L 4 R 1015/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 458/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1015/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der am 1956 geborene verheiratete Kläger, dessen Ehefrau nach seinen Angaben netto EUR 1.500,00 monatlich verdient, begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Beklagten, ihm einstweilen Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Der Kläger erlernte in der Zeit vom 16. August 1971 bis 15. Juli 1974 den Beruf des Drehers und war nach seinen Angaben im Anschluss daran unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit und Krankheit als Dreher, Versicherungsvertreter, LKW-Fahrer und Busfahrer versicherungspflichtig beschäftigt, als selbständiger Handwerker pflichtversichert sowie von 1996 bis 20. August 2008 erneut als Busfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 21. August 2008 bezog er neben für die Monate September und November 2008 gespeicherten Pflichtbeitragszeiten wegen einmalig gezahlten Entgelts zunächst bis 29. Juni 2009 Krankengeld, anschließend bis 21. Juli 2009 Übergangsgeld, anschließend bis 12. Dezember 2009 erneut Krankengeld und sodann bis 11. März 2011 Arbeitslosengeld. Sein Grad der Behinderung beträgt 60 seit 10. November 2003 (Bescheid vom 22. März 2004).

Vom 30. Juni bis 21. Juli 2009 nahm der Kläger insbesondere wegen der Folgen eines am 19. Juli 2008 erlittenen Fahrradsturzes an einer ihm von der Beklagten bewilligten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der S.-Klinik in B. S. teil. Leitende Ärztin Internistin/Rheumatologin Dr. H.-S. nannte im Entlassungsbericht vom 23. Juli 2009 die Diagnosen einer chronischen Schlafstörung mit Zustand nach Schlafmittelabusus, eine posttraumatische Belastungsstörung (nach Unfalltod der Tochter im Jahr 2000) mit deutlicher depressiver Komponente, eine subtrochantäre Femurfraktur rechts am 19. Juli 2008, Osteosynthese mit langem Gammanagel am 19. Juli 2008, persistierender Belastungsschmerz und muskuläre Schwäche und ein lokales HWS-Syndrom bei Spondylarthrosen und Schmerzverstärkung nach Distorsionstrauma am 04. Juni 2009. Der Kläger wurde arbeitsunfähig entlassen. Prinzipiell könne er leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus, zeitweise im Stehen und Gehen sowie überwiegend im Sitzen sechs Stunden und mehr durchführen. Vermieden werden sollen häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über acht bis zehn Kilogramm, ständige Rumpfzwangshaltungen, häufiges Bücken, tiefe Knie-/Hockstellungen, häufiges Begehen unebener Flächen, Ersteigen von Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten, die mit Absturzgefahr verbunden sind. Einschränkungen bestünden, zumindest unter Medikamenteneinnahme aufgrund der chronischen Schlafstörung hinsichtlich des Konzentrations- und Reaktionsvermögens, sodass die Fortführung der bisherigen Tätigkeit als Busfahrer wohl nur unter optimalen Rahmenbedingungen möglich sei. Zur exakten Beurteilung sei zwingend eine nervenärztliche Mitbegutachtung erforderlich.

Der Kläger beantragte am 24. August 2009 Rente wegen Erwerbsminderung. Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. erstattete das Gutachten vom 22. Oktober 2009. Dr. B. stellte folgende Diagnosen: Im Wesentlichen funktionell phobischer Schwindel, Anpassungsstörung und leicht histrionische Persönlichkeitsakzentuierung. Der Kläger könne seine bisherige Tätigkeit als Busfahrer im Linienverkehr nur noch unter drei Stunden täglich verrichten. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen oder ständigem Sitzen, zu ebener Erde, nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen, ohne ständigen Zeitdruck und ohne Nacht- und Wechselschicht könne er jedoch noch sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Gegenwärtig sei er zwar noch arbeitsunfähig. Dies sollte aber im Rahmen einer etwa stationär-psychosomatischen Behandlung und auch nach Hinterfragung der Medikation in absehbarer Zeit zu bessern sein. Die Beklagte hörte hierzu Arzt für Neurologie und Psychiatrie Sc., der sich dem Gutachten von Dr. B. teilweise anschloss, insbesondere jedoch kein vorzeitiges Heilverfahren für erforderlich hielt, da die Behandlungsmöglichkeiten vor Ort ausreichend seien. Darauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Oktober 2009 die Rentengewährung ab. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Bei diesem Leistungsvermögen liege weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit vor. Im Rahmen des dagegen mit E-Mail erhobenen Widerspruchs wandte sich der Kläger unter Vorlage eines Attestes der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr. K. und H. vom 18. Dezember 2009, wonach aus deren Sicht keine Aussicht besteht, den Kläger wieder ins Arbeitsleben zurückzuführen, und einer ärztlichen Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. vom 15. April 2003, der zufolge beim Kläger eine schwere traumatische Belastungsreaktion, ein Schwindel und ein labiler Hypertonus bestehe, die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet sei und deshalb eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme befürwortet und eingeleitet werde, insbesondere gegen das von Dr. B. erstattete Gutachten. Die Beklagte holte einen Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. vom 10. Januar 2010 ein. Danach befand sich der Kläger seit November 2001, zuletzt am 30. Juli 2009, gelegentlich in dessen Behandlung. Nach Einholung einer Stellungnahme des Arztes S. vom 18. Februar 2010 wies die bei der Beklagten gebildete Widerspruchsstelle den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2010 zurück. Volle bzw. teilweise Erwerbsminderung liege nicht vor. Bisheriger Beruf sei die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Busfahrer, die dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen sei, so dass sich der Kläger auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verweisen lassen müsse. Derartige Tätigkeiten seien ihm noch mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Er sei deshalb auch nicht berufsunfähig.

