L 9 R 1153/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 1711/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1153/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der bisher gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1959 geborene Kläger hat Maurer gelernt und war bis zur Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 17.4.1996 mit Bescheid vom 9.2.1997 als Maurer beschäftigt. Grundlage für die Rentengewährung war das Gutachten des Orthopäden Dr. E. vom 18.12.1996, der beim Kläger ein lokales Lumbalsyndrom mit Facettensymptomatik bei Bandscheibendegeneration und Spondylolisthesis L4/5 (Meyerding Grad I - II) diagnostiziert und Tätigkeiten als Maurer täglich nur noch zwei Stunden bis unter halbschichtig für zumutbar erachtet hatte. Sonstige leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen hielt er dagegen vollschichtig für möglich.

Vom 4.4. bis 2.5.2000 befand sich der Kläger zu einem Heilverfahren in der Rehabilitationsklinik D. H ... Die dortigen Ärzte entließen den Kläger als vollschichtig einsatzfähig für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne häufiges Heben und Tragen schwerer Lasten.

Einen Rentenantrag des Klägers vom 7.6.2000 lehnte die damalige Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen mit Bescheid vom 11.9.2000 und Widerspruchsbescheid vom 9.11.2000 ab. Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Leipzig erhobene Klage nahm der Kläger wieder zurück.

Im Rahmen eines Antrags auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von März 2006 ließ die Beklagte den Kläger von Dr. S., Arzt für Innere Medizin und Sozialmedizin, untersuchen. Dieser gelangte im Gutachten vom 7.7.2006 zum Ergebnis, der Kläger könne leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig ausüben. Im anschließenden Klageverfahren holte das SG Ulm ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. E. vom 27.4.2007 ein. Dieser gelangte ebenfalls zum Ergebnis, der Kläger könne leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig verrichten.

Am 26.6.2008 beantragte der Kläger, der nach seinen Angaben von September 1999 bis Juli 2000 und von Oktober 2005 bis Februar 2006 als Hausmeister und von Juli 2006 bis April 2008 als Zeitungszusteller tätig war, die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Mit Bescheid vom 18.8.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.5.2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab. Grundlage hierfür war das Gutachten des Chirurgen Dr. R. vom 4.8.2008. Dieser stellte beim Kläger folgende Diagnosen: Lumboischialgie rechts mit Ausstrahlung ins rechte Bein, Spondylolisthesis L 4/5 Meyerding II, Bandscheibenvorfall im Halswirbelsäulenbereich (HWS-Bereich), Schulter-Arm-Syndrom links, Lebervergrößerung, Schilddrüsenvergrößerung, agitierte, gereizte Persönlichkeit. Er gelangte zum Ergebnis, als Maurer sei der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich einsetzbar. Leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen ohne Nachtschicht könne der Kläger mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Im Rahmen des anschließenden Klageverfahrens hat das SG - nach Beiziehung von ärztlichen Unterlagen aus einem Parallelverfahren wegen des Grades der Behinderung und Einholung von sachverständigen Zeugenaussagen bei den behandelnden Ärzten - am 22.3.2010 den Orthopäden Dr. B. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Nachdem der Kläger zweimaligen Einbestellungen des Sachverständigen (Mittwoch nachmittags um 16:00 Uhr) nicht nachgekommen war, weil ihm das Auto seiner Freundin nur vor diesem Zeitpunkt (Rückkehr nach Göppingen bis spätestens 16:15 Uhr) zur Verfügung stand, hat das SG Dr. Bülow mit Schreiben vom 30.4.2010 um Rücksendung der Akten gebeten. Am 10.5.2010 ist das von Dr. B. nach Aktenlage erstattete Gutachten vom 6.5.2010 beim SG eingegangen. Er hat den Kläger noch für fähig gehalten, leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten.

Danach hat das SG Dr. H., Orthopädisches Forschungsinstitut Stuttgart, mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser ist im Gutachten vom 13.9.2010 zum Ergebnis gelangt, beim Kläger liege eine schmerzhafte Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule (LWS) bei massivem Verschleiß im Segment L4/5 und Wirbelgleiten L4/5 Grad II nach Meyerding ohne neurologische Begleiterscheinung vor. Eine Tätigkeit als Maurer sei dauerhaft nicht mehr zumutbar. Leichte körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen (ohne schweres Heben und Tragen, ohne Zwangshaltungen der LWS, ohne häufiges Bücken, ohne ständigen Wechsel zwischen Wärme- und Kältezonen, ohne Arbeiten auf vibrierenden Maschinen) könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

In der mündlichen Verhandlung vom 16.2.2011 hat der Kläger erklärt, im Dezember 2010 sei bei ihm eine Wirbelsäulenoperation durchgeführt wurden, wobei die Wirbelsäule bei L4/5 fixiert worden sei. Seitdem sei die Ausstrahlung ins rechte Bein halbwegs in Ordnung.

Mit Urteil vom 16.2.2011 hat das SG die Klage, gestützt auf die Gutachten von Dr. E. Dr. R., Dr. B. und Dr. H., abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, im Gegensatz zur Auffassung des behandelnden Orthopäden habe sich nach den genannten Gutachten die gesundheitliche Situation des Klägers nicht verschlechtert, sondern verbessert. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 4.3.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.3.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG habe zu Unrecht das Gutachten von Dr. B. berücksichtigt, da dieses nach Aufhebung des Gutachtensauftrages erstellt worden sei. Dr. H. begründe seine Leistungsbeurteilung nicht, so dass sich das SG nicht darauf hätte stützen dürfen. Die Ausführungen seines behandelnden Arztes seien damit nicht widerlegt, weswegen das SG ein weiteres Gutachten hätte einholen müssen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16. Februar 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Juni 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen.

Mit Beschluss vom 21.9.2011 hat der Senat die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt.

Mit Verfügung vom 11.11. und 29.11.2011 hat der Senat auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, des SG (S 13 R 1711/09, S 1 R 87/06 und S 8 SB 1443/08) sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der bisher gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 11.11. und 19.11.2011 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen voller Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der Gesundheitszustand des Klägers aufgrund der vorliegenden Gutachten und medizinischen Unterlagen (insb. Gutachten von Dr. S., Arzt für Innere Medizin und Sozialmedizin, vom 7.7.2008, Orthopäde Dr. E. vom 27.4.2007, Chirurg Dr. R. vom 4.8.2008, Orthopäde Dr. H. vom 13.9.2010) umfassend dokumentiert ist. Angesichts dessen hält der Senat die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen nicht für erforderlich.

Ein Herabsinken des Leistungsvermögens des Klägers auf unter sechs Stunden täglich für körperlich leichte Tätigkeiten in überwiegend sitzender bzw. wechselnder Körperhaltung lässt sich aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ab Rentenantragstellung (Juni 2008) nicht feststellen. Im Vordergrund stehen beim Kläger Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet, nämlich eine schmerzhafte Funktionseinschränkung der LWS bei erheblichem Verschleiß im Segment L 4/5 und Wirbelgleiten L 4/5 (Meyerding Grad II), zeitweise Beschwerden im HWS-Bereich sowie ein Schulter-Arm-Syndrom.

Diese Gesundheitsstörungen führen zwar zu qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers, der seit April 1996 einer Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht, hindern ihn jedoch nicht daran, körperlich leichte Tätigkeiten in überwiegend sitzender bzw. wechselnder Körperhaltung mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat insbesondere aufgrund der zuletzt von Dr. R. und Dr. H. erstatteten Gutachten.

Der Umstand, dass die im Dezember 2010 in Bundeswehr-Krankenhaus Ulm durchgeführte Operation nur zu einer vorübergehenden und keiner dauerhaften Besserung geführt hat und nunmehr der voroperative Zustand nach Angabe des Klägers wieder vorliegt, erfordert keine erneute Begutachtung, zumal eine wesentliche Verschlimmerung seit der Begutachtung von Dr. H. (Gutachten vom 13.9.2010) nicht ersichtlich ist, nachdem Dr. H. den voroperativen (noch nicht durch die Operation gebesserten) Gesundheitszustand des Klägers beschrieben und gewürdigt hat. Der Bandscheibenvorfall im HWS-Bereich Anfang 2011 hat nach den eigenen Angaben des Klägers über sechs Wochen zu starken Beschwerden geführt, die jedoch aufgrund der Behandlungsmaßnahmen (Medikamente, Spritzen, Infusionen) behoben werden konnten. Die Befürchtung des Klägers, dass diese Beschwerden gegebenenfalls erneut auftreten und zu einer operativen Behandlung führen könnten, führt jedenfalls derzeit zu keiner dauerhaften und insbesondere quantitativen Leistungseinschränkung.

Die Ausführungen des behandelnden Orthopäden Dr. Dilger, der Kläger könne seines Erachtens auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr vollschichtig ausführen, rechtfertigt keine Zweifel an den übereinstimmenden Gutachten von Dr. R. und Dr. H ... Dr. Dilger beschreibt in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 29.1.2010 im Wesentlichen Gesundheitsschäden im Bereich der LWS und HWS sowie eine Beeinträchtigung im Bereich der linken Schulter und nennt vor allem qualitative Leistungseinschränkungen. Gründe, warum leichte körperliche Tätigkeiten - unter Berücksichtigung von qualitativen Leistungseinschränkungen - nicht mehr sechs Stunden täglich möglich sein sollen, sind seinen Ausführungen nicht zu entnehmen. Darüber hinaus fand die letzte Behandlung des Klägers über drei Monate (12.10.2009) vor Abgabe der sachverständigen Zeugenaussage am 29.1.2010 statt, und es steht beim behandelnden Arzt auch nicht die Beurteilung von Leistungseinschränkungen nach gutachterlichen Kriterien im Vordergrund, sondern die Behandlung von Gesundheitsstörungen und die Behebung von Beschwerden.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungseinschränkung liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr ist er in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 m in zumutbarer Zeit zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen bzw. selbstständig einen PKW zu führen und Fahrrad zu fahren, zumal er - nach seinen Angaben gegenüber Dr. H. - mit seinem Trekking-Fahrrad pro Tag ca. 40 km zurücklegt.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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