L 8 AL 5536/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 AL 1028/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 5536/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) streitig.

Die 1968 geborene Klägerin meldete sich am 14.05.2007 bei der Agentur für Arbeit Ü. arbeitslos und gab hierbei an, vom 01.04.1998 bis 31.08.2007 sei sie bei der Firma W. L. beschäftigt gewesen. In der Zeit vom Mai 2004 bis 14.05.2007 habe sie Elternzeit in Anspruch genommen. Gemäß dem Vergleich vom 28.06.2007 vor dem Arbeitsgericht U. habe das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung vom 31.05.2007 mit Ablauf des 31.08.2007 geendet.

Mit Bescheid vom 18.09.2007 gewährte die Beklagte der Klägerin Alg ab 01.09.2007 bis 30.08.2008 in Höhe von täglich 18,08 EUR. Es wurde hierbei ein Bemessungsentgelt von täglich 51,09 EUR zugrundegelegt. Als wöchentliche Arbeitsstunden seien 30,5 Stunden zugrundegelegt worden, da sich die Klägerin auch für 30,5 Stunden pro Woche der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt habe.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, entsprechend dem Arbeitsvertrag vom 20.08.2001 habe sie seit 2001 wöchentlich 30,5 Stunden gearbeitet. In diesem Arbeitsvertrag, den sie vorlege, sei ein Bruttogehalt von 3.500 DM vereinbart worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, das Arbeitslosengeld betrage 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt). Der erhöhte Leistungssatz von 67 % werde gewährt, wenn der Arbeitslose oder sein nicht dauernd getrennt lebender und ebenfalls unbeschränkt einkommenssteuerpflichtige Ehegatte oder Lebenspartner ein Kind habe. Der Bemessungszeitraum umfasse gemäß § 150 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr; er ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Der Bemessungsrahmen werde gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf 2 Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte. Bemessungsentgelt sei gemäß § 131 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Könne ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf 2 Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, sei gemäß § 132 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Letzteres sei bei der Klägerin der Fall. Im auf 2 Jahre erweiterten Bemessungsrahmen vom 01.09.2005 bis 31.08.2007 seien keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen. Deshalb sei der Bemessung ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das sich entsprechend der beruflichen Qualifikation der Klägerin nach der Qualifikationsgruppe 3 (mit abgeschlossener Berufsausbildung) richte. Die Bezugsgröße nach § 14 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) betrage jährlich 29.400 EUR. Für die Qualifikationsgruppe 3 ergebe sich danach ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 65,33 EUR (29.400 EUR ÷ 450). Da die Klägerin bereit bzw. in der Lage sei, 30,5 Stunden wöchentlich zu arbeiten, vermindere sich das Bemessungsentgelt nach § 131 Abs. 5 SGB III auf täglich 51,09 EUR (65,33 EUR × 30,5 ÷ 39). Entsprechend den Eintragungen in der Steuerklasse bestehe ein Anspruch auf Alg nach dem erhöhten Leistungssatz (mit Kind) in Höhe von täglich 18,08 EUR (§ 129 SGB III).

Dagegen erhob die Bevollmächtigte der Klägerin am 07.11.2007 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG, S 1 AL 3038/07) mit dem Begehren, der Klägerin Alg unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgeltes zu gewähren, welches der von ihr vor und nach der Elternzeit zuletzt bezogenen Vergütung Rechnung trage. Dass der Gesetzgeber lediglich sicherstelle, dass eine Anwartschaft trotz der Kindererziehung erhalten bleibe, dass Alg aber hinsichtlich der Höhe nicht die früher entrichteten Beiträge berücksichtige, sondern lediglich fiktiv errechnet werde, sei nach Auffassung der Klägerin nicht verfassungsgemäß.

Im Hinblick auf beim Bundesverfassungsgericht und beim Bundessozialgericht (BSG) anhängige Verfahren wurde mit dem Einverständnis der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 12.12.2007).

Am 29.04.2010 rief die Beklagte das ruhende Verfahren wieder an und nahm Bezug auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.05.2008 - B 11a AL 23/07 R - sowie auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10.03.2010 - 1 BvL 11/07 - und vom 11.03.2010 - 1 BvR 2909/08 -.

Ergänzend trug die Bevollmächtigte der Klägerin vor, in der von der Beklagten zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung habe das Bundesverfassungsgericht keine Entscheidung über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit der §§ 130, 132 SGB III mit dem Grundgesetz getroffen. Die Verfassungsbeschwerde sei nicht zur Entscheidung angenommen worden und sei als unzulässig angesehen worden. Bei der Entscheidung des BSG - B 11a AL 23/07 R - sei aufgrund der Anwendung der vorgenannten Vorschriften das zugrundegelegte Bemessungsentgelt knapp 17 % niedriger. Im vorliegenden Fall liege es über 25 % unter dem aufgrund des letzte Verdienstes zu errechnenden Bemessungsentgeltes. Insofern sei vorliegend die Höhe des Arbeitsentgelts nach der Qualifikationsgruppe unangemessen niedrig. Auch das BSG bewertete die Überlegung, das Leistungsniveau könne im Einzelfall gegen das Grundgesetz verstoßen, für vertretbar und angemessen. Es habe aus diesem Grunde auch in seiner oben genannten Entscheidung dieses Merkmal geprüft. Eine feste Grenze habe es jedoch nicht gezogen, wann die Differenz zwischen dem fiktiven Bemessungsentgelt und dem zuletzt erzielten Entgelt angemessen bzw. unangemessen sei. Das tatsächlich erzielte Bruttogehalt habe bis 30.09.2002 DM 3.500 betragen und sei danach auf 1.890 EUR brutto erhöht worden. Die Monatsvergütung sei 13-fach pro Jahr ausbezahlt worden. Es liege daher eine durchschnittliche Monatsvergütung in Höhe von 2.047,05 EUR brutto vor. Dagegen gehe die Beklagte von einem Bemessungsentgelt in Höhe von 51,09 EUR und damit einer Bruttomonatsvergütung von 1.532,70 EUR aus. Dieses Entgelt sei 514,80 EUR brutto geringer. Die Regelung der §§ 130, 132 SGB III, denen diese Praxis entspreche, sei daher verfassungswidrig. Hierdurch werde der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz verletzt. § 132 Abs. 1 SGB III sei teleologisch zu reduzieren, wenn eine fiktive Bemessung zu einer für den Arbeitslosen ungünstigen Berechnung führe.

Mit Urteil vom 27.10.2010 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt gemäß der Qualifikationsgruppe 3 zugrundegelegt. Auch in dem auf 2 Jahre erweiterten Bemessungszeitraum vom 01.09.2005 bis 31.08.2007 seien keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen. Die Klägerin sei lediglich in der Zeit vom 15.05.2007 bis 31.08.2007 (108 Tage) versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Klägerin habe die Anwartschaftszeit des § 123 SGB III gemäß § 26 Abs. 2 a Ziffer 1 SGB III erfüllt. Die Beklagte habe gemäß § 132 Abs. 2 Ziffer 3 SGB III ein Bemessungsentgelt fiktiv nach der Qualifikationsgruppe 3 zugrundegelegt. Dies entspreche der gesetzlichen Regelung, die nicht gegen höherrangiges Recht verstoße. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers bei Eltern bzw. Müttern, die sich nach längeren freiwilligen Unterbrechungen ihres Berufslebens dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stellten, den Lohnersatz durch das Arbeitslosengeld nicht - wie sonst beim Fehlen eines ausreichend zeitnahen Bemessungszeitraumes - nach dem aktuell voraussichtlich erzielbaren Lohn zu bemessen, sondern anhand des vor der Kindererziehung erzielten Arbeitsentgelts, ließ sich nicht aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (Schutz von Ehe und Familie) herleiten. Diese Norm unterstelle zwar Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, verpflichtet den Staat jedoch nicht, jegliche auf Familien treffende Belastung auszugleichen oder die Familien ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern. Selbst wenn sich die streitige Regelung überwiegend zu Lasten von Müttern auswirken sollte, die wegen der Übernahme der Kindererziehung ihre Berufstätigkeit längere Zeit unterbrochen hätten, scheide Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz als Grundlage für das Begehren der Klägerin aus. Unabhängig davon, ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und die ersten Monate nach der Geburt hinaus überhaupt Schutz gewähre, könnten aus ihr jedenfalls keine besonderen Rechte für Sachverhalte hergeleitet werden, die nicht allein Mütter beträfen. Hierzu verwies das SG auf das Urteil des BSG vom 20.05.2008 (B 11a/7a AL 64/06 sowie B 11a 23/07 R) sowie die Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 10.03.2010 und 11.03.2010 (1 BvL 11/07 und 1 BvR 2909/08). Das Bundesverfassungsgericht habe ausgeführt, dass sich in solchen Fällen wegen der Gleichrangigkeit durch das Grundgesetz geleisteten Schutzes gar keine besonderen Anforderungen an die Regelbefugnis des Gesetzgebers aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz herleiten lasse. Die Auffassung der Klägerin lasse sich ferner auch nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz stützen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz gebiete dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Damit sei dem Gesetzgeber aber weder jede Differenzierung verwehrt noch sei es ihm untersagt, von Differenzierungen abzusehen, die er vornehmen dürfte. Nicht einmal da, wo es um den Zugang zum Arbeitslosengeld durch Erfüllung der Anwartschaftszeit gehe, sei der Gesetzgeber, der sich im Rahmen seines Ermessens bei der Ausgestaltung von staatlichen Leistungen für eine familienpolitische Förderung durch Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub entschieden habe, dazu verpflichtet, diese Förderung auch im Zusammenhang mit anderen sozialrechtlichen Regelungen in gleicher Weise zur Geltung zu bringen (vgl. BSG a.a.O. mit weiteren Ausführungen). Somit bestehe auch kein Raum für die von der Bevollmächtigten der Klägerin geforderte teleologische Reduktion des § 132 Abs. 1 SGB III.

Gegen das - der Bevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 02.11.2010 zugestellte - Urteil hat die Klägerin am 01.12.2010 Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren weiter, beruft sich auf ihr Vorbringen in erster Instanz und hat ihr Vorbingen noch vertieft.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2007 sowie der Folgebescheide vom 18.12.2007 und vom 01.08.2008 zu verurteilen, ihr höheres Arbeitslosengeld zu gewähren, das dem tatsächlich erzielten Verdienst vor und nach der Elternzeit entspreche.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Klägerin ist in nichtöffentlicher Sitzung vom 09.09.2011 gehört worden. Das Urteil des BSG vom 29.05.2008 - B 11a/7a AL 64/06 - ist in diesem Termin mit den Beteiligten erörtert worden. Der Berichterstatter hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Berufung unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung wenig aussichtsreich erscheine.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten des SG Konstanz und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Alg.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 18.09.2007 (Widerspruchsbescheid vom 09.10.2007), mit dem die Beklagte der Klägerin Alg ab 01.09. 2007 in Höhe von täglich 18,08 EUR bewilligt hat. Die Bescheide vom 18.12.2007 und 01.08.2008 sind gemäß § 96 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden.

Die Klägerin macht allein einen Anspruch auf höheres Alg auf der Grundlage der von ihr erzielten Arbeitsentgelte geltend und begründet dies damit, dass die Beklagte das Alg zu Unrecht fiktiv (hier nach Qualifikationsgruppe 3) und nicht nach den vor den Erziehungszeiten liegenden Entgeltabrechnungszeiträumen bemessen habe. Insbesondere macht sie geltend, dass es gegen höherrangiges Recht verstoße, wenn das Alg im Anschluss an Erziehungszeiten nach Qualifikationsgruppen bemessen werde.

Die Beklagte hat hier das Alg zu Recht fiktiv nach § 132 Abs. 1 SGB III bemessen. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit 01.01.2005 geltenden - und im Hinblick auf das hier von der Klägerin für die Zeit ab 01.09.2007 beantragte Alg anzuwendenden - Fassung durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I 2848) umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach näherer Maßgabe von § 130 Abs. 2 SGB III bleiben bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums bestimmte Zeiten außer Betracht. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III).

Aus diesen Bestimmungen folgt, dass das von der Klägerin noch vor und nach der Geburt/Annahme ihres Kindes von April 1998 bis Mai 2004 und vom 15.05.2007 bis 31.08.2007 erzielte Arbeitsentgelt nicht als Bemessungsentgelt berücksichtigt werden kann. Der Bemessungsrahmen endet im vorliegenden Fall am 31.08.2007, dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB III). Hieraus ergibt sich ein regulärer Bemessungsrahmen vom 01.09.2006 bis 31.08.2007 und ein gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III erweiterter Bemessungsrahmen vom 01.09.2005 bis 31.08.2007. Im auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen liegt kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vor, da die Klägerin nach ihrem Erziehungsurlaub und vor der Entstehung des Anspruchs auf Alg am 01.09.2007 nur vom 15.05.2007 bis 31.08.2007 - und damit nicht mehr als 150 Tage - versicherungspflichtig beschäftigt war. Eine zusätzliche Erweiterung des Bemessungsrahmens über zwei Jahre hinaus sehen die anzuwendenden Vorschriften (§§ 130 Abs. 3, 132 Abs. 1 SGB III) nicht vor (vgl. Urteil des BSG vom 29.05.2008 - B 11a AL 23/07 R).

Die Verkürzung des Bemessungsrahmens auf maximal zwei Jahre mit Wirkung ab 01.01.2005 bedeutet für die Klägerin auch keine Schlechterstellung gegenüber der bis 31.12.2004 geltenden Rechtslage. Innerhalb der letzten drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs (01.09.2004 bis 31.08.2007), die nach der früheren Regelung (§ 133 Abs. 4 SGB III aF) den zeitlichen Höchstrahmen für die Berücksichtigung früher erzielten Entgelts darstellten, hätte die Klägerin nämlich ebenfalls keine ausreichenden Zeiten mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorzuweisen gehabt. Das gilt unabhängig davon, ob man dabei auf das bis zum 31.12.2004 geltende Recht (mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt) oder auf das seit 01.01.2005 geltende Recht (mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt) abstellt.

Die Klägerin war - was sie auch nicht in Frage stellt - aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung der Qualifikationsgruppe 3 zuzuordnen. Hieraus folgt nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III ein fiktives Bemessungsentgelt von 65,33 EUR täglich (Bezugsgröße 2005: 28.980,00 EUR jährlich, geteilt durch 450). Auch die weitere Berechnung des Alg durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht den Bestimmungen in den §§ 129, 133 SGB III und führt zu dem von der Beklagten zutreffend bewilligten Alg von 51,09 EUR täglich.

Dass das Arbeitsentgelt, das die Klägerin vom 01.04.1998 bis 31.08.2007 erzielt hat, nicht als Bemessungsentgelt herangezogen wird, verstößt auch nicht gegen die Verfassung. Art. 6 Abs. 1 und 4 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG - diese Verfassungsbestimmungen kommen hier als mögliche Grundlage für das Begehren der Klägerin in Frage - sieht der Senat nicht als verletzt an. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Gemäß Art. 6 Abs. 4 GG hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Ein konkreter Anspruch der Klägerin darauf, dass hier nicht - wie in § 132 Abs. 1 SGB III vorgesehen - eine fiktive Bemessung des Alg erfolgen darf, sondern - im Unterschied zu anderen Arbeitslosen und in Abkehr von der gesetzlichen Konzeption, das Alg als Lohnersatzleistung an einem möglichst zeitnahen Lohnniveau auszurichten - der Bemessung des Alg (auch) länger - hier sogar mehr als 6 Jahre - zurückliegende Entgeltzeiträume, insbesondere solche, die vor der Geburt/Annahme des Kindes liegen, zugrunde gelegt werden müssen, ergibt sich aus diesen Verfassungsartikeln nicht. Auch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG sieht der Senat in der gesetzlichen Regelung nicht. Das BSG hat in seinem einschlägigen Urteil vom 29.05.2008 (B 11a AL 23/07 R) einen Verfassungsverstoß aufgrund der §§ 130 Abs. 3, 132 Abs. 1 SGB III, die eine Erweiterung des Bemessungsrahmens über zwei Jahre hinaus nicht vorsehen, unter Darlegung der erwähnten verfassungsrechtlichen Aspekte, insbesondere im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 4 sowie Art. 3 Abs. 1 GG, mit überzeugender Begründung verneint. Dem schließt sich der Senat an. Das gleiche gilt auch für das europäische Gemeinschaftsrecht (vgl. Senatsurteil vom 27.08.2010 - L 8 AL 4455/09 -). Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl Nr. L 6 vom 10.01.1979, S 24 f), deren Art. 4 Abs. 1 den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Berechnung von Sozialleistungen postuliert, hält der Senat ebenfalls nicht für verletzt. Zwar werden die Regelungen über die fiktive Bemessung des Alg hauptsächlich bei Frauen zur Anwendung kommen, die sich nach der Kindererziehung wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, obgleich die gesellschaftliche Entwicklung mit Einführung des Elterngeldes den Trend erkennen lässt, dass Elterngeld immer häufiger von Vätern beansprucht wird. Die Väterbeteiligung von 10,4 % im Bezugszeitraum 2007 ist auf 24,4 % im Zeitraum 2010 gestiegen (vgl. Pressemitteilungen des Statistischen Bundesamts vom 29.02.2008 und vom 06.09.2011). Eine faktische geschlechtsspezifische - mittelbare - Diskriminierung dürfte angesichts des statistisch belegten gesellschaftlichen Wandels in der Verteilung von Kindererziehungszeiten nicht ohne weiteres zu begründen sein. Darüber hinaus ist eine vom Gesetzgeber intendierte geschlechtsspezifische Differenzierung bei den Regelungen nach §§ 129, 133 SGB III nicht erkennbar. Der Grund für die fiktive Bemessung des Alg besteht nicht in einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, sondern in dem bereits beschriebenen Ziel der betreffenden gesetzlichen Regelungen, bei fehlendem zeitnahen Bemessungszeitraum eine fiktive Bemessung vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved