Soweit die Klägerbevollmächtigte ursprünglich noch auf die beim BSG anhängigen bzw. anhängig gewesenen Revisionen (B 4 AS 100/10 R und B 4 AS 138/10 R) hingewiesen hat, bestand nach wie vor kein Anlass, deshalb von einer Entscheidung abzusehen. Die im Verfahren B 4 AS 100/10 R anhängig gewesene Rechtsfrage beschäftigte sich mit der Frage, ob ein Kläger, der einen erhöhten Kalorienbedarf geltend macht, der weder auf Diabetes mellitus noch einem sonstigen krankheitsbedingten Grund beruht, einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II beanspruchen kann. Das BSG hat die Revision mit Urteil vom 10. Mai 2011 zurückgewiesen. Diese Rechtsfrage hat im Übrigen mit dem zur Entscheidung des Senats stehenden Sachverhalts nichts zu tun. Die im Verfahren B 4 AS 138/10 aufgeworfene Rechtsfrage, ob es sich bei den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Stand Oktober 2008, um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handelt, ist, wie oben ausgeführt, für das vorliegende Verfahren ebenfalls unerheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und umfasst auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved