Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1671/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4510/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 07.09.2010 aufgehoben.
Der Bescheid vom 29.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009 wird insoweit aufgehoben, als damit der Bescheid vom 19.06.2008 für die Zeit vom 01.02. bis 31.12.2008 teilweise zurückgenommen und Erstattung überzahlter Rentenbeträge geltend gemacht wurde.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der teilweisen Rücknahme eines Rentenbescheides für die Vergangenheit und die Erstattung überzahlter Rente.
Der am 1950 geborene Kläger ist von Beruf Speditionskaufmann und war zuletzt in diesem Beruf bis September 2002 versicherungspflichtig beschäftigt; danach war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig. Er erhält wegen einer schweren depressiven Episode und einem Diabetes mellitus mit einem - so Dr. D. in einer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte - Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden täglich von der Beklagten seit 01.07.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 24.10.2005, zunächst befristet bis 30.06.2007, dann mit Bescheid vom 07.05.2007 auf Dauer bewilligt). Der Rentenberechnung lagen insgesamt 47,1666 Entgeltpunkte zu Grunde, was eine monatliche Rente in Höhe von 1105,25 EUR brutto ergab (Stand 01.07.2007).
Mit im Januar 2008 rechtkräftig gewordenem Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG) vom 10.12.2007 wurden im Rahmen des Scheidungsverfahrens des Klägers auf die Beschwerde der im Versorgungsausgleichsverfahren beigeladenen Unterstützungskasse des DGB e.V. vom Versicherungskonto der Ehefrau des Klägers bei der Beklagten auf das Versicherungskonto des Klägers Rentenanwartschaften von monatlich 102,80 EUR, bezogen auf den 28.02.2007, übertragen. Darüber hinaus wurden in dieser Entscheidung zu Lasten der Versorgung der Ehefrau des Klägers bei der Unterstützungskasse des DGB e.V. durch Realteilung für den Kläger bei der Unterstützungskasse des DGB e.V. Rentenanwartschaften von monatlich 254,52 EUR, bezogen auf den 28.02.2007, begründet.
Mit Schreiben vom 16.06.2008 informierte die Beklagte den Kläger über die Rechtskraft der Entscheidung des OLG und darüber, dass die übertragenen und begründeten Rentenanwartschaften zu einem Zuschlag an Entgeltpunkten führen würden und sich hieraus eine höhere Rente ergebe. Beigefügt war die Anlage 5 des nachfolgenden Rentenbescheides vom 19.06.2008, wonach zu Gunsten des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung Rentenanwartschaften "übertragen und ohne Beitragszahlung begründet worden" seien. Die übertragene Rentenanwartschaft wurde mit 102,80 EUR, die ohne Beitragszahlung begründete Rentenanwartschaft mit monatlich 254,52 EUR dargestellt und in Entgeltpunkte (3,9342 bzw. 9,7405 Punkte) umgerechnet, sodass sich die bisherigen Entgeltpunkte um 13,6747 auf 60,8413 Punkte erhöhen würden. Daraus ermittelte die Beklagte einen höheren Rentenanspruch von monatlich brutto 1425,68 EUR ab dem 01.02.2008 (netto 1289,53 EUR gegenüber bisher 999,70 EUR).
Von der Unterstützungskasse des DGB e.V. erhielt der Kläger keinerlei Mitteilung über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs.
Im Juli 2008 bemerkte die Beklagte ihren Fehler der Berücksichtigung bei der Unterstützungskasse der DGB e.V. begründeter Anwartschaften. Mit Bescheid vom 29.12.2008 nahm sie nach Anhörung des Klägers den Rentenbescheid vom 19.06.2008 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.02.2008 zurück. Sie ermittelte unter Zugrundelegung von nur 3,9342 Entgeltpunkten aus dem Versorgungsausgleich und somit insgesamt 51,1008 Entgeltpunkten im Rahmen der Rentenberechnung eine neue monatliche Rente in Höhe von brutto 1197,44 EUR ab dem 01.02.2008 (Zahlbetrag 1083,08 EUR); hinsichtlich der Berechnung wird auf Bl. 396 f. der Verwaltungsakte Bezug genommen. Die überzahlten Rentenleistungen in Höhe von 2281,15 EUR (vgl. Bl. 396 Rückseite der Verwaltungsakte) verlangte sie im Rahmen ihres Ermessens lediglich zur Hälfte, also in Höhe 1140,52 EUR zur Erstattung. Den mit der Begründung, er habe die Rechtswidrigkeit der Rentenberechnung nicht erkennen können, eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2009 und der Begründung zurück, die Formulierung in der Entscheidung des OLG sehe eindeutig eine Realteilung innerhalb der Unterstützungskasse des DGB vor, sodass eine Rücknahme des Rentenbescheides auch für die Vergangenheit zulässig sei.
Das hiergegen am 25.05.2009 angerufene Sozialgericht Reutlingen hat die Klage mit Urteil vom 07.09.2010 abgewiesen. Es hat die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Rentenbescheides auch für die Vergangenheit (§ 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) bejaht, weil der Kläger in Folge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht erkannt habe. Der eindeutige Wortlaut und der Hinweis auf die Unterstützungskasse des DGB in der Entscheidung des OLG sei auch für einen juristischen Laien unschwer zu verstehen. Außerdem sei davon auszugehen, dass der Kläger den Beschluss und seine Folgen mit seinem damaligen Anwalt besprochen habe. Für die Annahme grober Fahrlässigkeit spreche zudem, dass auch allein auf Grund der betragsmäßigen Erhöhung der Rente zu erkennen gewesen sei, dass der Beschluss des OLG fehlerhaft umgesetzt war; so habe sich eine Erhöhung um rund 300 EUR ergeben, so dass dem Kläger habe auffallen müssen, dass nicht nur der erste Teil des Beschlusses des OLG, sondern auch der zweite Teil umgesetzt worden sei. Nicht überzeugend sei die Argumentation des Klägers, es liege schon deshalb keine grobe Fahrlässigkeit vor, weil die Beklagte selbst den Beschluss des OLG falsch umgesetzt habe.
Gegen das ihm am 20.09.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.09.2010 Berufung eingelegt. Er trägt vor, sein damaliger Anwalt sei noch während des Versorgungsausgleichsverfahren verstorben. Eine Besprechung des Inhalts des Beschlusses des OLG habe deshalb nicht stattgefunden. Von der Unterstützungskasse des DGB habe er keine Informationen erhalten. Wenn die Beklagte als sachkundige Stelle den Beschluss des OLG fehlerhaft umgesetzt habe, weil sie anderswo begründete Anwartschaften bei der Rentenzahlung berücksichtige, könne nicht nachvollzogen werden, dass bei ihm als juristischem Laien eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Ausmaß angenommen werde. Für ihn sei nur ersichtlich gewesen, dass er auf Grund des Beschlusses des OLG eine höhere Rente habe erwarten dürfen, wobei er davon ausgegangen sei, dass sich die Rente um einen Betrag von über 300,00 EUR erhöhen würde. Dies sei dann ja auch tatsächlich erfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 07.09.2010 aufzuheben sowie den Bescheid vom 29.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009 insoweit aufzuheben, als der Bescheid vom 19.06.2008 für die Zeit vom 01.02. bis 31.12.2008 teilweise zurückgenommen und Erstattung überzahlter Rentenbeträge geltend gemacht wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen; dies gilt insbesondere für die Einzelheiten der Rentenberechnung in den erwähnten Bescheiden.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009, allerdings lediglich insoweit, als darin der ursprüngliche Rentenbescheid vom 19.06.2008 für die Vergangenheit, nämlich für die Zeit vom 01.02. bis 31.12.2008 teilweise - nämlich hinsichtlich der Rentenhöhe - zurückgenommen und die teilweise Erstattung überzahlter Rentenbeträge verlangt wurde.
Das Sozialgericht hätte die insoweit beschränkte Klage gegen den Bescheid vom 29.12.2008 nicht abweisen dürfen. Denn dieser Bescheid ist - soweit er vom Kläger angefochten ist - rechtswidrig und er verletzt den Kläger in seinen Rechten. Auf die Anfechtungsklage hin ist er im Umfang der erfolgten Anfechtung aufzuheben.
Zutreffend gehen das Sozialgericht und die Beteiligten davon aus, dass als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides allein § 45 SGB X in Betracht kommt. Danach (Abs. 1 Satz 1) darf ein - auch unanfechtbar gewordener - begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Auf Grund der - vom Kläger nicht angefochtenen - Berechnung der monatlichen Rente mit Wirkung ab dem 01.02.2008 steht fest, dass der ursprüngliche Rentenbescheid vom 19.06.2008 insoweit - was die Höhe der Rente anbelangt - rechtswidrig war. Dies bestreitet auch der Kläger nicht.
Eine Rücknahme eines derartigen Rentenbescheides ist indessen nicht möglich, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Abs. 2 Satz 2). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder (Nr. 3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Eine Rücknahme für die Vergangenheit - wie sie hier allein streitig ist - ist gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X - soweit hier von Interesse - nur in den Fällen von Abs. 2 Satz 3 zulässig.
Zutreffend gehen die Beteiligten und das Sozialgericht davon aus, dass vorliegend allein die Nr. 3 der genannten Bestimmung als Grundlage für die erfolgte teilweise Rücknahme des Rentenbescheides vom 19.06.2008 für die Vergangenheit in Betracht kommt. Allerdings haben das Sozialgericht und die Beklagte die Voraussetzung dieser Vorschrift, nämlich grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, zu Unrecht bejaht.
Hinweise dafür, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 19.06.2008 erkannte, liegen nicht vor. Auch die Beklagte behauptet dies nicht. Der Senat vermag sich aber auch nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 zumindest grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit der Rentenberechnung hätte erkennen müssen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor (vgl. Steinwedel in KassKomm Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB X Rdnr. 39 m.w.N.), wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit auf Grund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, wenn also dasjenige unbeachtet blieb, was jedem hätte einleuchten müssen; dabei kommt es auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen an.
Festzuhalten ist zunächst, dass sich die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides vom 19.06.2008 nicht unmittelbar anhand des Bescheides selbst erkennen lässt. Dort führte die Beklagte lediglich aus, dass der Versorgungsausgleich umgesetzt werde, und zwar einerseits im Hinblick auf die übertragenen Rentenanwartschaften in Höhe von 102,80 EUR und andererseits im Hinblick auf die "ohne Beitragszahlung" begründeten Anwartschaften in Höhe von 254,52 EUR. In sich ist dieser Rentenbescheid schlüssig. Nichts deutet darauf hin, dass hier nicht übertragbare Anwartschaften aus einem anderen Versorgungssystem einbezogen wurden; insbesondere findet die Unterstützungskasse des DGB e.V. keine Erwähnung. Erst ein Vergleich mit dem Ausspruch des OLG lässt darauf schließen, dass die Entscheidung des OLG von der Beklagten unzutreffend interpretiert wurde. Mit der bloßen Kenntnisnahme des Bescheids musste sich dessen Rechtswidrigkeit somit nicht aufdrängen.
Soweit die Beklagte dann maßgeblich auf die Eindeutigkeit der OLG-Entscheidung und die dort formulierte Realteilung innerhalb der Unterstützungskasse des DGB abstellt, bleibt offen, ob es jedem einleuchten muss, was mit dem Begriff der Realteilung gemeint ist. Richtig ist allerdings, dass der Beklagten die Bedeutung dieser Entscheidung des OLG hätte bekannt sein müssen; dies zieht auch die Beklagte nicht in Zweifel. Damit setzte die Beklagte die wesentliche Ursache für die überhöhte Zahlung und keinesfalls der Kläger, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 07.07.1998, B 5 RJ 58/97 R in SozR 3-1300 § 45 Nr. 38) den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gegenüber dem Versicherten ausschließt. Schon deshalb erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig.
Zwar mag es ausnahmsweise Fälle geben, in denen ein Fehlverhalten der Behörde gleichwohl grobe Fahrlässigkeit nicht ausschließt; dies mag insbesondere auf solche Fallgestaltungen zutreffen, in denen der Versicherte entgegen seiner Obliegenheit (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001, B 11 AL 21/00 R in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45) den Bescheid nicht zur Kenntnis nahm und der Inhalt des Bescheides selbst auf den Fehler hindeutet. So liegt der Fall hier indessen - wie ausgeführt - gerade nicht.
Zutreffend ist zwar, dass - so die Beklagte und das Sozialgericht - die Begründung der Rentenanwartschaften durch "Realteilung" ausdrücklich auf die Unterstützungskasse des DGB e.V. bezogen war, so dass auch einem Nichtrechtskundigen bei intensiver Lektüre der OLG-Entscheidung ein Unterschied zu den durch dieselbe Entscheidung übertragenen Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung, also bei der Beklagten auffallen musste; insoweit bleibt aber offen, ob es zu den Obliegenheiten des Klägers gegenüber der Beklagten gehörte, die im Scheidungsverfahren ergangene OLG-Entscheidung zu lesen und nachzuvollziehen. Die Beklagte und das Sozialgericht übersehen jedenfalls, dass zwischen der OLG-Entscheidung und dem Rentenbescheid vom 19.06.2008 ein halbes Jahr verging, der Kläger somit den Inhalt der OLG-Entscheidung im Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides vom 19.06.2008 nicht mehr präsent hatte und auch nicht präsent haben musste. Gleiches gilt für die nach der OLG-Entscheidung von seiner Ehefrau eingeholten und so an den Kläger weiter gegebene mündliche Auskunft der Unterstützungskasse des DGB e.V., wonach erst in Jahren ein Leistungsanspruch zu erwarten sei. Der Kläger hat in seiner Anhörung durch den Senatsvorsitzenden angegeben, sich über die Erhöhung der Rente gefreut, sich sonst aber keine Gedanken gemacht zu haben; insbesondere hat er es verneint, die Entscheidung des OLG herausgesucht und den Rentenbescheid und die darin angeführten Auswirkungen des Versorgungsausgleichs anhand der Entscheidung des OLG überprüft zu haben. Hätte er dies getan, hätte er den Fehler zwar bemerken müssen. Eine Pflicht für eine derartige Überprüfung des Rentenbescheides bestand indessen nicht. Denn es ist die Aufgabe der Fachbehörde, die maßgebenden Umstände rechtlich einwandfrei umzusetzen. Das Risiko für eine rechtmäßige Aufgabenerfüllung darf dann nicht durch Verweis auf ihm zugängliche sonstige Informationen auf den Betroffenen verlagert werden (BSG a.a.O. für Merkblätter).
Hinzu kommt, dass der Kläger - so seine weiteren Angaben in seiner Anhörung - (auch) damals gesundheitlich stark angeschlagen war. Er umschreibt dies dahin, dass er nicht so bei der Sache gewesen sei. Dies ist angesichts der Tatsache, dass er wegen seines gesundheitlichen Zustandes von der Beklagten bereits seit 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, nachvollziehbar. Damit war das maßgebende persönliche Urteils- und Einsichtsvermögen des Klägers im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 deutlich eingeschränkt.
Soweit das Sozialgericht angenommen hat, der Kläger habe die Bedeutung der Entscheidung des OLG mit seinem damaligen Rechtsanwalt besprochen, hat dies der Kläger in seiner Anhörung im Berufungsverfahren gerade nicht bestätigt und vielmehr darauf hingewiesen, dass sein damaliger Rechtsanwalt während des damaligen Verfahrens verstorben sei. Im Übrigen hätte auch eine solche anwaltliche Erläuterung im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 ein halbes Jahr zurückgelegen und dem gesundheitlich eingeschränkten Kläger nicht mehr präsent sein müssen.
Gleiches gilt für die Erwägung des Sozialgerichts, der Kläger hätte anhand der Höhe der von der Beklagten eingestellten Anwartschaften bemerken müssen, dass nicht nur der erste Teil, sondern auch der zweite Teil der OLG-Entscheidung und damit die Anwartschaften bei der Unterstützungskasse des DGB e.V. in die Rentenberechnung einfloss. Auch diese Überlegung setzt voraus, dass dem Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 der Inhalt der OLG-Entscheidung und die darin enthaltene Unterscheidung der Versorgungssysteme präsent war. Dies war indessen nach den Einlassungen des Klägers in seiner Anhörung durch den Senatsvorsitzenden nicht der Fall: Der Kläger wusste nur noch, dass Rentenanwartschaften in der Größenordnung von mehr als 300,00 EUR übertragen worden waren, in dieser Größenordnung bewegte sich dann auch - was die Bruttobeträge anbelangt - die von der Beklagten berechnete Rentenerhöhung.
Im Ergebnis hält der Senat die Angaben des Klägers, wonach er das alles nicht "geblickt" habe, für glaubhaft. Er nahm den Rentenbescheid vom 19.06.2008 lediglich zur Kenntnis und prüfte dessen Inhalt mangels Verständnis nicht weiter. Bestätigt werden die Angaben des Klägers durch den Umstand, dass die im Rentenbescheid vom 19.06.2008 ausgesprochene Erhöhung der Rente hinter den im OLG-Beschluss übertragenen Anwartschaften deutlich zurückbleibt; vor diesem Hintergrund wäre eher zu erwarten gewesen, dass der Kläger - hätte er die Handlungsweise der Beklagten anhand des Bescheides auf Schlüssigkeit überprüft - eine zu niedrige Erhöhung reklamiert hätte. Wenn der Kläger somit keine weitere Überprüfung vornahm, sondern auf die Richtigkeit des Handelns der Behörde vertraute, begründet dies gerade keine grobe Fahrlässigkeit. Denn Versicherte sind im Allgemeinen nicht gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, sondern dürfen davon ausgehen, dass eine Fachbehörde die für die Leistung erheblichen Tatsachen zutreffend umsetzt (BSG, Urteil vom 08.02.2001, B 11 AL 21/00 R in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Damit erweist sich die teilweise Rücknahme des Rentenbescheides vom 19.06.2008 für die Vergangenheit als rechtswidrig, so dass auch die auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützte Forderung auf Erstattung der überzahlten Rentenbeträge keinen Bestand haben kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Der Bescheid vom 29.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009 wird insoweit aufgehoben, als damit der Bescheid vom 19.06.2008 für die Zeit vom 01.02. bis 31.12.2008 teilweise zurückgenommen und Erstattung überzahlter Rentenbeträge geltend gemacht wurde.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der teilweisen Rücknahme eines Rentenbescheides für die Vergangenheit und die Erstattung überzahlter Rente.
Der am 1950 geborene Kläger ist von Beruf Speditionskaufmann und war zuletzt in diesem Beruf bis September 2002 versicherungspflichtig beschäftigt; danach war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig. Er erhält wegen einer schweren depressiven Episode und einem Diabetes mellitus mit einem - so Dr. D. in einer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte - Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden täglich von der Beklagten seit 01.07.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 24.10.2005, zunächst befristet bis 30.06.2007, dann mit Bescheid vom 07.05.2007 auf Dauer bewilligt). Der Rentenberechnung lagen insgesamt 47,1666 Entgeltpunkte zu Grunde, was eine monatliche Rente in Höhe von 1105,25 EUR brutto ergab (Stand 01.07.2007).
Mit im Januar 2008 rechtkräftig gewordenem Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG) vom 10.12.2007 wurden im Rahmen des Scheidungsverfahrens des Klägers auf die Beschwerde der im Versorgungsausgleichsverfahren beigeladenen Unterstützungskasse des DGB e.V. vom Versicherungskonto der Ehefrau des Klägers bei der Beklagten auf das Versicherungskonto des Klägers Rentenanwartschaften von monatlich 102,80 EUR, bezogen auf den 28.02.2007, übertragen. Darüber hinaus wurden in dieser Entscheidung zu Lasten der Versorgung der Ehefrau des Klägers bei der Unterstützungskasse des DGB e.V. durch Realteilung für den Kläger bei der Unterstützungskasse des DGB e.V. Rentenanwartschaften von monatlich 254,52 EUR, bezogen auf den 28.02.2007, begründet.
Mit Schreiben vom 16.06.2008 informierte die Beklagte den Kläger über die Rechtskraft der Entscheidung des OLG und darüber, dass die übertragenen und begründeten Rentenanwartschaften zu einem Zuschlag an Entgeltpunkten führen würden und sich hieraus eine höhere Rente ergebe. Beigefügt war die Anlage 5 des nachfolgenden Rentenbescheides vom 19.06.2008, wonach zu Gunsten des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung Rentenanwartschaften "übertragen und ohne Beitragszahlung begründet worden" seien. Die übertragene Rentenanwartschaft wurde mit 102,80 EUR, die ohne Beitragszahlung begründete Rentenanwartschaft mit monatlich 254,52 EUR dargestellt und in Entgeltpunkte (3,9342 bzw. 9,7405 Punkte) umgerechnet, sodass sich die bisherigen Entgeltpunkte um 13,6747 auf 60,8413 Punkte erhöhen würden. Daraus ermittelte die Beklagte einen höheren Rentenanspruch von monatlich brutto 1425,68 EUR ab dem 01.02.2008 (netto 1289,53 EUR gegenüber bisher 999,70 EUR).
Von der Unterstützungskasse des DGB e.V. erhielt der Kläger keinerlei Mitteilung über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs.
Im Juli 2008 bemerkte die Beklagte ihren Fehler der Berücksichtigung bei der Unterstützungskasse der DGB e.V. begründeter Anwartschaften. Mit Bescheid vom 29.12.2008 nahm sie nach Anhörung des Klägers den Rentenbescheid vom 19.06.2008 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.02.2008 zurück. Sie ermittelte unter Zugrundelegung von nur 3,9342 Entgeltpunkten aus dem Versorgungsausgleich und somit insgesamt 51,1008 Entgeltpunkten im Rahmen der Rentenberechnung eine neue monatliche Rente in Höhe von brutto 1197,44 EUR ab dem 01.02.2008 (Zahlbetrag 1083,08 EUR); hinsichtlich der Berechnung wird auf Bl. 396 f. der Verwaltungsakte Bezug genommen. Die überzahlten Rentenleistungen in Höhe von 2281,15 EUR (vgl. Bl. 396 Rückseite der Verwaltungsakte) verlangte sie im Rahmen ihres Ermessens lediglich zur Hälfte, also in Höhe 1140,52 EUR zur Erstattung. Den mit der Begründung, er habe die Rechtswidrigkeit der Rentenberechnung nicht erkennen können, eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2009 und der Begründung zurück, die Formulierung in der Entscheidung des OLG sehe eindeutig eine Realteilung innerhalb der Unterstützungskasse des DGB vor, sodass eine Rücknahme des Rentenbescheides auch für die Vergangenheit zulässig sei.
