L 7 AS 5404/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 3468/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 5404/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 26. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gem. 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht unstatthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Das Begehren des Antragstellers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezieht sich insbesondere auf die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 12. Mai 2011. Da mit Bescheid vom 23. Dezember 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. März 2011 für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2011 EUR 690.- monatlich bewilligt worden waren, ist die Beschwerdewertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG überschritten.

Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen nicht. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Mannheim (SG) ergibt sich aus § 8 SGG. Nach § 12 Abs. 1 SGG wird jede Kammer des Sozialgerichts in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzern tätig. Bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit. Damit ergibt sich ohne Weiteres, dass der Beschluss ohne mündliche Verhandlung durch die Kammer ergeht, die nur mit dem Vorsitzenden besetzt ist. Die Einwände des Antragstellers hiergegen entbehren also jeder Grundlage. Gleiches gilt für die angeblich fehlende Unterschrift des Richters; der unterschriebene Beschluss befindet sich in den Gerichtsakten. Angebliche Fehler bei der Ausfertigung sind in keiner Weise glaubhaft gemacht.

Das SG hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.

Soweit sich das Begehren des Antragstellers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die mit Bescheid vom 23. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 geregelte Erstattung bereits erbrachter Leistungen i.H.v. EUR 230,54 richtet, hat es das SG zutreffend als unzulässig angesehen. Da der Antragsgegner die kraft Gesetzes eingetretene aufschiebende Wirkung der bereits erhobenen Anfechtungsklage ausdrücklich respektiert, fehlt es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes an einem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers. Der Senat nimmt daher insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Hinsichtlich der Aufhebungsentscheidung ist, wie das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft. Auch insoweit verweist der Senat auf den angefochtenen Beschluss.

§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gibt selbst keinen Maßstab vor, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen. Das Gericht nimmt also eine eigenständige Abwägung der Beteiligteninteressen vor. Es wägt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug und das private Aufschubinteresse ab. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen keine Positionen eingeräumt werden, die im Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs die Anordnung hingegen abzulehnen. Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, in denen wie hier der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten. In analoger Anwendung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zugunsten des Antragstellers nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, der Erfolg in der Hauptsache also überwiegend wahrscheinlich ist (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006 - L 13 AS 1709/06 ER-B - (juris)). Wegen des grundrechtlichen Gewichts der Leistungen nach dem SGB II, die die Menschenwürde des Empfängers sichern sollen, muss hier im Rahmen der Abwägungsentscheidung die gesetzgeberische Wertung für die sofortige Vollziehbarkeit unter Umständen im Einzelfall zurücktreten, auch wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (vgl. Bundesverfassungsgericht NVwZ 2005, 927 zum Maßstab bei der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG). Dabei kann es darauf ankommen, ob die Leistung vollständig oder zu einem erheblichen Teil entzogen wird oder nur geringfügige Einschränkungen vorgenommen werden (Senatsbeschlüsse vom 22. September 2008 - L 7 AS 4315/08 ER-B - und vom 8. April 2008 - L 7 AS 1161/08 ER-B).

Vorliegend ist der ursprüngliche Bewilligungsbescheid zur Absicherung der aktuellen Existenzsicherung ohne Bedeutung, da dieser Leistungen ohnehin nur befristet bis zum 31. Juli 2011 gewährt hatte, der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz jedoch erst am 11. Oktober 2011 beim SG gestellt worden ist. Darüber hinaus war der notwendige Lebensunterhalt des Klägers während der Haft durch die Justizvollzugsanstalt gegenständlich gesichert. Die Kosten der Unterkunft wurden für die Monate Juni und Juli 2011 vom Sozialhilfeträger nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) getragen. Daher ist das SG zutreffend davon ausgegangen, dass für den Antragsteller nur ein gemindertes Interesse besteht, den Vollzug der Aufhebungsbescheide auszusetzen. Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an deren sofortigen Vollziehbarkeit. Denn die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners erscheint bei der hier gebotenen und zulässigen summarischen Prüfung als rechtmäßig.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft ist daher nicht den einschränkenden Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X unterworfen. Für die Zeit ab dem Zugang der Aufhebungsbescheide vom 23. Mai 2011 kommt es somit auf eine subjektive Vorwerfbarkeit beim Antragsteller nicht an.

Mit Beginn der Haft des Antragstellers am 12. Mai 2011 ist eine wesentliche Änderung in diesem Sinne eingetreten, da er ab diesem Zeitpunkt gem. § 7 Abs. 4 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende mehr hatte. Danach erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht (Satz 1). Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt (Satz 2). Der Antragsteller hat eingewandt, dieser Ausschlusstatbestand greife vorliegend nicht ein, weil es wegen Form- und Verfahrensfehlern an einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung fehle und seine Haft insgesamt gesetzwidrig sei. Dass überhaupt eine richterliche Anordnung vorliege, hat auch er nicht bestritten. Die von ihm aufgeworfenen Fragen zur Rechtmäßigkeit der Haft sind im Rahmen des Leistungsrechts nach dem SGB II weder von der Behörde noch den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu prüfen. § 7 Abs. 4 SGB II knüpft allein die Tatsache der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung an. Die Prüfung deren Rechtmäßigkeit obliegt allein den ordentlichen Gerichten. Dass er während der Haft unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sei (§ 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II), hat er selbst nicht geltend gemacht. Der Antragsteller ist mithin seit dem 12. Mai 2011 von Ansprüchen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Für die Zeit vom 12. Mai 2011 bis zur Bekanntgabe der Aufhebungsentscheidung setzt deren Rechtmäßigkeit voraus, dass der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X). Vorliegend war dem Antragsteller bewusst, dass eine Inhaftierung zum Wegfall seines Leistungsanspruches führen kann. Dies zeigt schon sein Schreiben vom 24. Mai 2011, mit dem er seiner "Mitwirkungspflicht nachkommen" wolle und dem Antragsgegner seine Inhaftierung mitgeteilt hatte. Wenn er dabei der Auffassung war, wegen der von ihm angenommenen Rechtswidrigkeit der Inhaftierung sei der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 SGB II nicht erfüllt, handelt es sich lediglich um eine fehlerhafte rechtliche Subsumtion. Diese ist für den Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X unbeachtlich, da nicht durch kompetenten Rechtsrat bekräftigt. Die Entscheidung des Antragsgegners, die Leistungsbewilligung bereits ab dem 12. Mai 2011 ganz aufzuheben, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit in der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 von einem unrechtmäßigen Bezug bereits im April 2011 die Rede ist, handelt es sich lediglich um einen Schreibfehler, der im Hinblick auf die klaren Verfügungssätze der Bescheide keine Bedeutung erlangt. Ermessen ist dem Antragsgegner nicht eingeräumt (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch).

Wegen des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs. 4 SGB II ist auch ein Antrag auf einstweilige Anordnung auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Jahresabrechnung (entsprechend dem Antrag beim Antragsgegner vom 23. August 2011) nicht begründet, da die Inhaftierung des Antragstellers noch besteht. Darüber hinaus ist insoweit auch ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Dringlichkeit nicht glaubhaft gemacht.

Die Anträge des Antragstellers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide oder deren Aufhebung betreffen allein das Hauptsacheverfahren; im einstweiligen Rechtsschutz kann das Begehren zulässigerweise nur auf die aufschiebende Wirkung gerichtet werden. Über die Kosten des Widerspruchsverfahrens kann ausschließlich im Hauptsacheverfahren entschieden werden. Seine weiteren Anträge stellen keine gegen den Antragsgegner gerichteten Sachanträge dar, so dass eine Entscheidung hierüber im vorliegenden Verfahren nicht zu treffen war. Dies gilt insbesondere für das Begehren, das SG solle "das andere Gericht" zur umgehenden Freilassung des Antragstellers veranlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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