L 11 R 5242/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 150/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5242/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 03.11.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin auf Grundlage ihres Rentenantrags vom 17.03.2008 ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zusteht.

Die 1948 in Kroatien geborene Klägerin ist italienische Staatsangehörige. Sie hat keinen Beruf erlernt und war seit 1978 in Deutschland als ungelernte Arbeiterin, zuletzt als Maschinenbedienerin, versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 02.11.2006 ist sie arbeitsunfähig geschrieben. Ihr ist ein GdB von 30 zuerkannt. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Beiträge zur italienischen Sozialversicherung wurden nicht entrichtet.

Ein früheres Rentenverfahren (Antrag vom 18.10.2005, Ablehnungsbescheid vom 15.12.2005, Widerspruchsbescheid vom 17.02.2006) war erfolglos geblieben.

In der Zeit vom 24.05.2007 bis zum 14.06.2007 erbrachte die Beklagte der Klägerin stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der R.klinik Bad W ... Der Entlassungsbericht vom 14.06.2007 teilt mit, die Klägerin leide an einem Wirbelsäulen-Syndrom, einem Impingement-Syndrom beider Schultern, einer Epicondylitis rechter Ellenbogen, einer Bewegungseinschränkung rechte Hand sowie an Adipositas (100 kg bei 176 cm), sie sei im Beruf einer Industriearbeiterin für unter drei Stunden sowie für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für drei bis unter sechs Stunden leistungsfähig. Die angebotene Verlängerung der Maßnahme sei von der Klägerin im Hinblick darauf abgelehnt worden, dass sie ihren Ehemann nicht länger alleine lassen wolle.

Am 17.03.2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr B., den Arzt für Orthopädie Dr S. und den Internisten L ... Dr B. teilte in seinem Gutachten vom 19.08.2008 mit, bei der Klägerin liege ein Zustand nach CTS-Operation rechts 2006 vor. Er führte aus: "In den wesentlichen Anteilen nicht der willentlichen Kontrolle entzogenes, ausgesprochenes akzentuiertes Krankheitsverhalten, welches jetzt jedenfalls eine objektive Befunds- und Anamneseerklärung kaum erlaubt, umgekehrt: keine objektivierbaren organ-neurologisch begründeten Befunde, die nach Art und Ausmaß eine etwa quantitative Leistungsminderung begründen ließe". Dr S. gibt in seinem Gutachten vom 13.05.2008 an, die Klägerin leide an einer rezidivierenden Cervikalbrachialgie mit geringfügiger Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule (HWS) bei Spondylosis C5/C7 und leichter cervikaler Streckstellung, ohne Hinweise auf eine cervikale Nervenwurzelirritation, einer muskulären Dysbalance mit muskelschwachem, hohlrundem Rücken und Adipositas, einer rezidivierenden Lumbalgie bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Bandscheibenprotrusion bei L4/5 und L5/S1 mit derzeit geringfügiger Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule, ohne jegliche Hinweise auf eine lumbale Nervenwurzelirritation, einer beginnenden Gonarthrose beidseits, ohne nennenswerte Funktionseinschränkung der Kniegelenke und ohne Hinweise auf eine aktivierte Arthrose, einer ausgeprägten Varikosis mit deutlicher Schwellung beider Unterschenkel sowie einem Impingement-Syndrom mit endgradiger Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenkes. Insgesamt sei die Klägerin unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen in der Lage, vollschichtig leichte Frauenarbeiten, im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen zu verrichten. Dr L. kam im Hauptgutachten zu dem Schluss, die Klägerin könne wenigstens leichte Arbeiten zu ebener Erde ohne übertriebene und ständige Zwangshaltung der Hals- und Rumpfwirbelsäule, ohne Nachtschicht, ohne erhöhten Zeitdruck und ohne ständige Überkopfarbeiten über sechsstündig verrichten. Er hatte auf seinem Fachgebiet noch einen Bluthochdruck und ventrikuläre Herzrhythmusstörungen festgestellt.

Mit Bescheid vom 10.07.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung der begehrte Rente ab; der Klägerin sei eine mindestens sechsstündige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar.

In Ihrem Widerspruch vom 21.07.2008 führte die Klägerin aus, sie sei wegen ihrer Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig. Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2008 zurück; es liege weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vor.

Am 13.01.2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben und vorgetragen, ihr Restleistungsvermögen sei auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter vollschichtig gesunken. Vor allem die chronische Polyarthritis sowie die Spinalkanalstenose stehe einer regelmäßigen vollschichtigen Erwerbstätigkeit entgegen.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Ergebnisses und des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf Blatt 27 bis 63 und 77, 78 der SG-Akte Bezug genommen. Der Facharzt für Chirurgie, Phlebologie und Lymphologie Dr Sch. hat dem SG mit Schreiben vom 06.04.2009 mitgeteilt, er habe die Klägerin nur bis 09.06.2006 behandelt. Eine Einschätzung der Leistungsfähigkeit sei aktuell nicht möglich. Zum Zeitpunkt der Behandlung hätten keinerlei berufliche Einschränkungen auf seinem Fachgebiet vorgelegen. Die Fachärztin für Neurologie Dr P. hat in ihrer Auskunft vom 15.04.2009 mitgeteilt, aufgrund der schweren Wirbelsäulenveränderungen sei der Klägerin eine schwere körperliche Tätigkeit mit Tragen über fünf kg nur eingeschränkt möglich. Eine Tätigkeit solle in wechselnden Körperpositionen (Sitzen und Stehen) ausgeführt werden, häufiges Bücken sei zu meiden. Wegen des Carpaltunnelsyndroms links sowie des Zustandes nach CTS-OP rechts sollten feinmotorisch stark belastende Tätigkeiten ebenfalls vermieden werden. Sie hat die Leistungsfähigkeit der Klägerin auf drei bis sechs Stunden eingeschätzt. Der Internist Dr Sa. hat mit Schreiben vorn 03.05.2009 ausgeführt, die größeren Einschränkungen der Leistungsfähigkeit der Klägerin ergäben sich aus den schwerwiegenden und nachgewiesenen VerschleißerscHe.ungen des tragenden Skeletts, insbesondere der HWS und LWS mit Bandscheibenleiden, der Kniegelenke und beider Schultergelenke bei Impingement-Syndrom beidseits. Nach der Operation der Hand im Mai 2006 könne die Klägerin diese kaum noch einsetzen. Neurologisch fände sich jedoch keine Ursache für den Ausfall. Hauptsächlich auf Grund der orthopädisch-neurologischen Ausfälle sei die Klägerin nicht mehr fähig, leichte Tätigkeiten von 3 Stunden zu verrichten. Dr Z., Arzt für Chirotherapie, Sportmedizin und Akupunktur, hat in seiner Auskunft vom 25.05.2009 angegeben, die Klägerin zuletzt am 05.03.2008 behandelt zu haben. Die Klägerin sei in ihrer Belastbarkeit massiv eingeschränkt und nicht mehr in der Lage drei Stunden täglich leichte körperliche Tätigkeiten zu verrichten. Die Internistin und Kardiologin Dr He. hat dem SG mit Schreiben vom 18.12.2009 mitgeteilt, die Klägerin leide an einer essentiellen artiellen Hypertonie, einer hypertensiven Herzerkrankung mit exzentrischer linksventrikulärer Hypertrophie, einer chronischen Linksherzinsuffizienz mit Dyspnoe NYHA II-III bei hypertensiver Herzerkrankung, einer geringen Mitralklappeninsuffizienz Grad 1, einer erheblichen Adipositas sowie einer Polyarthralgie und einem Lymphöden beider unterer Extremitäten. Schwere körperliche Arbeiten und Nachtschichtarbeit seien zu vermeiden; die Klägerin könne Tätigkeiten noch drei bis sechs Stunden verrichten; das Hauptleiden liege auf orthopädischem und rheumatologischem Fachgebiet.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr Kn ... Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 82 bis 126 der SG-Akten Bezug genommen. Dr Kn. hat in seinem Gutachten vom 27.01.2010 festgestellt, bei der Klägerin bestehe eine Polyarthrose der Hände mit Gebrauchsminderung des rechten Handgelenks, eine AC-Gelenkarthrose beider Schultergelenke, ein chronisch rezidivierendes pseudoradikuläres cervicobrachiales Wirbelsäulensyndrom bei Osteochondrose C3-C7, ein chronisch rezidivierendes Dorsolumbalsyndrom bei Osteochondrose von BWS und LWS, eine Gonarthrose Grad I beidseits und ein Fibromyalgie-Syndrom bei chronifiziertem Schmerzsyndrom Grad III nach Gebershagen. Schwere und mittelschwere Tätigkeiten seien nicht mehr zumutbar, ebenso das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg. Sinnvoll sei eine überwiegend stehende und gehende Tätigkeit; gleichförmige Körperhaltungen und häufiges Bücken seien zu meiden, häufiges Treppensteigen und Steigen auf Leitern und Gerüsten sei nicht zumutbar. Wegen berichteter häufig eintretender Schwindelerscheiningen seien Arbeiten an gefährdenden Maschinen nicht mehr zumutbar. Akkord- und Fließbandarbeit könne prinzipiell durchgeführt werden. Wegen der Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand seien Arbeiten, welche eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderten, nicht zumutbar. Tätigkeiten unter Einfluss von Kälte, Zugluft und Nässe sollten wegen der Polyarthrose der Hände unterbleiben. Durch den langen Krankheitsverlauf, die anhaltend subjektiv empfundenen starken Schmerzen und die verminderte Belastbarkeit und Bewegungseinschränkungen könne es zu psychischen Begleitreaktionen kommen, welche zB in Form von Ängstlichkeit, Depressivität oder phobischem Vermeidungsverhalten zum Ausdruck kämen. Ein Schmerzchronifizierungsstadium III sei festgestellt. Die individuelle psychische Belastbarkeit erscheine herabgesetzt. Deswegen seien besondere Verantwortung und besondere geistige Beanspruchung zu meiden. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeit ohne zeitliche Einschränkungen auszuführen.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 03.11.2010 die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Bei ihr stehe eine Polyarthrose der Hände mit Gebrauchsminderung des rechten Handgelenks, eine AC-Gelenkarthrose beider Schultergelenke, ein chronisch rezidivierendes pseudoradikuläres cervicobrachiales Wirbelsäulensyndrom bei Osteochondrose C3-C7, ein chronisch rezidivierendes Dorsolumbalsyndrom bei Osteochondrose von BWS und LWS, eine Gonarthrose Grad I beidseits und ein Fibromyalgie-Syndrom bei chronifiziertem Schmerzsyndrom Grad III im Vordergrund. Eine rentenrelevante zeitliche Einschränkung für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt lasse sich aus diesen Erkrankungen jedoch nicht ableiten. Die Klägerin könne zumindest noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche, jedoch unter Beachtung qualitativer Einschränkungen, ausüben. Auch unter Berücksichtigung der durch die behandelnden Ärzte benannten Befunde und Diagnosen komme die Kammer zu keiner von dem Gutachten Dr Kn. abweichenden Leistungsbeurteilung. Auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe nicht. Die Klägerin sei zwar vor dem 02.01.1961 geboren, sie sei aber als Arbeiterin breit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 08.11.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 11.11.2010 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Nach einem Hinweis auf § 106a Abs 2 Nr 1 SGG und einer Fristsetzung bis zum 05.05.2011 hat die Klägerin ihre Berufung mit Fax vom 05.05.2011 begründet. Sie verfolge das Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter. Die "üblichen salbungsvollen Worte" für den Gutachter Dr Kn. könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Dr Kn. Orthopäde sei und Schwierigkeiten habe, die Auswirkungen der erheblichen Schmerzzustände, die auch aus den festgestellten orthopädischen Befunden herrührten, im Hinblick auf die Einschränkungen des quantitativen Restleistungsvermögens zu bewerten. Es habe sich augenscheinlich noch nicht bei allen Orthopäden herumgesprochen, dass auch anhaltende Schmerzzustände das zeitliche Restleistungsvermögen herabsetzen könnten. Das zumindest von Dr Kn. noch diagnostizierte Fibromyalgie-Syndrom sowie das Schmerzsyndrom Grad III nach Gerbershagen tue ein Übriges.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 03.11.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.03.2008 Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 05.05.2011 die Einholung eines psychiatrischen/schmerzpsychologischen Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr Bi., Bad S., beantragt. Mit Verfügung vom 09.05.2011 hat der Senat die Einholung eines Gutachtens bei Dr Bi. von der Zahlung eines Kostenvorschusses - zu zahlen bis 10.06.2011 - abhängig gemacht. Die Klägerin hat den Kostenvorschuss bis zuletzt nicht einbezahlt.

Mit Rentenbescheid vom 03.08.2011 hat die Beklagte der Klägerin Altersrente für Frauen ab 01.04.2011 bewilligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten - insbesondere der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen - wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG statthaft und zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 iVm Abs 4 SGG) ist der die Gewährung einer Rente wegen voller und wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, ablehnende Bescheid der Beklagten vom 10.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2008. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Die Klägerin ist nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung von qualitativen Leistungseinschränkungen (dazu siehe unten), leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten; sie ist damit nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der aus dem Verwaltungsverfahren vorliegenden Unterlagen aber auch der Berufungsbegründung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin im Wesentlichen an einer Polyarthrose der Hände mit Gebrauchsminderung des rechten Handgelenks, einer AC-Gelenkarthrose beider Schultergelenke, einem chronisch rezidivierenden pseudoradikulären cervicobrachialen Wirbelsäulensyndrom bei Osteochondrose C3-C7, einen chronisch rezidivierenden Dorsolumbalsyndrom bei Osteochondrose von BWS und LWS, einer Gonarthrose Grad I beidseits sowie einem Fibromyalgie-Syndrom bei chronifiziertem Schmerzsyndrom Grad III nach Gebershagen leidet.

Diese bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen führen zu keiner rentenrelevanten quantitativen Einschränkung der Leistungsfähigkeit für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Vielmehr bedingen diese Erkrankungen lediglich qualitative Einschränkungen. Das lokale cervicale thorakale und lumbale Wirbelsäulensyndrom bei bestehender muskulärer Dysbalance und osteochondrotischen sowie spondylarthrotischen Veränderungen der Wirbelsäule bedingen qualitative Funktionseinschränkungen, jedoch keine zeitlichen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit.

Auch aus den im Bereich der unteren Gliedmaßen bestehenden Erkrankungen, also der degenerativen Veränderungen der Kniegelenke, links mehr als rechts symptomatisch, und der Krampfaderbildung mit vor allem nachweisbarer Astvarikosis, lässt sich eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit nicht ableiten. Die Muskulatur beider Beine ist annähernd altersentsprechend, die Fußsohlen sind seitengleich beschwielt. Das Leistungsvermögen wird vor allem Erkrankungen an den Bandscheiben und bandscheibenassoziierten Erkrankungen geprägt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der Begutachtung die segmentale Funktion der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte nur in geringem, teilweise mittelgradigem Umfang eingeschränkt war. Auch die Lendenwirbelsäule weist nur leichtgradige Funktionseinschränkungen und eine Fehlstellung im Sinne einer Hyperlordose auf. Die geringfügige segmentale Instabilität betrifft nur die Segmente L2/L3 und L3/L4. Aus diesen Erkrankungen lässt sich - so Dr Kn. - eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit nicht ableiten. Auch unter Berücksichtigung des von Dr Kn. festgestellten chronischen Schmerzsyndroms Grad III nach Gerbershagen sind quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit nicht feststellbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass alleine das Bestehen von Krankheit oder Behinderung - auch von Schmerz - als solches nach § 43 SGB VI nicht geeignet ist, eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen. Vielmehr müssen die bestehenden Erkrankungen bzw Behinderungen - auch Schmerzen - ursächlich für eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf - zumindest - unter sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche, also arbeitstäglich, sein. Eine solche Ursächlichkeit der bei der Klägerin - unzweifelhaft - vorhandenen Schmerzen für ein auf unter sechs Stunden arbeitstäglich gesunkenes Leistungsvermögen konnte der Senat im Anschluss an die Gutachten von Dr Kn. und Dr S. nicht feststellen. Jedoch bedingen auch diese Schmerzen qualitative Leistungseinschränkungen (dazu sogleich).

Die von Dr He. mitgeteilte essentielle artielle Hypertonie, die hypertensive Herzerkrankung mit exzentrischer linksventrikulärer Hypertrophie, die chronische Linksherzinsuffizienz mit Dyspnoe NYHA II-III bei hypertensiver Herzerkrankung, die geringe Mitralklappeninsuffizienz Grad 1, die erhebliche Adipositas sowie die Polyarthralgie und das Lymphöden beider unterer Extremitäten führen ebenfalls nicht zu einem zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögen. Denn Dr He. hat ihre Einschätzung eines zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens nicht mit diesen, sondern mit den bestehenden Erkrankungen im orthopädischen und rheumatologischen Fachbereich begründet und dennoch ein noch drei bis sechsstündiges, mithin also ein iSd § 43 Abs 1 und 3 SGB VI ausreichendes sechsstündiges Leistungsvermögen für gegeben erachtet.

In Folge ihrer Erkrankung sind der Klägerin schwere und mittelschwere Tätigkeiten nicht mehr zumutbar. Auch das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg ist wegen der muskulären Dysbalance der Wirbelsäule und der Insuffizienz der Rückenstreckmuskulatur zu meiden. Wegen der Arthrose der Kniegelenke sollte die Klägerin überwiegend stehende und gehende Tätigkeiten ausüben, gleichförmige Körperhaltungen und häufiges Bücken sind ebenso zu vermeiden wie häufiges Treppensteigen sowie Steigen auf Leitern und Gerüsten. Wegen der eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand sind Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erfordern, nicht möglich. Wegen der Polyarthrose der Hände sind Arbeiten unter Einfluss von Kälte, Zugluft und Nässe zu meiden. Wegen der von der Klägerin angegebenen Schwindelerscheinungen sind Arbeiten an gefährdenden Maschinen nicht zumutbar. Im Hinblick auf die Schmerzerkrankung und den langen Krankheitsverlauf ist die individuelle psychische Belastbarkeit herabgesetzt. In Folge dessen sind Arbeiten mit besonderer Verantwortung und besonderer geistiger Beanspruchung zu meiden. Weitergehende Einschränkungen hat auch die behandelnde Neurologin Dr P. nicht mitgeteilt; sogar weitergehend Einschränkungen der geistigen Beanspruchung völlig verneint. Insoweit konnte auch Dr B. in seinem nervenärztlichen Gutachten keine weitergehenden Einschränkungen mitteilen.

Die Überzeugung des Senats beruht auf dem schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten von Dr Kn ... Er hat - entgegen dem pauschalierenden Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren - die bestehende Schmerzerkrankung festgestellt und ausreichend bewertet. Gründe, weshalb der Senat von den Feststellungen und Einschätzungen des Dr Kn., der im Übrigen auch durch die Ausführungen der Gutachter Dr S. und Dr B. bestätigt wird, abweichen sollte, konnten auch die behandelnden Ärzte nicht mitteilen. Ihre subjektive Einschätzung einer auf unter sechs Stunden herabgesetzten Leistungsfähigkeit - wobei zu berücksichtigen ist, dass Dr P. noch ein drei bis sechsstündiges, mithin also ein sechsstündiges Leistungsvermögen angegeben hatte - haben diese Ärzte nicht näher begründet. Alleine aus den von ihnen mitgeteilten Befunden konnte der Senat nicht auf das von ihnen angegebene Leistungsvermögen schließen. Ihr Befunde hat Dr Kn. in seine Leistungsbeurteilung einbezogen und sachlich gewürdigt. Seine Ausführungen haben den Senat überzeugt.

Ein Gutachten bei Dr Bi. nach § 109 SGG war nicht einzuholen, denn die Klägerin hat den mit Schriftsatz vom 09.05.2011 angeforderten Kostenvorschuss nicht - weder in der bis 10.06.2011 gesetzten Frist noch danach - einbezahlt. Nunmehr verzögert die Zulassung des Antrags nach § 109 Abs 1 SGG die Erledigung des Rechtsstreits. Die Zahlung wurde aus grober Nachlässigkeit nicht getätigt. Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede nach sorgfältiger Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (Hessisches LSG, 04.05. 2011, L 6 AL 86/10, juris Rdnr 24). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn - wie hier - trotz ausdrücklichem Hinweis die angeforderte Vorschusszahlung überhaupt nicht geleistet wird. Aus diesen Gründen macht der Senat von dem ihm gem § 109 Abs 2 SGG eingeräumten Ermessen pflichtgemäß Gebrauch und lehnt unter Berücksichtigung auch der Interessen der Klägerin die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr Bi. ab.

Die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtliche nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus ihnen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl. BSG, 11.03. 1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Die Klägerin ist dabei auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies haben sowohl Dr Kn. als auch die behandelnden Ärzte Dr Sch., Dr P., Dr Sa., Dr Z. und Dr He. bestätigt.

Die Klägerin ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen hatte bei der Antragstellung im März 2008 und seither durchgängig bestanden. Mit diesem Leistungsvermögen war die Kläger im vorliegend streitigen Zeitraum nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI); sie hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung.

Sie hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben gemäß § 240 Abs 1 SGB VI in den ab 01.01.2001 geltenden Fassungen (zuletzt geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes) bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist gemäß § 240 Abs 2 Satz 3 SGB VI stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist gemäß § 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Deshalb besteht ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht bereits dann, wenn der bisherige Beruf (Hauptberuf) nicht mehr ausgeübt werden kann, sondern erst, wenn der Versicherte nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann. Das Gesetz verlangt dazu, einen zumutbaren beruflichen Abstieg in Kauf zu nehmen.

Die Klägerin ist nach Überzeugung des Senats als Ungelernte einzustufen. Sie hat keine Ausbildung durchlaufen, Qualifikationen auf nennenswertem Berufsniveau hat sie auch nicht absolviert und war zuletzt als ungelernte Arbeiterin beschäftigt. Damit ist die Klägerin auf sämtliche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommende Tätigkeiten verweisbar. Derartige leichte Tätigkeiten kann sie aber - wie oben dargelegt - arbeitstäglich noch sechs Stunden und mehr verrichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen seines Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass die Klägerin in beiden Instanzen erfolglos geblieben ist.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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