Das hiergegen am 25.05.2009 angerufene Sozialgericht Reutlingen hat die Klage mit Urteil vom 07.09.2010 abgewiesen. Es hat die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Rentenbescheides auch für die Vergangenheit (§ 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) bejaht, weil der Kläger in Folge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht erkannt habe. Der eindeutige Wortlaut und der Hinweis auf die Unterstützungskasse des DGB in der Entscheidung des OLG sei auch für einen juristischen Laien unschwer zu verstehen. Außerdem sei davon auszugehen, dass der Kläger den Beschluss und seine Folgen mit seinem damaligen Anwalt besprochen habe. Für die Annahme grober Fahrlässigkeit spreche zudem, dass auch allein auf Grund der betragsmäßigen Erhöhung der Rente zu erkennen gewesen sei, dass der Beschluss des OLG fehlerhaft umgesetzt war; so habe sich eine Erhöhung um rund 300 EUR ergeben, so dass dem Kläger habe auffallen müssen, dass nicht nur der erste Teil des Beschlusses des OLG, sondern auch der zweite Teil umgesetzt worden sei. Nicht überzeugend sei die Argumentation des Klägers, es liege schon deshalb keine grobe Fahrlässigkeit vor, weil die Beklagte selbst den Beschluss des OLG falsch umgesetzt habe.
Gegen das ihm am 20.09.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.09.2010 Berufung eingelegt. Er trägt vor, sein damaliger Anwalt sei noch während des Versorgungsausgleichsverfahren verstorben. Eine Besprechung des Inhalts des Beschlusses des OLG habe deshalb nicht stattgefunden. Von der Unterstützungskasse des DGB habe er keine Informationen erhalten. Wenn die Beklagte als sachkundige Stelle den Beschluss des OLG fehlerhaft umgesetzt habe, weil sie anderswo begründete Anwartschaften bei der Rentenzahlung berücksichtige, könne nicht nachvollzogen werden, dass bei ihm als juristischem Laien eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Ausmaß angenommen werde. Für ihn sei nur ersichtlich gewesen, dass er auf Grund des Beschlusses des OLG eine höhere Rente habe erwarten dürfen, wobei er davon ausgegangen sei, dass sich die Rente um einen Betrag von über 300,00 EUR erhöhen würde. Dies sei dann ja auch tatsächlich erfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 07.09.2010 aufzuheben sowie den Bescheid vom 29.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009 insoweit aufzuheben, als der Bescheid vom 19.06.2008 für die Zeit vom 01.02. bis 31.12.2008 teilweise zurückgenommen und Erstattung überzahlter Rentenbeträge geltend gemacht wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen; dies gilt insbesondere für die Einzelheiten der Rentenberechnung in den erwähnten Bescheiden.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009, allerdings lediglich insoweit, als darin der ursprüngliche Rentenbescheid vom 19.06.2008 für die Vergangenheit, nämlich für die Zeit vom 01.02. bis 31.12.2008 teilweise - nämlich hinsichtlich der Rentenhöhe - zurückgenommen und die teilweise Erstattung überzahlter Rentenbeträge verlangt wurde.
Das Sozialgericht hätte die insoweit beschränkte Klage gegen den Bescheid vom 29.12.2008 nicht abweisen dürfen. Denn dieser Bescheid ist - soweit er vom Kläger angefochten ist - rechtswidrig und er verletzt den Kläger in seinen Rechten. Auf die Anfechtungsklage hin ist er im Umfang der erfolgten Anfechtung aufzuheben.
Zutreffend gehen das Sozialgericht und die Beteiligten davon aus, dass als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides allein § 45 SGB X in Betracht kommt. Danach (Abs. 1 Satz 1) darf ein - auch unanfechtbar gewordener - begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Auf Grund der - vom Kläger nicht angefochtenen - Berechnung der monatlichen Rente mit Wirkung ab dem 01.02.2008 steht fest, dass der ursprüngliche Rentenbescheid vom 19.06.2008 insoweit - was die Höhe der Rente anbelangt - rechtswidrig war. Dies bestreitet auch der Kläger nicht.
Eine Rücknahme eines derartigen Rentenbescheides ist indessen nicht möglich, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Abs. 2 Satz 2). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder (Nr. 3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Eine Rücknahme für die Vergangenheit - wie sie hier allein streitig ist - ist gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X - soweit hier von Interesse - nur in den Fällen von Abs. 2 Satz 3 zulässig.
