L 12 AS 3714/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 2409/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3714/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteils des Sozialgerichts Ulm vom 12. April 2010 abgeändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. Juni 2008 wird aufgehoben. Unter Abänderung des Bescheids vom 10. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. bis zum 30 April 2008 Arbeitslosengeld II in Höhe von 13,20 EUR und vom 1. bis zum 31. Mai 2008 von weiteren 4,- EUR zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Kläger in beiden Instanzen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten stehen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008 sowie vom 1. April bis zum 30. September 2008, die Einstellung der Leistungen ab 1. Juni 2008 und Sanktionen nach § 31 SGB II im Streit.

Der 1977 geborene erwerbsfähige Kläger wohnte kostenfrei im Haus seiner Eltern B. und A.R. Der Vater des Klägers erzielte ein monatliches Nettoeinkommen von 1.775,84 EUR, die Mutter des Klägers von 779,- EUR. Die Eltern des Klägers leben in einem lastenfreien Eigenheim, für das sie monatliche Nebenkosten in Höhe von 75,82 EUR aufwenden mussten. Der Vater des Klägers übernahm den Krankenversicherungsbeitrag (21,77 EUR) und die Miete (300,- EUR) für den in Österreich studierenden Sohn M. R ... Weiterhin wandte er für eine Riester-Rente monatlich 33,- EUR und für eine private Zusatzkrankenversicherung 19,55 EUR auf.

Der Kläger bezog vom 16. Dezember 2006 bis zum 15. Januar 2007 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 29,30 EUR. Anschließend war er ohne Registrierung bei der Arbeitsverwaltung arbeitslos. Während dieser Zeit war er freiwillig kranken- und pflegeversichert.

Am 8. Oktober 2007 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Arbeitslosengeld II (Alg II). In dem Antrag gab er an, dass er mit seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt lebe, über kein Einkommen verfüge und Inhaber von Aktien mit einem Wert von 4.700,- EUR sei. Auf dem Girokonto des Klägers bei der Kreissparkasse Nr ...befand sich ein Guthaben in Höhe von 58,08 EUR (Stand 19. Oktober 2007), auf dem Tagesgeldkonto bei der Bank com.direkt Nr ...43,03 EUR (Stand 15. November 2007), auf dem Wertpapierdepot bei der ING DiBa Nr ... 4052,50 EUR (Stand 31. Oktober 2007) und auf dem Bausparkonto bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall Nr ... 966,92 EUR (Stand 5. November 2007). Das Bausparguthaben wurde am 5. November 2007 an den Bruder des Klägers R. R. ausgezahlt.

Am 16. Oktober 2007 schloss der Kläger eine 6 Monate geltende Eingliederungsvereinbarung, in der er sich u.a. verpflichtete, sich auf Aufforderung bei dem Beklagten persönlich zu melden, wobei eine Verhinderung aus gesundheitlichen Gründe nicht durch die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen werden müsse, sondern eine ärztliche Bescheinigung erforderlich sei. Weiterhin verpflichtete er sich, mindestens 8 Bewerbungsbemühungen im Kalendermonat zu belegen und die entsprechende Dokumentation bis zum 5. des Folgemonats einzureichen. Die Eingliederungsvereinbarung enthält eine Belehrung über die Rechtsfolgen bei Nichterfüllung der Vereinbarung.

Der Beklagte teilte dem Kläger mit, dass dieser mit seinen Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft lebe und gem. § 9 Abs. 5 SGB II vermutet werde, dass der Kläger von diesen Leistungen erhalte (Schreiben vom 5. November 2007), und forderte verschiedene Unterlagen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eltern an. Nachdem der Kläger diese Unterlagen vorgelegt hatte, bewilligte der Beklagte durch Bescheid vom 14. Dezember 2007 Alg II für die Zeit vom 8. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008 in Höhe von 273,76 EUR (Oktober 2007), 342, 20 EUR (November und Dezember 2007), 304,87 EUR (Januar 2008) und 262, 20 EUR (Februar und März 2008) und berücksichtigte dabei die gesetzliche Regelleistung in Höhe von 347,- EUR, den befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II (bis 14. Januar 2008 160,- EUR, anschließend 80,- EUR) und setzte Einkommen des Vaters nach Abzug der Versicherungspauschale (30,- EUR) in Höhe von 164,80 EUR ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und wandte sich gegen die Anrechnung des Einkommens seines Vaters sowie die Reduzierung des Zuschusses nach § 24 SGB II (Schreiben vom 10. Januar 2008).

Der Beklagte lud den Kläger zu einem Gespräch über seine berufliche Situation am 15. Januar 2008 um 8.00 Uhr in die Außenstelle Riedlingen ein und wies auf die Folgen des Nichterscheinens hin (Schreiben vom 9. Januar 2008). Nachdem der Kläger zu diesem Termin nicht erschienen ist, lud der Beklagte diesen zum 18. Januar 2008 erneut ein (Schreiben vom 15. Januar 2008 mit Rechtsfolgenbelehrung, das am gleichen Tag in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde). Mit E-Mail vom 17. Januar 2008 teilte der Kläger dem Beklagte u.a. mit, dass er zu dem morgigen Termin nicht kommen werde, weil er keine Lust auf eine Erörterung der verschiedenen zwischen ihnen streitigen Punkte habe.

Mit Änderungsbescheid vom 15. Januar 2008 senkte der Beklagte wegen eines Meldeversäumnisses am 15. Januar 2008 das Alg II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB II um 10 % (35,- EUR) ab 1. Februar 2008 ab, hob die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Februar bis zum 30. März 2008 insofern auf und setzte den monatlichen Leistungsbetrag auf 147,20 EUR fest.

Am 16. Januar 2008 kürzte der Beklagte das Alg II um weitere 30 % (104,- EUR) ab 1. Februar 2008 wegen Verstoßes gegen die Eingliederungsvereinbarung, hob die Leistungsbewilligung insoweit auf und setzte den monatlichen Zahlbetrag auf 43,20 EUR fest. Der Kläger hatte bis zum 5. Januar 2008 keine Bewerbungsbemühungen im Dezember 2007 gegenüber dem Beklagten nachgewiesen.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2008 senkte der Beklagte wegen Nichterscheinens zum Meldetermin am 18. Januar 2008 unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II das Alg II um 20 % (69,- EUR) für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai 2008 ab und hob die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung für März 2008 ganz auf.

Der Kläger legte gegen die Änderungs- und Sanktionsbescheide Widerspruch ein. Er wandte ein, dass er das Einladungsschreiben vom 9. Januar 2008 nicht erhalten habe. Am 18. Januar 2008 habe er einen Augenarzttermin gehabt. Er legte einen Befundbericht der Augen-Praxis-Klinik E. vom 5. Februar 2008 über eine Vorstellung am 22. Januar 2008 vor. In der Zeit vom 18. bis zum 22. Januar 2008 habe er ein Augenpflaster zur Analyse seines Schielverhaltens getragen, weshalb keine richtige Konzentration auf ein Gespräch möglich gewesen wäre.

Mit Fortzahlungsantrag, in dem der Kläger angab, es hätten sich keine Änderungen ergeben, reichte er Kontoauszüge seines Girokontos für die Zeit vom 20. Dezember 2007 bis 14. März 2008 ein, in denen keine Barauszahlung und keine Bezahlung mittels EC-Karte, jedoch eine Bareinzahlung am 21. Februar 2007 in Höhe von 500,- EUR und eine Überweisung vom 26. Februar 2008 in Höhe von 2.000,- EUR verzeichnet ist. Zu der Bareinzahlung erklärte der Kläger, dass ein Kollege bei ihm Altschulden bezahlt habe. Solche Zahlungen seien nicht laufend, sondern kämen ab und zu vor, wenn die entsprechenden Leute auf der Bildfläche erschienen. Die Überweisung sei auf das Konto der ING DiBa gegangen. Er besitze noch ca. 3.300,- EUR.

Der Beklagte entschied mit Bescheid vom 10. April 2008 über die Gewährung von Alg II für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 2008 und bewilligte dem Kläger für Mai 2008 113,20 EUR und für Juni bis September 2008 monatlich 262,20 EUR. Er setzte von der gesetzlichen Regelleistung wegen Sanktionen im April 2008 139,- EUR und im Mai 2008 69,- EUR sowie im gesamten Bewilligungsabschnitt das Einkommen des Vaters (in bisheriger Höhe) ab. Weiterhin berücksichtigte er für die Monate Juni bis September 2008 einen Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 80,- EUR. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 29. April 2008 kündigte der Beklagte an, die Leistungen nach dem SGB II zum 31. Mai 2008 wegen fehlender Feststellbarkeit der Hilfebedürftigkeit einzustellen, forderte Kontoauszüge an und gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger legte Auszüge seines Girokontos für die Zeit vom 26. Februar bis zum 5. Mai 2008 vor, auf denen Barabhebungen bzw. Auszahlungen von 30,- EUR (19. März 2008), 20,- EUR (1. April 2008) und 1.000,- EUR (4. April 2008) sowie ein Zahlungseingang in Höhe von 4.000,- EUR (Übertrag Extra-Konto), eine Bareinzahlung in Höhe von 800,- EUR (28. April 2008) und eine Überweisung von 3.750,- EUR (1286346-Flatex-Dep.-Nr. 10009) ersichtlich sind. Dazu erklärte der Kläger, seine oberflächlichen Bekannten würden immer mal wieder Altschulden bezahlen. Zudem tausche er Alltagsdinge gegen Lebensmittel bzw. verkaufe diese. Auch habe er private Schulden, die er wegen der ausbleibenden Zahlungen des Beklagten habe immer wieder erhöhen müssen. Er habe das Konto von der ING DiBa zu Flatex gewechselt. Das Guthaben auf dem Flatex-Konto betrage ca. 3.760,- EUR.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2008 stellte der Beklagte die bisher nach den Bestimmungen des SGB II gewährten Leistungen mit Wirkung vom 1. Juni 2008 ein, da die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht feststellbar sei. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein.

Der Beklagte wies die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 14. Dezember 2007, 15. Januar 2008, 16. Januar 2008, 1. Februar 2008, 10. April 2008 und 27. Mai 2008 durch Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 als unbegründet zurück. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Leistungen, da seine Hilfebedürftigkeit nicht feststellbar sei. Bis Ende Februar 2008 habe der Kläger das Alg II nicht zur Bestreitung seines Lebensunterhalts eingesetzt, sondern angespart. Auch habe er nicht von seinem Aktienvermögen gelebt, sondern dieses nun auf einem Flatax-Depot angelegt. Der Kläger habe nicht schlüssig erklären können, von was er in den vergangenen Monaten gelebt habe. Es sei somit offensichtlich, dass er entweder über Einkommen und/oder Vermögen verfügte, das er bislang nicht angegeben habe, oder von seinen Angehörigen unterstützt werde.

Dagegen hat der Kläger am 8. Juli 2008 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Weitergewährung von Alg II vom 6. Juni 2008 (S 2 AS 2014/08 ER) hat der Kläger nach Einvernahme seiner Eltern als Zeugen im Erörterungstermin vom 18. Juli 2008 zurückgenommen; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 18. Juli 2008 verwiesen (Bl. 72 - 75 der Akten S 2 AS 2014/08 ER).

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage u.a. vor, dass er alle Fragen fristgerecht beantwortet und sein Vermögen offen gelegt habe. Sein Vater habe ihn nicht unterstützt. Für die Zeit ab Juni 2008 habe dieser lediglich die fälligen Krankenkassenbeiträge darlehensweise übernommen. Die Einladung zu dem Termin am 15. Januar 2008 habe er nicht erhalten. In der Zeit vom 18. bis zum 22. Januar 2009 habe er einen Augenverband tragen müssen und sei deshalb aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, den Termin am 18. Januar 2008 wahrzunehmen. Er - der Kläger - habe unter Rückgriff auf sein Schonvermögen, durch Beitreibung von Altforderungen und durch Darlehen von Freunden und Bekannten seinen Lebensunterhalt bestritten. Von Juni bis November 2008 habe er von seinem Bruder Raphael darlehensweise monatliche Beträge erhalten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (insgesamt 1.000,- EUR). Der Kläger legte Darlehensverträge mit seinem Vater und seinem Bruder vor (Bl. 82 f. der SG-Akten).

In der nichtöffentlichen Sitzung vor dem SG am 2. März 2009 teilte der Kläger mit, dass er nach wie vor bei seinen Eltern wohne und von diesen unterhalten werde; er müsse kein Kostgeld zahlen. Einen Antrag auf Gewährung von Alg II für die Zeit ab Oktober 2008 habe er nicht gestellt. Seit 15. Januar 2009 übe er eine Beschäftigung bei der Firma Liebherr aus.

Im Rahmen eines im Juli 2009 anhängig gewordenen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens des Klägers (S 2 AS 2513/09 ER) hat das SG u.a. den Vater und den Bruder des Klägers als Zeugen einvernommen (Bl. 33 - 37 SG-Akte S 2 AS 2513/09 ER).

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 12. April 2010 erkannte der Beklagte an, dass der Bescheid vom 15. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 zurückgenommen und der Bescheid vom 1. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 insofern geändert wird, als lediglich eine Absenkung in Höhe von 10 v.H. vorgenommen wird. Der Kläger nahm das Teil-Anerkenntnis an.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 12. April 2010 abgewiesen. Dem Kläger stehe für die Monate Oktober 2007 bis März 2008 kein höheres Alg II zu (Bescheid vom 14. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008). Einer höheren Leistungsgewährung stehe § 9 Abs. 5 SGB II entgegen. Diese Vorschrift enthalte eine Vermutungswirkung dahingehend, dass Hilfebedürftige, die in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten leben, von diesen Leistungen erhielten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden könne. Die Vermutungswirkung werde durch die Zeugenangaben der Eltern bestätigt, wonach der Kläger Kost und Logis unentgeltlich erhalte. Auch habe er von seinem Vater und seinem Bruder Geldzuwendungen erhalten. Auch spreche die Tatsache, dass aus den vom Kläger vorgelegten Kontoauszügen keinerlei Abhebungen ersichtlich seien, gegen dessen Hilfebedürftigkeit. Aus denselben Gründen seien auch die Bescheide vom 10. April 2008 (Bewilligungsabschnitt von April bis September 2008) und von 27. Mai 2008 zutreffend. Auch die Absenkungsbescheide seien nicht zu beanstanden. Gegen den Kläger sei zurecht für den Zeitraum Februar bis März 2008 eine 30%-ige Sanktion verhängt worden, da er gegen die Eingliederungsvereinbarung vom 16. Oktober 2007 verstoßen und die geforderten Bewerbungsbemühungen nicht nachgewiesen habe. Der Bescheid vom 1. Februar 2008 sei, nachdem der Beklagte die Absenkung auf lediglich 10 % korrigiert habe, ebenfalls rechtmäßig, da der Kläger für das Meldeversäumnis am 18. Januar 2008 keinen wichtigen Grund vorweisen könne.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten im erstinstanzlichen Verfahren am 9. Juli 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. August 2009 eingelegte Berufung. Hinsichtlich der Leistungseinstellung ab Juni 2008 enthalte das Urteil keine Begründung. Der Beklagte habe die Frist zur Vorlage der Unterlagen nicht abgewartet. Warum er im März und Mai 2008 gar keine Leistungen erhalten habe, verstehe er nicht. Er habe nur Kost und Logis erhalten, jedoch keine Geldzuwendungen mit Ausnahme der nachgewiesenen Darlehen. Auch habe der Beklagte bereits mit Bescheid vom 10. April 2008 Leistungen bis September 2008 genehmigt gehabt. Im Übrigen verweist der Kläger auf seinen Vortrag vor dem SG.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. April 2010 aufzuheben, 2. unter Abänderung des Bescheids vom 14. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 8. Oktober 2007 bis zum 30. März 2008 höheres Arbeitslosengeld II zu gewähren, 3. den Bescheid vom 16. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 aufzuheben, 4. den Bescheid vom 1. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 aufzuheben, 5. unter Abänderung des Bescheids vom 10. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 2008 höheres Arbeitslosengeld II zu gewähren, 6. den Bescheid vom 27. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Auf gerichtliche Aufforderung (Verfügungen vom 28. Februar, 7. März 2011, 21. März 2011, 21. Juni 2011 und 28. Juli 2011) übersandte der Kläger weitere Kontoauszüge für sein Girokonto (Zeitraum vom 9. Juni – 28. August 2008; Bl. 213/218 der Akten) sowie eine Bestätigung der ING DiBa über die Löschung des Depots zum 4. April 2008 (Bl. 220 der Akten) und teilte mit, dass es keine Kontoauszüge des Kontos bei der ING DiBa und keine Depotauszüge für das Flatax-Konto gebe, da es sich um Online-Konten handele.

Der Senat hat den Kläger aufgefordert, das Gericht zu ermächtigen, eine Auskunft für den Zeitraum September 2007 bis Oktober 2008 bei den konto- und depotführenden Banken einzuholen, und darauf hingewiesen, dass möglicherweise auf Basis der vorliegenden Konto- und Depotunterlagen die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht festgestellt werden kann. Daraufhin teilte der Kläger mit, dass er mit diesem Thema nicht mehr belästigt werden wolle.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Verwaltungsakten und die Akten des SG Ulm zu den Aktenzeichen S 2 AS 2014/08 ER und S 2 AS 2513/09 ER Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist hinsichtlich der gegen den Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 erhobenen Anfechtungsklage begründet. Auch ist der Bewilligungsbescheid vom 10. April 2008 insoweit rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als der Beklagte seine Bewilligungsentscheidung nicht entsprechend dem Teilanerkenntnis vom 12. April 2010 korrigiert und die Absenkung in den Monaten April und Mai 2008 wegen der Aufhebung der Sanktionsentscheidung im Hinblick auf das erste Meldeversäumnis am 15. Januar 2008 nicht reduziert hat. Im Übrigen hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg.

1. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bilden zunächst die Bescheide vom 14. Dezember 2007 und 10. April 2008, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008, mit denen der Beklagte über die Gewährung von Alg II für die Bewilligungsabschnitte vom 8. Oktober 2007 bis zum 30. März 2008 sowie vom 1. April bis zum 30. September 2008 entschieden hat. Weiterhin sind die Bescheide vom 16. Januar 2008 und 1. Februar 2008 (in der Fassung des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 12. April 2010), jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008, Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, mit denen der Beklagte das Alg II um 30 v.H. der Regelleistung in Höhe von monatlich 104,- EUR bzw. um 10 v.H. absenkte, die Leistungsbewilligung durch Bescheid vom 14. Dezember 2007 insoweit aufhob und den Leistungsbetrag für die Monate Februar 2008 auf 43,20 EUR und für März 2008 auf 0,- EUR festsetzte. Schließlich ist der Bescheid vom 12. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008, mithin die vom Beklagten verfügte Leistungseinstellung zum 1. Juni 2008, Gegenstand des Berufungsverfahren.

2. Der Bescheid vom 14. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht gegen den Beklagten für die Zeit vom 8. Oktober 2007 bis zum 30. März 2008 kein Anspruch auf höheres Alg II zu. Ihm ist jedenfalls Alg II in gesetzlicher Höhe bewilligt worden. Der Beklagte hat den Bedarf des Klägers zutreffend ermittelt und Einkommen des Vaters bedarfsmindernd berücksichtigt. Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2007 gültig gewesen Fassung) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4) Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 gültig gewesen Fassung; a.F.) ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr. 1) oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (Nr. 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Der Kläger bildete hier gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II allein für seine Person "eine Bedarfsgemeinschaft". Eine Bedarfsgemeinschaft zwischen über fünfundzwanzigjährigen Kindern und ihren Eltern sieht das Gesetz nicht vor, weshalb hier eine Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen Eltern nicht angenommen werden kann. Die Hilfebedürftigkeit des Klägers misst sich daran, ob und inwieweit im streitigen Zeitraum sein Bedarf von dem zu berücksichtigenden Einkommen und ggf. einzusetzenden Vermögen gedeckt wird.

Bei Prüfung des Anspruchs des Klägers auf Alg II ist vorliegend der durch die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II für einen Alleinstehenden ausgedrückte Bedarf in Höhe von 347,- EUR zu Grunde zu legen. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG (bspw. BSGE 101, 70) im Hinblick auf die pauschalierte Regelleistung für eine individuelle Bedarfsermittlung vor dem Hintergrund möglicherweise ersparter Aufwendungen kein Raum. Daneben besteht ein Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. § 22 SGB II) nicht, weil dem Kläger keine solchen tatsächlichen Aufwendungen entstanden sind, da er bei seinen Eltern kostenfrei wohnte. Zutreffend hat der Beklagte darüber hinaus einen Zuschlag nach § 24 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 gültig gewesen Fassung; a.F.) bis zum 15. Januar 2008 in Höhe von monatlich 160,- EUR und ab 16. Januar 2008 von monatlich 80,- EUR gewährt, nachdem der Kläger in der Zeit vom 16. Dezember 2006 bis zum 15. Januar 2007 Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich 879,- EUR (täglich 29,30 EUR) bezogen hat. Der Zuschlag wird innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld gewährt (§ 24 Abs. 1 SGB II a.F.), so dass der Zuschlag in Höhe von 160,- EUR für das erste Jahr bis zum 15. Januar 2008 zu befristen war und zwar unabhängig davon, dass der Kläger in der Zeit vom 16. Januar bis zum 7. Oktober 2007 kein Alg II bezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14 AS 23/07 R -).

Bedarfsmindernd auf die dem Kläger zustehende Regelleistung ist das Einkommen seines Vaters in Höhe von 194,80 EUR zu berücksichtigen. Der Kläger wohnte im streitgegenständlichen Zeitraum mit seinen Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft mit der Folge, dass gesetzlich vermutet wird, ihm fließen tatsächlich Unterstützungsleistungen im Umfang des § 1 Abs. 2 Alg II-V (in der Fassung vom 20. Oktober 2004) zu. Lebt der Hilfebedürftige mit anderen Personen zusammen, ohne dass sie eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II bilden, bietet lediglich § 9 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 2 Alg II-V eine Handhabe dafür, Einkommen (und ggf. Vermögen) eines Mitglieds des Haushalts bei der Prüfung des Bedarfs beim Hilfebedürftigen zu berücksichtigen, ohne dass der entsprechende Zufluss bei ihm nachgewiesen sein muss. § 9 Abs. 5 SGB II knüpft insoweit an eine bestehende Haushaltsgemeinschaft zwischen Verwandten und Verschwägerten im Sinne des Wirtschaftens aus einem Topf die Vermutung, dass der Hilfebedürftige bei Leistungsfähigkeit des Verwandten Leistungen in bestimmter Höhe auch erhält (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 32/08 R -) Der Zufluss der Unterstützungsleistungen wird dabei widerleglich vermutet: Besteht eine Haushaltsgemeinschaft, ist es dem Hilfebedürftigen möglich, die gesetzliche Vermutung - er erhält Leistungen von den Verwandten oder Verschwägerten - zu widerlegen, indem er Tatsachen vorträgt, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung zu begründen. Nur dann besteht Anlass, weitergehend von Amts wegen zu ermitteln. Unterstützungen von Verwandten werden im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 5 SGB II mithin dann nicht berücksichtigt, wenn nachgewiesen ist, dass sie trotz entsprechender Leistungsfähigkeit tatsächlich nicht erbracht werden.

Die Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB II greift vorliegend ein, da zwischen dem Kläger und seinen Eltern eine Haushaltsgemeinschaft bestand. Dabei ist der Begriff der Haushaltsgemeinschaft gegenüber demjenigen der Wohngemeinschaft dadurch gekennzeichnet, dass ihre Mitglieder nicht nur vorübergehend in einer Wohnung zusammenleben, sondern einen Haushalt in der Weise führen, dass sie aus einem "Topf" wirtschaften (bspw. BSGE 102, 258). Sowohl der Kläger als auch seine als Zeugen durch das SG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren S 2 AS 2014/08 ER vernommenen Eltern, deren Aussage der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, haben bestätigt, dass sie gemeinsam in der elterlichen Wohnung leben und dabei eine Haushaltsgemeinschaft bilden.

Die Vermutung der Erbringung von Unterstützungsleistungen von in einer Haushaltsgemeinschaft lebenden Verwandten und Verschwägerten ist allerdings nur gerechtfertigt, wenn dies nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen erwartet werden kann. Ob und in welchem Umfang Einkommen zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus § 1 Abs. 2 Alg II-V. Der von dem Beklagten hiernach ermittelte Betrag in Höhe von 194,80 EUR ist nicht zu beanstanden. Hierbei ist der Beklagte zunächst vom grundsätzlich zu berücksichtigenden Nettoeinkommen in Höhe von 1.775,84 EUR ausgegangen, das er um den für erwerbstätige Hilfebedürftige geltenden allgemeinen Freibetrag nach § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II a.F. in Höhe von 100,- EUR gemindert hat. Zusätzlich hat er das Einkommen um den Freibetrag bei Erwerbstätigkeit nach §§ 11 Abs. 2 Nr. 6, 30 SGB II in Höhe von 180,- EUR bereinigt und Beiträge zur Zusatzkrankenversicherung (§ 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II) und zur Riester-Rente (§ 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB II) abgesetzt. Als außergewöhnliche zusätzliche Belastungen des Vaters hat er schließlich die Aufwendungen für Krankenversicherung und Wohnung des in Österreich studierenden Sohnes M. berücksichtigt (monatlich 21,77 EUR und 300,- EUR). Von dem sich danach ergebenden bereinigten Einkommen in Höhe von 1.121,52 EUR ist zusätzlich der sich nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V ergebende Freibetrag (Eigenanteil) in Abzug zu bringen, der den doppelten Satz der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung (2 - 347 = 694 EUR) sowie die anteiligen Unterkunftskosten (37,91 EUR) umfasst. Der verbleibende Betrag in Höhe von 389,61 EUR ist zur Hälfte (194,80 EUR) als zu erwartender Beitrag zum Lebensunterhalt des Klägers in Ansatz zu bringen.

Die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II, dass Hilfebedürftige von mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Verwandten oder Verschwägerten Leistungen erhalten, kann im Einzelfall widerlegt werden, wenn vom Antragsteller Tatsachen benannt werden, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung zu begründen. Dem Kläger ist es nicht gelungen, Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II zu begründen. Vielmehr hat der Kläger bestätigt, dass er tatsächlich Unterstützungsleistungen seines Vaters bzw. seiner Eltern in Form von freier Unterkunft und Verpflegung erhalten hat. Im Rahmen der zeugenschaftlichen Vernehmung seiner Eltern durch das SG im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 2 AS 2014/08 ER haben diese bestätigt, dass der Kläger bei ihnen freie Kost und Logis hatte, sie ihn jedoch nicht weiter durch Bargeld unterstützt haben. Mit der Gewährung freier Kost und Logis durch seine Eltern waren die Bedarfe des Klägers insbesondere in den Bereichen Ernährung, Hausrat und Haushaltsenergie sowie Wohnen weitgehend gedeckt, so dass die gesetzliche Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II bestätigt wurde.

3. Der Bescheid vom 16. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids misst sich an § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung tritt ein, wenn die Voraussetzungen des § 31 SGB II für eine Absenkung des Alg II vorliegen (vgl. BSGE 102, 201, 211). Dies ist hier der Fall. Dabei bedarf es als Voraussetzung für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung keines vorgeschalteten, zusätzlichen feststellenden Verwaltungsakts (vgl. BSG SozR 4-4200 § 31 Nr. 3).

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr.1b SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 gültig gewesen Fassung; a.F.) wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II a.F. in einer ersten Stufe um 30 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist (§ 31 Abs. 1 S. 2 SGB II). Vorliegend hat sich der Kläger in der wirksamen Eingliederungsvereinbarung vom 16. Oktober 2007 ausdrücklich verpflichtet, jeweils bis zum 5. eines Folgemonats 8 Bewerbungsbemühungen zu belegen und eine entsprechende Dokumentation bei dem Beklagten einzureichen. Diese Verpflichtung hat er verletzt, da er weder bis zum 5. Januar 2008 noch danach irgendeine Bewerbung im Monat Dezember 2007 dokumentiert und dem Beklagten belegt hat. Er hat weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren geltend gemacht, dass er im Dezember 2007 die geforderten Bewerbungsbemühungen entfaltet hat. Es auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger die Erfüllung dieser Verpflichtung nicht zumutbar oder unmöglich war.

Die Eingliederungsvereinbarung war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehen. Nach der Rechtsprechung des BSG setzt die Festsetzung von Sanktionen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II voraus, dass der Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt worden ist. Dabei muss die Belehrung zeitnah im Zusammenhang mit dem jeweils geforderten Verhalten erfolgen und dem Hilfebedürftigen in verständlicher Form erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Weigerung des geforderten Verhaltens für ihn ergeben, wenn für diese kein wichtiger Grund vorliegt (vgl. BSGE 105, 297 m.w.N.). Diesen Ausführungen genügt die in der Eingliederungsvereinbarung vom 16. Oktober 2007 enthaltene Rechtsfolgenbelehrung. Sie bezieht sich ausdrücklich auf die konkreten Rechtsfolgen bei der Nichterfüllung der in der Eingliederungsvereinbarung konkret geregelten Pflichten. Der Kläger konnte somit ohne weiteres die Konsequenzen der Verweigerung der Vorlage der geforderten Bewerbungen erkennen. Wichtige Gründe für die Weigerung der Vorlage der Bewerbungen liegen nicht vor und wurden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

4. Der das Meldeversäumnis vom 18. Januar 2008 betreffende Bescheid vom 1. Februar 2008 (in der Fassung des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 12. April 2010) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 14. Dezember 2007 nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen vor. Gegenüber den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheids vom 14. Dezember 2007 vorgelegen haben, ist eine wesentliche Änderung dadurch eingetreten, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Absenkung des Alg II wegen des Meldeversäumnisses am 18. Januar 2008 gegeben sind und der Beklagte deshalb berechtigt war, das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II a.F. für die Zeit ab 1. März 2008 um 10 v.H. der Regelleistung für drei Monate abzusenken.

Kommt der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach und weist er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nach, wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II a.F. in einer ersten Stufe um 10 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung abgesenkt (§ 31 Abs. 2 SGB II a.F.).

Das Schreiben des Beklagten vom 15. Januar 2008, das der Kläger unstreitig erhalten hat und mit dem er unter Angabe des Meldezwecks eines Gesprächs über seine berufliche Situation zu einer Vorsprache bei dem Beklagten auffordert wurde, ist eine wirksame Meldeaufforderung. Es liegt eine hinreichend bestimmte Aufforderung vor, die es dem Kläger ermöglichte, das ihm abverlangte Verhalten zu erkennen. Die Meldeaufforderung war auch mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrungen versehen. Den oben näher beschriebenen Anforderungen genügt die in dem Einladungsschreiben vom 15. Januar 2008 enthaltene Rechtsfolgenbelehrung, die sich ausdrücklich nur auf die konkreten Rechtsfolgen bei einem Meldeversäumnis bezieht.

Der Kläger hat mit seinem Nichterscheinen am 18. Januar 2008 gegen seine Obliegenheit zur Meldung pflichtwidrig verstoßen. Wegen der strukturellen Ähnlichkeit des § 31 SGB II zu den Sperrzeittatbeständen des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist auch im Rahmen des § 31 Abs. 2 SGB II die subjektive Vorwerfbarkeit des Verhaltens als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 27/10 - m.w.N.). Der Verstoß gegen die Meldepflicht ist dem Kläger schon deshalb vorwerfbar, weil er trotz Belehrung über die Rechtsfolgen bereits mit E-Mail vom 17. Januar 2008 dem Beklagte mitteilte, dass er zu dem morgigen Termin nicht kommen werden, weil er keine Lust auf eine Erörterung der verschiedenen zwischen ihnen streitigen Punkte habe.

Der Kläger hatte auch keine wichtigen Gründe für sein Nichterscheinen zu dem Meldetermin am 18. Januar 2008. Nach § 31 Abs. 2 SGB II scheidet eine Sanktionierung wegen der Verwirklichung eines Sanktionstatbestandes aus, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten "nachweist". Wichtige Gründe i.S. des § 31 Abs. 2 SGB II können alle Umstände des Einzelfalls sein, die unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Hilfebedürftigen in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 27/10 - m.w.N.). Dass der Kläger, wie er es dem Beklagten mit E-Mail vom 17. Januar 2008 mitgeteilt hat, keine Lust auf eine Vorsprache hatte, rechtfertigt offensichtlich nicht das Nichterscheinen. Die später von ihm vorgebrachten gesundheitlichen Umstände sind nicht geeignet, einen wichtigen Grund zu begründen. Ausweislich des vom Kläger vorgelegten Befundberichts der Augen-Praxis-Klinik E. vom 5. Februar 2008 hat sich der Kläger in der Praxis am 22. Januar und nicht am 18. Januar 2008 vorgestellt. Er hat lediglich in der Zeit vom 18. bis zum 22. Januar 2008 einen sog. Marlow-Verband zur Analyse seines Schielverhaltens getragen. Weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein soll, bei dem Beklagten zu erscheinen, ist nicht ersichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger weder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch ein ärztliches Attest für die Unmöglichkeit des Erscheinens zu dem Meldetermin vorgelegt hat, obwohl er sowohl in der Eingliederungsvereinbarung als auch in dem Einladungsschreiben vom 15. Januar 2008 auf das Erfordernis eines Nachweises einer Verhinderung aus gesundheitlichen Gründen hingewiesen worden war.

5. Der Bewilligungsbescheid vom 10. April 2008 ist insoweit rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als der Beklagte seine Bewilligungsentscheidung nicht entsprechend dem Teilanerkenntnis vom 12. April 2010 korrigiert und die Absenkung in den Monaten April und Mai 2008 wegen der Aufhebung der Sanktionsentscheidung im Hinblick auf das erste Meldeversäumnis am 15. Januar 2008 nicht reduziert hat. Wie im vorangegangenen Bewilligungsabschnitt vom 8. Oktober 2007 bis zum 30. März 2008 hat der Beklagte zunächst zutreffend den Bedarf des Klägers bestimmt, den Zuschlag nach § 24 SGB II a.F. angesetzt und das Einkommen seines Vaters entsprechend der gesetzlichen Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II bedarfsmindernd abgesetzt. Auch ist für April und Mai 2008 der Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II a.F. wegen der Sanktionen gem. Bescheiden vom 16. Januar und 1. Februar 2008 zu berücksichtigen. Wegen der Aufhebung der Sanktionsentscheidung vom 15. Januar 2008 tritt jedoch lediglich eine Absenkung des Alg II um 40 v.H. (139,- EUR) im April 2008 und um 10 v.H. (35,- EUR) im Mai 2008 ein, so dass sich ein Anspruch des Klägers auf weiteres Alg II für April 2008 in Höhe von 13,20 EUR und für Mai 2008 von 4,- EUR ergibt.

6. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2008 stellt sich als rechtswidrig dar und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die von dem Beklagten verfügte "Leistungseinstellung" zum 1. Juni 2008 verstößt gegen die für den Beklagten bindende Verfügung über die Gewährung von Alg II für den Bewilligungsabschnitt vom 1. April bis zum 30. September 2008 durch den Bescheid vom 10. April 2008. Diese Bewilligung ist nach wie vor wirksam. Es verbietet sich deshalb eine abweichende inhaltliche Regelung, also auch die vom Beklagten verfügte "Leistungseinstellung" ohne zusätzliche Aufhebung bzw. Rücknahme der Leistungsbewilligung (vgl. zuletzt BSG, Urteil 28. Oktober 2008 - B 8 SO 33/07 R - m.w.N.). Eine solche hat der Beklagte jedoch - anders bspw. als bei den Änderungsbescheiden vom 15. und 16. Januar 2008 - gerade nicht ausgesprochen. Es fehlt sowohl eine Bezugnahme auf den maßgeblichen Bewilligungsbescheid vom 10. April 2008 als auch auf die Regelungen der §§ 45, 48 SGB X. Auch hat der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 12. Mai 2008 keine Versagung bzw. Entziehung des Alg II auf Grundlage des § 66 Abs. 1 SGB I ausgesprochen, da er sich weder auf die Regelung des § 66 Abs. 1 SGB I berufen noch das nach § 66 Abs. 3 SGB I erforderliche Verfahren durchgeführt, die gem. § 66 Abs. 1 SGB I zu treffende Ermessensentscheidung erlassen und die gem. § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X erforderliche Ermessensbegründung gegeben hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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