L 1 U 3699/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 U 1951/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3699/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 05.08.2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist unter anderem die Wirksamkeit einer Klagerücknahme im Streit.

Die Klägerin erhob am 08.12.2010 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2010 mit dem Ziel, die Gewährung einer Rente zu erreichen (Aktenzeichen S 11 U 6273/10).

Für die Klägerin schalteten sich am 14.12.2010 als Prozessbevollmächtigte die Sozialrechtsreferenten der VdK Sozialrechtsschutz gGmbH (VdK SRgGmbH) aus Freiburg in das Verfahren ein und teilten mit, dass eine Vollmacht nachgereicht werde. Mit Schriftsatz vom 11.01.2011 teilte eine Sozialrechtsreferentin der VdK SRgGmbH aus Freiburg mit, dass die Klage zurückgenommen werde. Das SG trug die Klage mit dem Aktenzeichen S 11 U 6273/10 daraufhin als erledigt aus.

Die Klägerin wandte sich am 11.04.2011 an das SG und teilte ihre Verwunderung darüber mit, dass das Verfahren eingestellt worden sei. Weder das SG noch der VdK hätten sie hierüber unterrichtet. Sie habe seinerzeit dem VdK die Vertretungsbefugnis entziehen wollen, hierbei jedoch irrtümlicherweise darum gebeten, die Klage zurückzuziehen. Sie halte an ihrer Klage fest und bestehe darauf, dass der Vorgang gerichtlich überprüft werde. Das SG habe sie damals dahingehend beraten, dass sie das Verfahren kostenfrei durchführen lassen könne, weswegen sie von einer weiteren Vertretung durch den VdK habe absehen wollen. Sie beantrage, das Klageverfahren fortzuführen und ihren Irrtum als unbeachtlich zu werten. Eine erneute Überprüfung der angegriffenen Bescheide werde wahrscheinlich nicht zum Erfolg führen, da im Widerspruchsverfahren bereits eine formelle und materiell-rechtliche Prüfung erfolgt sei.

Das SG vertrat gegenüber der Klägerin die Auffassung (unter dem aktuellen Aktenzeichen), dass das Verfahren erledigt sei und die Erklärung des VdK ihr zuzurechnen sei. Außerdem wies das SG die Klägerin auf die Möglichkeit eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hin. Gleichzeitig forderte das SG beim VdK die im vorausgegangenen Verfahren angekündigte schriftliche Vollmacht an, die noch nicht vorgelegt worden war.

Am 28.06.2011 legte der VdK eine von der Klägerin unterschriebene Vollmacht an die Sozialrechtsreferenten der VdK SRgGmbH vom 13.12.2010 vor, wonach diesen unbeschränkte Vollmacht zur Vertretung unter anderem vor den Sozialgerichten sowie dem Landessozialgericht Baden-Württemberg mit allen sich aus § 81 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ergebenden Befugnissen erteilt worden war. In dieser Vollmacht wird die Sozialrechtsreferentin, welche mit Schriftsatz vom 11.01.2011 die Klagerücknahme erklärt hatte, ausdrücklich namentlich benannt.