Zutreffend gehen die Beteiligten und das Sozialgericht davon aus, dass vorliegend allein die Nr. 3 der genannten Bestimmung als Grundlage für die erfolgte teilweise Rücknahme des Rentenbescheides vom 19.06.2008 für die Vergangenheit in Betracht kommt. Allerdings haben das Sozialgericht und die Beklagte die Voraussetzung dieser Vorschrift, nämlich grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, zu Unrecht bejaht.
Hinweise dafür, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 19.06.2008 erkannte, liegen nicht vor. Auch die Beklagte behauptet dies nicht. Der Senat vermag sich aber auch nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 zumindest grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit der Rentenberechnung hätte erkennen müssen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor (vgl. Steinwedel in KassKomm Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB X Rdnr. 39 m.w.N.), wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit auf Grund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, wenn also dasjenige unbeachtet blieb, was jedem hätte einleuchten müssen; dabei kommt es auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen an.
Festzuhalten ist zunächst, dass sich die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides vom 19.06.2008 nicht unmittelbar anhand des Bescheides selbst erkennen lässt. Dort führte die Beklagte lediglich aus, dass der Versorgungsausgleich umgesetzt werde, und zwar einerseits im Hinblick auf die übertragenen Rentenanwartschaften in Höhe von 102,80 EUR und andererseits im Hinblick auf die "ohne Beitragszahlung" begründeten Anwartschaften in Höhe von 254,52 EUR. In sich ist dieser Rentenbescheid schlüssig. Nichts deutet darauf hin, dass hier nicht übertragbare Anwartschaften aus einem anderen Versorgungssystem einbezogen wurden; insbesondere findet die Unterstützungskasse des DGB e.V. keine Erwähnung. Erst ein Vergleich mit dem Ausspruch des OLG lässt darauf schließen, dass die Entscheidung des OLG von der Beklagten unzutreffend interpretiert wurde. Mit der bloßen Kenntnisnahme des Bescheids musste sich dessen Rechtswidrigkeit somit nicht aufdrängen.
Soweit die Beklagte dann maßgeblich auf die Eindeutigkeit der OLG-Entscheidung und die dort formulierte Realteilung innerhalb der Unterstützungskasse des DGB abstellt, bleibt offen, ob es jedem einleuchten muss, was mit dem Begriff der Realteilung gemeint ist. Richtig ist allerdings, dass der Beklagten die Bedeutung dieser Entscheidung des OLG hätte bekannt sein müssen; dies zieht auch die Beklagte nicht in Zweifel. Damit setzte die Beklagte die wesentliche Ursache für die überhöhte Zahlung und keinesfalls der Kläger, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 07.07.1998, B 5 RJ 58/97 R in SozR 3-1300 § 45 Nr. 38) den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gegenüber dem Versicherten ausschließt. Schon deshalb erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig.
Zwar mag es ausnahmsweise Fälle geben, in denen ein Fehlverhalten der Behörde gleichwohl grobe Fahrlässigkeit nicht ausschließt; dies mag insbesondere auf solche Fallgestaltungen zutreffen, in denen der Versicherte entgegen seiner Obliegenheit (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001, B 11 AL 21/00 R in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45) den Bescheid nicht zur Kenntnis nahm und der Inhalt des Bescheides selbst auf den Fehler hindeutet. So liegt der Fall hier indessen - wie ausgeführt - gerade nicht.
Zutreffend ist zwar, dass - so die Beklagte und das Sozialgericht - die Begründung der Rentenanwartschaften durch "Realteilung" ausdrücklich auf die Unterstützungskasse des DGB e.V. bezogen war, so dass auch einem Nichtrechtskundigen bei intensiver Lektüre der OLG-Entscheidung ein Unterschied zu den durch dieselbe Entscheidung übertragenen Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung, also bei der Beklagten auffallen musste; insoweit bleibt aber offen, ob es zu den Obliegenheiten des Klägers gegenüber der Beklagten gehörte, die im Scheidungsverfahren ergangene OLG-Entscheidung zu lesen und nachzuvollziehen. Die Beklagte und das Sozialgericht übersehen jedenfalls, dass zwischen der OLG-Entscheidung und dem Rentenbescheid vom 19.06.2008 ein halbes Jahr verging, der Kläger somit den Inhalt der OLG-Entscheidung im Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides vom 19.06.2008 nicht mehr präsent hatte und auch nicht präsent haben musste. Gleiches gilt für die nach der OLG-Entscheidung von seiner Ehefrau eingeholten und so an den Kläger weiter gegebene mündliche Auskunft der Unterstützungskasse des DGB e.V., wonach erst in Jahren ein Leistungsanspruch zu erwarten sei. Der Kläger hat in seiner Anhörung durch den Senatsvorsitzenden angegeben, sich über die Erhöhung der Rente gefreut, sich sonst aber keine Gedanken gemacht zu haben; insbesondere hat er es verneint, die Entscheidung des OLG herausgesucht und den Rentenbescheid und die darin angeführten Auswirkungen des Versorgungsausgleichs anhand der Entscheidung des OLG überprüft zu haben. Hätte er dies getan, hätte er den Fehler zwar bemerken müssen. Eine Pflicht für eine derartige Überprüfung des Rentenbescheides bestand indessen nicht. Denn es ist die Aufgabe der Fachbehörde, die maßgebenden Umstände rechtlich einwandfrei umzusetzen. Das Risiko für eine rechtmäßige Aufgabenerfüllung darf dann nicht durch Verweis auf ihm zugängliche sonstige Informationen auf den Betroffenen verlagert werden (BSG a.a.O. für Merkblätter).
