L 8 U 3754/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3608/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3754/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf eine höhere Verletztenrente als nach eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. unter Anerkennung weiterer Unfallfolgen (Anpassungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Episoden) hat.

Der 1981 geborene Kläger erlitt am 07.04.2006 einen Arbeitsunfall, als er mit dem Fuß in einen Spalt zwischen dem Boden und einem Bauteil geriet und das Bauteil beim Aufsetzen den Fuß quetschte. Dies hatte eine traumatische Amputation der Zehen I - IV des rechten Fußes zur Folge. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S.-R. teilte der Beklagten am 29.06.2006 mit, der Kläger habe sich bei ihr vorgestellt und er erwarte, dass man für ihn eine neue Arbeitsstelle finde. Nach ihrer Beurteilung bestehe beim Kläger eine depressive Anpassungsstörung infolge eines Arbeitsunfalls mit Zehenamputation. Sie habe für den Kläger einen Vorstellungstermin für die Tagesklinik des C. vereinbart. Prof. Dr. G. - Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums T. - unterrichtete die Beklagte am 04.07.2006 davon, dass sich der Kläger dort vorgestellt habe. Der Kläger sei im Affekt deutlich depressiv herabgestimmt und habe Suizid- und Rachegedanken geäußert. Falls die Gerichtsverhandlung zu seinen Ungunsten verlaufe, werde er den Unfallverursacher und sich selbst erschießen. Beim Kläger hätten bereits vor dem Unfall eine depressive Verstimmung nach dem Tod der Mutter vor einem Jahr, ein fraglicher Partnerschaftskonflikt sowie finanzielle Sorgen und Unsicherheitsgefühl am Arbeitsplatz bestanden. Auch bei der nun bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung sei eine deutlich depressive Symptomatik vorhanden bei gleichzeitigen Wut- und Rachegefühlen. Eine stationäre Behandlung habe der Kläger abgelehnt. Ihm sei dringend die weitere psychiatrische und gegebenenfalls psychotherapeutische ambulante Behandlung empfohlen worden. Vom 07.07. bis 04.08.2006 sowie vom 21.08. bis 15.09.2006 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im C. G. - Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik -. Nach dem Bericht des Priv. Doz. Dr. med. Dipl.-Psych. T. H. vom 02.10.2006 wurden folgende Diagnosen gestellt: Narzisstische Persönlichkeitsstörung; emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ; rezidivierende und depressive Störung; Zustand nach Amputation D I - IV rechter Fuß nach Arbeitsunfall; Epididymitis. Der Kläger sei am 07.07.2006 auf die Station PSY 2 eingewiesen worden, nachdem er von einem Arbeitsunfall berichtet und geäußert habe, dass er dem verantwortlichen Arbeitskollegen ins Knie schießen und danach sich selbst umbringen würde, wenn beim Gespräch mit dem Anwalt am 07.07.06 - 16:00 Uhr nichts Positives betreffend des Schmerzensgeldes herauskommen würde. Die erste stationäre psychotherapeutische Behandlung sei beendet worden, da der Kläger wiederholt gegen vereinbarte Regeln verstoßen habe. Er habe auch mehrfache Therapieeinheiten versäumt. Des Weiteren habe er sich während Stadtgängen durch hohe Geldverluste beim Glücksspiel selbst zusätzlich in finanzielle Bedrängnis gebracht. Der Kläger sei insgesamt wiederholt durch Regelverstöße im stationären Ablauf aufgefallen. Die erste Entlassung sei deshalb aus disziplinarischen Gründen und auch die Entlassung beim zweiten Aufenthalt sei aus diesem Grunde vorzeitig erfolgt.

Prof. Dr. W. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. wies in seinem Bericht vom 22.03.2007 darauf hin, dass die Untersuchung ergeben habe, dass beim Kläger aus neurologisch-psychiatrischer Sicht eine depressive psychosomatische Begleiterkrankung unfallunabhängig bestehe. Hier sei offenbar aus fachärztlicher Sicht eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden. Im ersten Rentengutachten vom 10.07.2007 fasste Dr. A. - Chefarzt für Unfallchirurgie und Orthopädie des Kreiskrankenhauses S. - die Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet wie folgt zusammen: Amputation der Zehen I bis IV; extreme Hyperästhesie des Vorfußstumpfes mit zum Teil schlechter Weichdeckung, insbesondere über dem zweiten Zehenstumpf. Muskelminderung im Bereich des Unter- und Oberschenkels rechts mit gestörtem Abrollvorgang des rechten Fußes sowie Balancestörungen im Einbeinstand rechts. Die MdE schätzte er längstens bis zur Beendigung des dritten Jahres nach dem Unfall mit voraussichtlich noch 20 % ein.

Priv. Doz. Dr. H., Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des C. G., gelangte in seinem psychiatrischen Gutachten vom 16.10.2007 zu dem Ergebnis, beim Kläger seien folgende Diagnosen zu stellen: 1. Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und Somatisierung; 2. Zustand nach traumatischer Amputation D I - D IV; Nikotinabusus. Vor dem Arbeitsunfall habe bei dem Kläger noch eine leichte Trauerreaktion nach dem frühen Tod der Mutter 2005 vorgelegen. Die jetzt im Vordergrund stehende Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion sei hingegen aus folgenden Gründen als unfallbedingt zu werten: Die traumatische Amputation der ersten bis vierten Zehe des rechten Fußes habe bei dem aktiven und voller Zukunftsplänen steckenden Probanden mit einem Schlag den Verlust seiner Lebens- und Zukunftsplanung bewirkt. Dieser Einschnitt der körperlichen Integrität habe zu einer deutlichen narzisstischen Kränkung des sehr auf sein Aussehen bedachten Probanden geführt. Diese Kränkung sei durch die Trennung von der Freundin, die die Verlobung aus von ihr ungenannten Gründen gelöst habe, noch verstärkt worden. Da der Kläger vor dem Unfall bis auf die Trauerreaktion nach Verlust der Mutter in seinem Umfeld eine leere psychiatrische Anamnese gehabt habe, halte er die im Rahmen des stationären Aufenthaltes gestellten Diagnosen einer emotional-instabilen und narzisstischen Persönlichkeitsstörung für zu weitgehend. Der südeuropäisch-orientalische Kulturkreis, aus welchem der Kläger stamme und in dem er bis zu seinem 11. Lebensjahr verwurzelt gewesen sei, sei wesentlich ausgeprägter patriarchalisch geprägt als der westeuropäische Kulturkreis. Insofern seien die anamnestisch berichtete Fremdaggressivität und die intensiv emotional geprägten Äußerungen und Handlungen des Klägers kulturbedingt zu werten. Da der Kläger mit zunehmender Dauer der Erkrankung immer mehr unter Druck geraten sei, sei seines Erachtens die weitere jetzt ambulante psychotherapeutische Behandlung eine Voraussetzung für die weitere psychische Stabilisierung. Zusammenfassend bestehe aus seiner Sicht eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und Somatisierung, die kausal dem Unfall vom 07.04.2006 zuzuordnen sei. Für die psychiatrischen Unfallfolgen bestehe eine MdE von 10 % für weitere 6 Monate; danach sollten die Unfallfolgen aufgearbeitet sein.

Priv. Doz. Dr. R. - Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Neuroradiologie - nahm im Auftrag der Beklagten zum Gutachten des Priv. Doz. Dr. H. am 13.11.2007 Stellung. Darin führte er aus, beim Kläger liege zweifellos eine vielschichtige psychiatrische Symptomatik vor. Zum einen handele es sich bei ihm um eine eindeutig unfallunabhängige narzisstische und emotional instabile Persönlichkeit. Diese Persönlichkeitsauffälligkeiten prägten das Verhalten des Verletzten wie seine Verarbeitungsweise der Unfallfolgen. Des Weiteren bestünden beim Kläger zweifelsfrei rezidivierende depressive Störungen. Als Ursache für diese Beeinträchtigung seien neben dem Unfall vielfältige psychosoziale Stressfaktoren in Betracht zu ziehen, die nach den Akten in den psychiatrischen Berichten bzw. Gutachten ausführlich dokumentiert seien. Die geschilderten Persönlichkeitsstörungen sowie die unfallunabhängigen bzw. nur mittelbar mit dem Unfall im Zusammenhang stehenden psychosozialen Stressfaktoren hätten seines Erachtens eindeutig das Übergewicht im Bedingungsgefüge der fortbestehenden depressiven Symptomatik. Weder aus dem Umfang der beschriebenen psychischen Beeinträchtigungen noch aus ihrer zeitlichen Dynamik könnte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit dem Unfall abgeleitet werden. Aus der Tatsache, dass die psychiatrischen Gutachter trotz des Ausmaßes der von ihnen beschriebenen psychopathologischen Störungen lediglich eine unfallbedingte MdE in Höhe von 10 % annähmen, lasse sich ableiten, dass auch sie den Anteil der auf den Unfall zu beziehenden psychischen Beeinträchtigungen als eher gering einschätzen würden. Insgesamt komme er zu dem Ergebnis, dass vorliegend bei weitem die unfallunabhängigen Faktoren im Bedingungsgefüge dieser depressiven Störung überwiegen würden. Eine unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet liege nicht vor.

Mit Bescheid vom 12.12.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.04.2006 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. für die Zeit ab 25.06.2007. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurden anerkannt: Rechter Fuß: Berührungsschmerz am Vorfußstumpf mit schlechter Weichteildeckung über dem zweiten Zehenstumpf, geringe Muskelminderung im Bereich des Ober- und Unterschenkels mit gestörtem Abrollvorgang des rechten Fußes sowie Balancestörungen im Einbeinstand rechts nach traumatischer Amputation der Großzehe und Teilamputation der Zehen 2 bis 4. Nicht anerkannt als Folgen des Arbeitsunfalles, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung: Narzisstische und emotional instabile Persönlichkeit.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 20.12.2007 wurde die Verletztenrente hinsichtlich der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes neu festgestellt. Hiergegen legte der Kläger ebenfalls Widerspruch ein. Nachdem der Kläger mehrere Mitarbeiter der Beklagten telefonisch mit der Ermordung bedroht hatte, erhielt der Kläger vom Notariat G. - Vormundschaftsgericht - einen Betreuer, dem die vermögensrechtlichen Angelegenheiten einschließlich der Geltendmachung von Renten-, Unterhalts- und Sozialhilfeansprüchen übertragen wurden. Am 04.03.2008 wurde der Kläger von der Polizei ins C. G. gebracht, nachdem er gegenüber seinem Betreuer per SMS-Nachricht geäußert habe, sich umzubringen und andere in den Tod mitzunehmen. Nach dem Entlassungsbericht des C. G. vom 26.06.2008 wurde der Kläger dort bis zum 25.03.2008 stationär behandelt.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. K. - Arzt für Neurologie und Psychiatrie - das Gutachten vom 02.07.2008 nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 27.06.2008. Bei der Untersuchung gab der Kläger an, sein ganzes Leben sei durch den Unfall verpfuscht. Jeden Tag denke er an den Unfall vom 07.04.2006. Er habe alles verloren, Arbeit, Freunde, Freundin und Geld. Er habe jetzt 20.000 EUR Schulden und lebe von 220 EUR Versichertenrente. Er habe ganz klar gesagt, dass er 300.000 EUR Entschädigung wolle. In Amerika seien solche Beträge üblich. Mit diesem Geld wolle er zurück in die Türkei. Er wolle nicht mehr in Deutschland bleiben, er hasse die Deutschen. Die Deutschen seien keine Menschen. Er gehe erst spät nachts gegen 2 Uhr oder 3 Uhr zu Bett. Nachts träume er dann oft schlimme Dinge, sehe z. B. Hexengesichter. Er stehe dann mittags gegen 3 Uhr auf. Seit dem Unfall habe er begonnen, regelmäßig Alkohol zu trinken. In letzter Zeit konsumiere er immer wieder auch Haschisch, wenn er Geld dafür habe. Dr. K. gelangte in seiner Beurteilung zu dem Ergebnis, Hinweise auf vorbestehende Erkrankungen hätten sich bei der Exploration nicht ergeben. Mit der Einschränkung, dass genauere objektive Befunde über den Zustand des Verletzten vor dem Unfall nicht vorlägen, bestünden somit keine verwertbaren Hinweise auf die jetzige psychische Dekompensation bahnende psychiatrische Vorerkrankungen. Die jetzt bestehenden psychischen Störungen sehe er als länger anhaltende - hier länger als 2 Jahre dauernde - Anpassungsstörung mit Störung des Sozialverhaltens an. Die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung halte er für nicht erfüllt. Die Anpassungsstörung, die kausal auf das Unfallereignis zu beziehen sei, sehe er derzeit als schwere Störung mit hieraus resultierenden ausgeprägten sozialen Anpassungsschwierigkeiten an. Hierfür halte er eine MdE von 50 % für angemessen. Es handele sich bei dem Kläger um eine länger anhaltende Anpassungsstörung mit überwiegenden Störungen des Sozialverhaltens und depressiven Symptomen. Zu denken wäre an die Stellung der Diagnose einer "andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung". Diese Extrembelastung würde nicht nur das Unfallereignis darstellen, sondern auch die vom Kläger vor allem gravierend angenommene fixierte Auseinandersetzung mit der Beklagten. Der Unfall sei rechtlich wesentliche Bedingung für das Zustandekommen der psychischen Störung. Hinweise auf vergleichbare Symptome in der Vorgeschichte, auch vergleichbare Störungen der emotionalen Steuerungsfähigkeit, hätten sich aus der Exploration nicht ergeben. Eine prämorbide Persönlichkeitsstörung, die das Entstehen der psychischen Störung gebahnt hätte, lasse sich nicht explorieren. Eine Vorerkrankung sei beim Kläger nicht zu erkennen. Vor seinem Unfall sei der Kläger wohl gut sozial integriert gewesen und "nur" 2 mal in Schlägereien verwickelt. Weder in den Akten noch nach den Ergebnissen der Exploration hätten sich Hinweise auf eine ausreichend ausgeprägte prämorbide Persönlichkeitsstörung oder psychische Erkrankung finden lassen, die jetzt wesentlich für die Entwicklung des Krankheitsbildes gewesen wäre.

Nach Erhalt des Gutachten teilte die Beklagte dem Gutachter Dr. K. mit Schreiben vom 10.07.2008 mit, zu berücksichtigen sei, dass die Eigenangaben des Klägers anlässlich der Begutachtung zu vorbestehenden Persönlichkeitsveränderungen/-neigungen nicht ganz der Wahrheit entsprochen hätten. Entgegen den Angaben des Klägers sei dieser in der Vergangenheit nicht lediglich 2 mal in Schlägereien verwickelt gewesen. Bereits vor dem Unfall im April 2006 sei der Kläger wegen folgender Delikte auffällig gewesen: Körperverletzung (4 mal); Beleidigung (1 mal); Sachbeschädigung (1 mal); sonstiger Sozialleistungsbetrug (1 mal); Bedrohung (1 mal). Angesichts dieser Faktenlage würden sich erhebliche Bedenken hinsichtlich einer vorbestehenden völlig intakten sozialen Integration und einer unfallbedingten Aggressionsentwicklung bzw. Persönlichkeitsveränderung ergeben.

Hierzu nahm Dr. K. am 22.07.2008 Stellung. Wenn die jetzt zusätzlich übersandten Berichte über Delikte vor dem Unfall korrekt seien, ergebe dies eine höhere Gewichtung der primären Persönlichkeitsauffälligkeiten des Klägers im Sinne einer emotional instabilen Persönlichkeit vom impulsiven Typ in Relation zur Bedeutung des Unfallereignisses für die psychischen Auffälligkeiten und Auffälligkeiten im Verhalten. Die jetzige depressive und aggressive Reaktion auf die Unfallfolgen sei somit nicht so persönlichkeitsfremd, wie er dies zunächst aufgrund der Angaben des Klägers angenommen habe. Vor diesem Hintergrund komme er zu dem Ergebnis, dass angesichts der Auffälligkeiten im Verhalten schon vor dem Unfallereignis beim Kläger eine gemischte Persönlichkeitsstörung vom narzisstischen und emotional instabilen Typ mit Störungen der Impulsivkontrolle vorliege. Durch das Unfallereignis sei es zu einer neuerlichen Dekompensation gekommen, wobei anzunehmen sei, dass bei der prämorbiden Persönlichkeit auch andere Belastungen zu ähnlichen Veränderungen geführt hätten. Entscheidend sei vorliegend eine Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen impulsiven Typ. Letztlich stelle natürlich der Unfall eine Bedingung für das Auftreten der jetzigen Symptome dar; dass diese rechtlich wesentlich gewesen seien, müsse jedoch bei der Vorgeschichte ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Die prämorbide Persönlichkeitsstörung erscheine hier doch wesentlicher als die direkte Unfalleinwirkung bzw. die Reaktion hierauf. Somit habe bereits vor dem Unfall vom 07.04.2006 eine psychisch relevante Vorerkrankung/Schadensanlage im Sinne eines Vollbeweises vorgelegen und die mehrfache Delinquenz spreche für ein Vorliegen prämorbider Persönlichkeitsstörungen mit Neigung zu Impulskontrollverlusten bereits vor dem Unfallereignis. Nachdem sich die psychischen Störungen bereits vor dem Unfallereignis in ihren Auswirkungen im Sozialverhalten gezeigt hätten, könne das Unfallereignis nicht als unersetzlich in der Kausalkette eingestuft werden. Durch die vorbestehende Persönlichkeitsstörung seien die Störungen der Impulskontrolle beim Kläger deutlich erleichtert ansprechbar. Es sei davon auszugehen, dass das Unfallereignis eine vorübergehende Verschlimmerung bewirkt habe, da in der Folge doch gehäuft psychiatrische Auffälligkeiten und auch stationäre psychiatrische Aufenthalte erfolgt seien. Es sei aber davon auszugehen, dass bei der hohen Vulnerabilität aufgrund der Persönlichkeitsstörung letztlich das Unfallereignis auch eine besondere Auswirkung auf den Antragsteller gehabt habe. Trotz der anerkannten prämorbiden Störung stelle das Unfallereignis einen wesentlichen Aspekt dar, da besondere Schwierigkeiten in der Überwindung der Störung bestünden. Diese Probleme lägen aber ebenfalls überwiegend in der Primärpersönlichkeit des Verunfallten. Eine Anpassungsstörung sei auf das Unfallereignis als wesentlich durch den Unfall bedingt anzusehen, jedoch auf einen Zeitraum von 2 Jahren zu begrenzen. Für diesen Zeitraum sehe er eine unfallbedingte MdE von 40 % durch das Unfallereignis. Anschließend dominierten die prämorbid vorhandenen Persönlichkeitsauffälligkeiten mit einer fortbestehenden MdE von 25 %. Fortbestehende psychische Auffälligkeiten dürften überwiegend Folge der prämorbiden Störungen sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 12.12.2007 zurück. Ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 07.04.2006 und den Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet bestünden nach der Überzeugung des Widerspruchsausschusses nicht.

Dagegen erhob der Kläger am 14.10.2008 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) mit dem Begehren, ihm höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.

Mit Bescheid vom 28.01.2009 stellte die Beklagte anstatt der bisher als vorläufige Entschädigung gewährten Rente nach einer MdE von 20 % eine Rente auf unbestimmte Zeit in bisheriger Höhe fest. Als Folgen des Versicherungsfalles wurden anerkannt: Rechtes Bein: Berührungs- und Belastungsschmerz am Vorfußstumpf, geringe Muskelminderung am Ober- und Unterschenkel, gestörter Abrollvorgang des Fußes sowie Balance-Störungen im Einbeinstand rechts nach traumatischer Amputation der Großzehe und Teilamputation der Zehen 2 bis 4. Als Folgen des Versicherungsfalles wurden nicht anerkannt, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung: Die Folgen der gemischten Persönlichkeitsstörung vom narzisstischen und emotional instabilen Typ mit Impulskontrollstörungen, Depressionen, pathologischem Spielen und Rauschmittelgebrauch. Der Bescheid wurde auf das von der Beklagten eingeholte orthopädische Gutachten von Dr. A. vom 08.01.2009 gestützt.

Während des Klageverfahrens ruhte das Verfahren, weil sich der Kläger zur Heilbehandlung in der Türkei befand.

Zur Begründung der Klage führte der frühere Bevollmächtigte des Klägers aus, entgegen der ergänzenden Stellungnahme des Gutachters Dr. K. vom 22.07.2008 berichte der Kläger, dass vor dem Unfallgeschehen vom 07.04.2006 keine psychisch relevante Vorerkrankung/Schadensannahme im Sinne eines Vollbeweises vorliege. Die von dem Gutachter Dr. K. vertretene Auffassung, dass vor dem Unfallgeschehen prämorbide Persönlichkeitsstörungen mit Neigung zu Impulskontrollverlusten vorgelegen hätten, teile der Kläger nicht, da diese Störungen nach Mitteilung des Klägers unerheblich und nicht mit denen in Einklang zu bringen seien, die ihn seit dem Unfallgeschehen plagen würden. Der Kläger habe vor dem Unfallgeschehen unter leichten depressiven Verstimmungen gelitten, die jedoch mit den nunmehr seit dem Unfallgeschehen bestehenden psychischen Störungen nicht im Einklang stünden und mit ihnen vergleichbar seien. Der Kläger habe gegenüber seinem Bevollmächtigten nachdrücklich die Auffassung vertreten, dass allein die Folgen des Unfallgeschehens dazu geführt hätten, dass er sich in einer derart schlechten psychischen Verfassung befinde, weshalb es angezeigt erscheine, ihm eine Rente unter Zugrundelegung einer MdE von weit mehr als 20 v. H. zu gewähren. Seit 01.02.2008 beziehe der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung - befristet bis 30.06.2010 - in Höhe von 617,92 EUR durch die DRV Baden-Württemberg.

Mit Verfügung vom 16.03.2010 teilte das SG den Beteiligten mit, die erkennende Kammer teile die Auffassung der Beklagten, dass der Bescheid über die Rente auf unbestimmte Zeit nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden sei.

Der Bevollmächtigte des Klägers legte die Atteste des Dr. H. vom C. G. vom 18.04.2010, des Dipl.-Psych. vom B. vom 21.06.2010 und des Dr. D. vom 05.05.2000 vor.

Mit Urteil vom 08.07.2010 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung ist ausgeführt, Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sei der Bescheid der Beklagten vom 12.12.2007 in der Gestalt des Bescheides vom 20.12.2007, durch den der zugrunde zu legende Arbeitsverdienst korrigiert worden sei, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2008, die Rente als vorläufige Entschädigung betreffend. Der Bescheid über die Rente auf unbestimmte Zeit vom 28.01.2009 sei nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, da er sich zum einen auf einen anderen Streitgegenstand, nämlich die Rente auf unbestimmte Zeit beziehe und weiterhin einen anderen Zeitraum, nämlich denjenigen nach der Rente als vorläufige Entschädigung betreffe. In der Sache sei die Klage unbegründet. Der Kläger könne keine höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v. H. von der Beklagten beanspruchen. Bei dem Kläger sei von einer vielschichtigen psychiatrischen Symptomatik auszugehen und die Persönlichkeitsauffälligkeiten prägten das Verhalten des Klägers und seine Verarbeitungsweise der Unfallfolgen. Darauf habe der Beratungsarzt der Beklagten Dr. R. schlüssig und überzeugend hingewiesen. Die Einschätzung des Beratungsarztes werde auch durch die ergänzenden Ausführungen des Gutachters Dr. K. bestätigt, wonach bei dem Kläger von einer gemischten Persönlichkeitsstörung vom narzisstischen und emotional instabilen Typ mit Störungen der Impulskontrolle auszugehen sei, die auf Grund der prämorbiden Persönlichkeit auch durch andere Belastungen des täglichen Lebens dekompensierbar gewesen sei. Dementsprechend verweise auch Dr. K. darauf, dass es zweifelhaft erscheine, dass der Unfall rechtlich wesentlich sei. Nach alledem könnten die psychischen Beeinträchtigungen beim Kläger nicht als Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.04.2006 gewertet werden, weshalb der Kläger keinen Anspruch auf eine höhere Rente als nach einer MdE von 20 v. H. habe.

Gegen das - dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 14.07.2010 - zugestellte Urteil hat der Bevollmächtigte des Klägers am 10.08.2010 Berufung eingelegt.

Mit Bestellungsurkunde vom 13.09.2010 hat das Notariat G. V - Betreuungsgericht - Rechtsanwalt K. E. R., G., zum Betreuer des Klägers bestellt; zum Aufgabenkreis gehört die Wahrnehmung vermögensrechtlicher Angelegenheiten einschließlich der Geltendmachung von Arbeits-, Renten-, Versicherungs-, Sozialangelegenheiten und sonstiger Versorgungsangelegenheiten.

Am 17.03.2011 hat der Betreuer - Rechtsanwalt R. - Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren gestellt. Zur Begründung der Berufung verweist er auf das Attest des C. G. vom 05.03.2011, aus dem sich ergebe, dass die depressive Entwicklung und dauernde Persönlichkeitsveränderung des Klägers nicht auf die vorbestehende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen sei, sondern dass sich diese unfallbedingt entwickelt habe. Außerdem ist beigefügt das Attest des Dr. K. - Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Dipl.-Psych. H. P. - psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapie - vom C. G. vom 05.03.2011. Diese haben ausgeführt, beim Kläger liege eine schwere gemischte Persönlichkeitsstörung vom narzisstischen und emotional instabilen, impulsiven Typ vor. Durch einen Arbeitsunfall sei er auch psychisch traumatisiert. Der Kläger habe große Schwierigkeiten, die Erwartungsspannung bis zum Prozess und dessen Ergebnis zu ertragen und in sein Erleben und Verhalten adäquat zu integrieren. Aus diesem Grund erscheine eine möglichst baldige Entscheidung nötig, so dass der Betroffene keinen psychisch - gesundheitlichen zusätzlichen Schaden nehme. Im Attest des Dr. K. und der Dipl.-Psych. H. P. vom 28.02.2011 ist ausgeführt, im Verlauf der Behandlung habe sich eine gewisse emotionale Beruhigung des Patienten gezeigt, die jedoch mehr in eine depressive negativistische Persönlichkeitsänderung zu münden scheine. Die depressive Entwicklung und andauernde Persönlichkeitsänderung sei ihres Erachtens nicht auf die vermutlich vorbestehende Persönlichkeitsstörung des Patienten zurückzuführen, sondern habe sich unfallbedingt entwickelt.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12. Dezember 2007 in der Gestalt des Bescheides vom 20. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2008 zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten des SG Ulm und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Ulm mit dem angefochtenen Urteil vom 08.07.2010 die Klage abgewiesen.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 12.12.2007 in der Gestalt des Bescheides vom 20.12.2007, mit dem der zugrunde zu legende Arbeitsverdienst korrigiert worden ist, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2008 die Rente als vorläufige Entschädigung betreffend. Entgegen der Ansicht des SG ist der Bescheid über die Rente auf unbestimmte Zeit (Bescheid vom 28.01.2009) nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Nach § 96 Abs.1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Letzteres ist der Fall, da der Bescheid vom 28.01.2009 die als vorläufige Entschädigung gewährte Rente durch die Rente auf unbestimmte Zeit ersetzt, denn "an ihrer Stelle" wird Rente auf unbestimmte Zeit gewährt. Der Kläger ist durch die im angefochtenen Urteil vertretene Rechtsauffassung im Ergebnis nicht beschwert, da die Klage auch insoweit nicht begründet ist.

Zu Recht hat das SG entschieden, dass die psychischen Beeinträchtigungen keine Folge des Arbeitsunfalles vom 07.04.2006 darstellen und daher bei der unfallbedingten MdE nicht berücksichtigt werden können. Ein höherer Anspruch auf Verletztenrente als nach einer MdE von 20 v.H. steht dem Kläger ab 25.06.2007 nicht zu.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) ). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird die Vollrente geleistet, bei einer MdE wird eine Teilrente geleistet, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4 2700 § 8 Nr. 17).

Für beide Bereiche der Kausalität (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der - überwiegenden - Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff mwN sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache erforderlich (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).

Ob die Verursachung eines Gesundheitsschadens oder des Todes eines Versicherten "durch" einen Arbeitsunfall festgestellt werden kann, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - letztlich danach, ob das Unfallereignis selbst und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache die wesentliche Bedingung für den Eintritt der Schädigung bildet (st. Rspr. des BSG; vgl. stellvertretend BSGE 63, 277 , 278 = SozR 2200 § 548 Nr 91 m.w.N). Welcher Umstand entweder für den Eintritt eines Arbeitsunfalls für den Eintritt des Schadens als wesentlich angesehen werden muss, ist durch eine wertende Betrachtung aller in Frage kommenden Umstände zu ermitteln. Die einzelnen Bedingungen müssen gegeneinander abgewogen werden; ob eine von ihnen wesentlich den Erfolg mit bewirkt hat, ist anhand ihrer Qualität zu entscheiden. Auf eine zeitliche Reihenfolge oder die Quantität kommt es nicht an. Zur Bewertung der Qualität einer bestimmten Bedingung hat die Rechtsprechung (vgl. etwa BSGE 59, 193 , 195 = SozR 2200 § 548 Nr. 77 m.w.N.) vielfach auf die Auffassung des "täglichen" oder "praktischen" Lebens abgestellt. Anders als bei der für das Zivilrecht maßgebenden Adäquanztheorie (stellvertretend BGHZ 137, 11, 19ff m.w.N.) folgt daraus keine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise; vielmehr ist die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom ex-post-Standpunkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Daher kommt es bei der Wertung im Bereich der Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelperson mit ihrer jeweiligen Struktureigenheit im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (vgl. BSGE 66, 156 , 158 = SozR 3-2200 § 553 Nr. 1 m.w.N.). Gleichzeitig ist im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm - hier der §§ 27, 56 SGB VII - zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz im Einzelfall reicht (vgl. insgesamt BSG Urteil vom 09.12.2003 - B 2 U 8/03 R -, SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m.w.N.).

Gibt es neben der versicherten Ursache noch konkurrierende Ursachen, z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, solange die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war (BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO, SozR Nr 69 zu § 542 RVO a.F.). Eine Krankheitsanlage war von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte (BSGE 62, 220 , 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10 S 30). War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist die versicherte naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts aus; sie ist dann bloß eine so genannte Gelegenheitsursache (BSG Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - , SozR 4-2700 § 8 Nr. 15).

In Anwendung dieser Grundsätze gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Beklagte im Bescheid vom 12.12.2007 die Folgen des Arbeitsunfalles zutreffend aufgeführt hat. Zu Recht hat sie auch nicht psychische Störungen als Folgen des Arbeitsunfalles, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung anerkannt. Die von Dr. K. diagnostizierte Anpassungsstörung mit ausgeprägten sozialen Anpassungsschwierigkeiten und depressiven Symptomen ist nicht unfallbedingt. Die unfallbedingte MdE um 20 v.H., die von Dr. A. in seinen unfallchirurgischen/orthopädischen Gutachten vom 10.07.2007 und 08.01.2009 im Einklang mit den Bewertungsgrundsätzen der unfallmedizinischen Literatur überzeugend sowohl für den Zeitraum der vorläufigen Entschädigung als auch danach für die Rente auf unbestimmte Zeit eingeschätzt worden ist, resultiert daher aus den Verletzungen, die der Kläger am rechten Fuß erlitten hat. Die psychischen Beschwerden stellen keine Folgen des Arbeitsunfalles dar, weshalb diese auch keinen Einfluss auf die Höhe der unfallbedingten MdE haben.

Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSM IV) erforderlich (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wird in der aktuellen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) wie folgt definiert (F 43.1): "Diese [d. h. die PTBS] entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über."

Hiervon ausgehend ist vorliegend festzustellen, dass es an den Diagnosekriterien eines typischen Flash-Backs und dem gezielten Vermeidungsverhalten (sog. A-Kriterium) fehlt, wie Dr. K. im Gutachten vom 02.07.2008 überzeugend ausgeführt hat. Hiermit übereinstimmend hat auch Dr. R. eine PTBS verneint. Auf das Fehlen eines lebensbedrohlichen Traumas als Grundvoraussetzung für die Anerkennung psychischer Störungen als posttraumatische Belastungsstörung hat der Beratungsarzt der Beklagten Dr. R. zutreffend hingewiesen. Hinzu kommt, dass der Kläger schon vor dem Arbeitsunfall vom 07.04.2006 in psychischer Hinsicht auffällig geworden ist. Danach haben vor dem Arbeitsunfall beim Kläger eine depressive Verstimmung nach dem Tod der Mutter, ein fraglicher Partnerschaftskonflikt sowie finanzielle Sorgen und Unsicherheitsgefühl am Arbeitsplatz bestanden. Da beim Kläger schon vor dem Arbeitsunfall eine narzisstische und emotional instabile Persönlichkeit vorgelegen hat, ist es nachvollziehbar, dass diese Persönlichkeitsauffälligkeiten das Verhalten des Klägers auch bei seiner Verarbeitungsweise der Unfallfolgen geprägt haben. Es ist nicht erkennbar, dass durch medizinische Komplikationen während der gewährten Heilbehandlung oder durch die Unfallabwicklung der Beklagten die psychischen Auffälligkeiten des Klägers gefördert wurden. Der Verlust des Arbeitsplatzes nach dem Unfall ist Folge des Verhaltens des Klägers, der seinem Arbeitskollegen, den er für den Unfall verantwortlich machte, drohte, ihn zu töten bzw. ins Knie zu schießen. Nach Angaben des Klägers bestand der Partnerschaftskonflikt schon vor dem Unfall. Die Trennung von der Partnerin nach dem Unfall beruhte auf von ihr ungenannten Gründen, wie der Kläger bei der Behandlung in der Klinik C. angegeben hatte und es im Gutachten von Privatdozent Dr. H. vom 16.10.2007 beschrieben worden ist.

Nach Priv.-Doz. Dr. R. ist davon auszugehen, dass zusätzlich zur unfallvorbestehenden Persönlichkeitsstörung auch vielfältige unfallunabhängige psychosozialen Stressfaktoren, wie sie in dem Arztbrief von Prof. Dr. G. vom 04.07.2006 und dem Entlassungsbericht vom 02.10.2006 u. a. beschrieben sind, vorgelegen haben, denen ein deutliches Übergewicht im Bedingungsgefüge zur Entstehung und Unterhaltung der psychischen Beeinträchtigung des Klägers zukommt. Für den Senat ist nachvollziehbar, dass das Unfallereignis als Mitursache der zu Tage getretenen Persönlichkeitsstörung des Klägers gegenüber der beschriebenen prämorbiden Persönlichkeitsstruktur mit ausgeprägter, unverhältnismäßiger Erwartungshaltung (wie u.a. der Aktenvermerk der Beklagten vom 09.01.2007 - Kostenersatz durch die Beklagte für Möbelkauf bei Umzug - und der Arztbrief vom Dr. B. vom 02.02.2007 - Behandlungsabbruch des Klägers wegen nicht tolerierbarer Wartezeit von 30 min - zeigen) und Neigung zu Aggressionen bei niedriger Frustrationsschwelle völlig in den Hintergrund tritt und lediglich Anknüpfungspunkt und Auslöser für die persönlichkeitsbedingte Anpassungsstörung des Klägers ist. Die gutachtliche Stellungnahme von Privatdozent Dr. R. vom 13.11.2007 stimmt insoweit mit der zuletzt abgegebenen Beurteilung von Dr. K. überein, wobei dahinstehen mag, ob es auf die von Dr. K. bewerteten strafrechtlich geahndeten Verhaltensauffälligkeiten des Klägers vor dem Unfall ankommt, die der Kläger auch nicht bestritten hat. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein wesentlicher unfallbedingter Zusammenhang eines psychischen Leidens (wie hier einer Anpassungsstörung) nicht schon dann vorliegt, wenn in der Persönlichkeitsstruktur des Versicherten angelegte Eigenschaften (hier: niedrige Frustrationstoleranz, Aggressionsbereitschaft) durch das Unfallereignis, die physischen Unfallfolgen oder durch die Unfallabwicklung des Unfallversicherungsträgers stimuliert wurden. Maßstab der wertenden Beurteilung ist, dass nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand aus objektiver Sicht ein Zusammenhang herzustellen ist; allein die subjektive Sicht des Versicherten reicht nicht aus. (Urteil des Senats vom 27.08.2010 - L 8 U 1427/10 - , veröffentl. in juris, sozialgerichtsbarkeit.de).

Soweit Dr. K. im Attest zur Vorlage beim Sozialgericht vom 05.03.2011 ausgeführt hat, durch den Arbeitsunfall sei der Kläger auch psychisch traumatisiert und soweit er im Befundbericht zur Vorlage bei Gericht vom 28.02.2011 mitgeteilt hat, die depressive und andauernde Persönlichkeitsänderung sei seines Erachtens nicht auf die vermutlich vorbestehende Persönlichkeitsstörung des Klägers zurückzuführen, sondern habe sich unfallbedingt entwickelt, kann dem nicht gefolgt werden. Denn eine Begründung hat Dr. K. hierfür nicht gegeben und sich auch mit der von Dr. K. ausführlich beschriebenen - schon vor dem Arbeitsunfall vom 07.04.2006 vorliegenden - Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen impulsiven Typ nicht auseinander gesetzt.

Da es sich beim Kläger vielmehr um eine Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen impulsiven Typ handelt, welche schon vor dem Arbeitsunfall vorgelegen hat, ist diese prämorbide Persönlichkeitsstörung allein wesentlich und die direkte Unfalleinwirkung ist im Gesamtzusammenhang des Bedingungsgefüges zu vernachlässigen bzw. ist die Reaktion auf das Unfallereignis Ausdruck der Persönlichkeitsstörung des Klägers.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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