Das SG wies die Klägerin daraufhin, dass eine wirksame Vollmacht vorgelegen habe und die Klage deswegen wirksam zurückgenommen worden sei. Der dem Auftrag an den VdK zugrunde liegende Irrtum über die Erklärung der Klagerücknahme sei unbeachtlich. Werde die Klage nicht zurückgenommen, sei eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt, die nicht vor dem 01.08.2011 ergehen werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 05.08.2011 hat das SG festgestellt, dass das Verfahren S 11 U 6273/10 durch Klagerücknahme vom 13.01.2011 erledigt sei. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin der Sozialrechtsreferentin eine wirksame Prozessvollmacht erteilt habe, welche auch zur Klagerücknahme berechtigt habe. Die von der Sozialrechtsreferentin abgegebene Erklärung binde die Klägerin so, als habe sie die Erklärung selbst abgegeben, § 73 Abs. 6 Satz 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die abgegebene Erklärung der Klagerücknahme sei weder anfechtbar noch widerruflich. Bei der Erledigungserklärung handele es sich um eine rechtsgestaltende Erklärung, die selbst im Falle eines Irrtums über den Inhalt oder die Reichweite der abgegebenen Erklärung im Interesse der Rechtssicherheit nicht anfechtbar sei (mit Hinweis auf BSGE 14, 138). Darüber hinaus seien auch interne Weisungen im Innenverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Bevollmächtigten ohne Belang, diese seien ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Erklärung im Außenverhältnis (mit Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.12.2003 - L 14 RJ 155/03). Daraus folge, dass es erst recht unerheblich sein müsse, wenn wie vorliegend gar keine der Erklärung widersprechende Weisung vorgelegen habe, sondern eine solche lediglich irrtümlicherweise unterlassen worden sei. Ein Widerruf einer abgegebenen Klagerücknahmeerklärung sei nur ausnahmsweise möglich, wenn ein Wiederaufnahmegrund in entsprechender Anwendung der §§ 179 f. SGG i. V. m. § 578 ff. ZPO gegeben sei (mit Hinweis auf BSG SozR § 102 Nr. 6 und SozR 1500 § 102 Nr. 2). Solche Wiederaufnahmegründe seien weder geltend gemacht noch ersichtlich. Das Verfahren S 11 U 6273/10 sei daher erledigt, und dem Gericht eine inhaltliche Überprüfung des darin angefochtenen Bescheids verwehrt. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 10.08.2011 zugestellt worden.

Deswegen hat die Klägerin am 29.08.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei nicht begründet, die angegebenen Rechtsgrundlagen und Gründe seien nicht nachvollziehbar. Es lägen weder ein bestandskräftiger Verwaltungsakt noch ein rechtskräftiges Urteil vor. Daher sei ihr Verfahren noch nicht zum Abschluss gekommen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass das Gericht keine Ermessungsentscheidung zu ihren Gunsten treffen könne. Sie betone nochmals, dass sie existenziell auf die geltend gemachte Unfallrente angewiesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 05.08.2011 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 11 U 6273/10 beim Sozialgericht Freiburg durch die Erklärung ihrer Bevollmächtigten vom 11.01.2011 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Akten des SG und des LSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 SGG statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat in dem angegriffenen Gerichtsbescheid vom 05.08.2011 zu Recht festgestellt, dass das Klageverfahren S 11 U 6273/10 durch den Schriftsatz der VdK SRgGmbH vom 11.01.2011 beendet worden ist (vgl. zum Erfordernis einer solchen Feststellung bei einer streitigen Klagerücknahme Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13.07.1998 – 1 BvR 666/98 – und Beschluss vom 18.07.2011 – 1 BvR 1584/11 –; Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Lei-therer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 102 Rn. 12). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheids verwiesen, denen sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollumfänglich anschließt.

Als bedingungsfeindliche Prozesshandlung im Sinne des § 102 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, 2008, Rn. 10a vor § 60) kann die Klagerücknahme weder frei widerrufen noch wegen Willensmängeln nach §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) angefochten werden (a.a.O., Rn. 12, 12a vor § 60, Rn. 7c zu § 102). Die wirksam erklärte Zurücknahme der Klage kann daher auch im Falle eines Irrtums über den Inhalt oder die Reichweite der abgegebenen Erklärung im Interesse der Rechtssicherheit nicht durch Anfechtung oder Widerruf beseitigt werden. Danach hat ein etwaiger Irrtum der Klägerin bei der Erteilung von Weisungen gegenüber ihren Bevollmächtigten nach § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i. V. m. § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Auswirkungen auf die von diesen bewusst und eindeutig erklärte Klagerücknahme.

Ein Beseitigung der Wirkung der Rücknahmeerklärung ist nur ausnahmsweise gemäß §§ 179 Abs 1, 180 SGG i.V.m. §§ 578 ff. (ZPO) möglich. Die dort genannten Nichtigkeits- oder Restitutionsgründe liegen hier jedoch offensichtlich nicht vor.

Soweit die Klägerin darüber hinaus im Berufungsverfahren vorträgt, es müsse eine Ermessensentscheidung des Gerichts zu Ihren Gunsten möglich sein, ist dies nach den voranstehend genannten Vorschriften unzutreffend. Auch die von der Klägerin angeführten, von ihr als gering eingeschätzten Aussichten eines evtl. Überprüfungsverfahrens können in diesem Zusammenhang nicht zu Gunsten der Klägerin eine andere Entscheidung begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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