Hinzu kommt, dass der Kläger - so seine weiteren Angaben in seiner Anhörung - (auch) damals gesundheitlich stark angeschlagen war. Er umschreibt dies dahin, dass er nicht so bei der Sache gewesen sei. Dies ist angesichts der Tatsache, dass er wegen seines gesundheitlichen Zustandes von der Beklagten bereits seit 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, nachvollziehbar. Damit war das maßgebende persönliche Urteils- und Einsichtsvermögen des Klägers im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 deutlich eingeschränkt.
Soweit das Sozialgericht angenommen hat, der Kläger habe die Bedeutung der Entscheidung des OLG mit seinem damaligen Rechtsanwalt besprochen, hat dies der Kläger in seiner Anhörung im Berufungsverfahren gerade nicht bestätigt und vielmehr darauf hingewiesen, dass sein damaliger Rechtsanwalt während des damaligen Verfahrens verstorben sei. Im Übrigen hätte auch eine solche anwaltliche Erläuterung im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 ein halbes Jahr zurückgelegen und dem gesundheitlich eingeschränkten Kläger nicht mehr präsent sein müssen.
Gleiches gilt für die Erwägung des Sozialgerichts, der Kläger hätte anhand der Höhe der von der Beklagten eingestellten Anwartschaften bemerken müssen, dass nicht nur der erste Teil, sondern auch der zweite Teil der OLG-Entscheidung und damit die Anwartschaften bei der Unterstützungskasse des DGB e.V. in die Rentenberechnung einfloss. Auch diese Überlegung setzt voraus, dass dem Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.06.2008 der Inhalt der OLG-Entscheidung und die darin enthaltene Unterscheidung der Versorgungssysteme präsent war. Dies war indessen nach den Einlassungen des Klägers in seiner Anhörung durch den Senatsvorsitzenden nicht der Fall: Der Kläger wusste nur noch, dass Rentenanwartschaften in der Größenordnung von mehr als 300,00 EUR übertragen worden waren, in dieser Größenordnung bewegte sich dann auch - was die Bruttobeträge anbelangt - die von der Beklagten berechnete Rentenerhöhung.
Im Ergebnis hält der Senat die Angaben des Klägers, wonach er das alles nicht "geblickt" habe, für glaubhaft. Er nahm den Rentenbescheid vom 19.06.2008 lediglich zur Kenntnis und prüfte dessen Inhalt mangels Verständnis nicht weiter. Bestätigt werden die Angaben des Klägers durch den Umstand, dass die im Rentenbescheid vom 19.06.2008 ausgesprochene Erhöhung der Rente hinter den im OLG-Beschluss übertragenen Anwartschaften deutlich zurückbleibt; vor diesem Hintergrund wäre eher zu erwarten gewesen, dass der Kläger - hätte er die Handlungsweise der Beklagten anhand des Bescheides auf Schlüssigkeit überprüft - eine zu niedrige Erhöhung reklamiert hätte. Wenn der Kläger somit keine weitere Überprüfung vornahm, sondern auf die Richtigkeit des Handelns der Behörde vertraute, begründet dies gerade keine grobe Fahrlässigkeit. Denn Versicherte sind im Allgemeinen nicht gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, sondern dürfen davon ausgehen, dass eine Fachbehörde die für die Leistung erheblichen Tatsachen zutreffend umsetzt (BSG, Urteil vom 08.02.2001, B 11 AL 21/00 R in SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Damit erweist sich die teilweise Rücknahme des Rentenbescheides vom 19.06.2008 für die Vergangenheit als rechtswidrig, so dass auch die auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützte Forderung auf Erstattung der überzahlten Rentenbeträge keinen Bestand haben kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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