L 4 KR 30/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4285/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 30/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten noch die Nachforderung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung (KV) und zur sozialen Pflegepflichtversicherung (PV) für die Zeit vom 01. März bis 31. Dezember 2007.

Der am 1941 geborene Kläger war bis 31. Januar 2006 über seine 1961 geborene Ehefrau bei der Beklagten zu 1) familienversichert und bei der Beklagten zu 2) pflegepflichtversichert. Ab 01. Februar 2006 bezog er von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente, worauf die Beklagte zu 1) mit Bescheid vom 13. Januar 2006 die Familienversicherung zum 31. Januar "2005" (gemeint wohl 2006) beendete. Aufgrund einer Mitgliedschaftserklärung zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung vom 25. Januar 2006 war der Kläger ab 01. Februar 2006 bei der Beklagten zu 1) freiwillig krankenversichert und bei der Beklagten zu 2) weiter pflegepflichtversichert. Der monatliche Beitrag zur KV betrug ab 01. Februar 2006 EUR 119,07 und der zur PV EUR 15,93 (Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2006). Im Einkommensfragebogen vom 28. Oktober 2006 gab der Kläger der Beklagten zu 1) gegenüber an, seine Ehefrau sei selbstständig tätig und bei ihr, der Beklagten zu 1), gesetzlich versichert. Der Kläger versicherte in diesem Einkommensfragebogen, dass er über alle künftigen Veränderungen unverzüglich informieren und geeignete Nachweise vorlegen werde. Auf der Grundlage dieser Angaben erhöhten die Beklagten mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 den Beitrag zur KV ab 01. Januar 2007 auf EUR 123,96. Der Beitrag zur PV wurde nicht verändert.

Ab 01. März 2007 war die Ehefrau des Klägers privat versichert, was der Kläger den Beklagten nicht mitteilte. In einem weiteren Einkommensfragebogen der Beklagten zu 1) gab der Kläger am 26. November 2007 an, dass sich sein aktueller Rentenbeitrag ohne Zuschuss zur KV auf EUR 640,17 belaufe. Weitere Angaben machte er in diesem Einkommensfragebogen nicht. Hierauf setzten die Beklagten mit Bescheid vom 17. Januar 2008 den monatlichen Beitrag zur KV auf EUR 125,68 und zur PV auf EUR 16,15 fest.

In einem Einkommensfragebogen vom 14. April 2008 teilte der Kläger der Beklagten zu 1) mit, dass seine Ehefrau privat krankenversichert sei und als Selbstständige jährliche Bruttoeinnahmen in Höhe von EUR 42.000,00 erziele. Seine eigene Rente bezifferte er mit EUR 636,76. Mit Bescheid vom 29. April 2008 berechnete die Beklagte zu 1) hierauf auch im Namen der Beklagten zu 2) unter Berücksichtigung der Einkünfte der Ehefrau des Klägers die Beiträge des Klägers ab 01. März 2007 neu. Der Bescheid hat folgenden Wortlaut:

" Ihr Beitrag ab 01.03.2007; KV-Nr.: ... Sehr geehrter Herr Scholl, vielen Dank für die Rückgabe des Einkommensfragebogens. Wie daraus zu entnehmen ist, ist Ihre Ehefrau selbständig tätig und ab 01.03.2007 privat versichert. Das Einkommen Ihrer Ehefrau ist deshalb bei der Beitragsberechnung mit zu berücksichtigen. Wir haben ab 01.03.2007 die Beiträge neu berechnet. Die Nachberechnung können Sie aus der Anlage ersehen. Die Nachberechnung beträgt 2.053,70 EUR. Bitte teilen Sie uns mit, wie Sie die Nachberechnung begleichen können. Sollten Sie Fragen zur Beitragsberechnung haben können Sie gerne anrufen. Dieser Bescheid ergeht auch im Namen der Pflegekasse. Mit freundlichen Grüßen"

Der Berechnung der Beiträge legten die Beklagten monatliche Einnahmen des Klägers ab 01. März 2007 von EUR 1.781,25 (EUR 1.144,49 sonstige Einnahmen + EUR 636,76 Rente), ab 01. Juli 2007 von EUR 1.781,25 (EUR 1.141,08 sonstige Einnahmen + EUR 640,17 Rente) sowie ab 01. Januar 2008 von EUR 1.800,00 (EUR 1.159,83 sonstige Einnahmen + EUR 636,17 Rente) zugrunde und errechnete monatliche Beiträge zur KV ab 01. März 2007 von EUR 262,86 und ab 01. Januar 2008 von EUR 265,61 sowie zur PV ab 01. März 2007 von EUR 34,73 und ab 01. Januar 2008 von EUR 35,10. In der Anlage zum Bescheid sind die bisherigen Beiträge zur KV und PV, die berichtigten Beiträge zur KV (März 2007 bis März 2008: EUR 262,86 bis EUR 265,61) und PV (März 2007 bis März 2008: EUR 34,73 bis EUR 35,10) und die Differenz der Beiträge zur KV und PV für die Zeit von März 2007 bis März 2008 ausgewiesen. Mit Bescheid vom 08. Mai 2008 verfügten die Beklagten dies noch einmal gegenüber dem Kläger. Dieser Bescheid hat folgenden Wortlaut:

"Ihr Beitrag ab 01.03.2007; KV-Nr.: ... Sehr geehrter Herr Scholl, aufgrund des eingereichten Einkommensfragebogens haben wir die Beiträge neu berechnet. Wie aus dem Fragebogen zu entnehmen ist, ist Ihre Ehefrau selbständig tätig und ab 01.03.2007 privat versichert. Das Einkommen Ihrer Ehefrau ist laut Satzung der AOK Baden-Württemberg - § 19 Abs. d - bei der Beitragsberechnung mit zu berücksichtigen. Wir haben ab 01.03.2007 die Beiträge neu berechnet. Die Nachberechnung können Sie aus der Anlage ersehen. Die Nachberechnung beträgt 2.053,70 EUR. Bitte teilen Sie uns mit, wie Sie die Nachberechnung begleichen können. Dieser Bescheid ergeht auch im Namen der Pflegekasse. Falls Sie mit unserer Entscheidung nicht einverstanden sind, können Sie dagegen Widerspruch einlegen. Der Widerspruch ist schriftlich. Mit freundlichen Grüßen"

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er wandte sich gegen die Berechnung seiner Beiträge auch unter Berücksichtigung des Einkommens seiner Ehefrau und verwies außerdem auf seine schlechte finanzielle Situation. Sowohl die Nachforderung als auch die neuen monatlichen Beiträgen könne er unmöglich zahlen. Den vom Kläger nach erneuter Erläuterung der Beitragsberechnung durch die Beklagten mit als Anhörung bezeichnetem Schreiben vom 05. Juni 2008 aufrechterhaltenen Widerspruch wies der bei der Beklagten zu 1) gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2008 zurück. Er verwies auf § 19 Abs. 2 Buchst. d der Satzung der Beklagten zu 1), wonach bei Ehegatten, deren Lebensunterhalt ganz oder überwiegend von den Einnahmen des nicht getrennt lebenden Ehegatten bestritten werde und deren eigene Einnahmen die Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze nicht übersteige, die Hälfte der monatlichen Einnahmen beider Ehegatten, höchstens jedoch die Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze als beitragspflichtige Einnahmen berücksichtigt würden. Die Ehefrau unterhalte den Kläger überwiegend. Da die Ehefrau des Klägers privat krankenversichert sei, seien deren Einnahmen der Beitragsberechnung in Höhe von EUR 1.781,25 (2007) und von EUR 1.800,00 (2008) zugrunde zu legen.

Dagegen erhob der Kläger am 25. August 2008 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Er wies darauf hin, dass ihm nach Abzug der geforderten Beiträge von seiner Rente nur ca. EUR 300,00 übrigblieben und er deshalb weder zur Rückzahlung noch zur Begleichung des erhöhten Beitragssatzes in der Lage sei. Ab sofort werde er auch nicht mehr von seiner Ehefrau unterhalten, da sie einvernehmlich beschlossen hätten, sich zu trennen. Es sei keine Änderung zu seinen Gunsten erfolgt. Einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse sei er nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen. Er habe im Fragebogen vom 26. Januar 2007 zum Familienstand überhaupt nichts angegeben. Im Übrigen müsse auch im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Ermessen ausgeübt werden. Eine Ermessensausübung hätten die Beklagten nicht durchgeführt.

Die Beklagten traten der Klage entgegen. Die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder sei nach § 240 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch die Satzung zu regeln. § 19 Abs. 2d der Satzung der Beklagten zu 1) sehe eine Zurechnung auch der Einnahmen des Ehegatten vor. Auf dieser Basis sei die Nachberechnung der Beiträge erfolgt. Der Kläger habe, obwohl er im Fragebogen vom 28. Oktober 2006 darauf hingewiesen worden sei, die Veränderung der Verhältnisse, nämlich das Ende der Versicherung in der gesetzlichen KV seiner Ehefrau, nicht angegeben. Im Fragebogen vom 26. November 2009 habe er zur Versicherung seiner Ehefrau überhaupt keine Angaben gemacht. Der Kläger sei damit seiner Auskunfts- und Mitteilungsverpflichtung zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Hierdurch seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X erfüllt. Bei Verletzung der Mitteilungsverpflichtung solle nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Die Änderung der Verhältnisse sei mit dem Beginn der privaten KV am 01. März 2007 eingetreten. Somit sei ab diesem Zeitpunkt eine Beitragsnacherhebung durchzuführen. Ein atypischer Fall, der die Durchführung der Änderung zu einem späteren Zeitpunkt rechtfertige, liege nicht vor.

Nachdem die Ehefrau des Klägers ab dem 15. September 2008 wieder sozialversicherungspflichtiges Mitglied in der KV wurde, setzten die Beklagten mit Bescheid vom 09. Oktober 2008 den Beitrag des Klägers für die Zeit vom 15. bis 30. September 2008 in Höhe von EUR 76,78 sowie ab 01. Oktober 2008 den Beitrag zur KV auf EUR 130,73 und zur PV auf EUR 18,23 (Mindestbeitrag) fest.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. November 2010 vor dem SG gaben die Beklagten ein vom Kläger angenommenes Teilanerkenntnis dahingehend ab, dass ihr Bescheid vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 insoweit aufgehoben wird, als hierdurch erhöhte Beiträge ab dem 01. Januar 2008 verlangt werden. Für die Beitragsfestsetzung ab 01. Januar 2008 verbleibe es bei den im Bescheid vom 17. Januar 2008 festgesetzten Beiträgen für die KV von EUR 125,68 und für die PV von EUR 16,15.

Mit Urteil vom 11. November 2010 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 auch insoweit auf, als hierdurch erhöhte Beiträge für die Zeit vom 01. März 2007 bis zum 31. Dezember 2007 verlangt wurden. Zur Begründung führte es aus, der Bescheid vom 29. April 2008 sei auch insoweit rechtswidrig, als die Beklagten hier die Beiträge für die Zeit ab 01. März 2007 (bis 31. Dezember 2007) neu berechnet hätten. Diesem Bescheid stehe nämlich der bindende Bescheid vom 29. Dezember 2006, mit dem die Beklagten ab Februar 2007 KV-Beiträge in Höhe von EUR 123,96 und PV-Beiträge von EUR 15,93 festgesetzt hätten, entgegen. Mit diesem Verwaltungsakt sei zwischen den Beteiligten bindend geregelt gewesen, welche Beiträge der Kläger zu entrichten gehabt habe. Dieser Verwaltungsakt sei wirksam geblieben, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt worden sei (§ 39 Abs. 2 SGB X). Mit dem späteren Verwaltungsakt vom 29. April 2008 hätten die Beklagten in rechtswidriger Weise entgegen der Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes höhere Beiträge rückwirkend festgesetzt. Dies hätte die rückwirkende Aufhebung des früheren bindenden Verwaltungsaktes vom 29. Dezember 2006 gemäß § 48 SGB X vorausgesetzt. Bei Erlass des Bescheids vom 29. April 2008 seien sich aber die Beklagten offenbar schon gar nicht bewusst gewesen, dass diesem Bescheid ein bindender Bescheid vom 29. Dezember 2006 entgegenstand. Dementsprechend hätten sie auch keinerlei Willen dokumentiert, diesen entgegenstehenden Verwaltungsakt etwa rückwirkend aufzuheben. Die Aufhebung des früheren Verwaltungsaktes lasse sich auch nicht aus den Gesamtumständen erkennen. Mit keinem Wort sei erwähnt worden, dass es einen früheren bindenden Beitragsbescheid gegeben habe, mit dem deutlich niedrigere Beiträge festgesetzt worden seien. Mit keinem Wort sei auch etwa gegenüber dem Kläger ein Vorwurf dahingehend erhoben worden, dass er notwendige Angaben über den Eintritt seiner Ehefrau in die private Krankenversicherung nicht rechtzeitig getätigt habe und daher die Beiträge bei ihm rückwirkend neu berechnet werden müssten.

Gegen das ihr am 07. Dezember 2010 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 04. Januar 2011 Berufung eingelegt. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse durch den Wechsel der Ehefrau des Klägers in die private KV am 01. März 2007 seien gegeben. Aus den Fragebögen sei für den Kläger unmittelbar erkennbar gewesen, dass die Art des Versicherungsverhältnisses seiner Ehefrau und im Falle einer privaten Versicherung die Höhe deren Einkünfte von Relevanz für die eigene freiwillige Versicherung gewesen seien. Dennoch habe er zunächst weder die Änderung der Verhältnisse unverzüglich mitgeteilt noch im nächsten Fragebogen überhaupt Angaben zu den geänderten Verhältnissen gemacht. Der Wertung im Urteil, wonach sich die Aufhebung des früheren Verwaltungsaktes aus den Gesamtumständen nicht erkennen lasse, sei nicht zu folgen. Es sei neben der denkbaren kompletten Aufhebung der ursprünglichen Beitragsfestsetzung und Ersetzung durch neue Beitragsfestsetzung möglich, es bei der ursprünglichen Beitragsfestsetzung zu belassen und lediglich den Mehrbetrag zur gesamten vollen Beitragsforderung nachzufordern. Eine Nachberechnung setze schon begrifflich eine vorangegangene Berechnung voraus, da sich aus der Nachberechnung ein Nachforderungsbetrag ergebe, werde damit auch hinreichend nachvollziehbar ausgedrückt, dass die zuvor bestehende günstigere Berechnung insoweit nicht aufrechterhalten werden solle. Mit dem neuen Nachberechnungsbescheid werde gerade der Differenzbetrag nachgefordert, der bisher noch nicht erhoben worden sei. Dieser Zusammenhang sei dem Empfänger des Schreibens sehr wohl nachvollziehbar. Nach Eingang des Nachforderungsbescheids gehe der Empfänger davon aus, dass er neben dem bereits geforderten und gezahlten Betrag einen weiteren ergänzenden Betrag zu zahlen habe. Er gehe keineswegs davon aus, dass der insoweit günstigere erste Bescheid insoweit weiter Bestand haben könnte, als dieser nur einen niedrigeren Beitrag in Höhe der ursprünglichen Beitragsforderung festgesetzt habe. Dies ergebe sich insbesondere auch, wenn man die dem Bescheid vom 29. April 2008 beigefügte Anlage zur Nachberechnung betrachte, in der sämtliche Einzelbeträge monatsbezogen aufgeführt und zwar spaltenweise aufgeteilt nach "bisherigen Beiträgen" "berichtigten Beiträgen" und "Differenz Beiträge". Aus dieser Aufstellung ergebe sich gerade eindeutig sowohl der bisher berechnete und gezahlte Beitrag, der richtigerweise neu festzusetzende (korrigierte) Beitrag und der sich hieraus ergebende Nachzahlungsbetrag als offene Differenz. Diese detaillierte Aufstellung enthalte nach den Gesamtumständen eindeutig die Aufhebung der Beitragsfestsetzung aus dem früheren Beitragsbescheid. Anders lasse sich diese Aufstellung nicht verstehen. Im Übrigen sei auch der Grund der Beitragsnacherhebung, nämlich private Versicherung der Ehefrau, angegeben gewesen. Damit seien die Voraussetzungen der Beitragsnacherhebung nach § 48 SGB V (richtig SGB X) im Kern dargestellt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11. November 2010 aufzuheben und die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat insbesondere unter Vorlage einer Aufstellung seiner Einkünfte und Belastungen dargelegt, dass er im Jahr 2011 nur einen Betrag in Höhe von EUR 61,37 monatlich zur Verfügung habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von den Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 auch insoweit aufgehoben, als hierdurch erhöhte Beiträge für die Zeit vom 01. März bis 31. Dezember 2007 verlangt worden sind. Die Festsetzung der Beiträge zur KV und PV im Bescheid vom 29. Dezember 2006 hat weiterhin Bestand. Sie ist durch den angefochtenen Bescheid vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 von den Beklagten nicht wirksam aufgehoben worden. Der Kläger hat deshalb keine Beiträge für die Zeit vom 01. März bis 31. Dezember 2007 nachzuzahlen.

Soweit es um die Beiträge zur PV geht, für deren Festsetzung die Beklagte zu 2) zuständig ist, sind die Bescheide der Beklagten nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte zu 2) im Widerspruchsbescheid vom 12. August 2008 nicht ausdrücklich genannt wird. Denn für die Entscheidung über den gegen die Festsetzung der Beiträge zur PV eingelegten Widerspruch war nach § 10 Abs. 1 und 2 der Satzung der Beklagten zu 2) i. V. mit den §§ 23 Abs. 1 und 4, 23b Abs. 2 der Satzung der Beklagten zu 1) hier auch der bei der Beklagten zu 1) gebildete Widerspruchsausschuss der zuständigen Bezirksdirektion der Beklagten zu 1) zuständig, denn dieser nahm für die Beklagte zu 2) die Aufgabe des Widerspruchsausschusses als Widerspruchsstelle (örtlicher Pflegekassen-Widerspruchsausschuss) wahr. Der Umstand, dass bei Personen identischer Besetzung der Widerspruchsstelle diese Aufgabenwahrnehmung im Widerspruchsbescheid selbst, indem über die KV- und PV-Beiträge entschieden wurde, nicht ausdrücklich erwähnt worden ist, berührt die Wirksamkeit der Feststellung der Beiträge zur PV nicht. Insoweit fehlt es insbesondere nicht an einem Widerspruchsbescheid der zuständigen Widerspruchsstelle. Auch berührt der fehlende Hinweis die Wirksamkeit des Widerspruchsbescheids insoweit nicht (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 07. August 2009 - L 4 KR 5545/07 -, nicht veröffentlicht).

Streitgegenstand ist im Berufungsverfahren noch, ob der Kläger in der Zeit vom 01. März bis 31. Dezember 2007 die (sinngemäß) im Bescheid vom 29. April 2008 festgesetzten höheren Beiträge zur KV und PV oder nur Beiträge zur KV und PV in der Höhe zu entrichten hatte, wie sie mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 festgesetzt worden sind, und er deshalb keine Beiträge nachzuentrichten hatte. Dieser Anspruch war hier zutreffend im Wege der reinen Anfechtungsklage durchzusetzen. Denn mit der Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 auch für die Zeit vom 01. März bis 31. Dezember 2007 bleibt die im vorangegangenen Beitragsbescheid vom 29. Dezember 2006 enthaltene Verfügung über die Höhe der Beiträge zur KV und PV wirksam und die Beklagten könnten keine höheren Beiträge verlangen. Eine Leistungsklage wäre unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. etwa Bundessozialgericht - BSG - SozR 4100 § 119 Nr. 11). Mithin kommt es darauf an, ob die Beklagte wirksam die mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 verfügte Festsetzung der Beiträge zur KV und PV für die Zeit vom 01. März bis 31. Dezember 2007 aufgehoben hat. Dies ist aus den im Folgenden darzulegenden verfahrensrechtlichen Gründen nicht der Fall.

Verfahrensrechtliche Grundlage der Aufhebung der mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 verfügten Festsetzung der Beiträge zur KV und PV ist § 48 SGB X Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich - zugunsten oder zu Lasten des Betroffenen - auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl. BSG SozR 3 4300 § 119 Nr. 4).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass zum 01. März 2007 eine wesentliche Änderung eingetreten ist, weil nunmehr die Ehefrau des Klägers nicht mehr Mitglied der KV war und damit nach § 240 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Buchst. d der Satzung der Beklagten zu 1) deren Einnahmen bei der Berechnung der Beiträge zur KV und PV des Klägers zu berücksichtigen waren, fehlt es an einer wirksamen Aufhebung des letzten vorangegangenen Beitragsbescheids.

Die Entscheidung über die Festsetzung der Beiträge zur KV und PV, und damit der Bescheid vom 29. Dezember 2006, mit dem die Beklagten die Höhe der Beiträge zur KV und PV für die Zeit ab Januar 2007 neu festgesetzt haben, ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Ein solcher liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert (vgl. etwa BSG SozR 1300 § 45 Nr. 6; SozR 4-1300 § 48 Nr. 6). Die Festsetzung der monatlichen Beiträge zur KV und PV enthält eine über einen längeren Zeitraum sich erstreckende Regelung.

