L 8 SB 596/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 1545/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 596/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Bei 1948 geborenen Kläger stellte das Landratsamt R. (LRA) mit Bescheid vom 10.02.2005 wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), einer chronischen Bronchitis (Teil-GdB 10) und einer Teillähmung des rechten Mittelnervs (Teil-GdB 20) den GdB mit 30 neu sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz fest. Ein vom Kläger gegen den Bescheid vom 10.02.2005 eingelegter Widerspruch blieb mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt - vom 08.06.2005 ohne Erfolg.

Am 20.04.2007 stellte der Kläger beim LRA einen weiteren Antrag auf Neufeststellung des GdB. Das LRA nahm medizinische Unterlagen zu den Akten (Befundberichte Dr. K. vom 24.11.2005 und 18.03.2007, Dr. G./Prof. Dr. R. vom 26.10.2006 und 21.11.2006, Dr. H. vom 23.10.2006 und 17.11.2006, Dr. D. vom 19.12.2006 sowie Dr. W. vom 15.03.2007 und 02.04.2007). Weiter holte das LRA den Befundschein von Dr. M. vom 13.06.2007 ein. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der medizinischen Unterlagen (gutachtliche Stellungnahme Dr. W. vom 02.07.2007, der unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Sehminderung beidseitig - Teil-GdB 10 - den Gesamt-GdB weiterhin mit 30 vorschlug) entsprach das LRA mit Bescheid vom 11.07.2007 dem Neufeststellungsantrag des Klägers nicht.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte der Kläger am 10.08.2007 (ohne Begründung) Widerspruch ein, der vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2008 zurückgewiesen wurde.

Hiergegen erhob der Kläger am 20.02.2008 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG).

Das SG hörte die Ärzte Dr. K., P., Dr. K., Dr. M., Dr. B. und Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Facharzt für Neurochirurgie und Neuroradiologie Dr. K. teilte in seiner Stellungnahme vom 20.06.2008 den Behandlungsverlauf sowie die erhobenen Befunde mit und schätzte unter Berücksichtigung einer Polyneuropathie wegen Wirbelsäulenschäden den GdB auf 40. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie P. teilte in ihrer Stellungnahme vom 30.06.2008 den Behandlungsverlauf, den psychopathologischen Befund sowie die Diagnose (Dysthymia) mit und hielt eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit beim Kläger für gegeben. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K. teilte in seiner Stellungnahme vom 30.06.2008 unter Vorlage von Befundberichten die Befunde mit und schätzte den Gesamt-GdB auf nicht unter 50 ein. Die Augenärztin Dr. M. teilte in ihrer Stellungnahme vom 10.07.2008 die Befunde mit und schätzte den GdB auf 10 ein. Der Internist Dr. B. teilte in seinen Stellungnahmen vom 14.07.2008, 14.10.2009 und 18.05.2010 die Lungenbefunde mit. Er schätzte den GdB zunächst auf 30 ein und teilte später - nach einer weiteren Untersuchung des Klägers am 11.01.2010 - die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten (Stellungnahme vom 18.05.2010). Der Orthopäde Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 24.07.2008 die Befunde mit und schloss sich auf seinem Fachgebiet der Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten an.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. K. vom 03.11.2008, des Arztes D. vom 15.06.2009 und Dr. G. vom 15.03.2010 entgegen.

Der Kläger machte aufgrund der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen geltend, hinsichtlich der Wirbelsäule sei ein GdB von 40 begründet. Die Teillähmung des rechten Mittelnervs sei mit einem GdB von 20 zu bewerten. Der Kläger legte hierzu den Befundbericht von Dr. K. vom 25.02.2009 vor. Hinsichtlich der Atemwege betrage der GdB 30. Ein GdB von 10 werde seinem Leiden in psychiatrischer Hinsicht nicht annähernd gerecht.

Das SG holte von Amts wegen das orthopädische Gutachten von Dr. D. vom 21.06.2010 ein. Dr. D. gelangte in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, beim Kläger lägen auf orthopädischem Gebiet an Gesundheitsstörungen vor, eine etwa 10 %ige Gesamt-Beweglichkeitseinschränkung der Halswirbelsäule ohne Nachweis sensibler oder motorischer Nervenwurzelreizerscheinungen, eine aus der Schmerzsymptomatik der Halswirbelsäule resultierende endgradig eingeschränkte Beweglichkeit der Arme in den Schultergelenken, eine etwa 10 %ige Gesamt-Beweglichkeits-einschränkung der Brustwirbelsäule, eine endgradig eingeschränkte Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule ohne Nachweis sensibler oder motorischer Nervenwurzelreizerscheinungen, eine aus der Schmerzsymptomatik der Lendenwirbelsäule resultierende endgradig eingeschränkte Beugung in den Hüftgelenken (Teil-GdB 20) sowie eine endgradige Streckhemmung sämtlicher Langfinger (kein Teil-GdB). Unter zusätzlicher Berücksichtigung einer chronischen Bronchitis, einer Sehminderung beidseits, einer depressiven Verstimmung, einer sensiblen Funktionsstörung des Nervus medianus (Teil-GdB jeweils 10) sowie einer geringen Einschränkung der Lungenfunktion schätzte Dr. D. den Gesamt-GdB auf 20 seit Ende 2006 ein.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 21.10.2010, der für eine Funktionsbehinderung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), eine Polyneuropathie und Mittelnervendruckschädigung rechts, chronische Bronchitis, Sehminderung beidseitig und depressive Verstimmung (Teil-GdB jeweils 10) den Gesamt-GdB weiterhin mit 30 vorschlug, der Klage weiter entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, zur Überzeugung der Kammer bedingten die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen weiterhin keinen höheren GdB als 30. Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei nach dem Gutachten von Dr. D. beim Kläger ein Teil-GdB von 20 anzuerkennen. Die Einschätzung von Dr. K. sei aufgrund der von Dr. D. mitgeteilten Befunde nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Erkrankung der Atmungsorgane sei nach der Auskunft von Dr. B. ein Teil-GdB von 10 anzuerkennen. Auch für die Erkrankung auf nervenärztlichem Fachgebiet sei nach den Auskünften der Ärztin P. und Dr. K. ein Teil-GdB von 10 gerechtfertigt. Die Verletzung des rechten Mittelnerves, das Bronchialasthma, die Polyneuropathie und die Sehstörung bedingten keinen höheren GdB als 10. Im streitigen Zeitraum habe kein höherer Gesamt-GdB vorgelegen, als der vom Beklagten anerkannte GdB.

Gegen den der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.01.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.02.2011 Berufung eingelegt, die er nicht begründet hat.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm den Grad der Behinderung mit über 30 seit dem 20. April 2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat die Anträge der Beteiligten nach dem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 11.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2008 ist rechtmäßig. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Neufeststellung des GdB von über 30 zu. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen - welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören - zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX, die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (vgl. Art. 63, 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 BGBl. I S. 1046). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Hiervon ausgehend beträgt der Gesamt-GdB beim Kläger unverändert nicht mehr als 30. Der Senat gelangt mit dem SG zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine wesentliche Änderung nicht eingetreten ist, die die Anhebung des Gesamt-GdB rechtfertigt. Ein Gesamt-GdB von mehr als 30 liegt nicht vor, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend begründet hat. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum gleichen Ergebnis. Er schließt sich den hierzu gemachten Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids an, auf die er zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen:

Hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens des Klägers steht auch für den Senat nach den von Dr. D. bei der Begutachtung des Klägers festgestellten und in seinem Gutachten vom 21.07.2010 dargestellten Wirbelsäulenbefunden fest, dass beim Kläger nach den AHP und den VG allenfalls ein Teil-GdB von 20 gerechtfertigt ist. Der abweichenden Ansicht von Dr. K. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 20.06.2008 kann nicht gefolgt werden. Seiner Stellungnahme lassen sich keine Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule entnehmen, die seine Annahme von mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten plausibel machen. Es fanden sich computertomografisch nur Protrusionen bei L 3/4 und L 4/5 sowie ein kleiner Bandscheibenvorfall bei L 5/S1 mit einer S1-Kompression. Damit einhergehende relevante funktionelle Auswirkungen, auf die bei der Bewertung des GdB maßgeblich abzustellen ist, lässt sich der Stellungnahme von Dr. K. nicht entnehmen. Elektroneurographisch stellte Dr. K. beim Kläger lediglich eine Tibialis- und Peronaeus-SEP-Verzögerung beidseitig mit einer Verlangsamung der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus tibialis fest, wobei er eine lumbale Spinalkanalstenose als Ursache hierfür nicht sicher diagnostizierte. Die von ihm zuletzt als sensible Polyneuropathie an den unteren Extremitäten bezeichnete Gesundheitsstörung geht aber nicht mit motorischen Störungen einher, dass mittelgradige bis schwergradige Beeinträchtigungen nicht plausibel macht. Soweit Dr. K. eine Claudicatio-Symptomatik nennt, gibt er ersichtlich eine Beschwerdeschilderung des Klägers wieder, ohne das tatsächliche Bestehen einer solchen Symptomatik durch eigene Befunderhebung festgestellt zu haben. Die bei der Begutachtung des Klägers durch Dr. D. erhobenen Untersuchungsbefunde haben zudem weder in der Hals- noch der Lendenwirbelsäule mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen erbracht. Dies gilt auch für eine von Dr. K. genannte erhebliche Gehbehinderung, worauf Dr. D. in seinem Gutachten nachvollziehbar und überzeugend hinweist. Entsprechendes gilt auch für die abweichende Bewertung von Dr. K. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.06.2008. Dr. K. geht von chronischen Rückenschmerzen bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen aus, die seine Bewertung ebenfalls nicht plausibel machen. Angesichts der von Dr. D. festgestellten lediglich endgradigen Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule des Klägers bei klinisch fehlenden Nervenwurzelreizerscheinungen kann ein GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden des Klägers nach den Vorgaben der AHP/VG nicht anerkannt werden, worauf Dr. D. in seinem Gutachten überzeugend hinweist, dem sich der Senat anschließt. Auch Dr. W. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 24.07.2008 die Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten (Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Teil-GdB 20) geteilt.

Die Mittelnervendruckschädigung rechts und die Polyneuropathie sind entsprechend dem Vorschlag von Dr. R. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.10.2010 mit einem Teil-GdB von 10 angemessen bewertet. Nach den von Dr. D. erhobenen Untersuchungsbefunden ist beim Kläger bis auf eine endgradige Streckhemmung sämtlicher Langfinger die Fingergelenksbeweglichkeit frei. Die grobe Kraft ist bei kräftig ausgeprägter Muskulatur im Bereich der Hände nicht eingeschränkt. Damit ruft die Mittelnervendruckschädigung beim Kläger keine bedeutsame Funktionsbeeinträchtigung hervor. Entsprechendes gilt für die Polyneuropathie, die bei einer ebenfalls kräftig ausgeprägter Muskulatur im Bereich beider Ober- und Unterschenkel keine bedeutsamen Funktionseinschränkungen bedingt (flüssiges Gangbild, regelgerechter Zehen- und Fersengang, Fersen- und Einbeinstand, Einbeinhüpfen). Diese Befunde können einen Teil-GdB von 20 nicht rechtfertigen. Hiervon geht auch Dr. D. in seinem Gutachten aus. Der abweichenden Bewertung von Dr. K. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.06.2008 (Teil-GdB 20 für eine Teillähmung des rechten Mittelnervs) kann auch insoweit nicht gefolgt werden. Dr. K. nennt wiederum keine Funktionsbeeinträchtigungen, die seine abweichende Bewertung plausibel machen.

Beim Kläger liegt auch keine Erkrankung der Atmungsorgane vor, die mit einem Teil-GdB von über 10 zu bewerten ist. Beim Kläger besteht eine chronische Bronchitis. Nach einem von Dr. K. vorgelegten Lungenbefund ergab eine FV Messung am 17.10.2006 beim Kläger normale Lungenfunktionswerte. Zwar ergab nach den schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. B. vom 14.07.2008 und 14.10.2009 eine am 19.11.2007 erfolgte Untersuchung eine mittelgradige restriktive Ventilationsstörung mit mäßiger respiratorischer Partialinsuffizienz, weshalb er - unter Berücksichtigung der chronischen Bronchitis - zunächst den GdB auf 30 einschätzte. Eine Ursache der restriktiven Ventilationsstörung konnte Dr. B. nach seinen Angaben jedoch nicht feststellen, weshalb er auch nicht sicher zu beurteilen vermochte, ob eine dauerhafte Einschränkung vorliegt. Demgegenüber erbrachte nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. B. vom 18.05.2010 eine am 11.01.2010 erfolgte Untersuchung des Klägers nur leicht unter der Norm liegende statische und dynamische Lungenvolumina bei mäßiger respiratorischer Partialinsuffizienz und früher gemessenen Lungenfunktionswerten im Normbereich. Im Hinblick auf die Untersuchungsbefunde vom 11.01.2010 ist danach beim Kläger nicht belegt, dass bei ihm dauerhaft eine mittelgradige restriktive Ventilationsstörung vorliegt, worauf auch Dr. G. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme von 15.03.2010 sowie der Versorgungsarzt D. in seiner Stellungnahme vom 15.06.2009 überzeugend hingewiesen haben, weshalb die Untersuchungsbefunde vom 11.01.2010 der GdB-Bewertung zugrundezulegen sind. Nach diesen Untersuchungsbefunden ist beim Kläger lediglich von einer leichtgradigen Einschränkung der Lungenfunktion auszugehen, wie Dr. B. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 18.05.2010 bestätigt. Diese leichtgradige Lungenfunktionseinschränkung rechtfertigt zur Überzeugung des Senates nach den vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend wiedergegebenen Vorgaben der AHP/VG einen Teil-GdB von 10 (bis allenfalls 20). Zwar erbrachten die Blutgasanalysen im Jahr 2007 wie auch im Jahr 2010 jeweils eine mäßige respiratorische Partialinsuffizienz. Demgegenüber sind jedoch die statischen und dynamischen Messwerte der Lungenfunktion nur leicht unter der Norm abgesenkt, weshalb es nicht gerechtfertigt ist, von einem GdB-Rahmen von 20 bis 40 auszugehen. Auch Dr. B. und Dr. K. teilen die Ansicht des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten, die wegen einer chronischen Bronchitis von einem Teil-GdB von 10 ausgehen. Dem schließt sich der Senat an.

Weiter rechtfertigt die durch eine Linsentrübung (grauer Star) hervorgerufene Sehminderung des Klägers keinen Teil-GdB von über 10. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. M. vom 10.07.2008 beträgt die korrigierte Sehschärfe beim Kläger (in die Ferne) rechts 0,63 bis 0,8 und links 0,8 bis 1,0. Nach den AHP/VG (Teil B 4.3) rechtfertigt diese Sehminderung keinen Teil-GdB von über 10. Dem entsprechen auch die Bewertungen von Dr. M. und Dr. K., die wegen der Sehminderung des Klägers übereinstimmend einen Teil-GdB von 10 für angemessen erachten.

Die auf psychiatrischem Gebiet bestehende Gesundheitsstörung des Klägers rechtfertigt ebenfalls keinen Teil-GdB von über 10. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. K. vom 30.06.2008 bestehen beim Kläger eine Depression in leichter Ausprägung, mit Konzentrationsstörungen, vermindertem Antrieb und depressiver Stimmung sowie eine Einschränkung der Partizipationsfähigkeit im sozialen Bereich. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage der Psychiaterin P. vom 30.06.2008 bestehen beim Kläger - mit der Diagnose einer Dysthymia - eine gedrückte subdepressive Stimmung bei leicht eingeengter Schwingungsbreite und Schlafstörungen. Der Kläger wirkt gleichmütig und lustlos. Die Antriebs- und Interessenslage ist vermindert. Der formale Gedankengang ist jedoch geordnet. Der Kläger ist psychomotorisch ruhig, im Kontakt zugewandt, ohne Anhalt für Suizidalität. Der Kläger befindet sich nach den Angaben der Psychiaterin P. bei ihr auch nicht in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung. Er hat sich bei ihr lediglich dreimal (am 25.10.2007, 19.11.2007 und 20.12.2007) vorgestellt. Bei dieser Befundlage kann - entgegen der Ansicht der Psychiaterin P. und von Dr. K. - noch nicht von einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers ausgegangen werden, die nach den AHP/VG (Teil B 3.7) einen GdB von 30 bis 40 rechtfertigen würden. Vielmehr sind nur leichtere psychovegetative oder psychische Störungen gegeben, die mit einem Teil-GdB von 0 bis 20 zu bewerten sind. Zudem kann nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 -; Internet: www.sozialgerichtsbarkeit.de) bei einer fehlenden ärztliche Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt. Der Senat sieht bei dem oben dargestellten psychopathologischen Befund auch keinen Anlass, den für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen vorgegebenen GdB-Rahmen nach oben auszuschöpfen.

Sonstiges Gesundheitsstörungen, die mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten sind, liegen beim Kläger nicht vor. Dass der Kläger durch die chronische Magenschleimhautentzündung nennenswert an einer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, lässt sich den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht entnehmen. Nach den Befundberichten von Dr. G. vom 25.10.2006 und Prof. Dr. R. vom 20.11.2006 besteht beim Kläger lediglich eine geringe chronische Gastritis mit geringer Aktivität. Weiter ist der Kläger übergewichtig, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass die chronische Magenschleimhautentzündung beim Kläger zu berücksichtigende Behinderungen hervorruft. Entsprechendes gilt für ein (leichtes) Bluthochdruckleiden (nach dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Ü. vom 17.06.2007: Blutdruck 150/90 mmHg bei im Wesentlichen unauffälligem Ruhe-EKG).

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Senat hält den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch die durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen für geklärt. Dass beim Kläger eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes eingetreten ist, ist nicht ersichtlich und wird im Übrigen vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

Damit steht auch für den Senat fest, dass eine wesentliche Änderung im Behinderungszustand des Klägers, der es rechtfertigt, den GdB mit über 30 seit dem 20.04.2007 neu festzustellen, nicht eingetreten ist. Ausgehend von einem Teil-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden des Klägers würde dies nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB selbst dann gelten, wenn beim Kläger wegen der Atemwegserkrankung von einem Teil-GdB von 20 ausgegangen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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