Mit der am 18. Mai 2010 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das SG hörte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. D. teilte in seiner Auskunft vom 13. Juli 2010 mit, er habe den Kläger nach dem 30. Juli 2009 am 04. März, 04. Mai und 15. Juni 2010 behandelt. Er habe bei ihm eine chronifizierte Depression im Sinne einer Dysthymia diagnostiziert. Das berufliche Leistungsvermögen könne er anhand des Behandlungsverlaufs nicht hinreichend beurteilen. Er fügte eigene Arztbriefe aus den Jahren 2008 bis 2010 bei. Dr. K. führte unter dem 12. Juli 2010 unter Beifügung eines Auszugs aus seinen medizinischen Daten seit 15. Mai 2002 und an ihn gerichteten Arztbriefen aus den Jahren 2002 bis 2010 aus, beim Kläger lägen eine posttraumatische Störung, Depression, Morbus Basedow und degenerative Veränderungen im gesamten Wirbelsäulenbereich vor. Auch einer leichten Arbeit im zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden könne der Kläger nicht mehr nachgehen. Arzt für Chirurgie W. gab in seiner Auskunft vom 24. September 2010 an, beim Kläger bestünden chronische Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule und langsam abklingende Beschwerden im Bereich des rechten Oberschenkels. Eine sechsstündige tägliche Arbeitszeit halte er noch für verfrüht, drei Stunden leichte Arbeit halte er aber für möglich, wobei eine Tätigkeit als Busfahrer nicht mehr in Betracht komme und er auch von Schicht- und Akkordarbeit abraten würde. Das SG beauftragte sodann den Orthopäden Dr. P. mit der Erstattung eines Gutachtens über den Kläger. Dr. P. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 folgende Diagnosen: noch nicht sicher durchgebauter Oberschenkelschaftbruch rechts nach Marknagelung, Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk bei beginnenden Verschleißerscheinungen, Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule bei Bandscheibenvorfall zwischen 3. und 4. Halswirbelkörper, Instabilität im rechten Kniegelenk, Bewegungseinschränkung im rechten Sprunggelenk nach Luxationsfraktur und Osteosynsthese und Bewegungseinschränkung des rechten Großzehengrundgelenks bei Großzehengrundgelenksarthrose. Ohne Gefährdung seiner Gesundheit könne der Kläger nur noch leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich verrichten, wobei eine einförmige Körperhaltung in jeder Form unerwünscht sei. Auch Tätigkeiten, die mit längeren Gehstrecken verbunden seien oder überwiegend im Stehen verrichtet werden müssten, seien ungeeignet. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten seien nicht mehr möglich. Häufiges Treppensteigen sollte vermieden werden. Die leichte körperliche Arbeit sollte auf das Heben und Tragen von Lasten unter zehn kg beschränkt bleiben. Aus psychiatrischer Sicht seien zusätzliche Belastungen wie Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit auszuschließen. Außerdem seien wegen des relativ zierlichen Körperbaus Arbeiten unter Einfluss von Kälte, Zugluft und Nässe zu vermeiden. Sodann erhob das SG über den Kläger ein Gutachten der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie O.-P ... Sie führte in ihrem beim SG am 04. April 2011 eingegangenen Gutachten vom 10. Februar 2011 aus, der Kläger leide unter einer Dysthymia mit neurasthenen Zügen auf dem Boden einer Persönlichkeitsakzentuierung mit histrionischen und narzisstischen Zügen, einer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einem Koffein- und Nikotinabusus und einer möglichen Koffeinabhängigkeit. Außerdem gäbe es Hinweise auf das Vorliegen eines phobischen Schwankschwindels. Neurologischerseits lägen diskrete Wurzelreizzeichen L 5 vor und eine periphere Polyneuropathie, die noch weiter abzuklären sei. Der Kläger sei noch in der Lage, ohne Gefährdung seiner Gesundheit acht Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Möglich seien jedoch nur noch leichte körperliche Arbeiten mit der Möglichkeit zur Wechselhaltung. Auszunehmen seien dauernde Anforderungen an die Balancierfähigkeit sowie dauernde Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit, Arbeiten unter ungünstigen Witterungseinflüssen und Arbeiten, die mit einer erhöhten Konfliktfähigkeit oder erhöhter Verantwortung für Personen oder Maschinen einhergehen würden.

Am 10. Februar 2011 stellte der Kläger beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er begehrte die sofortige Zahlung einer befristeten Rente wegen "Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit". Er trug vor, mit der befristeten Rente werde die Hauptsache nicht vorweggenommen, da deren Ziel die endgültige Berentung sei. Mit der Rente solle sein sozialer Absturz in "Hartz IV" vermieden werden und er nach Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützt werden. Sein Grad der Behinderung betrage 60, er sei anhaltend und dauerhaft krank. Die Beklagte habe es unterlassen, ihm zu erklären, dass er Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente habe. Er legte ein ärztliches Attest der Ärzte Dr. K. und H. vom 09. Februar 2011, das dem schon im Verwaltungsverfahren vorgelegten Attest vom 18. Dezember 2009 entspricht, vor.

Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Sie führte aus, an der Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2010 bestehe kein Zweifel. Außerdem seien keine Gründe ersichtlich, die einen Vorgriff der Entscheidung in der Hauptsache rechtfertigen könnten.

Mit Beschluss vom 21. Februar 2011 lehnte das SG den Antrag ab. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger einen Anordnungsanspruch habe, da bereits kein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bestehe. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden könne. Eine besondere Eilbedürftigkeit liege unter Berücksichtigung der Interessen des Klägers und der Beklagten nicht vor. Der Kläger könne, sofern seine Existenzsicherung gefährdet sei, einen Antrag auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stellen. Hierdurch sei das Existenzminimum zumindest bis zur Entscheidung in der Hauptsache sichergestellt. Im Falle eines bestehenden Rentenanspruchs werde die Rente nachgezahlt und ggf. mit anderen Sozialleistungen, die vorübergehend gewährt würden, verrechnet. Im Übrigen habe der Kläger eine solche finanzielle Notlage aber weder vorgetragen noch in sonstiger Form glaubhaft gemacht.

Gegen den am 23. Februar 2011 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 01. März 2011 Beschwerde eingelegt. Ohne die einstweilige Anordnung werde er trotz des weiterhin ungekündigten Arbeitsverhältnisses zum Sozialhilfeempfänger. Den monatlichen Nettoeinkünften seiner Ehefrau von EUR 1.500,00 stünden eine monatliche Mietzahlung in Höhe von EUR 600,00, monatlicher Unterhalt für die Tochter in Höhe von EUR 300,00 und eine monatliche Kreditratenzahlungsverpflichtung in Höhe von EUR 300,00 entgegen. Das Konto seiner Ehefrau könne nur noch diesen Monat überzogen werden. Ab dem Folgemonat seien sie nicht mehr in der Lage, die Festkosten, die über EUR 1.600,00 lägen, aufzubringen. Dieser soziale Absturz müsse und könne durch die einstweilige Anordnung verhindert werden. Er könne nachträglich nicht wieder beseitigt werden. Sein bisheriger gesellschaftlicher Stand sei trotz geringer finanzieller Mittel sehr gut. Dies resultiere u.a. aus seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten in Vereinen, leistungssportlichen Erfolgen, seiner Selbständigkeit und seiner Arbeit als Vereinsvorsitzender. Bedingt durch seine Krankheiten habe er jedoch keine dieser Tätigkeiten aufrecht erhalten können und sich als Folge hieraus fast komplett aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Wenn er zukünftig sagen müsse, dass er von Sozialhilfe lebe, könne er sich nicht mehr aus dem Haus trauen. Seit dem 19. Juli 2008 sei er ständig und auf nicht absehbare Zeit erwerbsunfähig krank. Um eine Benachteiligung von Behinderten auszuschließen, hätte er bereits seit seiner Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug ab 13. Dezember 2009 Rente erhalten müssen. Im Übrigen könne die Entscheidung im Hauptsacheverfahren auch deshalb nicht abgewartet werden, weil das Verfahren mit Antragstellung am 24. August 2009 schon viel zu lange andauere. Auf jeden Fall müsse festgestellt werden, dass bei ihm Berufsunfähigkeit vorliege, da selbst aus dem Gutachten des Dr. B. und dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik hervorgehe, dass er im erlernten Beruf als Dreher, einem Facharbeiterberuf, nicht mehr arbeiten könne. Deshalb sei zumindest eine befristete Rente wegen Berufsunfähigkeit im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechen. Auch Busfahren könne er lediglich noch bis zu drei Stunden. Dies sei allerdings nicht zu berücksichtigen, da sein erlernter Beruf derjenige des Drehers sei. Abgesehen davon sei aber auch der Beruf des Busfahrers unter dem Aspekt der Verantwortung und den an ihn gestellten Anforderungen und der Ausbildung (um den Busfahrerführerschein zu machen habe er zwei Jahre Berufserfahrung als LKW-Fahrer nachweisen und zusätzliche Prüfungen bestehen müssen) im Bereich des Facharbeiters anzusiedeln. Dem Gutachten von Ärztin O.-P. sei nicht zu folgen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vom 13. Dezember 2009 bis 12. Dezember 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs bestehe die Möglichkeit, Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu beantragen. Darüber hinaus könne nach dem derzeitigen Sachstand (Datum des Schriftsatzes 25. März 2011) keine definitive Aussage getroffen werden, ob und in wie weit ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehe. Die Beweisaufnahme hierzu sei noch nicht abgeschlossen.

Zur weiteren Darstellung auch des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Gerichtsakte des SG S 12 R 1820/10 Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 173 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger kann nicht im Wege der einstweiligen Anordnung im Sinne einer Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG die einstweilige Zahlung einer (befristeten) Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) oder hilfsweise einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs. 1 SGB VI verlangen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, sodass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein. Geht es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums, ergeben sich aus Artikel 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens. Ist das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, 927 f). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 95 f). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das die Antragsteller mit ihrem Begehren verfolgen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend in die Abwägung einzubeziehen.

1. Der Senat lässt offen, ob ein Anordnungsanspruch besteht. Es ist bereits fraglich, ob der Kläger fristgerecht Klage erhoben hat. Mit dem vom SG wohl als Klage angesehenen Schreiben vom 17. Mai 2010 hat der Kläger lediglich "Fristverlängerung für Klageerhebung" begehrt. Während der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung angesichts der vom SG erhobenen Gutachten fraglich ist, lässt sich der vom Kläger vorrangig geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit jedenfalls derzeit nicht abschließend beurteilen. Denn wie die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Busfahrer, auf die es allein ankommt, nachdem es sich dabei um die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte und damit maßgebliche versicherungspflichtige Tätigkeit oder Beschäftigung des Klägers handelte (z.B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 29. März 1994 - 13 RJ 35/93 - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45; Urteil vom 18. Februar 1998 - B 5 RJ 34/97 R -, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 61; Urteil vom 20. Juli 2005 - B 13 RJ 19/04 R - in juris), und der Kläger die Tätigkeit als Busfahrer nach insoweit übereinstimmender Feststellung der gehörten Gutachter und Sachverständigen nicht mehr ausüben kann, in das vom BSG entwickelte Mehrstufenschema (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 61) einzustufen ist, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Hierzu dürfte noch die Einholung einer Arbeitgeberauskunft, insbesondere auch im Hinblick auf die tarifvertragliche Einstufung der Tätigkeit des Klägers erforderlich sein. Auch hat die Beklagte im Hinblick auf eine möglicherweise in Betracht kommende Verweisungstätigkeit noch nicht vorgetragen.

2. Der Senat verneint jedenfalls - wie das SG im angefochtenen Beschluss - einen Anordnungsgrund. Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass er und seine Ehefrau ab dem nächsten Monat nicht mehr in der Lage seien, die monatlichen Festkosten aufzubringen. Belegt hat er seine Angaben zu den finanziellen Verhältnissen indessen nicht. Letztendlich kann dies aber auch dahingestellt bleiben, denn einem Anordnungsanspruch steht bei Hilfebedürftigkeit des Klägers ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II entgegen. Wenn die Angaben des Klägers zutreffen, könnte ein solcher Anspruch des Klägers in Betracht kommen. Leistungen nach dem SGB II stehen insbesondere auch demjenigen, der behauptet, er sei nicht mehr erwerbsfähig, jedenfalls solange zu, bis die Frage der Erwerbsfähigkeit geklärt ist. Unter Berücksichtigung dessen vermag auch der Senat nicht festzustellen, dass die Gewährung einer befristeten Rente an den Kläger zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist und es dem Kläger nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Im Hinblick auf den vor dem 10. Februar 2011 (Antragstellung) liegenden Zeitraum wäre eine einstweilige Leistungsanordnung, die sich auf die Vergangenheit beziehen würde, ohnehin ausgeschlossen. Die Regelungsanordnung dient zur Abwendung wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind. Einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit herbeizuführen, ist deshalb grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes; eine Ausnahme ist bei einer begehrten Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. März 2007 - L 7 AS 1214/07 ER-B -, in juris). Dies ist hier nicht ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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