Die Beklagten haben diese mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 erfolgte Beitragsfestsetzung mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 auch für die Zeit vom 01. März bis 31. Dezember 2007 nicht wirksam aufgehoben. Weder im Bescheid vom 29. April 2008 noch in der wiederholenden Verfügung vom 08. Mai 2008 oder im Widerspruchsbescheid vom 12. August 2008 wird ein früherer Bescheid als maßgebender aufzuhebender Bewilligungsbescheid genannt. Mit den Formulierungen "Wir haben ab 01. März 2007 die Beiträge neu berechnet", waren sich die Beklagten auch nicht bewusst, einen vorangegangenen Beitragsbescheid aufzuheben. Sie haben "nur" nachberechnet, nicht jedoch den vorangegangenen Beitragsbescheid aufgehoben. Die Notwendigkeit der Aufhebung des Bescheids vom 29. Dezember 2006 wurde von den Beklagten weder gesehen noch geprüft. Dies wird zum Einen daraus deutlich, dass eine Rechtsgrundlage, auf die die Aufhebung hätte gestützt werden können, nicht genannt wurde, zum Anderen haben die Beklagten aber auch ohne Nennung der Rechtsgrundlage des § 48 SGB X die Voraussetzungen, auf die die Aufhebung gestützt wird, nicht im Einzelnen angeführt. Die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers selbständig tätig und ab 01. März 2007 privat versichert ist, kann zwar die Heranziehung der Einkünfte der Ehefrau zur Beitragsberechnung rechtfertigen, sagt jedoch nichts darüber aus, dass der vorangegangene Bescheid deshalb (auch) für die Vergangenheit aufzuheben ist. Hierzu hätte zumindest auf die gesetzlichen Voraussetzungen einer Aufhebung für die Vergangenheit eingegangen werden müssen. Wenn dem Kläger der Vorwurf der unterlassenen Mitteilung (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X) gemacht wird, hätte ausgeführt werden müssen, dass der Kläger seiner Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Dies ist nicht erfolgt. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass die Beklagten in Verkennung der Rechtslage meinen, sie könnten bei Vorliegen einer wesentlichen Änderung Verwaltungsakte mit Dauerwirkung ohne jegliche weitere Voraussetzungen für die Vergangenheit aufheben. Auch aus der dem Bescheid vom 29. April 2008 beigefügten Anlage gehen nur die bisherigen und die neuen Beiträge sowie die Differenz zwischen diesen beiden Posten hervor. Auch hieraus ist nicht erkennbar, dass der Bescheid vom 29. Dezember 2006 aufgehoben worden ist und sich die Beklagten der notwendigen Aufhebung bewusst waren. Weiteres ergibt sich auch nicht aus dem Widerspruchsbescheid vom 12. August 2008. Die von den Beklagten gewählten Formulierungen in den Bescheiden und in der wiederholenden Verfügung vom 08. Mai 2008 reichen nur aus, bei einer befristet verfügten Beitragsfestsetzung nach Ablauf der Befristung die Beiträge neu festzusetzen. Ein Eingriff in eine Dauerbewilligung ist mit diesen Formulierungen nicht wirksam zu leisten (vgl. hierzu Senatsurteile vom 05. März 2010 - L 4 P 4773/08 und L 4 P 2246/09 - rechtskräftig, in Juris zur Aufhebung der Bewilligung von Pflegegeld; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. April 2010 - L 11 KR 5160/08 -, in Juris zur Aufhebung der Höhe der Beiträge zur freiwilligen KV und PV). Aus den genannten Gründen kann nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. hierzu und zur Auslegung von Verwaltungsakten BSG SozR 4-1500 § 77 Nr. 1 m.w.N.) der Bescheid vom 29. April 2008 auch nicht so ausgelegt werden, dass die Beklagte den Beitragsbescheid vom 29. Dezember 2006 aufheben wollte.

Eine Aufhebung der Festsetzung der Beiträge zur KV und PV für die Vergangenheit, ohne dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorliegen, käme nur in Betracht, wenn die Beklagten die Beiträge nur vorläufig festgesetzt hätten. Dies ist nicht erfolgt. Der Bescheid vom 29. Dezember 2006 setzte die Beiträge zur KV und PV endgültig fest.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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